Samstag, 18. Juli 2009

Das Wiedersehen

Als ich aus der Bahn stieg, warf ich einen Blick auf die Uhr. Ich war bereits einige Minuten zu spät und hatte noch ein Stück des Weges vor mir. Also eilte ich die Treppe der Bahnstation nach unten, lief durch die Ticketschranken und hastete durch die Straßen Asakusas. Wie lange es wohl schon her sein musste, dass ich eben diesen Weg gemeinsam mit Lee und Katharina gelaufen war ("Tempelleben")? Sicher schon knapp fünf Monate. Und obwohl es mir vorkam, als wäre mein Besuch mit den beiden in Asakusa erst gestern gewesen, erschien mir der Weg zum Tempel nun doch viel länger, als ich ihn in Erinnerung hatte. Also eilte ich zwischen den Fußgängern und Touristen durch die anliegenden Straßen und erreichte schließlich das Tor, unter dem wir uns verabredet hatten. Ein wenig aufgeregt reckte ich meinen Kopf in die Höhe und blickte in die Gesichter, die mich umgaben, während ich mich einmal um meine eigene Achse drehte. Sie war noch nicht da. Erleichterung machte sich in mir breit und ich begann ein wenig umherzulaufen, während ich Ausschau hielt. Ob ich sie überhaupt wiedererkennen würde? Schließlich waren es schon einige Jahre her, dass wir uns das letzte Mal persönlich begegnet waren und nicht nur am Telefon miteinander gesprochen hatten. Ob sie sich wohl sehr verändert hatte? Ich lief immer wieder ums Tor und hielt Ausschau, so schwer konnte sie schließlich nicht zu erkennen sein. Und dann sah ich sie. In einem dunkelblauen Kleid kam sie lachend auf mich zugeeilt, ihre Arme weit ausgebreitet, trotz ihrer Absätze fast schon rennend. Und noch bevor wir Worte wechselten, lagen wir uns in den Armen. Nach all den Jahren.
"Haha, ich bin ein wenig spät."
"Das ist gar kein Problem. Gar kein Problem."
Ich blickte an ihr herunter und konnte es noch gar nicht glauben, sie hier mitten in Tokyo zu treffen.
"Gut siehst du aus." sagte ich und strahlte sie an. Und ich hatte gar nicht das Gefühl, dass es fast schon vier Jahre her war, dass wir uns gesehen hatten.
"Du siehst wirklich gut aus, Nathalie."
In der gleichen Straße waren wir aufgewachsen. Nur wenige Häuser entfernt hatten wir gewohnt. Und wenn man sich einige alte Fotos betrachtet, kann man uns zusammen im Sandkasten beim Eisessen oder beim Feiern des Kindergeburtstages sehen. Irgendwann war ich mit meiner Mutter dann weggezogen und hatte Nathalie aus den Augen verloren. Zumindest bis zu jenem Zeitpunkt, als wir uns in der Schule von neuem anfreundeten. Ich erinnere mich, wie sie nach einem Auslandssemester in Südamerika zurückkam und ich sie regelmäßig besuchte, um ihr Nachhilfeunterricht zu geben. So hatten wir wieder zueinander gefunden. So waren wir wieder zu Freunden geworden. Und so hatten wir unsere Schulzeit miteinander verbracht, nebeneinander im Englischunterricht gesessen und uns gelegentlich getroffen. Doch dann kam das Abitur und irgendwann nach unserem Abschlussball brach der Kontakt allmählich ab. Nur noch selten trafen wir uns nach dem Verlassen der Schule, nur noch selten telefonierten wir miteinander, während ich in Marburg studierte. Und schließlich herrschte für lange Zeit Stille, bis vor wenigen Tagen eine Email von ihr in meinem Posteingang lag, in dem sie berichtete, dass sie für ein Praktikum nach Japan gekommen war und sich freuen würde, wenn wir uns treffen könnten. Und nun standen wir tatsächlich zusammen in Tokyo, eng umschlungen zwischen den Touristen und Passanten.
Man hat sich viel zu erzählen, wenn man sich nach solch einer langen Zeit wieder trifft. Und so redete wir fast den ganzen Tag aufeinander ein, während wir zu Fuss Stunde um Stunde durch Tokyo schlenderten. Was wir machten, wie es uns nach Japan verschlagen hatten, wie wir die letzten Jahre verbracht hatten, wie es unseren Familien, unseren Freunden ging. Über dieses und noch viel mehr tauschten wir uns aus, als wir vorbei an Umzügen, Geschäften, Ständen und Schreinen liefen. Und obwohl einige Jahre vergangen waren, hatten wir uns doch im Kern kaum verändert. Natürlich waren wir älter, reifer geworden. Wir hatten uns weiterentwickelt, waren erwachsen geworden, aber letztlich waren wir doch wir selbst geblieben. Ich hatte keinen Fremden vor mir, keinen Unbekannten, nein, es war ein Freund, den ich von Neuem kennenlernen durfte. Und das tat ich auch.


Bild1: Eigentlich liefen wir nur ein wenig umher, während wir uns unterhielten, doch plötzlich standen wir mitten in den Festlichkeiten zu tanabata, einem populären Feiertag in Japan. Eigentlich war der Feiertag erst in drei Tagen, doch Nathalie und ich schienen Glück zu haben und so genossen wir bereits einige Tage vorher die Dekoration und die Umzüge.


Bild2: Das ist typisch für tanabata: Man schreibt Wünsche auf Papierzettel und befestigt sie an Bambusbäumen. Auf dem Foto kann man vor lauter Zetteln und Basteleien den Bambus gar nicht mehr erkennen.


Bild3: Die Straßen waren festlich mit Basteleien aus Papier dekoriert. Sehr beeindruckend fand ich diese Kugeln mit einem langen Schweif, die in allen Farben überall hingen. Sie sind vollkommen aus Papier hergestellt und sind ein charakteristisches Symbol für tanabata.


Bild4: Nathalie und ich gerieten mitten in einen Umzug. Darunter diese prunkvollen, fast schon kitschigen Maschinen, die mit laut heulendem Motor durch die Straßen fuhren.


Bild5: Musik, Rhythmen und bunte Kostüme dürfen bei keinem richtigen Umzug fehlen. Auch nicht in Japan.


Bild6: Bei der Parade liefen die Kinder der angrenzenden Schulen und Kindergärten mit. Jeder Kindergarten und jede Schule mit ihrer eigenen Idee. Diese Schüler spielten beispielsweise ein Lied. Und das sogar ziemlich gut.


Bild7: Die Kleineren liefen mit selbstgebastelten Unterwasserkostümen umher. Wer findet Nemo?


Bild8: Die Jüngsten liefen mit Fächern durch die Gegend, mit denen sie eine Choreographie eingeübt hatten. Doch offensichtlich hatten sie mehr Interesse an den Passanten und dem bunten Trubel, weshalb sie letztlich nur ein wenig durch die Gegend eierten und vollkommen asynchron ihre Fächer nach oben rissen. Doch gerade deshalb machte es so viel Spass ihnen zuzusehen.


Bild9: Traditionell werden bei Umzügen in Japan von jungen Männern unter großem Jubel tragbare Schreine umhergetragen. Bei diesem Umzug gab es auch einen Schrein, allerdings einen recht kleinen, der von einer Vielzahl von Kindern getragen wurde. Man kann ihn bedauerlicherweise nur schwer sehen, weil so viele Eltern und Freiwillige nebenher liefen.


Bild10: Hunderte von älteren Damen (und auch einige ältere Herren) tanzten mit traditionellen Bewegungen durch die Straßen. Sie hatten sichtlichen Spass.


Film1: Ein Video von den unzähligen tanzenden Frauen, um einen Eindruck von der Parade zu geben.


Bild11: Da soll noch einmal jemand sagen, dass Japaner keinen Humor hätten: Ein Japaner mit einer Maske von Barack Obama poste am Straßenrand und zeigte mir eine recht eindeutige Geste. Keine Ausländerfeindlichkeit, nein, nur das Mitglied einer Gruppe von Komikern, die nahe des Umzuges um Aufmerksamkein buhlten.


Bild12: Durch die engen Straßen lief ich mit Nathalie für einige Stunden durch Tokyo. Dabei durchforsteten wir einen Laden nach dem anderen.


Bild13: Ein Bild von den überfüllten Einkaufsstraßen Tokyos zu den Stoßzeiten am Samstag Mittag.


Bild14: In einem kleinen Familienbetrieb nahmen wir schließlich Platz und kamen bei einem ausgiebigen Essen und gutem Gespräch zur Ruhe. Nathalie kannte dieses kleine Restaurant bereits von vorherigen Reisen nach Japan und hatte dort bereits mit ihrem Vater zusammen gespeist. Auf dem Bild sieht man, wie die Bediensteten vor dem Laden, also neben der Straße, die hauseigenen gyouza ("Von Amanatsu bis Tenpura"), also gefüllte Teigtaschen, frisch zubereiteten.


Bild15: Mein Freundin Nathalie, die ich nach langer Zeit wieder traf. Hier zum Abschluss unseres gemeinsames Tages am späten Nachmittag im Ueno-Park, in dem ich vor einigen Monaten noch die Kirschblüte fotografiert hatte ("Im Namen der Wissenschaft").


Bild16: Nathalie und ich am Ende eines wundervollen Tages gemeinsam im Ueno-Park.

1 Kommentar:

H. hat gesagt…

Das ist ja wirklich der Hammer! Also damit hätte ich ja niemals gerechnet :-).
Gut dass Nathalie wusste, dass du auch in Japan bist.
Schöner Zufall, dass ihr gleichzeitig da seid :-).