Mittwoch, 31. Dezember 2008

Lichtermeer

Heute hatte ich das letzte Mal Unterricht bei Frau Takeda, der lebensfrohen, älteren Dame, die unserem Kurs immer so viel Freude bereitet und so viele Geschenke gemacht hat. Für den letzten Unterrichtstag hatte sie sich wieder einmal etwas Besonderes ausgedacht: Beladen mit Tüten und Taschen, stampfte sie in den Saal und breitete auf dem Tisch vor sich Unmengen von Süßigkeiten und Mandarinen aus. Dann packte sie aus ihrer Tasche einige Pappschüsseln, in die sie liebevoll für jeden Studenten die Leckereien packte. Und als wäre das nicht schon genug, holte sie zwei Kuchen hervor und eine ganze Tüte voller Trinkpäckchen. Und so saßen wir schließlich alle mit einem Teller Kuchen, einer Schüssel voller Süßigkeiten und mehreren Trinkpäckchen über den Lernmaterialien und schauten halbherzig in das Aufgabenbuch während wie uns unterhielten und aßen. Als wir dann vorzeitig den Raum verlassen durften, blieben Katharina und ich noch ein wenig länger, um uns für die vielen Geschenke, die uns Frau Takeda in diesem Semester gemacht hatte, revanchieren. Erst halfen wir ein wenig dabei all den Müll zu beseitigen und dann übergaben wir ihr unser Weihnachtsgeschenk: Einen kleinen Weihnachtsstollen, den mir meine Mutter aus Deutschland geschickt hatte. Frau Takeda war ganz begeistert und verbeugte sich aus Dankbarkeit so tief, dass es mir schon peinlich war. Lachend nahm sie den Stollen an und erkundigte sich interessiert, was ein Weihnachtsstollen denn genau sei, woraufhin Katharina und ich uns schulterzuckend ansahen und etwas von einem deutschen, trockenen Weihnachtskuchen stammelten.
Nachdem Katharina bereits nach Hause gegangen war, traf ich mich mit Lee, um zur Post zu gehen. Denn einerseits wollten Lee und ich wegen der kommenden Feiertage Postkarten an Freunde und Familie absenden, andererseits wollte ich ein Paket meiner Mutter abholen. Ich hatte alle meine Postkarten bereits adressiert und überreichte sie mit meinem zurechtgelegten Satz "Ich würde diese Postkarten gerne nach Deutschland senden" freundlich der Postangestellten. Nachdem ich bezahlt hatte, war mein Anliegen erledigt und ich wartete auf Lee, die noch auf jeden einzelnen ihrer Briefe den Absender schreiben musste. Und so saßen wir noch eine Weile lang auf dem Postamt und kritzelten die Adresse des Wohnheims auf die Umschläge, bis Lee selbstständig ihre Briefe in die U.S.A. abschickte. Ich glaube es war sogar ein kleines Erfolgserlebnis für sie, versucht sie doch sonst immer sich überall ohne ihr neuerlerntes Japanisch herumzuschlagen. Nachdem wir an einer anderen Poststelle das Paket meiner Mutter abgeholt hatten, das fast acht Wochen unterwegs war, liefen wir zum Wohnheim und bereiteten uns auf unseren Abend in Roppongi vor.
Bereits seit Tagen hatte ich mir vorgenommen die Weihnachtsdekoration in Tokyo anzusehen. Ich hatte schon viel von "deutschen" Weihnachtsmärkten, Weihnachtsbäumen und wahren Lichtermeeren gehört und wollte mir die einmalige Chance nicht nehmen lassen, all dies einmal mit eigenen Augen zu bestaunen. Darum hatte ich schon seit geraumer Zeit ein Treffen mit meiner Freundin Ninja im Tokyoter Stadtteil "Roppongi" geplant, der besonders bekannt für seine aufwendige Weihnachtsdekoration war. Gegen 17 Uhr wollten sich somit Katharina, Lee, Ninja und ich am Bahnhof von Roppongi treffen, um bewaffnet mit der Kamera durch das weihnachtliche Tokyo zu laufen. Nach fünfzig Minuten Fahrt in der U-Bahn trafen Lee, Katharina und ich pünktlich ein. Nach kurzem Warten stieß auch Ninja hinzu und gemeinsam liefen wir durch die beiden großen Bereiche "Roppongi Hills" und "Midtown Christmas" und fotografierten, als hinge unser Leben davon ab. Und da Worte ohnehin nicht beschreiben können wie wunderschön die Dekoration stellenweise war, lasse ich die Bilder sprechen:

Bilder von den "Roppongi Hills":


Bild1: Ein großer Platz war voller Bäume, die mit roten, orangenen und gelblichen Lämpchen geschmückt waren. Wunderschön.


Bild2: Über allem thronte eine gigantische Metallspinne. 



Bild3: Es gab einen kleinen "deutschen" Weihnachtsmarkt mit Glühwein, Nussknackern, Holzfiguren und eben einer großen Weihnachtspyramide.


Bild4: An einer anderen Stele waren die Bäume voller weißer Lichter.


Bilder von "Midtown Christmas":



Bild5: Inmitten von geschmückten Bäumen und Bambus erhob sich ein riesiges Lichterspiel, das beständig die Farbe wechselte. Hier in weiß.



Bild6: An den Bäumen hingen leuchtende Stangen, die immer ein wenig blinkten, wodurch es so aussah als würden dort tropfende Eiszapfen hängen


Bild7: Ninja und die riesige blaue Säule.


Bild8: Ein Blick in eine Hütte, die Teil eines winzigen Weihnachtsmaktes war. Sieht noch uriger aus als in Deutschland.


Bild9: Jenseits eines Lichtermeeres sieht man einen Park voller geschmückter Bäume, durch den man wie durch einen Märchenwald spazieren konnte.


Bild10: Das Lichtermeer war gigantisch. Und auch wenn man es auf den Fotos nur als viele blaue Lichter sieht, war es doch sehr andächtig und verträumt.


Bild11: Immer wieder sind Sternenbilder und Muster auf dem Lichtermeer erschienen.


Bild12: Eine begehbare Weihnachtspyramide...


Bild13: ...mit einem faszinierenden Inneren.


Bild14: Ninja und eine Freundin von ihr, die wir zufällig in Roppongi trafen.


Bilder vom Inneren eines großen Kaufhauses, das zu "Midtown Christmas" gehört:


Bild15: Natürlich gab es auch ganz normale Weihnachtsbäume. 


Bild16: Ein Gruppenbild von Katharina, Lee, Ninja und ihrer Freundin beim Gummibärchen essen.

Bild17: An fast jeder Ecke stand ein kleiner Weihnachtsbaum mit irgendwelchen Figuren. In diesem Fall silberne Hirsche.


Bild18: Weihnachten auf japanisch: Schneebedeckte Nadelbäume neben hochgewachsenem Bambus.

Dienstag, 30. Dezember 2008

Einzelkämpfer

Heute hatten wir in einem der vielen Computerräume der Dokkyo-Universität Unterricht. Man könnte sagen, dass dies das Weihnachtsgeschenk von unserer Lehrerin Frau Nomura an uns war, denn bisher hatten wir noch nie Unterricht in einem Computerraum. Der Anlass hierfür war eine Sammlung von nützlichen Internetlinks, die Frau Nomura für uns zusammengestellt hatte, um uns das Durchforsten des japanischsprachigen Internets zu erleichtern. Nachdem sie die ersten Internetseiten geöffnet hatte und uns zeigte, wie man effektiv japanisch lernen oder sich japanische Seiten bequem mit einer Vokabelliste anzeigen lassen konnte, lernte ich ihre Linksammlung sofort zu schätzen. Während die anderen sonstwo im Internet surften und sich nicht einmal Mühe gaben interessiert zu schauen, folgte ich begeistert den Ausführungen von Frau Nomura und notierte mir alles, was ich für nützlich hielt. Und so war ich wohl der Einzige, der an diesem Mittag in der letzten Unterrichtsstunde von Frau Nomura aufpasste. Beim Verlassen des Computerraums merkte ich mir die Worte, die sie benutzte, um uns ein gutes, neues Jahr zu wünschen und richtete sie von da an an jeden, den ich das letzte Mal vor den Festtagen traf.
Kurz nachdem ich im Wohnheim angekommen war, traf Yosuke mit einem Freund von ihm ein, der für die nächsten zwei Tage bei uns in der Wohnung wohnen sollte. Vielleicht hatte ich ihn in Marburg schon einmal gesehen, denn er kam mir irgendwie bekannt vor, aber seinen Namen wußte ich nicht. Er hatte ihn mir genannt, als er sich vorstellte, aber leider habe ihn wieder vergessen. In der kurzen Zeit, in der wir uns unterhielten, merkte ich aber, dass er ein sehr netter, aufgeschlossener Mensch war. Mit seinem Studium war er bereits fertig und reiste nun durch Japan, um sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser zu halten. Eine interessante Lebensweise dachte ich mir, war ich doch bisher immer von dem leicht verklärten Bild ausgegangen, dass jeder nach dem Studium irgendwo einen halbwegs festen Job findet. Yosukes Freund hingegen reiste mehr oder weniger auf sich alleine gestellt durch Japan, schaute sich an was er mochte, tat was ihm gefiel und begann immer wieder dann zu arbeiten, wenn sein Geld knapp wurde. Wir unterhielten uns ein wenig über dieses Leben und er meinte, dass es praktisch wäre, um viel in Japan herumzukommen, vieles zu sehen, Land und Leute kennenzulernen. Andererseits könne er sich solch in Dasein nicht mehr lange vorstellen, da er immer von heute auf morgen lebe und stets darum bangen müsse einen weiteren Job oder eine Unterkunft zu finden. Insgeheim hoffte er bald eine feste Anstellung zu finden, doch im Moment genoss er noch sein freies, individuelles Leben.
Irgendwann musste ich mich dann aus dem Gespräch stehlen, da ich für den Rest des Abend noch Postkarten für Freunde und Verwandte schreiben wollte. Seit Tagen hatte ich es vor mir hergeschoben, doch allmählich drängte die Zeit, schließlich war es nur noch knapp eine Woche bis Weihnachten und meine Karten sollten doch wenigstens noch vor Neujahr ankommen. Bis spät in die Nacht saß ich dann in meinem Zimmer und schrieb mit viel Eifer all die Karten, die ich versenden wollte, um sie am nächsten Tag zur Post zu bringen und abzusenden. Mit einem Lächeln schrieb ich sogleich jene Worte auf die Karten, die ich heute Mittag von Frau Nomura gelernt hatte:

メリークリスマス と 良いお年を!
Frohe Weihnachten und ein gutes, neues Jahr!

Montag, 29. Dezember 2008

Sazae-san & Maruko-chan, hagoita & shouchuu

Es ist Tag 96 in Japan und bereits beim Aufstehen musste ich daran denken, dass mich heute die zwei Präsentationen erwarteten, zu denen ich mich vor rund drei Wochen angemeldet hatte (Ausländer ködern). Bereits kurz nach der Anmeldung hatte ich mich gefragt, ob ich es nicht bereuen würde einen ganzen Nachmittag jenen Präsentationen zu widmen, über deren Werbung ich mich bereits im Vorfeld aufgeregt hatte. Aber nun war es zu spät und ich musste in den sauren Apfel beißen.
Nachdem ich mich fertig gemacht hatte, lief ich aus dem Wohnheim und traf auf dem Weg zur Uni auf Andrew. Andrew? Das ist ein Kanadier, der ebenfalls in meinem Wohnheim wohnt. Ich habe ihn ein paarmal getroffen und er ist immer sehr freundlich, aber wirklich viel zu tun miteinander, hatten wir dennoch nie. Erst auf dem Weg zur Uni unterhielten wir uns zum ersten Mal. Wie sich herausstellte, musste auch er heute zu den Präsentationen gehen, obwohl er mittlerweile genauso wenig Lust hatte, wie ich. So liefen wir zusammen zur Dokkyo-Universität und ließen uns ein wenig über die anstehende Präsentation, sowie unseren Sprachkurs aus.


Bild1: Ein Bild von Andrew, dem Kanadier, hier rechts im Bild.


Heute hat offiziell die letzte Unterrichtswoche begonnen, da wir nur noch bis einschließlich nächste Woche Dienstag Unterricht haben und danach in die Winterferien entlassen werden. Da wir heute somit das letzte Mal Unterricht bei Frau Sakatani am Mittwoch hatten, ließ sie es sich nicht nehmen den Lernstoff ein wenig schneller und oberflächlicher durchzuarbeiten, um in der dritten Stunde gemeinsam mit uns eine japanische Zeichentrickserie zu schauen. Erwartungsvoll blickte sie in die Runde, als sie uns fragte, ob denn schon einmal jemand von "Chibi Maruko-chan" (Die kleine Maruko) oder "Sazae-san" (Frau Sazae) gehört hätte. Stille. Frau Sakatani war ein wenig verblüfft, waren "Chibi Maruko-chan" und "Sazae-san" doch schließlich japanische Kultserien, wobei erstere seit über zwanzig Jahren, letztere sogar seit fast siebzig Jahren im Fernsehen läuft. Und so zeigte sie uns begeistert zwei Episoden von "Chibi Maruko-chan", einer Serie, die sich um das Alltagsleben eines kleinen Mädchens namens Maruko dreht, und eine Episode von "Sazae-san", welche um das Alltagsleben der jungen Mutter, Frau Sazae, kreist. Es waren beides eher Kinderserien, dennoch war das Hörverstehen sehr schwer. Vielleicht auch gerade WEIL es Kinderserien waren. Im Großen und Ganzen habe ich aber dennoch das Geschehen verfolgen können und musste einige Male herzhaft lachen. Frau Sakatani schien sehr zufrieden zu sein uns ein wenig japanisches Kulturgut näher gebracht zu haben und entließ uns schließlich freudig mit den besten Wünschen fürs nächste Jahr aus dem Unterricht.


Bild2: Ein Bild zur Serie "Chibi Maruko-chan", welche wir im Unterricht von Frau Sakatani sahen. Die kleine Maruko ist ganz vorne.


Bild3: Die Familie von Frau Sazae aus der Serie "Sazae-san", welche bereits seit den 40er Jahren in Japan läuft und über 1900 Episoden hat. Frau Sazae ist ganz links im Bild.


Nach dem Unterricht hatte ich mich mit Lee vor der Bibliothek verabredet, um gemeinsam zu den beiden Präsentationen zu gehen, auf die wir uns beide nicht wirklich freuten. Während ich dort stand, traf ich wieder auf Andrew und plaudernd warteten wir gemeinsam inmitten von herum eilenden japanischen Studenten auf Lee. Als sie kam, gingen wir gemeinsam zu dem Raum, in welchem die Präsentationen stattfanden, schrieben unseren Namen auf ein Namensschildchen und setzten uns erwartungsvoll hin. Ich hatte erwartet einer von vielen Gästen bei dem Vortrag zu sein, aber zu meiner Überraschung kamen lediglich ein paar andere ausländische Studierende, die sich scherzend hinter Lee und mich setzten. Japanische Zuhörer gab es keine. Nachdem man uns alle ein wenig warte ließ, begann schließlich gegen 15.15 Uhr die erste Referentin ihren Vortrag über shouchuu.
Auf der einleitenden Folie prangte groß der Untertitel "spirit of Japan" und Lee und ich hatten uns auf Präsentation bezüglich irgendeines religiösen Themas eingestellt, schließlich wussten wir beide nicht so recht, was shouchuu eigentlich genau war. Um so überraschter waren wir, als die Referentin eine Flasche japanischen Schnaps auf den Tisch knallte und sagte: "Das ist shouchuu!". Denn "spirit of Japan" hieß nämlich nichts anderes als "japanische Spirituosen". Das Mädchen gab eine knappe Einführung in das Thema. Eigentlich nicht schlecht, aber für eine Abschlusspräsentation, was es ja sein sollte, doch ziemlich mager. Irgendwann unterbrach sie ihren Vortrag für eine Schnapsprobe, um all die vorgestellten Spirituosen einmal praktisch vorzuführen. Lee und ich saßen peinlich berührt vor den kleinen Schnapsgläschen, die uns ausgeteilt wurden, und versuchten sie möglichst unauffällig an die nächstbeste Person weiterzugeben, um nicht selbst den Alkohol trinken zu müssen. Irgendwie klappte es auch und nachdem fünf Runden Schnaps ausgegeben wurden, saßen wir beide immer noch vollkommen nüchtern auf unseren Plätzen. Ein wenig peinlich wurde es dann, als die Referentin mich und Lee fragte, welchen shouchuu wir denn am besten fanden. Da drucksten wir ein wenig herum, und taten so als wären wir uns unschlüssig. Das schien aber auch zu genügen, denn sie wendete sich von uns ab und begann die anderen Studenten zu befragen.
Der zweite Vortrag handelte von hagoita, einer Art Federballspiel, welches mit kleinen Holzschlägern gespielt wird. Insgesamt wurde die Präsentation von der Referentin wie ein großes Quiz gestaltet, denn alle paar Minuten wurde eine Frage gestellt, bei deren richtiger Beantwortung man einen Punkt erhielt, weshalb ich während des Vortrages fleißig zuhörte und eifrig Punkte (immerhin zwei von drei) sammelte. Es wurde erzählt, dass es in Japan als ein Zeichen von Pech gilt, wenn man etwas fallen lässt. Dieses Pech wendet man dadurch ab, dass man den Menschen, die vom Pech verfolgt sind, Tinte ins Gesicht schmiert. Auf hagoita übertragen, hieß dies, dass der Verlierer sich Tinte ins Gesicht schmieren lassen musste, wenn er den Ball fallen ließ. Und natürlich mussten wir Zuhörer dies alles auch einmal selbst erleben, um alles richtig verstehen zu können. Darum saßen wir eine Zeit lang am Tisch und bastelten unseren eigenen Schläger, indem wir Bildchen, und farbiges Papier auf einen kleinen Pappschläger klebten. Das Ergebnis wurde dann von den anderen bewertet und man konnte erneut Punkte erhalten, wenn andere den gestalteten Schläger als "schönsten Schläger" bewerteten. So erhielt ich sogar zwei Punkte, jeweils von Lee und Andrew, bevor ich mit Lee gemeinsam hagoita spielte. Glücklicherweise durften wir anstellen von Tinte blaue Aufkleber ins Gesicht kleben, wenn uns der Ball herunterfiel. Nichtsdestotrotz stellten Lee und ich fest, dass wir vom Pech verfolgt sein müssen, da uns der Ball in den etwa fünf Minuten genau 32mal herunterfiel. Und so hatte schließlich jeder von uns exakt sechzehn blaue Punkte im Gesicht kleben, als der Vortrag schließlich vorbei war.



Bild4: Mein prämierter Schläger für das hagoita-Spiel.


Bild5: Ich habe den Ball 16mal fallen gelassen, darum habe ich 16 Punkte im Gesicht.



Video1: Lee präsentiert mit sechzehn Punkten im Gesicht ihren selbstgestalteten Schläger.

Samstag, 27. Dezember 2008

Zehn Minuten

Wenn ich in den Pausen zwischen den Unterrichtsstunden in die International Communication Zone gehe und niemanden treffe, den ich kenne, setze ich mich für gewöhnlich ans Fenster und betrachte das rege Treiben auf dem Campus. Manchmal nehme ich mir auch eines der japanischen oder englischen Bücher zur Hand und blättere es wenig interessiert durch. So vertreibe ich mir dann meine zehn Minuten Pause, bevor ich wieder zurück in den Klassensaal gehe. Also eigentlich immer vollkommen uninteressant und wenig ergiebig.
Als ich heute, an meinem 95. Tag in Japan wieder einmal in die ICZ ging und nur einen einsamen Japaner dort sitzen sah, der mit Lernen beschäftigt war, griff ich mir eine Zeitschrift über Übersetzungen und setzte mich auf das Sofa. Kaum hatte ich begonnen ein wenig lustlos Seite um Seite umzublättern, kam der Japaner auf mich zu und ich erkannte ihn. Natürlich fragt sich nun jeder, wen ich erkannt habe, aber diese einfach Frage ist nicht leicht zu beantworten, da ich weder den Namen des jungen Japaners kenne, noch ein Foto von ihm habe. Aber ich kenne ihn und er kennt mich, da wir uns bereits einige Male über den Weg gelaufen sind.
Das erste Mal traf ich ihn vor rund fünf Wochen, als ich in der ICZ auf Tak wartete. Damals schrieb ich:

So setzte ich mich in die English Communication Zone, packte meine Lernmaterialien aus und bereitete mich auf neunzig Minuten Lernen vor. Doch kaum hatte ich mein Buch aufgeschlagen, kam ein schmächtiger Japaner an meinen Tisch gewackelt und blieb erwartungsvoll stehen. "Du kennst Nemoto? Äh...Takeru? Tak?" Ein wenig verwirrt war ich schon, dass der junge Japaner so zielstrebig nachfragte und beschloss auf seine Fragen mit Bedacht zu antworten. Nachdem er zunächst eine ganze Reihe von Fragen losgeworden war, stellte er sich als Erstsemesterstudent vor, der unter der Verantwortung Taks stand. Da er ebenso wie Tak englische Sprache studierte, begann er sofort mit mir ein Gespräch auf Englisch, obwohl ich eigentlich Lernen wollte. Einmal mehr wußte ich nicht, wie man möglichst galant aus einem Gespräch entkommen könnte und lies mich darum von seinen Worten einlullen. Irgendwann begannen dann mehr und mehr Studenten in den Raum zu strömen, bis schließlich ein großgewachsener Ausländer hereinschritt, der offensichtlich Dozent an der Dokkyo-Universität war. Als ich meinen neuen Gesprächspartner darauf hinwies, stutzte dieser, schaute mich verwirrt an und fragte irritiert: "Du bist doch wegen des Englisch Konversationskurses hier, oder?". Nein, war ich eigentlich nicht, dachte ich mir, saß aber bereits mittendrin. Und so unterhielt ich mich dann einfach die restlichen 90 Minuten mit Taks Zögling auf Englisch, bis dieser zu seinem Fußballtraining eilte und ich wieder alleine an meinem Tisch saß.

Rund eine Woche später traf ich ihn auf Taks Geburtstagsfeier von neuem:

Nachdem auch noch die letzten Gäste eingetroffen waren, stellte Tak alle achtzehn Anwesenden der Reihe nach vor und einige von Ihnen kannte ich auch schon, darunter einen Freund, den ich einige Tage zuvor bei einem Treffen mit Tak kennengelernt hatte (Missionsziel: Ein Treffen mit Tak), die ausländischen Studierenden Cassy aus Kanada und Michael aus Bremen (Die zehn Anderen), Nobukos Freundin Ayano, die auch auf der "Lasst und japanische sprechen"-Party war (Pakete, Partys, Peinlichkeiten) sowie den schmächtigen Erstsemesterstudent, der unter der Verantwortung Taks stand (Missionsziel: Ein Treffen mit Tak)
(...)
Später am Abend kam ich auch mit dem Erstsemesterstudenten ins Gespräch, der unter Taks Verantwortung stand. Wir hatten zwar eine sehr stockende, aber doch recht amüsante Unterhaltung über die Schwierigkeiten beim Sprechen einer Fremdsprache.

Seitdem hatte ich ihn hin und wieder in der Mensa gesehen, ihm in der ICZ zugenickt oder ihn auf dem Campus lächelnd an mir vorbeieilen sehen. Und obwohl er eigentlich sehr nett war, hatte ich ihn immer irgendwie übersehen, was mir erst in jenem Moment bewusst wurde, in dem er auf mich zugelaufen kam, auf meine Zeitschrift deutete und fragte, was ich denn lesen würde. Und so kam ich mit dem jungen, schmächtigen Japaner, der immer im Schatten Taks stand, ins Gespräch.
Ich erzählte ihm von meinen derzeitigen Plänen Übersetzer zu werden und er hörte aufmerksam zu und nickte beipflichtend. Erst nach ein paar Minuten wurde mir bewusst, dass ich immer nur von mir erzählte, weshalb ich ihn ermutigte, doch ein wenig von sich zu erzählen. Da druckste er erst ein wenig herum, bis er schließlich verlauten ließ einmal Sprachlehrer werden zu wollen. "Oh, Sprachlehrer!", entfuhr es mir überrascht, woraufhin er sogleich unsicher schaute und aufgeregt verdeutlichte, dass sein Englisch und sein Deutsch überhaupt nicht gut seien. "Du sprichst deutsch?", fragte ich noch erstaunter nach. Erst seit ein paar Wochen, verdeutlichte er sofort, und deswegen könne er das alles noch nicht gut. Um ihn nicht noch aufgeregter werden zu lassen, ließ ich ihn nichts auf Deutsch sagen, sondern bot ihm stattdessen meine Hilfe an, wenn er einmal Probleme beim Deutschlernen haben sollte, was er dankbar annahm. Ein wenig sprachen wir dann noch über unsere Zukunftspläne und er erzählte davon nach Kanada gehen zu wollen, um dort sein Englisch zu verbessern.
Viel zu schnell waren die zehn Minuten Pause vorbei und ich musste wieder zurück in den Unterricht. Mit einem Lächeln verabschiedete ich mich und versicherte ihm nochmals, dass mein Angebot zur Hilfe erst gemeint war. Und so trennten sich unsere Wege nach zehn Minuten gemeinsamer Pausengestaltung. Doch vielleicht treffe ich ihn bald wieder, den Japaner, von dem ich noch nicht einmal den Namen kenne.

Mittwoch, 24. Dezember 2008

Ein Geschenk zu Weihnachten...

Liebe Freunde, liebe Familie,

Bei mir ist bereits Heiligabend und zu diesem Anlass möchte ich allen Daheimgeblieben und allen Freunden ein kleines Weihnachtsgeschenk machen: Es sind zwei Videos, die ich in den letzten Tagen aus verschiedenen Fotos zusammengestellt habe. Da ich nur eines der Videos hier hochladen kann, habe ich beide Videos bei youtube verlinkt. Zum Ansehen von Video1 einfach hier klicken, für Video2 hier klicken.

Frohe Weihnachten an alle!

David

Montag, 22. Dezember 2008

Gottesdienst auf Japanisch

Es ist Tag 93 in Japan und seit rund eineinhalb Monaten hatte ich mit dem Gedanken gespielt Lee einmal zu einem japanischen Gottesdienst zu begleiten (Lebensfrohe Menschen). Und da heute ein weihnachtlicher Jugendgottesdienst stattfand, zu dem insbesondere Neulinge herzlich eingeladen waren, ließ ich mich von Lee überreden am Abend mit ihr gemeinsam dorthin zu gehen. Allerdings war der Gottesdienst nicht auf Englisch, wie ich mir erhofft hatte, sondern auf Japanisch. Da aber Lee offensichtlich immer Spass in diesen Gottesdiensten gehabt hatte, nahm ich an, dass die Sprachbarriere kein besonders großes Problem darstellen würde und ließ mich von Lee gegen 18.30 Uhr im Wohnheim abholen, um gemeinsam mit ihr eimal quer durch Soka zur Kirche zu laufen.
Unterwegs verriet Lee mir dann, dass sie sonst eigentlich immer zu einer anderen Gruppe gegangen sei und nur speziell für diesen Jugendgottesdienst in eben jene Kirche eingeladen worden war, zu der wir gerade unterwegs waren. Somit war dieser Abend auch für Lee eine vollkommen neue Erfahrung und ich war erleichtert nicht als Einziger ins kalte Wasser zu springen. Dennoch hatte ich einige Bedenken nach so vielen Jahren wieder in die Kirche zu gehen, schließlich fühlte ich mich nicht als religiöser Mensch und kannte mich mit den verschiedenen Phrasen, die man in der Kirche immer zu sagen hatte, nicht sehr gut aus. Ich hoffte darauf, dass ich als Ausländer ein wenig aus der Verantwortung genommen werden würde alles mitsprechen zu müssen, obwohl ich eigentlich genau wußte, dass alle Augen auf mich gerichtet sein würden, gerade weil ich ein fast zwei Meter großer Deutscher war. Nach rund fünfundzwanzig Minuten erreichten wir schließlich die Kirche und sahen am Eingang eine kleine Schar von Menschen stehen, die sich unterhielten oder ein wenig verlassen in der Gegend herumstanden. Und so gesellten sich Lee und ich zu den Menschen vor der Tür und trauten uns nicht weiter. Es mag ein wenig lächerlich erscheinen, aber wir hatten beide Angst vor dem Unbekannten und standen fast zwei Minuten lang im Freien herum. Eigentlich war es keine Kirche wie ich sie aus Deutschland kannte, vielmehr war es ein ganz normales Gebäude mit einem kleinen Flur, angrenzenden Räumen und einer Wendeltreppe nach oben. Möglicherweise war es diese "Vertrautheit", die mich abschreckte, denn wir konnten uns nicht einfach anonym in die letzte Reihe einer Kirche setzen, sondern mussten uns für jeden sichtbar in die Gemeinschaft einfügen. Irgendwann überwanden wir dann unseren inneren Schweinehund und gingen gemeinsam in das Gotteshaus.


Bild1: Die "Riverside Chapel", in der wir den weihnachtlichen Jugendgottesdienst besuchten.


Bild2: Ein Blick auf das Gebäude, in dem der Gottesdienst stattfand. Das Kreuz über dem Gebäude verkündet recht offensichtlich, dass es sich um eine christliche Kirche handelt, von denen es in Japan nur sehr wenige gibt.


Bild3: Der Eingang zur "Riverside Chapel", vor dem Lee und ich zwei Minuten lang unentschlossen warteten.


Sogleich begrüßte uns ein junger Japaner, den Lee offensichtlich aus der anderen Gruppe kannte. Er freute sich sichtbar darüber, dass Lee gekommen war und auch gleich einen Freund mitgebracht hatte. Glücklicherweise sprach er sehr gutes Englisch und ich hütete mich davor kund zu tun Japanisch sprechen zu können, um gar nicht erst in die Verlegenheit zu kommen mir alles zehnmal wiederholen zu lassen, weil ich nichts verstand. Der Japaner führte uns nach oben und besorgte uns Namensschilder, auf die wir wie schon so oft unseren Namen schrieben und sie an unsere Brust hefteten. Dann wurden wir verschiedenen anderen Menschen vorgestellt: Erst einmal einer anderen Amerikanerin, die Lee offensichtlich auch schon kannte, dann ein scheinbar indisches Mädchen, dass fließend Englisch sprach. Als ich sie fragte, wo sie herkäme, lächelte sie mir zu und antwortete "Japan.". Da ich sie nicht unbedingt auf ihr Aussehen ansprechen wollte, schaute ich nur ein wenig verwundert und bemerkte, dass sie aber sehr flüssig Englisch sprach, was für Japaner ihres Alters höchst ungewöhnlich war. Da lächelte sie nur wieder und sagte, dass sie es von ihrer Mutter gelernt hätte, womit ich das Thema dann auf sich beruhen lies. Schließlich gingen wir in den angrenzenden Saal, wo Lee, ich und die andere Amerikanerin in der letzten Reihe Platz nahmen. Nicht etwa weil wir uns abgrenzen wollten, nein, sondern weil dort der gesamte Gottesdienst eigens für uns ins Englische übersetzt wurde.
Als allererstes überraschte es mich, dass sich alle Anwesenden die Schuhe auszogen. Lee und ich taten es den anderen gleich und hofften einfach nicht aufzufallen. Ein junger Japaner ging auf die Bühne, begrüße alle recht locker und kündigte zunächst ein Spiel an. Die Blicke von Lee und mir sprachen Bände, als wir unsere Hoffnung für ein unauffälliges Dasein schwinden sahen. Ein Spiel wollte eigentlich keiner von uns spielen, hatten wir doch eher erwartet stumm einem Gottesdienst folgen zu können. Natürlich waren wir aber keine Spielverderber und ließen uns die Regeln für das "McDonalds"-Spiel ins Englische übersetzen. Im Großen und Ganzen ging es darum, dass alle Anwesenden auf Anweisung eines Spielleiters bestimmte Handlungen ausführen mussten. Mal musste man auf die eine Seite des Raums rennen, mal auf die andere. Mal musste man sich mit zwei, drei oder vier Personen an den Händen fassen oder andere Figuren bilden, mal in einer langen Reihe aufstellen. Alles hatte ich nicht verstanden, aber ich rannte einfach tapfer mit und hatte erstaunlich viel Spass. In jeder Runde mussten ein oder zwei Personen die Menge verlassen, die keinen Partner gefunden hatten oder ganz am Ende der Schlange standen und letztlich schaffte ich es bis ins letzte Drittel, bevor ich mich beim Bilden der Schlange ganz am Ende fand und mit einem Lächeln und Schulterzucken auf meinen Platz ging und mich neben Lee setzte.
So wie das Eröffnungsspiel verlief dann auch der Rest des Gottesdienstes: Locker, lustig, interaktiv und gesellig. Das scheinbar indische Mädchen vom Anfang entpuppte sich als Sängerin, die begleitet von einem Gitarristen, einem Schlagzeuger, einer Geigenspielerin und einem Hintergrundsänger alle Lieder des Abends darbot. Bis auf "Stille Nacht, heilige Nacht" kannte ich keines der Lieder, dennoch sang ich alle japanischen Lieder mit, denn der Text wurde netterweise immer an die Wand geworfen. Und auch Lee, die sich sonst immer dagegen wehrt in Gegenwart anderer zu singen, sang leise neben mir die japanischen Texte mit. Immer wieder wurde das Verhältnis zwischen Jenen, die darboten und Jenen, die zuhörten gebrochen, sei es durch Lieder, durch Fragen in den Raum, Videos oder durch Spiele. Und so wurde sehr viel Wert darauf gelegt, dass alle Spass hatten und durch Lachen und Mitarbeit bei Laune gehalten wurden. Selbst als der japanische Pfarrer seine Predigt hielt, hätte man eher meinen können, man hätte einen Schauspieler vor sich, der mit seinem Enthusiasmus, seinen Witzen und schauspielerischen Einlagen das Publikum stets unterhielt und zum Nachdenken anregte. Auch wenn er über eine halbe Stunde sprach, flog die Zeit doch wie im Flug vorbei und es kam nicht jene Langeweile auf, die ich aus meinen Besuchen von deutschen Gottesdiensten kannte. Zwar übersetzten der junge Japaner vom Anfang, sowie das scheinbar indische Mädchen die ganze Zeit über simultan, aber eigentlich hätte ich sie gar nicht gebraucht, denn ich verstand fast alles, was gesagt wurde. Vielleicht lag es daran, dass den gesamten Gottesdienst über "normal" gesprochen wurde, also weder der Jugendslang, den ich von Tak und seinen Freunden gewohnt war, noch das übertriebene Servicejapanisch von all den Angestellten. Und so war ich nicht nur glücklich weil ich so viel Spass hatte, sondern auch weil ich bemerkte, dass ich Japanisch wohl doch schon recht gut beherrschte.
Zum Abschluss der zweistündigen Veranstaltung wurde zunächst ein großes Gruppenfoto gemacht, dann erhielt jeder einen Zettel mit zwölf Fragen, die er ehrlich beantworten musste. Beispielsweise nach dem Lieblingsessen, nach dem Lieblingstier, Hobbys oder anderen Vorlieben. Dann ging man umher und gleichte seinen Zettel mit anderen ab, um Freunde mit ähnlichen Interessen kennenzulernen. Anders als bei den Veranstaltungen an der Dokkyo-Universität, wurde ich diesmal nicht von einer Horde junger Japanerinnen überrannt, sondern gleichermaßen von interessierten Japanern und Japanerinnen nach meinen Interessen gefragt. Danach verließen alle den Raum, in dem der Gottesdienst stattgefunden hatte und liefen ins angrenzende Gebäude, wo ein gemeinsames Essen vorbereitet worden war. Vor der EIngangstür zogen wieder alle die Schuhe aus, dann stiegen alle in einen kleinen Saal hinauf. Dort gab es zwei kleine Buffets, an denen sich alle bedienen durften, während man mit den anderen ins Gespräch kam. Lee und ich klebten den ganzen Abend über aneinander und kamen mit erstaunlich vielen netten Japanern ins Gespräch, was für uns beide ungewohnt ist, sind wir doch beide eher schüchtern. Einige der anwesenden Japanerinnen kannten Lee bereits aus der anderen Gruppe und hatten sich wohl schon einige ihrer Fotos im Internet angesehen, weshalb an dem Abend mehrere Japanerinnen auf mich zukamen und interessiert fragten, ob ich denn nicht der "Deutsche mit den Plätzchen" sei, was mich jedes Mal von neuem zum Lachen brachte. Insgesamt waren alle Anwesenden sehr nett und aufgeschlossen und hörten sehr interessiert zu, wenn Lee oder ich von den U.S.A. oder Deutschland erzählten. Sie stellten interessiert Fragen zu unseren Erfahrungen in Japan, unserem Sprachkurs und allen möglichen anderen Dingen. Besonders überraschte es mich, als eine Japanerin auf mich zukam, mich kurz anschaute und dann fragte: "Bist du nicht ein Freund von Tak?". Zunächst war ich vollkommen perplex, weil ich gar nicht verstehen konnte, wie jemand aus heiterem Himmel von Tak wissen konnte, bis ich herausfand, dass alle in Lees Fotoalbum im Internet Bilder von Tak und mir gesehen hatten. Und so bejahte ich immer und fragte interessiert, woher die anderen Tak kannten. Und immer erhielt ich die gleiche Antwort: "Als ich noch im ersten Semester war, hat Tak mir viel geholfen und mich unterstützt. Er hat mir immer Sprachtraining gegeben und mich motiviert mit anderen zu sprechen.". Ich hörte dann immer interessiert zu und nickte beipflichtend, während ich innerlich feststellte, wie klein die Welt doch war.


Bild4: Lee ist von den gebastelten Schneeflocken begeistert, die über der Treppe zum erste Stockwerk des Nebengebäudes hingen.


Bild5: Lee zieht die Schuhe an, die wir alle vor dem Betreten des Nebengebäudes ausgezogen haben. Ja, die Schuhe standen für rund zwei Stunden im Freien herum und jeder hätte sie mitnehmen können.


Bild6: Das Werbeschild für die "Riverside Chapel" mit Kontaktnummer.


Um halb elf verließ ich schließlich mit Lee das gemütliche Beisammensein und wir liefen durch das nächtliche Soka zurück zum Wohnheim. Wir waren beide der Meinung, dass dies ein sehr schöner Abend war, auch wenn wir beide anfangs doch sehr angespannt waren. In der Nähe des Bahnhofs machten wir halt und fotografierten die weihnachtliche Dekoration, schließlich war mittlerweile bereits der dritte Advent. Dann schlenderten wir weiter und unterhielten uns noch lange über Religion und Gottesdienste in unserem Land, sowie über den Wert von Freundschaft. Und als wir schließlich am Wohnheim ankamen, waren wir mit unserer Freundschaft wieder einen Schritt vorangeschritten. Und vielleicht gehen wir bald schon wieder gemeinsam in einen japanischen Gottesdienst.


Bild7: Die geschmückte Allee, die vom Bahnhof "Matsubara Danchi" in Richtung der Universität führt.


Bild8: Japanische Weihnachtsdekoration, nahe des Bahnhofs.


Bild9: Ein weiteres Bild von der Weihnachtsdekoration in der unmittelbaren Umgebung des Bahnhofs.

Samstag, 20. Dezember 2008

See ya, Shinya!

Der erste Japaner, dessen Bekanntschaft ich hier in Japan gemacht habe, war Shinya ("So ist Soka") Unser erstes Treffen lieg mittlerweile drei Monate zurück und allmählich rückt die Zeit des Abschieds immer näher. Denn nach den Feiertagen geht Shinya ab dem Dritten Januar in die U.S.A. und kehrt vermutlich erst wieder nach Japan zurück, wenn ich mich bereits wieder in Deutschland bin. Bevor Shinya ins Ausland geht, wollte er sich aber unbedingt noch einmal mit mir treffen und mein Angebot vom letzten Treffen einlösen, als ich ihm versprochen hatte ein deutsches Gericht für ihn zuzubereiten ("Meisterkoch"). Vor rund einer Woche hatten wir unser Treffen vereinbart ("Stiller Kampf im IC") und seitdem hatte ich stets gegrübelt welch "typisch deutsches Gericht" ich zubereiten solle. Das Problem war, dass ich keinen Ofen hatte, kein Fleisch aß und viele deutsche Zutaten überhaupt nicht im Sortiment der Supermärkte fand. Als dann der Tag des Treffens näher und näher rückte, entschied ich mich schließlich ein recht simples Mahl zuzubereiten, dass aber in meinen Augen typisch deutsch war: Kartoffeln mit Ei und Bohnen. Da mir dies aber doch ein wenig banal erschien, wollte ich wenigstens noch eine Suppe und einen Nachtisch reichen und plünderte das Paket meiner Mutter, die mir Markklösschen und Vanillepudding geschickt hatte.
Den gesamten Samstag war ich damit beschäftigt mein Zimmer aufzuräumen, die Wohnung zu putzen und die Kochnische mit all ihren Kochutensilien zu reinigen. Und als ich dann schon einmal den Vanillepudding zubereitet, die Wäsche gemacht, mich geduscht und rasiert hatte, war bereits 17 Uhr, also eine halbe Stunde bevor Shinya kommen wollte. Ich setzte mich an den Küchentisch und begann schon einmal die Kartoffeln zu schälen, was sich mit dem unhandlichen japanischen Schäler als weitaus zeitaufwendiger als erwartet herausstellte. Somit schnitzte ich die kommende halbe Stunde an den Kartoffel herum und ließ die Bohnen auftauen, die ich in der Tiefkühlabteilungen gefunden hatte. Als Shinya kurz nach der vereinbarten Zeit noch nicht da war, überprüfte ich mein E-Mailkonto und fand eine E-Mail von ihm, in der er ankündigte erst gegen 18 Uhr zu kommen und seinen Freund Yuuichi mitzunehmen, der bereits schon einmal zu unserem gemeinsamen Kochen gekommen war (Stipendien, Schmetterlinge und Sushi). Glücklicherweise hatte ich genug Lebensmittel da, um noch einer dritten Person Essen anzubieten und so begann ich die Kartoffeln zu kochen sowie die Bohnen und die Suppe zuzubereiten. Um 18 Uhr war Shinya aber immer noch nicht da und allmählich kam ich in Bedrängnis alle Speisen gleichzeitig warm zu halten. Letztlich kamen Shinya und Yuuichi erst um 18.30 Uhr an und entschuldigten sich sofort für ihre Verspätung. Ohne viele Worte zu verlieren, bat ich die beiden herein, dirigierte sie an ihren Platz und servierte ihnen Suppe.


Bild1: Meine aufgeräumte Küchenecke.


Ich muss gestehen, dass ich keine große Resonanz auf eine klare Brühe mit Markklösschen erwartet hatte, weshalb ich um so überraschter war, als Shinya und Yuuichi staunend auf meine bescheidene Suppe starrten, ihr Fotohandy zückten und begannen Bilder zu machen. Als ich mir dachte, sie reagierten ja so, als hätten sie noch nie in ihrem Leben eine klare Brühe mit Klösschen gesehen, wurde mir bewusst, dass sie möglicherweise wirklich noch nie eine klare Brühe mit Klösschen gesehen hatten. Als ich ihnen dann mein Hauptgericht servierte, waren sie total begeistert und konnten gar nicht aufhören mein Ei mit Kartoffeln und Bohnen mit Ahs und Ohs zu kommentieren. Ganz begeistert fotografierten sie das exotische Mahl und verlangten begeistert Nachschlag. Der Vanillepudding, den ich ihnen vorsetzte war dann nicht ganz so spektakulär, schließlich kannte sie so etwas bereits, dennoch meinte Shinya, dass Pudding in Japan eine ganz andere Konsistenz und einen gänzlich anderen Geschmack hatte. Als ich mich schließlich setzte und auch meinen Teller leer aß, war ich sehr erleichtert, dass mein doch recht bescheidenes Mahl so gut angekommen war. Shinya meinte, dass es ihm sogar ein wenig peinlich wäre, dass er im Vergleich zu mir nur recht simple Gerichte zubereitet hätte, woraufhin ich erwiderte, dass ihm seine japanischen Speisen möglicherweise genauso banal vorkämen, wie mir meine deutschen Gerichte. Und so hatte jeder vom anderen das Bild eines professionellen Kochs, obwohl jeder für sich doch der Meinung war, dass er nichts Großes gemacht hätte.


Bild2: Klare Brühe mit Markklösschen. Ein "exotisches Gericht" für Shinya und Yuuichi.


Bild3: Shinya und Yuuichi waren hell begeistert von meinen Kartoffeln und Bohnen auf Ei.


Nach dem Essen unterhielten wir uns dann über Shinyas Auslandssemester in den U.S.A. und seine Gestaltung der Feiertage. Voraussichtlich wollte er über Weihnachten mit seinen besten Freunden nach Hokkaido zum Snowboarden fahren und das Neujahrsfest mit seiner Familie feiern. Shinya meinte, dass seine Mutter zur Zeit sehr traurig wäre, weil sowohl er in die U.S.A. verschwand, als auch sein älterer Bruder Anfang des Jahres graduieren würde und dann ins Ausland ginge. Somit waren diese Feiertage für die nächsten Monate, möglicherweise sogar Jahre, das letzte gemeinsame Familientreffen und Shinya's Mutter müsse sich nun daran gewöhnen alleine für sich zu kochen, schließlich sei sein Vater bis spät Abends in der Firma und mit seinen Kollegen unterwegs. Für Shinya nahm ich an diesem Abend die Rolle des "Reiseexperten" ein, weshalb er mich ausgiebig über meinen Vorbereitungen für Japan befragte. Wieviel Gepäck ich mitnehmen durfte, was ich den Flug über gemacht hatte, wie es sich anfühlte sich von den Freunden zu verabschieden und wie ich Kontakt mit meiner Familie halten würde. Also erzählte ich von meinen Erfahrungen und wie es mir ergangen war, während Shinya aufmerksam lauschte, kurze Fragen einwarf und hin und wieder ein paar meiner deutschen Plätzchen aß, die ich auf den Tisch gestellt hatte.


Bild4: Die Plätzchen meiner Mutter, die ich Shinya und Yuuichi anbot.


Später bot ich Shinya an Lee einzuladen, damit sie ihm jene Fragen über die U.S.A. beantworten könne, auf die ich keine Antwort wußte. Dankbar nahm er an und so saßen kurze Zeit später Lee und Katharina mit am Tisch und sprachen mit Shinya. Ich denke Shinya war sehr gerührt von unsere Hilfsbereitschaft, insbesondere als Lee und ich ihm anboten, dass er uns jederzeit kontaktieren könne, wenn er Hilfe oder Unterstützung benötigen. Es wurde dann recht spät, und schließlich gingen Shinya und Yuuichi erst gegen Mitternacht zum Bahnhof. Es war ein wenig seltsam Shinya an der Tür zu verabschieden, wußte ich doch, dass ich ihn hier in Japan höchstwahrscheinlich nicht mehr sehen würde. Ich war am Abend dann ein wenig bedrückt, weil ich einerseits realisierte, dass es nun eine Person weniger gab, mit der ich mich treffen konnte und ich andererseits daran erinnert wurde, wie ich mich gefühlt hatte, als ich mich in Marburg von meinen Freunden verabschieden musste. Zumindest hoffe ich, dass Shinya seine Zeit in den U.S.A. genießen kann und unser Kontakt nicht abbricht. Vielleicht sehen wir uns ja eines Tages wieder in Japan, oder sogar in Deutschland und können wieder zusammen kochen.
See ya, Shinya!


Bild5: Yuuichi (oben-links), Shinya (oben-rechts), Lee und Katharina am späten Abend in ein Gespräch über die U.S.A., Auslandsaufenthalte und Reisen vertieft.



Film1: Ein kurzer Ausschnitt des Abend: Shinya und Lee reden über amerikanische Universitäten.


Film2: Ein weiterer Ausschnitt des Abends: Shinya fragt interessiert nach Ausländern, die nach Japan reisen würden.

Glaubensfragen

Es ist Tag 90 in Japan und meine Lehrerin Frau Nomura hat heute eine Stunde des Vormittagsunterricht individuell gestaltet. Anstelle des gewohnten Bearbeitens der Grammatikaufgaben, teilte sie ein Blatt mit Übungen zur Betonung japanischer Wörter aus und gemeinsam trainierten wir die korrekte Aussprache japanischer Begriffe. Ich muss gestehen, dass ich in meinen mittlerweile über drei Jahren Sprachstudium fast noch nie etwas über Betonung im Japanischen gehört habe. Vielleicht wurde es in meinem ersten Semester in Marburg einmal nebensächlich bemerkt, aber Wert auf eine korrekte Betonung hatte nie einer meiner Sprachlehrer gelegt. Den anderen Studenten schien es ähnlich gegangen zu sein, denn alle schauten kritisch auf das Blatt, dass die Betonung, die sich jeder innerhalb der letzten Jahren selbst zurechtgelegt hatte, über den Haufen warf. Hatte man mir vor zwei Jahren noch gesagt, dass Wörter mit identischer Schreibweise anhand des Kontextes ihren Bedeutungen zugeordnet würden, musste ich nun feststellen, dass dies keineswegs so war, denn eigentlich lassen sich eben jene Wörter anhand ihrer Betonung unterscheiden. Während ich ganz aufmerksam lauschte und alle Wörter, die Frau Nomura sagte leise nachsprach, schlief der Rest des Kurses ein. Katharina sagte sogar ganz offen, dass sie zwar einen Unterschied höre, aber genau wüsste, dass sie sich weder die Betonungen merken könne, noch selbst in der Lage sei diese Feinheiten auszusprechen. Darum saß ich als Einziger durchgängig aufmerksam im Unterricht und versuchte möglichst viel in mich aufzusaugen.
Als ich mich in der Pause mit Tak traf, um gemeinsam mit ihm in der Mensa essen zu gehen, berichtete ich sogleich von den Betonungsregeln, die ich zuvor gelernt hatte, woraufhin er mich mit zugekniffenen Augen anschaute und nachfragte "Wir haben im Japanischen Betonungsregeln?". Natürlich wußte er gar nicht wovon ich sprach, schließlich hatte er sich die Betonung in seiner Muttersprache intuitiv angeeignet und nie bewußt lernen müssen. Als ich ihm aber ein Wort einmal in richtiger und einmal in vollkommen falscher Betonung sagte, musste er lachen und pflichtete mir bei, dass im Japanischen die Betonung anscheinend viel wichtiger sei, als zuvor angenommen hatte. Seitdem ist er der Ansicht, dass das Japanische eine weitaus schwierigere Sprache sei, als er zuvor angenommen hatte, muss man doch zusätzlich zu den Schriftzeichen und der Grammatik offensichtlich auch noch korrekte Betonungen lernen.
Als wir in der Mensa gemeinsam mit Katharina zu Mittag aßen, kamen wir alle gemeinsam irgendwie auf das Thema Religion zu sprechen. Anfangs war Tak ein wenig zurückhaltend und versuchte es möglichst zu umgehen sich über das Christentum unterhalten zu müssen, nachdem er aber merkte, dass Katharina und ich sehr aufgeschlossen gegenüber seiner persönlichen Meinung waren, begann er über seine Erfahrungen mit der Bibel und dem christlichen Glauben zu reden. Zu meiner Überraschung hatte Tak sogar schon Teile der Bibel gelesen, was für Japaner eigentlich recht ungewöhnlich ist. Erst hatte er es in seiner Oberschulzeit auf Japanisch versucht, aber aufgegeben, weil die japanische Bibelübersetzung viel zu kompliziert geschrieben sei und er all die Schriftzeichen nicht verstehen konnte. Als er dann aber nach Großbritannien gegangen war, hatte er begonnen die Bibel auf Englisch zu lesen, was ihm viel leichter gefallen war. Er meinte, dass er einiges ganz interessant und inspirierend fand, anderes ihn aber auch abgeschreckt hatte oder ihm gänzlich unverständlich geblieben war. Als er damals in Großbritannien mit verschiedenen Freunden über die Bibel ins Gespräch kommen wollte, wurde er aber herb enttäuscht, da er als nichtchristlicher Japaner immer nur belächelt wurde, wenn er begann über das Christentum zu reden. Immer wenn er Fragen stellte oder Kritik äußerte, fühlten sich seine Freunde oder Bekannten sofort persönlich angegriffen und nahmen ihn nicht als ebenbürtigen Diskussionspartner wahr, schließlich war er ja kein Christ. Nach zahlreichen fruchtlosen Versuchen mit Christen in ein kritisches Gespräch über ihren Glauben zu kommen, hatte er schließlich resigniert aufgeben und sich angewöhnt das Thema Religion zu meiden. Um so erstaunter war er nun mit zwei Deutschen in ein kritisches Gespräch über das Christentum zu kommen und all die Fragen zu stellen, die er sich früher niemals getraut hatte zu fragen. Obwohl Katharina und ich nicht unbedingt sehr gläubige Menschen sind und wir auch kein umfassendes Wissen über die Kirche oder die Bibel besitzen, erläuterten wir so viel über unsere Religion, wie nur möglich. Wir erklärten Tak warum es unterschiedliche Konfessionen gibt, wie sich diese unterscheiden und wie sich die unterschiedlichen Konfessionen bemerkbar machen. Wir sprachen über Kirchenbesuche, die Auslegung der Bibel, darüber was eigentlich ein Papst ist und über ständige Konfliktfragen wie Abtreibung, Homosexualität und Kindesmissbrauch. 
Aus Interesse fragte ich Tak über seinen Glauben und er gab an nicht religiös zu sein. Als ich ihn über Shinto und Buddhismus, die beiden Religionen, die Japan hauptsächlich prägen, befragte, zuckte er mit den Schultern und meinte, dass ich durch mein Studium höchstwahrscheinlich mehr über japanisches Brauchtum und japanische Religiosität wisse, als er. Tak meinte, dass er mit seiner Familie eigentlich nie Schreine oder Tempel besuchen würde und ansonsten auch kaum in Kontakt mit Religion gekommen wäre. Er meinte lachend, dass er nicht einmal wüsste wie man sich an einem Schrein oder Tempel verhalten müsse, woraufhin ich bemerkte, dass ich ihm beim Sightseeing von Tempel und Schreinen einfach mitnehmen würde und wir beide dann gemeinsam hilflos über das Schrein- oder Tempelgelände stolpern würden, ohne zu wissen, was zu beachten sei. Als wir drei die Mensa verließen, bedankte sich Tak bei Katharina und mir mit den Worten "Ich hätte echt niemals gedacht mich während des Essens mit euch über Religion zu unterhalten." für das informative und interessante Gespräch. Dann lief er in Richtung der ICZ, um weiter an seinen Vorträgen für die kommende Woche zu arbeiten, während Katharina und ich in den Unterricht zurückkehrten.
Wie ich bereits letzte Woche angemerkt hatte, schreiben wir im Sprachkurs nachmittags immer Essays auf  Japanisch (Die Frau an seiner Seite). Rund eine Dreiviertelstunde haben wir Zeit um über Themen wie "Ich und meine Familie", "Weihnachten und Neujahr" oder "Mein Lieblingshobby" zu schreiben. Für gewöhnlich erhalten wir ein halbes dutzend Fragen, an denen wir uns grob orientieren können, um einen einigermaßen vernünftig gegliederten, einseitigen Essay zu schreiben. Als ich heute allerdings das Thema erhielt, halfen mir auch die unterstützenden Fragen nicht wirklich viel, da ich schlichtweg nicht wußte, was ich schreiben sollte. Thema war nämlich die Planung unserer Zukunft. Mit dieser Frage setze ich mich schon seit Jahren auseinander und zerbrach mir regelmäßig ohne Ergebnis den Kopf, weshalb ich instinktiv eine Aversion gegen die typische Frage "Was willst du später einmal machen?" entwickelt habe, schließlich weiß ich weder was ich später einmal beruflich machen möchte, noch in welchem Land ich leben werde. Konkrete Planungen habe ich eigentlich nicht, wie übrigens fast jeder in meinem Studiengang, weshalb man sagen könnte, dass ich bisher ein wenig in den Tag hineingelebt habe und mich überraschen ließ, wo es mich hintreibt. Nun war ich aber gezwungen die Antwort auf eine der entscheidenden Fragen meines Lebens in einer Dreiviertelstunde auf Papier zu bannen. Die ersten fünf Minuten saß ich erst einmal ratlos da und versuchte all die Gedanken und Pläne, die ich mir in den letzten Jahren betreffend meiner Zukunft gemacht hatte, zu sortieren, dann begann ich zu schreiben. Und während ich schrieb, nahm vor meinem geistigen Auge allmählich eine greifbare Zukunftsperspektive Gestalt an. Vollkommen begeistert schrieb ich davon, wie ich nach meinem Abschluss in Marburg nach Bonn ziehen würde, um dort meinen Master für Übersetzung asiatischer Sprachen zu beginnen. Ich schrieb davon Koreanisch zu lernen, meine Japanischkenntnisse zu verbessern und meine Freizeit mehr der japanischen Schriftsprache zu widmen. Und als ich schließlich meinen Aufsatz abgab, begann ich an all jenes, was ich geschrieben hatte zu glauben. Ich ging aus dem Unterrichtssaal und war der festen Überzeugung, dass meine Zukunft in eben jenen Bahnen verlaufen würde und ich eine Karriere als Übersetzer vor mir hätte.
Erfasst von meiner Euphorie suchte ich mit Katharina gleich nach dem Ende des Unterrichts einen Buchladen auf und besorgte mir ein Buch zum Selbststudium japanischer Schriftzeichen und zur Erweiterung des Wortschatzes. Seitdem sitze ich immer, wenn ich Zeit habe vor meinem Buch und erweitere begeistert meinen Wortschatz und mein Leseverständnis. Natürlich weiß ich jetzt noch nicht, ob meine Zukunft wirklich wie geplant verlaufen wird, ob ich ernsthaft beginnen werde Koreanisch zu lernen, nach Bonn gehe und Übersetzer werde, aber es ist eine Perspektive, die sich mir vollkommen überraschend eröffnet hat, als ich am wenigsten damit gerechnet hatte. Sicherlich kann man sich einreden, dass diese Planungen schwachsinnig oder unrealistisch sind, dass alles schiefgehen könnte oder dass dies nur eine fixe Idee wäre, aber letztlich ist es doch eine Glaubensfrage. Darum zerbreche ich mir nicht den Kopf über Realisierbarkeit und mögliche Hindernisse, sondern glaube einfach an das Bild, das sich in meinem Kopf geformt hat. Und es ist ein gutes Gefühl glauben zu können.

Mittwoch, 17. Dezember 2008

Einfach nur kochen

Es hat mich schon immer fasziniert wie sich Sprache an Kultur anpasst. Irgendwann als ich noch ein kleines Kind war, dachte ich, dass man beim Erlernen einer fremden Sprache immer nur Pendants zu den deutschen Worten suchen müsse. Darum verwirrte es mich, als ich irgendwann einmal aufschnappte, dass die Inuit rund ein dutzend verschiedene Ausdrücke für unser Wort "Schnee" hätten, oder dass es in einigen afrikanischen Sprachen gar keinen Ausdruck für "Schnee" gäbe. Irgendwann ist meine Verwirrung in Neugierde umgeschlagen und seitdem fand ich es immer faszinierend wie eng eine Sprache an die Kultur jener Menschen gebunden ist, von denen sie gesprochen wird. 
Zugegebenermaßen sind viele Wörter doch eins zu eins zu übersetzen, wie beispielsweise das Wort "Baum". So sagt man im Englischen tree, im Französischen l'arbre und im Japanischen ki. Viel interessanter waren für mich immer jene Worte, die sich nicht so simpel in eine andere Sprache übertragen lassen. Manchmal sind es Worte zu denen es einfach kein Pendant gibt, wie beispielsweise "kimono". Jeder weiß jetzt, dass traditionelle japanische Kleidung gemeint ist, aber da wir kein eigenes Wort in unserer Sprache haben, benutzen wir einfach das japanische Wort in unserer Sprache. Machmal fehlt in anderen Sprachen auch einfach nur eine Differenzierung bestimmter Begriffe. So haben wir in Deutschland ein recht ausgeprägtes Bäckereihandwerk, weshalb wir für verschiedene Arten von Gebäck verschiedene Ausdrücke haben, zum Beispiel Brot, Brötchen oder Toast. Da es aber in Japan nie ein eigenes Bäckereihandwerk gab und man keine großen Unterschiede zwischen all unseren feinen Differenzierungen sieht, nennt man pauschal einfach alles "pan". Darunter versteht man dann je mach Situation "Sonnenblumenkernbrot", "Vollkorntoast", "Baguette", "Milchbrötchen" oder einen "Hefezopf". Das macht es für uns Ausländer kompliziert, wenn wir über etwas reden wollen, was es in dieser Form in der japanischen Sprache nicht gibt, andererseits haben Japaner Schwierigkeiten Dinge zu differenzieren, die für uns scheinbar offensichtlich zu unterscheiden sind. So erzählte mir Tak vor einigen Tagen, dass er immer Schwierigkeiten hatte zwischen den Ausdrücken "beschämt" und "schüchtern" zu unterscheiden, da es im Japanischen nur das Wort "hazukashii" gibt, das beide Bedeutungen beinhaltet. Natürlich kann man nun große Reden halten, um den himmelweiten Unterschied zwischen diesen beiden Worten zu erläutern, letztlich muss man aber einsehen, dass diese Unterscheidungen aus japanischer Sicht unbedeutend sind.
Natürlich gibt es das gleiche Phänomen auch umgekehrt, nämlich wenn man im Japanischen feine Differenzierungen hat, die wir im Deutschen alle mit ein und dem selben Wort ausdrücken. Dann versuchen einem die Japaner den aus ihrer Sicht himmelweiten Unterschied zwischen einigen Begriffen zu erklären, während man dasitzt und sich denkt, dass doch ein einziges Wort genügen würde. Genauso ist es mir heute ergangen, als ich mit meinem Lernbuch in die ICZ ging, um mir eine Reihe von Begriffen zum Themenfeld Kochen erklären zu lassen, deren Bedeutung mir im Unterricht unverständlich blieb. Während Tak an einer kommenden Präsentation arbeitete saß ich mit seinen Freundinnen Nobuko und Ayano (Pakete, Partys, Peinlichkeiten) an einem Tisch und diskutierte über die folgenden drei Verben: "taku", "niru" und "yuderu", denn laut Wörterbuch lautete die Übersetzung zu allen Verben "kochen". Erst erklärten sie mir recht plausibel, dass "taku" zum Kochen von Reis, "niru" zum Kochen von Gemüse, Fleisch und Fisch und "yuderu" zum Kochen von Nudeln benutzt wird. Doch bereits als ich fälschlicherweise annahm, dass man beim Kochen von Kartoffeln "niru" benutzen würde, begannen sie zu lachen und verwiesen mich auf "yuderu". "Aber sind Kartoffeln, denn nicht so etwas wie Gemüse?", dachte ich mir und notierte mir, dass man bei Kartoffeln "yuderu" benutzen würde. Als ich dann dachte, man würde Eier in die Kategorie "tierische Lebensmittel" zählen und daher "niru" benutzen, lachten Ayano und Nobuko erneut und meinten, dass man beim Kochen von Eiern ganz eindeutig "yuderu" benutzen müsse. Und als Ayano dann selbst über die Kategorisierung nachzudenken begann, wies sie mich darauf hin, dass man auch bei Brokkoli "yuderu" benutzen würde. "Aber Brokkoli ist doch ganz eindeutig ein Gemüse", protestierte ich und Nobuko und Ayano begannen selbst nachzugrübeln wie sie mir den Unterschied zwischen den beiden Verben erklären sollten. Schließlich lieferte Nobuko eine Erklärung, die mich vorerst zufriedenstellte: Wenn man etwas kocht und es danach aus dem Wasser holt, benutzt man "yuderu" (also Nudeln, Eier oder Kartoffeln), wenn man aber etwas kocht und schließlich eine Suppe hat, die man direkt isst, benutzt man "niru". Um zu testen, ob ich alles verstanden hatte machte ich ein simples Beispiel: Wenn ich Kartoffeln als Beilage esse, benutze ich "yuderu", wenn ich aber Kartoffelsuppe mache, dann benutze ich "niru". "Genau." stimmte mir Ayano zu und glücklich schrieb ich meine neue Erkenntnis nieder.
Als ich später zu Tak ging, um meine neuen Japanischkenntnisse zu präsentieren, schrieb ich auf einen Zettel: "Misosuppe kochen" und benutzte "niru", schließlich aß ich die Suppe ja direkt. Da schaute er mich an und sagte nur: "Das ist falsch, hier benutzt man kein 'niru'. Hier musst du etwas ganz anderes sagen. Schließlich 'kocht' man Suppe ja nicht..."
"Im Deutschen schon.", dachte ich mir und schüttelte den Kopf darüber wie kompliziert es doch war so ein simples Wort wie "kochen" ins Japanische zu übersetzen.

Dienstag, 16. Dezember 2008

Advent, Advent

Seit ich in Japan bin, werde ich immer und immer wieder über mein Land gefragt: Über Sitten und Bräuche, über Personen, über die Sprache, über wirtschaftliche, gesellschaftliche und politische Strukturen und über Esskultur. Vor allem in der Weihnachtszeit werde ich oft zu Weihnachten in Deutschland befragt. Und dann erzähle ich immer von den selbstgemachten deutschen Plätzchen, von Weihnachtsmärkten, von Leuten, die ihr gesamtes Haus in Lichterketten einkleiden, Kirchenbesuchen an Heiligabend und Familienzusammenkünften. Dann lauschen sowohl Japaner, als auch US-Amerikaner oder Kanadier meinen Worten und vergleichen das deutsche Weihnachtsfest mit dem, was sie aus ihrem eigenen Land kennen. Insbesondere hier in Japan kennt man den christlichen Hintergrund von Weihnachten nicht und ist immer wieder erstaunt, wenn ich von Familienzusammenkünften und der Adventszeit rede, ist doch hier Weihnachten ein Tag, an dem Päarchen gemeinsam ausgehen, und jene, die keinen Partner haben, sich betrinken. Am Ähnlichsten von meinen ausländischen Freuden feiert Lee aus den USA ihr Weihnachtsfest, doch selbst sie ist erstaunt über einige unserer deutschen Traditionen. Zum Beispiel die Adventszeit.
In Deutschland aufgewachsen dachte ich immer es wäre, zumindest in christlich geprägten Ländern, gebräuchlich eine weihnachtliche Zeit vor den eigentlichen Festtagen zu haben, doch niemand hier hat jemals von "Advent" gehört. Und so erkläre ich jedem um mich herum, dass es in Deutschland den Brauch gibt vier Adventswochenenden zu feiern, die eine Art Countdown zu den Weihnachtsfeiertagen darstellen. Dass man einen Kranz hat und jedes Wochenende eine Kerze mehr anzündet und vielleicht Plätzchen und Süßigkeiten isst. Lee schaut dann immer ganz interessiert und fragte gerne nach, weil sie die Idee sehr schön findet. Letztlich habe ich mich aber darauf eingestellt die Adventswochenenden alleine in meiner Wohnung zu verbringen und nostalgisch vor ein paar Kerzen sitzend ein paar Plätzchen zu essen und eine Tasse Tee zu trinken. Um so erfreuter war ich den zweiten Advent, meinen 86. Tag in Japan, in Zweisamkeit zu zelebrieren.
Es begann damit, dass ich Yosuke am Morgen in der Küche traf und er mir anbot gemeinsam eine Tasse Kaffee zu trinken, schließlich sei ja zweiter Advent. Freudig nahm ich an und steuerte sogleich einen Weihnachtskuchen aus dem Paket meiner Mutter bei. Und beim Licht von zwei Kerzen, saßen wir vormittags am Tisch, tranken Kaffee und aßen Kuchen.


Bild1: Mein Adventsmahl mit Yosuke: Kaffee und Kuchen bei Kerzenschein.
 

Als ich am Abend dann in meinem Zimmer saß, kam auch Lee vorbei, um mit mir Fotos auszutauschen, die wir beide in den letzten Wochen gemacht hatten. Als sie die zwei Kerzen auf dem Küchentisch stehen sah, fragte sie sogleich nach, ob heute einer jener "Adventstage" sei und ich stimmte ihr lachend zu. Während wir am Laptop Fotos austauschten, blickte sie mit großen Augen meine Weihnachtsdekoration an und fotografierte sogleich meine Strohsterne und Tannenzweige. Da Advent war, bot ich ihr natürlich ein paar deutsche Plätzchen von meiner Mutter an begeistert griff sie zu. Ihr war vollkommen unbegreiflich, dass wir in Deutschland selbst Plätzchen machen würde, denn in den USA gäbe es zwar auch Plätzchen, allerdings bei weitem nicht so viele verschiedene und in der Regel auch nur maschinell massengefertigt im Angebot des Supermarktes. Gemeinsam setzten wir uns dann beim Schein zweier Kerzen an den Küchentisch, aßen Kuchen und tranken heißen Tee, während wir uns unterhielten. Und so verbrachte ich einen meiner schönsten Adventstage hier in Japan, wo man mit dem Wort Advent eigentlich gar nichts anfangen kann.