Sich mit Tak zu treffen ist immer ein kleines Abenteuer. Dabei meine ich sowohl das Treffen an sich, als auch den Weg dorthin. Denn auch wenn Tak ein guter und aufgeschlossener Freund ist, so ist er zugegebenermaßen doch ziemlich chaotisch. Da hilft es dann auch nicht, dass er sich einige japanische Angewohnheiten einfach nicht abgewöhnen kann, die alles nur noch chaotischer werden lassen. Ein gutes Beispiel ist dieser Montag, Tag 59 in Japan, an dem ich mich wieder einmal mit Tak treffen wollte.
Anfangs deutete noch nichts auf eines der chaotischen Abenteuer hin, als wir nur ein schlichtes Datum mit Uhrzeit und Ort vereinbart hatten, nämlich Montag um 15 Uhr vor dem International Center. Doch da diese mündliche Vereinbarung schon fast eine Woche zurücklag begann ich ein wenig unruhig zu werden. Möglicherweise ist es nur eine Macke von mir, aber eine kleine Rückmeldung oder Bestätigung des Termins erscheint mir nach größeren Zeitspannen angemessen. Aus weiser Voraussicht hatte ich deshalb bereits am Samstag vor dem Treffen eine kurze Nachricht auf Taks Mobiltelefon geschickt, um mir den Termin bestätigen zu lassen. Allerdings vergeblich, denn auch am Montagmorgen, als ich in die Universität ging, war noch immer keine Antwort angekommen und so blieb mir scheinbar nichts anderes übrig als auf gut Glück vor dem International Center zu warten. Da ich Tak nach einigen Wochen nun aber schon ein wenig kannte, eilte ich in der Mittagspause in die Bibliothek und überprüfte 90 Minuten vor dem Treffen nochmals mein eMailkonto und war nicht wenig überrascht auch tatsächlich eine Nachricht von Tak zu finden. In dieser Mail verlegte er das Treffen in die ICZ (International Communication Zone) und beschränkte es auf eine Stunde, da er danach noch eine Präsentation vorbereiten musste. Einerseits war ich stolz auf mich selbst, da ich die eMail durch meine scharfsinnige Kombinationsgabe noch rechtzeitig gelesen hatte, andererseits schüttelte ich ein wenig den Kopf über Taks etwas verspätete Planänderungen. Schließlich hätte er auch schon vor Tagen eine eMail schreiben können.
Nach dem Unterricht kam ich dann pünktlich in die ICZ, wo Tak auch eifrig arbeitend mit einem anderen Japaner an einem Tisch saß. Sobald er mich sah, winkte er mich lächelnd herbei und stellte mich seinem Freund vor. Und wenn man vorgestellt wird, beginnt man natürlich erst einmal sich nett zu unterhalten, tauscht ein paar Floskeln aus und spult das Standardrepertoire an Fragen ab. Aber hier trat schon das nächste Problem auf: Wie kam ich aus dem Gespräch mit Taks Freund wieder heraus, ohne es unhöflich zu unterbrechen? Schließlich konnte ich ja schlecht sagen: "Also ich habe mich eigentlich mit Tak zur Konversation verabredet, könntest du also...naja...gehen?". Und so kam es, dass ich mich mit Taks Freund unterhielt, während Tak aufmerksam unserem Gespräch folgte und hier und da einen kurzen Kommentar einwarf. Nach einiger Zeit kam dann plötzlich ein weiterer Japaner an, der sich etwas unsicher auf Englisch vorstellte und nervös zu uns setzte. Wußte ich erst gar nicht wie mir geschah, stellte sich bald heraus, dass dies Kenji war, ein weiterer Freund Taks, der gekommen war, um sich mit mir zu unterhalten. Allmählich verlor ich die Übersicht über das Treffen und fragte mich innerlich: "Hatte ich mich nicht eigentlich nur mit Tak verabredet?". Doch der war längst auf der Toilette verschwunden, weshalb ich alleine mit Kenji und Taks anderem Freund dasaß und mich ein wenig gezwungen unterhielt. Natürlich lernte ich auf diese Weise auch Japanisch, aber ein wenig auf den Arm genommen, kam ich mir doch vor. Und als Tak dann wiederkam, setzte er sich zwar zu uns, packte aber ein Blatt aus und begann zu lesen, statt sich in unsere Konversation einzumischen. Nach knapp einer Stunde begannen dann alle ihre Sachen zusammenzupacken und sich zu verteilen, da der Unterricht wieder begann. Tak schaute ein wenig unsicher in meine Richtung und fragte, ob ich denn später noch Zeit zum Treffen hatte, woraufhin ich ihn dann vollends verwirrt anschaute und fragte, ob er da denn nicht sein Präsentation vorbereiten müsse, die er in seiner eMail erwähnt hatte. Und erst dann stellte sich heraus, dass Tak genau in diesem Moment seine Präsentation halten musste und wegen mir keine Zeit zum Vorbereiten gefunden hatte. Vermutlich hatte er deswegen seine Freunde eingeladen, damit ich trotz seiner Beschäftigung Japanisch sprechen konnte. Natürlich hatte er es gut gemeint, aber aus meiner Sicht wäre eine einfach Absage schlichtweg einfacher gewesen und hätte einiges an Verwirrungen erspart. Und so versprach ich trotz des vorangehenden Chaos zu warten, um Tak nach seiner Präsentation zu treffen.
So setzte ich mich in die English Communication Zone, packte meine Lernmaterialien aus und bereitete mich auf neunzig Minuten Lernen vor. Doch kaum hatte ich mein Buch aufgeschlagen, kam ein schmächtiger Japaner an meinen Tisch gewackelt und blieb erwartungsvoll stehen. "Du kennst Nemoto? Äh...Takeru? Tak?" Ein wenig verwirrt war ich schon, dass der junge Japaner so zielstrebig nachfragte und beschloss auf seine Fragen mit Bedacht zu antworten. Nachdem er zunächst eine ganze Reihe von Fragen losgeworden war, stellte er sich als Erstsemesterstudent vor, der unter der Verantwortung Taks stand. Da er ebenso wie Tak englische Sprache studierte, begann er sofort mit mir ein Gespräch auf Englisch, obwohl ich eigentlich Lernen wollte. Einmal mehr wußte ich nicht, wie man möglichst galant aus einem Gespräch entkommen könnte und lies mich darum von seinen Worten einlullen. Irgendwann begannen dann mehr und mehr Studenten in den Raum zu strömen, bis schließlich ein großgewachsener Ausländer hereinschritt, der offensichtlich Dozent an der Dokkyo-Universität war. Als ich meinen neuen Gesprächspartner darauf hinwies, stutzte dieser, schaute mich verwirrt an und fragte irritiert: "Du bist doch wegen des Englisch Konversationskurses hier, oder?". Nein, war ich eigentlich nicht, dachte ich mir, saß aber bereits mittendrin. Und so unterhielt ich mich dann einfach die restlichen 90 Minuten mit Taks Zögling auf Englisch, bis dieser zu seinem Fußballtraining eilte und ich wieder alleine an meinem Tisch saß. Kurz darauf verschwanden auch die anderen Kursteilnehmer inklusive ihres Lehrer und so saß ich schließlich ganz alleine in der English Communication Zone.
Etwas verspätet traf Tak dann ein und endlich konnte unser eigentliches Treffen beginnen. Doch ich merkte recht schnell, dass Tak nach seinem harten Unitag schon fast im Stehen einschlief, weshalb letztlich nicht mehr viel Produktives entstand. Ein wenig ärgerte ich mich nun meinen ganzen Tag vertrödelt zu haben und stellte Tak zur Rede. Zwar brachte ich meinen Missmut sehr blumig und freundlich vor, aber Tak verstand dennoch worauf ich hinauswollte und entschuldigte sich schuldbewusst. Typisch japanisch hatte er nicht unhöflich sein wollen, indem er mir einfach abgesagt hätte, weshalb er sich trotz des Drucks seiner Präsentation und seiner Müdigkeit mit mir getroffen hatte. Ich bedankte mich für seine Höflichkeit, erklärte ihm aber auch recht deutlich, dass seine Höflichkeit aus westlicher Sicht eher unhöflich war und es für mich kein Problem gewesen wäre, wenn er unser Treffen um einen Tag verschoben hätte. Das sah er ein und bot mir lächelnd an "unhöflicher" zu werden, was ich lachend annahm. Und so hatten wir eine kulturelle Barriere nach einem chaotischen Tag fürs Erste aus dem Weg geräumt. Da es mittlerweile auch schon recht spät war, trennten sich unsere Wege vor der Universität und mit dem Versprechen abends noch einmal übers Internet ein nächstes Treffen zu vereinbaren, ging ich in Richtung Wohnheim.
Und so wartete ich am Abend darauf, dass Tak sich schließlich meldete. Und als er dies schließlich spät abends tat, vereinbarten wir ein Treffen für den kommenden Montag, an dem er diesmal auch tatsächlich Zeit hatte.
2 Kommentare:
Jaja, die Japaner und ihre Höflichkeit :-)
Da muss man wahrscheinlich mit der Zeit ein feines Gespür entwickeln, um zu erkennen, was nur aus reiner Höflichkeit geschieht und was nicht...umgekehrt muss man als Deutscher sicherlich aufpassen, dass man keine Verhaltensweisen an den Tag legt, die in Deutschland ganz normal sind, in Japan aber als unhöflich gelten. Dann kann man sich vielleicht gar nicht erlauben, ein Treffen abzusagen, weil der Japaner es als unhöflich empfinden würde?
Im Radio habe ich letzte Woche einen Bericht über das Thema Höflichkeit in verschiedenen Ländern gehört. Und auch wenn wir Deutschen im Allgemeinen als eher unhöflich gelten, liegen wir doch im Durchschnitt. Positiv hervorgehoben wurden die Amerikaner und Japaner. Der Mann, der die Studie leitete meinte, wenn man in Japan einen Fremden nach dem Weg fragt, bekommt man keine Wegbeschreibung...denn man wird von dieser Person persönlich zu seinem Ziel begleitet. Das finde ich schon erstaunlich.
Hast du auch schon so einer Beobachtung gemacht?
Ja, das ist schon manchmal ein Problem mit der Höflichkeit. Ich habe mir seitdem auch angewöhnt Tak nach einer Frage immer nochmals darauf hinzuweisen, dass er durchaus auch "Nein" sagen kann und das für mich keinesfalls unhöflich ist. Denn was bringt es mir, wenn der andere einfach ja sagt, aber eigentlich nein meint...
ich habe noch keinen Japaner nach dem Weg gefragt, aber in habe noch nie erlabt, dass jemand irgendwo hingeführt wurde, das wäre wohl doch ein wenig überzogen. Da würde ich nicht alles glauben, was die im Radio gesagt haben. Aber vielleicht werde ich ja auch noch positiv überrascht, wenn ich irgendwann doch einmal nach dem Weg frage. Nichtsdestotrotz sind Japaner meist sehr freundlich, insbesondere im Servicesektor. Erst seitdem ich in Japan bin, verstehe ich, warum immer alle von der Servicewüste Deutschland reden. Das ist hier in Japan wirklich ganz anders.
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