Dienstag, 30. September 2008

Frau Nomura und Tomomi

Nach dem chaotischen Unterricht von Frau Sakatani am Mittwoch, hatte ich heute Unterricht bei Frau Nomura, einer etwas älteren Dame. Und schon machte sich bemerkbar, dass der Unterricht zu einem Großteil wirklich vom Lehrenden abhängt. Ich hatte fast das Gefühl, dass Frau Nomura versuchte alle Fehler, die Frau Sakatani am Vortag begannen hatte, auszubügeln. So konnte ich fast alles Gesprochene verstehen, da sie bewußt langsam und betont sprach. Ratlose Gesichter nahm sie zum Anlass etwas nochmals zu wiederholen oder anschaulich zu erklären. Und statt Fragen in den leeren Raum zu stellen, nahm sie der Reihe nach die Studierenden dran und gab gegebenenfalls Hilfestellungen. Ein perfektes Beispiel für ihren Lernstil war das Vorgehen beim Hören einer Lernkassette: Aufgabe war es eine Frage zu einem Dialog zu beantworten, der nur von Kassette abgespielt wurde. Einen Text als Hilfemittel gab es nicht, weshalb man nur auf sein Hörverstehen angewiesen war. Nachdem der Dialog einmal abgespielt wurde, spulte Frau Nomura die Kassette zurück und ließ den Dialog gleich noch ein weiteres Mal abspielen. Als aber ersichtlich wurde, dass viele Deutsche dem Dialog nicht folgen konnten und somit kaum Ahnnung von dessen Inhalt hatten, begann sie an der Tafel mit Hilfe von Zeichnungen relevante Wörter zu erklären. Nach einigen Übungen mit dem neuen Vokabular, spielte sie den Dialog noch einmal ab, diesmal mit kurzen Unterbrechungen, um Zeit zum Verstehen zu lassen oder um auf Schlüsselbegriffe hinzuweisen. Nach dem Dialog stellte sie nach einem Blick in die Runde fest, dass sie immer noch ratlose Gesichter sehe und darum den Dialog noch ein weiteres Mal abspielen würde. Diesmal stoppte sie nach jedem Satz und forderte die Studierenden auf den Satz entweder zu wiederholen oder in eigenen Worten wiederzugeben. Erst als wirklich jeder Satz und jedes Wort verstanden wurden, war diese Übung für sie beendet.
Insgesamt fand ich den Unterricht angenehm und Frau Nomura sehr sympathisch. Allerdings war es für mich streckenweise dann aber doch zu langsam, da ich eigentlich fast alles vorbereitet hatte und auch den Dialog bereits beim ersten Anlauf komplett verstand. Nichtsdestotrotz denke ich, dass Frau Nomura einen sehr guten Lernstil hat, der vielen Studierenden eine große Hilfe ist.
In der Mittagspause bin ich dann das erste Mal über den gefüllten Campus in die überfüllte Mensa gegangen. War ich am Vortag noch bei der Begrüßungsfeier für die ausländischen Studierenden, so tauchte ich heute das erste Mal in das reguläre Studentenleben ein, wozu nun einmal auch das Essen in der Mensa gehört. War Katharina anfangs noch sehr negativ gegenüber dem Gedrängel eingestellt, musste sie doch zugeben, dass es weitaus zügiger voranging, als sie erwartet hätte. Irgendwo fanden wir dann auch eine Platz, wo ich dann meinen Salat essen konnte und nach knapp einer halben Stunde waren wir bereits fertig. Insgesamt unterschied es sich somit kaum von der Mensa in Marburg. Noch bevor die einstündige Mittagspause vorrüber war, ging ich mit Katharina ins financial office, um die Gebühren für die Bettwäsche zu bezahlen, die uns von der Uni für dieses Semester zur Verfügung gestellt wurde. Dazu mussten wir nur einen Zettel, auf dem unser zu zahlender Betrag notiert war, zusammen mit unserer Studentenkarte abgeben, eine Unterschrift auf ein Papier setzen und natürlich bezahlen. Dann war meine erste Begegnung mit der Bürokratie an der Universität bereits vollkommen unspektakulär beendet.
Am Abend traf ich mich dann mit Katharina, um bei der Agentur, die uns unsere Wohnungen bereit stellt, meine Miete für Oktober zu bezahlen. Dazu haben wir beim Erhalt des Wohnungsschlüssels ein kleines Heftchen erhalten, das man immer mitbringen muss. Darin wird das Datum notiert, an dem man sein Geld übergeben hat. Damit bei diesem doch recht simplen Vorgehen auch wirklich nichts schief gehen konnte, begleitete uns netterweise Tomomi, eine nette Japanerin, die Katharina und Lee noch von ihrer Ankunft in Japan kannten. Mit Tomomi konnte ich mich dann auch auf dem Weg sehr gut auf Englisch unterhalten, schließlich studiert sie Englisch an der Universität. Für einige Wochen war sie sogar in Deutschland und fand es in Mannheim am schönsten. Bei der Gelegenheit stellte ich ihr natürlich eine Reihe von Fragen, die mir unter den Nägeln brannten. Unter anderem schilderte ich ihr von meiner Begegnung mit den Japanerinnen bei der Begrüßungsfeier und der Angewohnheit alles mit Stäbchen zu essen, woraufhin sie nur meinte, dass ich dies bloß nicht für Gang und Gebe halten solle. Sie meinte, dass die meisten Japanerinnen, die sich so unverfroren auf Ausländer stürzen meist noch unreife Erstsemester-Studenten sind und dass die Vielzahl der japanischen Studierenden keineswegs so sei. Und auch das Essen mit den Stäbchen fand sie überzogen. So meinte sie, dass sie selbst ihr Sandwich mit den Fingern essen würde und nur das Nehmen von der Platte mit den Stäbchen geschehe. Warum alle Japaner auf der Begrüßungsfeier das Sandwich oder die Donuts mit Stäbchen hielten, war auch für sie unerklärlich. Zumindest habe ich somit am Vortag alles richtig gemacht, indem ich mein Sandwich mit den Stäbchen nahm, dann aber mit den Fingern aß. Nach einem kurzen Gespräch mit Tomomi im Wohnheim, verließ sie uns mit dem Hinweis auf das bald stattfindende Schulfest auch. Ich freue mich schon Tomomi irgendwann wieder zu sehen.

Montag, 29. September 2008

Mein erster Schultag

Wie zu erwarten saßen am ersten Vorlesungstag die Auslandsstudenten wieder einmal als Erste im Unterrichtsraum. Zu den Teilnehmern des Mittelkurses gehören Marvin, Paul und Katharina aus Duisburg, Florian, Marius und Michael aus Bremen, Yosuke und ich aus Marburg, die Kanadierin Cassy und schließlich drei Chinesen, deren Name ich nicht weiß. Mit Katharina hatte ich ja bereits einige Zeit verbracht, Michael kannte ich noch von den ersten Tagen in Japan und Florian war der Riese, der beim medical test zu groß für die Vermessung war. Ein wenig nervös saßen wir alle bereits um Viertel vor neun in Raum A403 und harrten der Dinge, die da kommen würden. Und das war erst einmal nichts. Zumindest nicht bis zehn nach neun, dann kam unsere Lehrerin nämlich hektisch hereingestürmt, warf beinahe ihre eigene Tasche vom Tisch und wühlte in einem Wust von Blättern und Büchern herum. Nach einer Begrüßung und einleitenden Worten, von denen alle fast nur ein Wirrwar von Silben wahrnahmen, schrieb sie ihren Namen an die Tafel: Sakatani. Und ohne großes Drumherum schlug sie das Buch auf und der Unterricht begann.
Eines vorweg: Der gesamte Unterricht ist auf Japanisch. Sowohl die Lernmaterialien, als auch die Unterrichtssprache sind komplett Japanisch ohne Ausweichsmöglichkeiten ins Englische. Und das finde ich gut, da man so wirklich gezwungen ist sich mit dem Japanischen auseinanderzusetzen. Wird ein Wort oder Ausdruck vom Lehrer erklärt, so geschieht dies mit Synonymen, Umschreibungen, Zeichnungen oder auch mit Händen und Füßen. Aber nicht auf Englisch. Pro Lektion wird dann ein Text bearbeitet, der am eingangs gelesen und dann auf neues Vokabular, neue Grammatik oder neue Redewendungen untersucht wird. Am Ende geht man den Text dann nochmals durch. Zwischendurch macht man zum neuen Vokabular, zur Grammatik oder auch zu Ausdrücken schriftliche sowie akkustische Übungen oder verfasst kurze Aufsätze. Diese gesamte Lektion erstreckt sich auf sechs Unterrichtsstunden, von denen wir täglich drei haben, zwei Vormittags und nochmals eine Einheit Nachmittags. Man kann also sagen, dass wir rund zwei Tage mit einemText beschäftigt sind. Vielleicht mag sich das nun ganz schnell anhören, aber der Unterrichtsfluss ist meist ziemlich langsam. Für neunzig Minuten stehen etwa vier neue grammatische Regeln auf dem Programm, was bedeutet, dass eine einzige grammatische Regel auf zwanzig Minuten breitgewälzt wird. Das ist wie zu wenig Butter auf zu viel Brot. Vielleicht kommt es aber nur mir so lange vor, da ich die Grammatik bisher komplett beherrsche und mich ein wenig langweile.
Der Unterricht hängt aber immer auch vom Lehrer ab. Und da ich jeden Tag einen anderen Lehrer habe, bleibt abzuwarten wie die einzelnen Lehrer den Unterricht gestalten. Frau Sakatani war zumindest ziemlich hektisch, so dass man beim Sprechen kaum hinterherkam. Dementsprechend mager war die Beteiligung, weshalb sie oftmals ihre Fragen selbst beantwortete.
Insgesamt war unser Kurs ziemlich ruhig. Zumindest wir Deutschen sind gewohnt entweder nur zu reden, wenn wir drangenommen werden oder die Hand zu haben, wenn wir etwas loswerden wollen. Und da Frau Sakatani meist nur Fragen stellte, ohne irgendjemanden dranzunehmen kam von den Deutschen meist kein Ton. Viel lauter waren da die Chinesen, die, sobald sie etwas wußten, lauthals in den Raum brüllten, auch wenn sie gar nicht gefragt waren. Einer der Chinesen ist mir bereits am ersten Tag negativ aufgefallen, da er es geschafft hat den ganzen Unterricht durchzuplappern. Wurde eine Aufgabe gestellt, rief er gleich seine Lösung in den Raum. Sprach ein anderer, verbesserte er gleich dessen Fehler. Und sagte Frau Sakatani etwas Wichtiges, wurde er nicht müde dies stets zu kommentieren. Wären seine Aussagen von Gehalt gewesen, hätte man vielleicht über die Nützlichkeit diskutieren können, da er aber meist selbst Fehler machte und lauthals Richtiges falsch verbesserte, war er schlichtweg nervend. Das fand dann auch die Lehrerin, die eigentlich sehr freundlich und gefasst war und fuhr ihn an, dass er doch ruhig sein solle. Genützt hat es leider nicht sehr viel, bereits fünf Minuten später plapperte er wie gewohnt weiter. Obwohl es für uns Deutsche Überwindung kostet Japanisch zu sprechen und gegen den Chinesen anzureden, habe ich gut mitgemacht. So war ich am Ende des Tages eine von etwa 3 - 4 Personen, die aufgepasst und den Unterricht vorangebracht haben.
In der Mittagspause war dann eine Willkommensfeier für die ausländischen Studierenden, wozu wir alle herzlich eingeladen waren. Frohen Mutes bin ich also hingegangen und habe den Worten der veranstaltenden Studierenden und Lehrer zugehört, wenn ich auch vieles nicht wirklich verstehen konnte. An einem Punkt wurden dann alle Ausländer auf die Bühne gezerrt und jeder musste sich mit einem Mikrofon in der Hand auf Japanisch vorstellen. Zu meinem Erstaunen war ich gar nicht richtig aufgeregt. Vielleicht deshalb, weil jeder sich diesem Zwang fügen musste und somit alle in einem Boot saßen. Ganz gelassen nahm ich dann also das Mikrofon, begrüßte die Anwesenden, nannte meinen Namen, meine Universität und mein Heimatland und bedankte mich für die Aufmerksamkeit. Dann gab es einen Applaus und ich durfte lächelnd von der Bühne gehen. Kurz darauf wurde das Buffet eröffnet, bei dem sich Japaner und Ausländer näher kennenlernen konnten. Erst einmal stand ich alleine da, bis mir ein Teller in die Hand gedrückt wurde und ich mich ins Getümmel warf. Das Buffet bestand aus Sandwiches (natürlich ohne Kruste), Sushi, Fleischbällchen, Kuchenstücken und Donuts. Interessant war, dass sich alle mit Stäbchen bedienten und auch damit aßen. Bei Sushi mag dies weniger seltsam wirken, aber ein ganz normales Sandwich mit Stäbchen zu halten und dann vorsichtig abzuknabbern, kam mir doch ein wenig suspekt vor. Also nahm ich das Sandwich mit den Stäbchen und schob es mir dann ganz unjapanisch mit den Fingern in den Mund. Kurze Zeit später kam ich dann auch mit zwei jungen Japanerinnen ins Gespräch. Ziemlich direkt fragten sie mich auf Englisch nach meiner Universität, meiner Erfahrung mit der Japanischen Sprache und meinem Alter, um dann gleich zum Thema zu kommen: "Hast du eine Freundin? Meine Freundin hier wäre nämlich gerne mit dir zusammen." Da musste ich erst einmal schlucken und verdutzt schauen. Nachdem die Mädchen begannen nervös zu giggeln, versuchte ich mich aus der Situation zu stehlen, indem ich sagte, dass ich eine Freundin in Deutschland habe, was die Japanerin gleich nutzte um forsch nachzuhaken, ob ich denn meine deutsche Freundin für ihre japanische Freundin verlassen würde. Da habe ich dann vehement verneint, was die Japanerinnen veranlasste niedergeschlagen wegzugehen, um sich dem nächsten Ausländer zuzuwenden. Kaum hatte ich Lee von meinem Erlebnis erzählt, traf ich bereits auf die nächste Japanerin, die mich unbedingt ihrer Freundin vorstellen wollte. Diese hatte ja bereits viele Deutsche Freunde und würde mich auch gerne näher kennenlernen. Mit einem gestellten Lächeln und dem scheinheiligen Versprechen ich würde darüber nachdenken, schlich ich mich auch hier davon und verbrachte den Rest der Veranstaltung nebe Lee, wobei ich penibel darauf achtete so auszusehen, als wäre ich in ein wichtiges Gespräch vertieft. Erst dann fiel mir auf, dass fast nur japanische Mädchen zu der Veranstaltung gekommen waren. Alle waren vollkommen aufgestylt und alle mit dem gleichen Ziel: Einen großen ausländischen Studenten zu erobern. Jeder der nicht japanisch aussah, stand auf ihrer Abschussliste, allen voran große und blonde junge Männer. Da war es egal, ob sie ungepflegt oder schlecht angezogen waren. Wenn sie eines der beiden Suchkriterien erfüllten, wurden sie von Japanerinnen umschwärmt, wie Licht von einem Schwarm Motten. Es war amüsant anzusehen, wie Fabian, ein Student aus Duisburg, von einer regelrechten Meute von Mädchen umringt war. Immerhin war er groß und noch dazu blond, was wohl irgendeinen Schalter bei den jungen Japanerinnen umgelegt hatte. Hinterher meinte er, dass er nur von zwei Mädchen die Telefonnummern behalten hätte.
Nach der Mittagspause hatten wir bei Frau Sakatani noch eine kurze Einführung in die japanische Präsentationstechnik. So muss jeder einen Kurzvortrag über ein Thema seiner Wahl halten, sei es ein Hobby, ein aktuelles Thema und etwas Typisches aus dem Heimatland. Hauptsache man kann darüber einen 3 - 5 Minuten lang reden. Da ich mich als Letzter in die Liste eintrug, muss ich bereits Mitte Oktober als Erster einen solchen Vortrag halten. War ich zunächst noch aufgeregt, sehe ich dem nun bereits ziemlich gelassen entgegen. Schließlich muss man nicht einmal frei reden, sondern nur ein vorformuliertes Skript, das sogar vom Leher eine Woche zuvor abgesegnet wurde, möglichst fehlerfrei ablesen. Über mein Thema bin ich mir noch nicht im Klaren, werde aber vielleicht über Nintendo referieren. Es soll ja schließlich über ein Hobby sein.
Nach dem Schluss des Unterrichts war ich noch in der Bibliothek im Internet. Beim Lesen der netten eMails aus Deutschland, insbesondere der eMail meiner Mutter, habe ich dann feuchte Augen bekommen und möchte darum an dieser Stelle ganz herzlich meine Familie in Deutschland grüßen, insbesondere meine Oma, die alle Blogeinträge ausgedruckt und zugeschickt bekommt. Ohne das herzliche Feedback von Freunden und Familie per eMail, Post oder Kommentar, wäre die Zeit hier in Japan doch recht einsam.
Ich danke euch allen von ganzem Herzen und denke an jeden Einzelnen.

Samstag, 27. September 2008

Hippe Hip-Hopper

Am Dienstag war in Japan Feiertag. Ich habe nicht herausbekommen was für ein Feiertag es war, aber die Geschäfte und auch die Universitätsbibliothek hatten geschlossen. Da dies der letzte Tag vor dem Beginn der regulären Vorlesungszeit war, hatte ich mir vorgenommen ihn in vollen Zügen zu genießen. So saß ich vormittags fast drei Stunden lang auf dem Campus in der Sonne und beobachtete meine japanischen Kommilitonen. Aber nicht irgendwelche japanischen Studenten, sondern die Hip-Hopper. An japanischen Universitäten gibt es nämlich eine Vielzahl von Clubs und Zirkeln, in die jeder Student nach Belieben eintreten kann. Einer dieser Clubs ist der Hip-Hop-Club, bei dem die Studenten gemeinsam eine Tanzperformance erarbeiten. Und da in etwa 6 Wochen das Schulfest ist, sind alle Mitglieder des Hip-Hop-Clubs täglich am Trainieren. Man sieht sie dann immer auf dem Campus vor den spiegelnden Scheiben der Turnhalle stehen, wo sie sich selbst kritisch in den Scheiben beäugeln. Zwar habe ich kein spezielles Interesse an Hip-Hop, dafür aber an Tanz. Und in der Sonne zu sitzen und den Studenten beim Tanzen zuzusehen, war wie ein Freiticket zu einer Tanzveranstaltung. Es trainierten allerdings nicht nur die Tänzer: Überall auf dem Campus liefen sportbegeisterte Japaner auf und ab. Mal sah man eine Gruppe von Kendokämpfern, dann ein junges Pärchen, dass lachend Tischtennis spielte, dann kam ein matschbesudelter Football-Spieler mit Schulterpolstern über den Platz geschlurft, während man auf dem Sportplatz im Hintergrund die Speerwerfer sah. Einige saßen auch einfach wie ich in der Sonne und genossen den freien Tag. Ich hatte den Eindruck, dass an japanischen Universitäten der Sport eine viel größere Rolle spielt als bei uns. Eine offene Sporthalle mit den verschiedensten Sportangeboten steht jedem offen, der Interesse hat. Und auch fast jeder nimmt dies in irgendeiner Weise wahr. Vielleicht ist es deswegen auch nicht verwunderlich, dass mir in Japan noch kein einziger dicklicher japanischer Student aufgefallen ist. Im Gegensatz: Die japanische Jugend, die ich kennen lerne, scheint großen Wert auf Sportlichkeit und ein gepflegtes Äußeres zu legen. Wer mit Jugendlichen in Japan Schuluniformen und Einheitlichkeit in Verbindung bringt, liegt vollkommen falsch: Selten habe ich solch eine Vielfalt an Kleidungsstilen und Menschentypen auf einem Platz gesehen, wie an der Dokkyo. Da findet man Businessmänner und –frauen, neben Sportlern in Sweatshirts, Extrovertierte Hip-Hopper, neben Surfern, Punkgirls an der Seite von jungen Mädchen mit Highheels und Minirock. Gemein haben alle, dass sie großen Wert auf ihr gepflegtes Äußeres werfen. Ich witzele immer, dass man meinen könnte, es fände eine Modenschau statt, oder all die Studenten kämen gerade von einer. Denn den Japaner im abgetragen T-Shirt, mit zu kurzer Hose und Hornbrille, gibt es scheinbar nicht. Zumindest nicht am Campus. Vielleicht schaffe ich es irgendwann einmal eine Reihe von Bildern zu machen, um meine Impressionen festzuhalten. Denn mehr ist es ja nicht, als ein Blick durch meine Augen.

Bild1: Sportliche Japaner beim Fußballspiel auf dem Sportplatz der Universität

Bild2: Auswechselspieler, Trainer und Schiedsrichter am Rande des Fußballspiels



Bild3: Schick angezogene Studenten, die von einer Tanzveranstaltung kommen und auf dem Campus sitzen. Man beachte die beeindruckende Frisur des Mädchens im Vordergrund.


Am Abend habe ich mir wie schon so oft mein reduziertes Sushi im Supermarkt gekauft. Spät abends habe ich dann noch mit Yosuke den Text für die erste Lektion vorbereitet, da wir nicht wussten, was uns erwartet. Mit einem flauen Gefühl im Magen bin ich dann ins Bett gegangen.

Der Weg ins Zauberland

Dem Beispiel des vorherigen Tages folgend war auch der Montag bewölkt und zeitweise verregnet. Bei diesem Wetter ist mir die Beziehung der Japaner zu ihrem Regenschirm ins Auge gefallen. In Japan hat nämlich fast jeder einen Regenschirm, den er auch nur bei der geringsten Wahrscheinlichkeit von Regen mitnimmt, um ihn bereits bei den ersten Tropfen aufzuspannen. Ist es also bewölkt und es fallen ein paar einzelne Tropfen, die man in Deutschland komplett ignorieren würde, laufen hier bereits Japaner aller Altersgruppen mit aufgespannten Schirmen durch die Straßen. Dabei sind die Regenschirme keine besonders extravagant anzuschauenden Accessoires, wie man vermuten könnte, es sind fast ausschließlich billige, durchsichtige Plastikschirme. Dem Beispiel der Japaner folgend hatte Lee (die aus Laos stammende US-Amerikanerin, die über mir wohnt) anfänglich auch ihren Regenschirm dabei, um nicht als Ausländerin aufzufallen, doch bereits beim aufspannen musste sie bemerken, dass ihr farbenfroher westlicher Schirm, sie als Nicht-Japanerin verriet. Ich erinnere mich auch noch daran, dass vor der Arztpraxis, in der die medizinische Kontrolle abgehalten wurde, eine riesige Vorrichtung für das Aufbewahren von Schirmen stand. An eine entsprechende Menge an Kleiderhaken für Regenjacken kann ich mich nicht erinnern. Ohnehin kann ich nicht sagen, dass mir seit meinem Aufenthalt auch nur einen einzigen Japaner in Regenjacke aufgefallen wäre. Vielleicht werden diese nur bei richtig schlechtem Wetter angezogen, und bei dem bin ich ja bislang immer in meiner Wohnung geblieben.
Einen Großteil des Tages verbrachte ich auf dem Campus, insbesondere in der Bibliothek vor dem Computer. Bei dem Schreiben meiner Einträge fiel mir dann auf, dass ich zu vielen Dingen noch keine Fotos gemacht hatte, also ging ich mit meiner Kamera bewaffnet über den Campus, um ein paar Bilder zu schießen. Nach ein paar Bildern, die in den letzten Beiträgen verstreut sind, ging mein Foto allerdings aus, da die Batterie leer war. Da ich jedoch den Ehrgeiz hatte neue Bilder auf mein Blog zu laden, marschierte ich also nach Hause und aß Mittagessen, während mein Fotoapparat auflud. Zum Essen gab es Ramen, japanische Nudeln. Dabei mag der aufmerksame Leser sich nun den Beitrag heraussuchen, in dem ich bereits berichtete, dass Soba doch japanische Nudeln seien. Wer sich nun fragt was der Unterschied zwischen Ramen und Soba ist, wird an dieser Stelle enttäuscht sein, denn ich weiß es selbst nicht. An der Form kann es nicht liegen, schließlich sehen beide Nudeln wie Spaghetti aus. Pfiffig dachte ich mir dann, dass es vielleicht mit dem Gericht zusammenhängen könnte, da ich Ramen bisher immer nur in Suppen fand und Soba mit Soße. Nachdem ich aber einige Tage später eine Suppe mit Soba gegessen habe, scheidet auch diese Möglichkeit aus. Meine letzte Hoffnung ist die Zusammensetzung der Nudeln. Doch auch wenn dies die Erklärung sein mag, kann ich sagen, dass für mich Laien Soba und Ramen komplett identisch sind.
Nach dem Essen nahm ich meinen Fotoapparat zur Hand und durchstreifte erneut die Nachbarschaft, um Japan in Bildern festzuhalten. Doch es schien, als wolle eine höhere Macht dies verhindern, denn bereits nach kurzer Zeit begann es richtig zu regnen und ich saß wieder fest. Ohne Fotos. Und als dann der Regen endlich aufgehört hatte, dämmerte es bereits. Und auch an so etwas Simples muss man sich erst gewöhnen: Dämmerung in Japan. Denn der Tagesrhythmus ist hier im Gegensatz zu uns Mitteleuropäern verschoben. Bereits am frühen Morgen, etwa gegen vier Uhr, wird es hell. Im Gegenzug ist es bereits um sechs Uhr stockfinster. Möglicherweise liegt dies daran, dass es in Japan nicht das Konzept von Sommer- und Winterzeit gibt. Zumindest war es an den ersten Tagen sehr verwunderlich, als es bei hochsommerlichen Temperaturen bereits um 5 Uhr abends begann dunkler zu werden. Und bis jetzt kann ich mir nicht abgewöhnen, erst einmal anzunehmen, dass schlechtes Wetter aufzieht, wenn es schon so früh düster wird.
Als ich dann im Dunklen auf unbekannten Wegen nach Hause schlich, fiel es mir ins Auge: Am Straßenrand, irgendwo zwischen zwei Häusern stand eine kleine, kunstvolle Laterne, die ihr Licht in die leere Gasse warf. Neugierig geworden, lief ich zu der Laterne und entdeckte, dass sie einen engen Weg markierte, der zwischen den Häusern verlief und sich in Dunkelheit verlor. Noch einmal blickte ich mich um, dann verschwand ich in der Finsternis. Auf alten Steinen lief ich entlang, sprang über eine Pfütze und bog am Ende schließlich um eine scharfe Kurve. Und dann stand ich in einem Zauberland. Vor mir verlief ein Weg, gesäumt von fahl leuchtenden Laternen und Lampions, direkt auf ein traditionell japanisches Tor zu. Am Wegesrand standen kunstvoll geschnittene Sträucher und Bäume und hinter dem Tor, am Ende des Weges, stand ein altes Haus, das sich gegen den schwarzen Nachthimmel abzeichnete. Davor war ein liebevoll geschmückter Altar. Ich stand vor einem Shintoschrein, inmitten der Wohnhäuser von Soka.

Bild1: Ein nächtlicher Blick auf den Schrein. Der Eingang wird durch ein Tor gekennzeichnet, dass in Japan torii genannt wird.


Bild2: Ein nächtlicher Blick auf das Schreingebäude.

Freitag, 26. September 2008

Naturgewalten

Am Sonntag, meinem neunten Tag in Japan, gab es das erste kleinere Erdbeben. Zumindest wurde mir das erzählt, denn ich habe es verschlafen. Ansonsten war der Tag eigentlich nur durch den kontinuierlichen Nieselregen gekennzeichnet. Wenigstens habe ich so die Sicherheit, dass es auch in Japan schlechtes Wetter gibt und nicht immer nur die sengende Sonne am Himmel steht.
Den Morgen habe ich damit zugebracht von meinem Bett aus zu Fernsehen. Oder zumindest den Fernseher einzuschalten und dann verständnislos auf das flimmernde Bild zu schauen, während ich einzelne Brocken aus dem Redefluss erkennen konnte. Wer sich nun denkt, was für Luxus es sei im Wohnheim einen eigenen Fernseher zu haben, der sollte sich genauer das Foto meines Fernsehers ansehen. Denn mein Fernseher mag gut und gerne in der Nachkriegszeit gebaut worden sein. An einer alten Drehscheibe kann man zwischen 12 Programmen wählen, von denen 9 gar nicht funktionieren, 2 nur als Schwarz-weiß Programm ohne Ton und lediglich ein einziges Programm in Farbe und mit Ton zu empfangen ist. Nichtsdestotrotz habe ich mit Begeisterung das Geschehen auf dem Bildschirm verfolgt. Offensichtlich hatte ich das Kinderprogramm erwischt, denn morgens lief eine Art Disney- oder Tigerentenclub (aber mit Pokemon als Maskottchen), danach dann diverse Zeichentrickserien und zu meiner Überraschung ab 9:30 Uhr sogar One Piece, meine Lieblingsserie. Der Pokemonclub (zumindest nenne ich das Format so) hatte drei ziemlich durchgedrehte Moderatoren, die ein wenig aufgedreht und schrill durch die Sendung führten. Dafür brachten sie lustige Beiträge, in denen sie beispielsweise getestet haben, ob man auf dem Kopf hängend Ramen (japanische Nudeln) essen, Wasser trinken oder Kendama (ein japanisches Spielzeug) spielen kann. Das mag sich banal anhören, aber ich musste dennoch manchmal auflachen. Die Zeichentrickserien habe ich kaum verstanden, da dort meist in Kinder- oder Umgangssprache gesprochen wurde, was für mich beides noch ein Buch mit sieben Siegeln ist.

Bild1: Der Fernseher in meinem Zimmer. Sieht auf einem Bild viel moderner aus, als in Wirklichkeit.

Im Verlauf des Mittags habe ich dann zunächst meinen ersten Manga fertig übersetzt und stolz in meinen Schreibtisch gestellt. Man könnte somit sagen, dass ich bereits ein ganzes Buch auf japanisch gelesen habe. Danach habe ich die erste Lektion in meinem neuen Lernbuch durchgearbeitet und alle Vokabeln markiert, die ich noch nicht kannte und lernen wollte. Das waren insgesamt gerade einmal 15 Wörter, was mir ziemlich wenig erschien und mir wieder das Gefühl gab, dass ich unterfordert sein könnte. Da meine Schwäche aber schon immer das Hörverstehen und das freie Formulieren waren, will ich lieber den tatsächlichen Unterricht abwarten, bevor ich ein endgültiges Urteil fälle.
Im Verlaufe des Tages wurde der Regen dann immer stärker. War es am Vormittag noch ein leichter Nieselregen, fielen am Mittag bereits dicke Tropfen, bis es am Abend schließlich wie aus Eimern goss und ich mich ernsthaft zu fragen begann, wo all das Wasser denn herkam. Abends gegen 18 Uhr fing es dann auch noch an zu Gewittern. Erst hörte man nur ein leises Grollen, bald danach sah man es auch blitzen. Ich schenkte dem Wetter kaum Beachtung, saß bei offener Balkontür mit dem Laptop auf meinem Bett und genoss den frischen Luftzug. Zumindest bis es laut krachte und plötzlich das Licht ausging und ich im Dunklen saß. Bevor ich realisieren konnte was passiert war, ging das Licht wieder an. Dennoch hatte sich die Stimmung geändert: Die Dunkelheit wirkte drückender, der Regen stärker. Wie ein lauschendes Kaninchen saß ich in meinem Zimmer und blickte nach draußen in das Unwetter. Auf den Straßen war kein Mensch und in den meisten Haushalten war das Licht ausgeschaltet, es war ja schließlich erst kurz nach 18 Uhr. Da ich mich fragte, ob nur in unserem Wohnheim das Licht ausgegangen war, blickte ich in die Häuser in der Nachbarschaft, um zu sehen, ob beim nächsten Blitzschlag auch dort das Licht für kurze Zeit ausging. Und während ich auf einige Häuser blickte, die rund 200-300m entfernt waren, sah ich wie in eines dieser Häuser ein Blitz einschlug. Aus Reflex heraus riss ich die Hände vor die Ohren, doch der Blitzschlag war dennoch mehr als nur laut. Ich denke, dass ich ohne zu lügen sagen kann, dass dies der lauteste Blitzschlag war, den ich jemals gehört habe. Zwar benutzen wir in Deutschland gerne Superlative, um unseren Standpunkt zu verdeutlichen, doch diesmal meine ich es ernsthaft: Ich habe noch nie solch einen Schlag gehört. Dementsprechend saß ich in meinem Zimmer wie gelähmt. Erst als mir bewusst wurde, dass jederzeit noch solch ein Schlag die Ruhe zerreißen könnte, sprang ich auf, schloss die Balkontür, machte das Licht aus und zog den Stecker meines Laptops aus der Steckdose. Aber glücklicherweise verlief der Rest des Abends dann ganz normal. Der Regen nieselte zwar noch weiter bis ich einschlief, aber immerhin zog das Gewitter weiter.

Donnerstag, 25. September 2008

Es sind die kleinen Dinge...

Es sind oft die kleinen Dinge, die mich hier in Japan stutzen lassen oder auch irritieren. Nachdem ich nun schon eine Woche hier bin, gibt es eine Vielzahl solcher Dinge, über die es zu berichten lohnt.
Da ich fast täglich den Unicomputer für meinen Internetzugang nutze, ist eine der Sachen, die mich täglich immer wieder auf's Neue stört die japanische Tastatur. Und zwar sind nicht nur die Tasten für Y und Z vertauscht, sondern auch fast alle Sonderzeichen scheinbar beliebig auf der Tastatur verteilt worden. So beginnt jedes mal von neuem die Suche nach dem @ oder dem ?. Zwar lässt sich die Tastatur auf Deutsch umstellen, allerdings hilft dies herzlich wenig, wenn man nicht auswendig weiß, wo sich ü, ö und ä verbergen. Zudem bin ich durch mein Macbook, mit dem ich seit über einem halben Jahr schreibe, an eine leicht abgeänderte Tastatur gewöhnt. Und so ist es jedes Mal ein Kampf ein Passwort, eine Internetadresse mit Bindestrichen oder einfach nur eine eMailadresse einzugeben. Da ich hier von einem japanischen Computer aus arbeite, sind selbstverständlich auch alle Befehle, die in der Menüleiste oder dem Menü der linken Maustaste stehen auf Japanisch. Da dauert es, bis man den Computer herunterfahren kann oder einen Text ausschneidet und wieder einfügt.
Weniger ärgerlich, als viel mehr ungewohnt sind die Preise in Japan für bestimmte Artikel. So ist unser ganz normales Toastbrot schon fast ein Luxusartikel. Für rund 2 - 3 Euro kann man sich etwa 4 abgepackte Scheiben helles Toastbrot kaufen, gegen Aufpreis sind auch schon die Ränder abgeschnitten. Ebenso verhält es sich mit Pizza. Diese findet man vereinzelt in Kühltheken, wo man für 7 Euro aufwärts eine dünnbelegte Pizza von der Größe einer Honigmelone bekommt. Heute lag in meinem Briefkasten ein Flyer von der Fastfood-Kette Pizza Hut, da sie diese Woche die Pizza Magarita auf nur 16 EUR reduziert haben. Frisches Obst oder Gemüse sind auch hier in Deutschland nicht immer günstig, aber in Japan sind diese für den studentischen Geldbeutel kaum erschwinglich. Vorallem Äpfel, Birnen oder Kartoffeln, die bei uns eigentlich im Standardsortiment zu finden sind, erziehlen hier Preise, von denen deutsche Bauern träumen würden. Man kann zwar auch verhältnismäßig günstig an frische Lebensmittel gelangen, allerdings kann ich diese meist nicht einmal benennen, geschweige denn zubereiten. Vollkommen unverständlich war mir heute auch eine Schlange von Japanern im Supermarkt, die an frisch gelieferten Eiern anstanden. Für mein ungeschultes Auge waren diese Eier weder besonders günstig, noch besonders groß. Dennoch reichte die Schlange der Japaner, die einen Zehnerpack erhaschen wollten einmal komplett um alle Kühltheken, an den Fertiggerichten, dem Obst, dem Gemüse und den Sonderangeboten vorbei, durch den Eingangsbereich und bis aus der Schiebetür des Einkaufszentrums heraus. Wie weit die Schlange noch in die Parkplätze reichte, habe ich leider nicht erkennen können.
Man muss die Japaner wirklich dafür loben, dass Vieles sehr gut (auf Japanisch) ausgeschildert und erklärt ist, aber das ändert nichts daran, dass ich in meiner Zeit hier noch nicht herausgefunden habe, wie ich Geld abhebe oder einfach nur Post aufgeben kann. Ich vermisse ein so simples System wie Bankautomaten oder die gelben Postschilder, aber vergleichbares gibt es hier nicht. Glücklicherweise habe ich heute in der Universität eine riesige Maschine entdeckt, die zum Abheben von Bargeld geeignet ist, auch wenn dies nur erkenntlich wird, wenn man direkt davor steht, auf den Monitor starrt und beginnt zu übersetzen. Möglicherweise habe ich das System der Geldbeschaffung oder der Post noch nicht verstanden, ich werde auf jeden Fall berichten, wenn ich schlauer geworden bin.
Nachdem ich fast den ganzen Tag in der Universitätsbibliothek im Internet war und Blogeinträge verfasst hatte, verbrachte ich den Abend gemeinsam mit Katharina und Lee. Zusammen haben wir zu Abend gegessen und uns unterhalten. Dieses gemütliche Beisammensitzen stellte eine Art Gegenbewegung zu unseren lauthals feiernden Mitstudenten da, die zwei Räume weiter eine Party veranstalteten. Irgendwie müssen Katharina, Lee und ich dann aber so herzlich gelacht und geredet haben, dass ein Mitstudent in die Wohnung kam, sich dazusetzte und erst nach einer halben Stunde feststellte, dass die Party, zu der er eingeladen wurde, eigentlich zwei Wohnungen weiter stattfand. Nach einem angenehmen Abend bin ich dann spät am Abend glücklich ins Bett gefallen.

Mittwoch, 24. September 2008

Tests und Touren

Am Ende der Einführungswoche gab es noch einmal ein anstrengendes Tagesprogramm: Den placement test für die Japanischkurse, dann eine Campusführung und schließlich die Ergebnisse der Tests.
Auch wen man sich sagt, dass man wegen der placement tests nicht augeregt sein muss, weil lediglich getestet wird wie gut man Japanisch kann und es keinerlei Bewertung gibt, bekommt man morgens trotzdem feuchte Hände und ein flaues Gefühl im Magen. Wieder einmal waren alle Auslandsstudenten viel zu früh im Prüfungsraum, weshalb jeder 20 Minuten hibbelig auf seinem Stuhl saß und versuchte seine Aufregung mir billigen Witzen zu kaschieren. Dann wurden pünktlich die Bögen verteilt und wir hatten zwei Stunden Zeit die Aufgaben zu lösen. Für gewöhnlich überspringe ich immer jene Aufgaben, bei denen ich mir nicht sicher bin, um mit einem guten Gefühl in die Klausur zu starten. Doch nachdem ich alles übersprungen hatte, was ich nicht konnte, war ich bereits mit dem Test durch. Das war mein erster Schock und vollkommen aufgeregt habe ich alles noch einmal durchgeschaut. Und dann war ich mir sicher: Dieser Test war schlichtweg zu schwer. Und da half es auch nicht, dass der Koreaner, der neben mir saß, ununterbrochen schrieb und offensichtlich nicht einmal nachdenken musste. Also habe ich versucht das Beste draus zu machen und begann mit dem Grammatik-Teil (erstes Drittel). Hier musste man Konjunktionen für Sätze wählen, wie beispielsweise:

Ich esse, ( ) ich hunger habe.

a) als b) weil c) um d) dann
Das ist eigentlich nicht so schwer. Allerdings kannte ich die Satzkonjunktionen, die zur Auswahl gestellt waren meist nicht. Somit habe ich oft einfach irgendetwas gewählt. Anschließend kam der Leseverständnis-Teil (zweites Drittel). Hier bekam man einen Text und musste Fragen beantworten. Den Text hatte ich zwar fast komplett verstanden, nur leider konnte ich mit den Fragen oft herzlich wenig anfangen. Meistens bezogen sich die Fragen auch nicht auf das Textverständnis, sondern auf einzelne Worte, die meist gar nicht so relevant waren, so wie:

Wir brauchen eine Welt, in der die Freiheit des Individuums gewahrt wird und die Würde des Menschen über alle Maßen unantastbar ist, damit auch kleine Mädchen aus China mit ihren (unverständliches Wort) Kuscheltieren spielen können.

Frage: Was bedeutet das Wort vor Kuscheltier?

a) flauschig b) knuddelig c) überaus süß d) frisch gewaschen

Folglich half das Textverständnis meist nicht weiter und so habe ich auch hier oftmals irgendetwas ausgewählt. Letztlich kam noch der Schreib-Teil, in dem wir zu einem Thema einen einseitigen Text verfassen mussten. Irgendwie habe ich das hinbekommen und dann nach zwei Stunden schließlich meinen Test abgegeben. Verständlicherweise war ich ziemlich geknickt, da ich wußte, dass dieser Test nicht gut gelaufen war. Im Gespräch mit anderen hat sich aber herausgestellt, dass jeder enorme Probleme mit diesem Test hatte, die meisten sogar noch mehr Probleme als ich. Da war ich froh, dass es nicht nur mir so schwer vorkam.
In der Mensa entschied ich mich diesmal nach meinem Abenteuer mit den glitschigen kalten Nudeln von vor zwei Tagen für die sichere Variante: ein einfacher Salat. Der war dann auch so ungefährlich wie er klingt und ist ziemlich günstig im Vergleich zu den sonstigen Ausgaben, die man hier in Japan für Gemüse und Obst hat. Im Anschluss begann dann die mehrstündige Campustour durch die gesamte Universität. Angeführt wurden wir von einer Japanerin, die extra langsam und extra einfach sprach, damit jeder mitkommen konnte. So wiederholte sie jeden Satz meist noch zweimal auf Japanisch und dann noch dreimal auf Englisch, was zwar einigen half, die Führung aber unglaublich in die Länge zog. Für die Erklärung der Bibliothek übernahm dann ein junger Japaner, der kaum Englisch konnte und vollkommen verunsichert und mit zittriger Stimme ein paar Worte zusammenstammelte. Da er so mitleiderregend war, nickte ich ihm immer zu, nachdem er einen Satz zuende gestammelt hatte, so dass er gegen Ende der Führung meist nur noch in meine Richtung sprach und immer wartete, bis ich nickte. Insgesamt war unsere Gruppe der Hingucker auf dem Campus. Überall wo wir vorbeikamen tuschelten und kicherten die Studenten oder die Belegschaft. Ich erinnere mich daran, dass ich nun wußte wie sich eine japanische Reisegruppe in Deutschland fühlen muss, wenn immer alle auf sie glotzen und sich über die "Japaner mit ihren Fotoapparaten" lustig machen. Gegen Ende wurde dann ein Vortrag über die Nutzung des Internets an der Universität gehalten. Allerdings schien es ein vorgefertigter Vortrag für japanische Erstsemesterstudenten zu sein, weshalb niemand etwas verstand. Die Referentin flog nur so in feinstem Japanisch durch die Blätter ihres Manuskriptes und wechselte von einer vollbeschrifteten Folie zur Nächsten. Wir bekamen zwar noch ein Heft, in dem alles zusammengefasst wurde, allerdings war auch dieses auf Japanisch und nur verständlich, wenn man viel Zeit in eine Übersetzung investieren würde. Aber immerhin bekamen wir endlich unsere Zugangsdaten für die Uninetzwerk, sodass endlich jeder in der Lage war über die Unicomputer ins Internet zu gehen.
Bild1: Ein wunderschöner Garten vor dem Verwaltungsgebäude.


Bild2: Um 180°gedreht. Ich fand die sauber geschnittenen Büsche sehr beeindruckend.


Bild3: Die ist ein Teil des normalen Campus. Hier läuft durch, wenn man ineinanderes Gebäude geht oder kann sich einfach zumLernen oder Essen hinsetzen.

Zuletzt versammelten sich wieder alle, um die Ergebnisse des placement tests zu erhalten. Insgesamt gab es vier Kurse: Einen Kurs für totale Beginner, einen Kurs für Fortgeschrittene, einen Kurs für Profis und einen Kurs für Überflieger. Grundsätzlich kann man sagen, dass fast alle Deutsche in den fortgeschrittenen Kurs (darunter auch ich) und fast alle Chinesen in den Kurs für Profis kamen. Der Kurs für Überflieger wurde nur zwei Personen angeboten, die meines Wissens aber ablehnten und in den Profikurs gingen. Nach einem Blick in meine neuen Bücher und Unterlagen, finde ich den Kurs bisher noch zu einfach, aber vielleicht dauert es einfach noch ein paar Wochen oder Monate, bis ich allmählich gefordert werde. Ich muss einfach abwarten wie sich der Unterricht gestaltet und welche Erwartungen an uns gestellt werden.
Nach dem Kurs bin ich dann für meine letzte Stunde noch ins Internet gegangen und habe endlich diesen Blog eröffnet und einige eMails geschrieben. Während ich noch am Schreiben war, ertönte plötzlich Glockenmusik, um das Schließen der Bibliothek zu verkünden. Eine sehr gewöhnungsbedürftige Methode. Abends war ich dann wie gewohnt auf der Suche nach einem günstigen Abendessen und habe mutig ein paar gefüllte Teigtaschen ausgewählt. Beim Essen zu Hause hat sich herausgetstellt, dass sie aber nur mit Reis gefüllt, aber dennoch sehr lecker sind.

Dienstag, 23. September 2008

Der Trimm-Dich-Pfad in der Praxis

Heute fand die medical examination in Suidobashi, das ist ein Teil von Tokyo, statt. Jeder war ein wenig nervös, weil niemand so richtig wusste, was auf uns zukommt. Mit den Unterlagen vom Vortag und einer frisch gefüllten Urinprobe sollten wir uns dann am Bahnhof von Soka treffen, um das erste Mal gemeinsam mit der Bahn zu fahren. Wir ausländisch Studierenden waren auch alle pünktlich da (na ja, eigentlich sogar zu früh), nur die begleitenden Japaner kamen viel zu spät. Relevant war dies allerdings nicht, weil die Bahnen ohnehin alle 5 Minuten fuhren. Zunächst musste man an einem der vielen Automaten eine Fahrkarte kaufen, was mich bereits vollkommen überforderte. Also habe ich eine Japanerin hinzu gebeten, die mich in spärlichem Englisch angewiesen hat irgendwelche Tasten zu drücken, was ich ohne zu fragen getan habe. Die grundsätzliche Funktionsweise der Automaten blieb für mich aber weiterhin ein Mysterium. Im Anschluss musste man mit seinem Ticket durch eine Schranke: Ticket rein, durch die Schranke, Ticket wieder nehmen. Dann bin ich der Gruppe hinterhergelaufen, da ich keinerlei Idee hatte, wo wir hinmussten. Irgendwann standen wir dann am Gleis und sind sofort in die nächste Bahn eingestiegen. Nach zwei Stationen mussten wir umsteigen. Irgendwo. Irgendwie. Ich bin einfach stetig hinterhergelaufen, was erstaunlich gut geklappt hat. Auf der halbstündigen Fahrt zur Haltestelle „Akihabara“, wurde die Bahn dann stetig voller. Bereits als wir eingestiegen waren, hatte keiner von uns einen Sitzplatz und wir mussten in der Mitte der Bahn stehen. Doch an jeder Haltestelle stiegen pro Tür 8 Leute ein, aber nur 2 aus. Die Bahn füllte sich somit stetig, bis sie erst voll war, dann mehr als voll und schließlich vollkommen überfüllt. Irgendwann musste ich mir gar keine Gedanken mehr darüber machen, dass ich eine Haltestange zum festhalten brauchen könnte, da ich einfach irgendwo inzwischen einer Traube von Japanern hing. Und an den Haltestellen stiegen immer noch Leute hinzu, die dann meist so fest in die Menschenmasse drückten, bis sie einen Stehplatz direkt an der Tür hatten. Die Bahnbeamten, die an den Türen stehen und die Leute hineinpressen, so wie man sie aus dem Fernsehen kennt, gab es aber nicht, was mich vermuten lies, dass es sicherlich noch viel voller werden könnte. Erstaunlicherweise schafften es viele Japaner bei diesen Bedingungen einfach einzunicken, nur um bei ihrer Haltestelle wieder wach zu werden und sich bis zur Tür durchzuboxen. Fabian, ein Auslandsstudent aus Duisburg meinte: „Sie könnten doch mal noch einen Wagen anhängen.“, woraufhin ich mir dachte: „Naja, vielleicht wurde ja schon ein Wagen angehängt und eigentlich wäre es noch viel gedrängter:“. In Akihabara flossen dann die Menschenmassen aus der Bahn heraus, mal wieder konnte man sich einfach treiben lassen und wie ein Stück Holz auf einem Fluss mitschwimmen.
Nachdem wir nochmals zwei Stationen mit einer anderen Bahn gefahren waren, kamen wir schließlich in Suidobashi an, von wo aus wir zu unserer medical examination liefen. In einer Art riesigen Arztpraxis fanden wir dann so etwas wie einen Trimm-dich-Pfad: Man geht zu einer Station und sobald man sie absolviert hat, kommt man zur nächsten. Zunächst musste jeder zur Rezeption und seine Unterlagen und die Urinprobe abgeben. Dann hieß es erst einmal warten, bis man zur ersten Station durfte.
Station 1, Röntgen: In einem separaten Raum musste man alle metallischen Gegenstände ablegen und sich dann vor einen lustigen Apparat stellen. Dann verließen alle den Raum, kamen wieder rein, uns dann war es auch bereits vorüber.
Station 2, Urinprobe: Man bekam seine Akte und seine Urinprobe in die Hand gedrückt und musste in einem Raum, der von Toiletten gesäumt war (für diejenigen, die morgens das Röhrchen noch nicht gefüllt hatten). Am Ende war ein Schalter, wo man einer Dame, die in einem kleinen Labor saß die Probe und die Akte gab. Dann wartete man kurz, bis man mit seiner Akte weiter durfte.
Station 3, Vermessen und Wiegen: In einem kleinen Kämmerchen musste man die Schuhe ausziehen, sich dann auf eine Waage stellen und vermessen lassen. Das ging recht schnell, auch wenn ich Angst hatte, dass die Messlatte bei mir nicht reicht. Florian, ein Student aus Bremen, ist über 2 Meter groß und stellte die Leiterin der Station vor ein echtes Problem. Er musste dann in einen anderen Raum geführt werden, wo sie wohl etwas anderes zum Messen fanden.
Station 4, Blutdruck: An einem Tisch, saß man einer netten Frau gegenüber, die den Blutdruck gemessen hat. Und das hat richtig geschmerzt. Vielleicht ist mein Arm zu dick für die japanischen Gerätschaften gewesen, zumindest habe ich jetzt noch blutige Streifen an meinem rechten Oberarm, vom Druck des Messgeräts. Die Frau meinte, dass ich leichten Bluthochdruck hatte, weil ich auf der Skala ein wenig über dem Normwert lag. Kann mir jemand sagen, ob das schlimm ist?
Station 5, EKG: Man wurde in einen kleinen Raum geführt, musste seine Schuhe ausziehen und warten. Dann wurde irgendwann der Vorhang aufgezogen und man musste auf einer Liege Platz nehmen und das T-Shirt hochziehen. Dann wurden überall auf dem Brustkorb kleine Aufkleber befestigt und man musste eine Minute lang entspannt daliegen. Und schon war man fertig.
Station 6, Abhören: Dann wurde man zu einem Arzt geführt, von dem man ganz normal abgehört wurde. An Brust und am Rücken. Dann war man entlassen, nachdem man die Akte wieder zur Rezeption gebracht hatte.
An allen Stationen habe ich immer versucht ein wenig Japanisch zu reden, was auch einigermaßen geklappt hat. Einfach immer mal ein wenig danken und die Schwestern haben ganz begeistert geschaut.
Da erst Mittag war und wir ohnehin schon in Tokyo waren, haben sich Katharina, Lee und ich entschlossen auf dem Rückweg in Akihabara auszusteigen, um sich dort ein wenig umzusehen. Vielleicht hat der eine oder andere den Namen Akihabara bereits gehört, ist es doch eines der bekanntesten Viertel in Tokyo. Freaks aus aller Welt kommen in die japanische Hochburg von Manga, Anime, Videospielen und Elektrogeräten. Und bereits nach wenigen Minuten Fußmarsch standen wir in einer der Haupteinkaufsstraßen von Akihabara, wo sich ein Geschäft ans Nächste reiht. Zwar haben die meisten Läden nur eine geringe Grundfläche, dafür erheben sie sich meist über etwa 6 Stockwerke, vollgestopft mit allem nur erdenklichen Kitsch und Ramsch. Da Katharina selbst ein fanatischer Mangafan ist, mussten Lee du ich ihr in jeden Laden folgen und uns durch tausende von Mädchenmanga, Hentai (Erotik- und Sexmanga) und Figurinen von diversen Protagonistinnen kämpfen. Lee und ich haben uns gefragt, wie jemand denn überhaupt einen speziellen Manga in diesem riesigen Chaos finden wolle, haben allerdings keine Antwort gefunden. Habe ich einige Tage zuvor noch über die Hentai in den Buchhandlungen geschrieben, so sind diese lachhaft im Vergleich zu allem, was man in Akihabara in den Erwachsenenabteilungen findet. In grausamer Erinnerung ist mir eine Figur von einer Krankenschwester geblieben, die mit gespreizten Beinen auf einem Schreibtischstuhl sitzt und mit ihren Händen ihre Vagina auseinander reißt. Wer Interesse hat, kann sich diese Figur für rund 30 Euro kaufen und neben den Computer stellen. Nachdem wir durch einige solcher Abteilungen gegangen sind, ist mir aufgefallen, dass die Hauptkunden eindeutig Männer sind. Kaum ein Mädchen war zwischen den Manga und Figurinen zu entdecken, dabei würde man gerade in Deutschland Manga, Anime und sonstige Identifikationen mit der japanischen Populärkultur eher mit Mädchen in Verbindung bringen. Wenn man mal ein japanisches Mädchen sah, so liefen sie nur zu oft gelangweilt ihrem Freund hinterher. Viel interessanter als die unzähligen Manga und ihre ausgefallenen Beiprodukte, fand ich die Geschäfte für Videospiele. Vor allem für Fans von alten Spielen ist Japan nämlich wahrlich eine Oase. Läden in denen alte und gebrauchte Spiele und Konsolen günstig verkauft werde, findet man haufenweise. Jedes Spielerherz schlägt höher, wenn man vor einer gesamten Wand steht, an der fein säuberlich Klassiker für das Nintendo oder das Supernintendo en masse aufgereiht sind. Sogar Lee, die ansonsten kein Interesse an Spielen hat, entdeckte freudig Klassiker wie Tetris, Doktor Mario, Zelda, Sim City, Mario Bros., Aladdin oder Secret of Mana. Zu Schade nur, dass die Spiele nur auf den Japanischen Konsolen gespielt werden können, sonst hätte man die Spiele kistenweise nach Deutschland verfrachten können. Zwar bekommt man für umgerechnet knapp 10 EUR schon ein japanisches Super Nintendo, allerdings dürfte sich der Versand sowohl praktisch als auch finanziell als höchst aufwendig gestalten. Und so bleibt dem blutenden Spielerherz nichts anderes, als all die Spiele, die mitunter nie in Europa erschienen sind, anzuschauen und mit Tränen in den Augen den Laden wieder zu verlassen.
Nachdem wir insgesamt 5 Stunden durch Akihabara gelaufen sind und uns noch diverse CD- und Elektronikläden angeschaut haben, haben wir uns auf den Rückweg gemacht. Hierzu muss man folgendes wissen: Im Raum Tokyo gibt es zwei Bahnnetze, die unabhängig voneinander operieren. An einigen Stationen gibt es dann aber Überlappungspunkte, an denen man vom einen in das andere Netz wechseln kann. Akihabara ist einer dieser Punkte, der demzufolge zwei Bahnhöfe hat. Das hatte zur Folge, dass wir etwa eine halbe Stunde am falschen Bahnhof standen und verzweifelt nach einer Verbindung nach Soka gesucht haben. Erst als wir am anderen Bahnhof standen, wurde uns vieles klarer. Und da wir diesmal nicht unter Zeitdruck standen, hatten wir genug Zeit das Bahnsystem richtig zu verstehen. So kauft man nicht wie in Deutschland eine Fahrkarte für einen Zielpunkt, sondern eine Fahrkarte für eine Entfernung. Man schaut auf der Karte wie weit Soka entfernt ist und kauft dann ein dementsprechendes Ticket. Steigt man in Soka aus, muss man das Ticket wieder an der Schranke einführen und wird nur aus dem Bahnhof herausgelassen, wenn der Zielbahnhof innerhalb des Radius liegt, für den man gelöst hat. Innerhalb dieses Radius, kann man dann beliebig hin und her fahren, sowie ein und aussteigen. Man kann auch weiter fahren, kommt dann aber nur gegen einen entsprechenden Aufpreis aus dem Bahnhof heraus. So musste ich für meine Rückfahrt von Akihabara nach Kita-Senju und dann nach Soka fahren, was problemlos geklappt hat.
Abends habe ich dann noch ausgiebig übersetzt, um mich ein wenig auf den morgigen placement test vorzubereiten.

Montag, 22. September 2008

Dokkyo-Ouvertüre

Tag 5 in Japan. Allmählich beginnt der Ernst des Lebens, denn heute starten die Einführungsveranstaltungen an der Dokkyo-Universität. Glücklicherweise bin ich endlich in meinem neuen Tagesrhythmus angekommen, weshalb ich keine Schwierigkeiten habe, rechtzeitig aufzustehen, mich fertig zu machen und die 10 Minuten Fußweg zur Dokkyo zu laufen. Um 10.30 soll eine generelle Einführung am International Center beginnen, doch da bereits um 10.20 jeder Auslandsstudent erschienen ist, beginnt die Einführung bereits früher. Und dann sitzen in dem Präsentationsraum rund 20 Studierende in einem großen U und schweigen sich gegenseitig an. Die junge Referentin begrüßt uns zunächst noch mit schlechtem Englisch, schwenkt allerdings schon bald ins Japanische um. Auch wenn ich bemerke, dass viele Studierende bereits nach kurzer Zeit resigniert weghören, komme ich eigentlich ganz gut mit und kann meist verstehen, was uns erzählt wird. Am wichtigsten ist die Studierendenkarte, die uns Zutritt zur Bibliothek ermöglicht und Vorraussetzung für allerlei Bürokratiekram ist. Zudem müssen alle irgendwelche Papiere unterschreiben und einen Bogen über verschiedene Krankheiten ausfüllen. Dann bekommen alle ein Röhrchen für eine Urinuntersuchung, das wir beim morgigen medical check abgeben müssen. Nachdem wir noch das New Exchange Student Orientation Handbook 2008 durchgegangen sind, das jeder erhalten hat, werden wir in die Mittagspause entlassen und testen zum ersten Mal die Mensa. Das System funktioniert wie folgt: Hinter einer Glasscheibe sind alle Gerichte zu sehen, die zur Verfügung stehen. Das sind etwas 25 Speisen wie „kleiner Salat“, „großer Curryreis“ oder „Udon mit Gemüse - medium“. Dann merkt man sich den Namen des Gerichts, kauft sich an einem Automaten eine Marke dafür und löst diese an der Mensatheke ein. Dann wartet man kurz bis die Bedienung das Gericht serviert, holt sich noch gratis Wasser oder kalten Tee, Stäbchen oder Besteck und sucht sich einen Platz. Ich habe mich für Udon mit Gemüse entschieden, das sind dicke, lange Nudeln in Soja-Fisch-Brühe mit Gemüsematsch oben drauf. Allerdings hat es nicht gerade lecker geschmeckt, vielleicht weil es kalt serviert wurde, vielleicht auch weil als Bonus noch ein weißes, schleimiges Häufchen auf meinen Udon lag, das wie Kaviar aussah. Zumindest habe ich mich über eine halbe Stunde mit meinen Stäbchen an meinen glitschigen, kalten Udon abgemüht und versucht um das weiße Häufchen herum zu essen. Das Essen hat mir somit nicht zugesagt. Michael aus Bremen ließ mit dem Kommentar „Boah, das stopft ja ganz schön.“ seine Udon fast unangetastet stehen und verschwand auf der Toilette. Yosuke hat munter alles in sich hinein geschaufelt.
Bild1: Der Weg von der Dokkyo-Universität.

Mittags sollten sich alle Studierenden treffen, um gemeinsam die Registrierungskarte für Ausländer in der Stadthalle zu beantragen, die komischerweise alien registration card heißt. Danach muss noch jeder dem national health insurance program beitreten. Allerdings waren viele wohl vorher bei der Stadthalle, weshalb sich nur eine handvoll Studenten im International Center einfanden. Angeführt von einer Japanerin und einem Koreaner, sind wir dann Richtung Bahnhof zur Stadthalle gelaufen. Unterwegs habe ich mich mit zwei Mädchen angefreundet, die in der Wohnung über mir wohnen: Katherina und Lee. Katharina studiert in Duisburg, ist allerdings nicht sehr gut im Japanischen. Sie ist ein wenig freakig, gibt ihr Geld fast nur für Videospiele und Manga aus, prahlt damit, dass sie nicht kochen kann, ist aber ansonsten sehr nett. Sie sagt, dass sie verheiratet ist, aber seitdem sie hier ist konnte sie ihrem Mann noch keine eMail schreiben konnte, weil sie ebenfalls keinen Internetzugang hat. Lee ist ursprünglich aus Laos, ist aber in den USA aufgewachsen und hat keinen Bezug mehr zu ihren asiatischen Wurzeln. Sie ist sehr ruhig, was vor allem daran liegt, dass sie kein Wort Japanisch kann und erst hier beginnen wird zu lernen. Sie hat zu Hause viele Geschwister und Cousinen, auf die sie ständig aufpassen muss, weshalb sie nicht wirklich viele Freizeitbeschäftigungen hat. Nun will sie in ihrem Auslandsjahr eine Fremde Sprache und Kultur kennen lernen. Da Lee weder Japanisch noch Deutsch kann, hat es sich ergeben, dass wir zu dritt immer auf Englisch reden, damit Lee nicht ausgeschlossen wird. Ich habe bereits gewitzelt, dass ich in dem Jahr in Japan somit nicht nur mein Japanisch, sondern auch mein Englisch verbessern werde. Für die Registrierungskarte in der Stadthalle mussten wir dann alle ein Formblatt ausfüllen, was bei mir erstaunlich gut ging, da mein Leseverständnis doch ziemlich gut ist. Es war sogar amüsant zu sehen, wie die Japanerin verdutzt geschaut hat, nachdem ich meine Adresse säuberlich in Kanji eingetragen habe und erstaunt „Aaah!“ und „Oooh!“ von sich gab. Bei allen Gesprächen mit Amtspersonen, saß meist eine Japanerin neben uns und regelte alles für uns. Jetzt dauert es noch drei Wochen, dann kann ich die Karte abholen. Vorläufig habe ich einen DIN A3 Zettel erhalten, mit dem ich mich ausweisen kann. Das musste ich auch gleich an einem anderen Schalter um ins national health insurance program einzutreten. Das heißt, dass man eine gewisse Summe zahlt und dann bei allen Arztbesuchen 60-70% Rabatt erhält. Wir waren alle verpflichtet in dieses Programm einzutreten, obwohl fast jeder eine Auslands-Reiseversicherung besitzt.
Im Anschluss waren wir im größten Kaufhaus von Soka, das sich ganz in der Nähe des Bahnhofs befindet. Es ist eigentlich nichts anderes als unser Karstadt, nur ein wenig größer. Einige haben sich nach Übersetzungscomputern umgeschaut, die etwa so groß sind wie eine Milkaschokolade. Hier nennt man sie denshi jisho, „elektronische Wörterbücher“, und fast jeder besitzt eines. Ich habe überlegt, ob ich auch eines benötige, aber ich habe bereits ein sehr gutes Lexikon auf meinem Laptop und rund 150 Euro aufwärts kann man auch nicht mal eben aus dem Ärmel schütteln. Vor allem, da es kaum gute Übersetzungscomputer für Deutsch-Japanisch gibt. Und ich glaube einige unterschätzen die Fehler, die sich einschleichen, wenn man über zwei Ecken übersetzt. Da ich nicht wirklich dem halbstündigen Dialog zwischen der Verkäuferin und der Japanerin folgen wollte (und dem daran anschließenden Übersetzungen für alle Studierende), habe ich mich mit dem Koreaner unterhalten. Er studiert bereits seit einem Semester an der Dokkyo und lernt seit über fünf Jahren Japanisch. Er spricht sehr gut und hat ausgezeichnetes Hörverstehen, dafür ist er im Englischen nicht so gut. Erstaunlicherweise war er fast so groß wie ich, was für Asiaten ja eher untypisch ist. Er war ziemlich lustig, weshalb ich oft lachen konnte. Er wohnt in der Wohnung neben mir ich habe ihn seit dem Ausflug aber nur einmal flüchtig getroffen.
Auf dem Rückweg bin ich mit Katharina in einem Laden für Videospiele vorbeigekommen. Sie hat einen Nintendo DS und ist stetig auf der Suche nach Schnäppchen. Aus Jux hätten wir uns fast ein Spiel zum Deutsch lernen gekauft. Populär sind hier in Japan die Wii, der DS, Playstation 3 und Playstation Portable, dafür bekommt man hier überall Spiele. Auf dem Weg zu Shimizu Mansion, meinem Wohnheim, habe ich dann einen kleinen Anhänger eines Charakters aus meiner Lieblingsserie gefunden. Offensichtlich war er abgefallen, also habe ich ihn mitgenommen, ordentlich gewaschen und bei mir auf den Schreibtisch gesetzt. Seitdem bewacht der kleine Zoro mein Zimmer. Abends als ich im Bett lag, habe ich mir das erste Mal gedacht: „Es ist schon ein gewisser Alltag eingekehrt.“. Und das meine ich im positiven Sinne.

Bild2: Der kleine Zoro,den ich auf dem Heimweg gefunden habe. Abgelichtet auf dem Boden vor der Balkontür.

Bild3: Mein Schreibtisch, der von der kleinen Zorofigur bewacht wird. Kannst du den kleinen Zoro finden?

Waschen für Anfänger – Fotos für Profis

Da ich weder Internet noch Telefon in meiner Wohnung habe, hielt ich es am vierten Tag für angebracht ein Lebenszeichen an die Außenwelt zu senden. Und da ich von meiner Ankunft in Narita noch eine Telefonkarte hatte, habe ich meinen Ausflug ins Bahnhofsviertel dazu genutzt, um eine Telefonzelle zu finden. Vorher musste ich allerdings noch Passbilder für das national health insurance program machen, dem jeder beitreten muss, der sich längere Zeit in Japan aufhält. Einer von den vielen Passbildautomaten ist schnell gefunden und auch die Bedienung ist sehr verständlich: Man setzt sich hinein, wählt sein Format aus und muss schließlich sein Gesicht richtig platzieren. Das macht man indem man es auf die Höhe der gegenüberliegenden Kamera bringt und nett lächelt. Und hier treten bereits zwei Probleme auf: Erstens das Lächeln, aber das Problem kennt jeder. Viel störender ist es das Gesicht auf die richtige Höhe zu bringen, da der Passbildautomat leider für Japaner geeicht wurde, die zugegebenermaßen doch um einiges kleiner sind als der durchschnittliche Europäer. Also habe ich mich in die Kabine gequetscht und versucht so weit nach unten zu rutschen, bis mein Gesicht auf Höhe der Kamera liegt. Das ging aber nicht, weil meine Knie nach kurzer Zeit an der gegenüberliegenden Wand anschlugen und jedes weitere Absinken unterbanden. Nachdem ich dann erfolglos versucht hatte mich sowohl diagonal, als auch in Stufenform in die Kabine zu pressen, ging auch noch der Countdown los, da ich seit zwei Minuten keine Taste gedrückt hatte. Irgendwie habe ich es dann doch geschafft, aber genau so sahen die Fotos dann auch aus.
Das Telefonieren klappte dann viel besser. Es dauerte zwar einige Anläufe bis ich mich wieder an die genaue Handhabung erinnern konnte, aber dafür kann ich nun auch alle Sätze verstehen, die die automatische Computerstimme sagt, wenn man einen Fehler gemacht hat. Insgesamt war ich nur etwa 15 Minuten in der Telefonzelle, doch die Viertelstunde und die drückende Hitze auf diesem kleinen Raum haben ausgereicht, um mich klatschnass wieder ins Freie treten zu lassen. Auf dem Rückweg bin ich dann an einer Pachinko-Spielhalle vorbeigelaufen. Pachinko ist ein Spiel ähnlich unseren Flipperautomaten, nur mit viel mehr Kugeln auf einmal. Es ist mir im Gedächtnis hängen geblieben wie es nur ein unterschwelliges Brummen gabe, als die Türen noch geschlossen waren. Doch in just in dem Moment, in dem ein Passant in die Spielhalle treten wollte und sich die Schiebetüren öffneten, drang ein ohrenbetäubender Lärm von hunderten von Pachinkoautomaten gleichzeitig ins Freie. Und so schnell der Lärm kam, wurde er auch wieder auf das unterschwellige Summen heruntergeschraubt, als die Türen sich wieder schlossen. Ich frage mich, wie man es für mehrere Stunden in solch einer Spielhalle aushalten kann.
Wie ich oben bereits angedeutet habe, muss man hier in Japan eigentlich alle Wäschestücke im Sommer täglich wechseln. Außer Hosen kann man kein Kleidungsstück für länger als 1 ½ Tage tragen. Manchmal muss man sich sogar mittags schon umziehen, weil das T-Shirt bereits im Laufe des Vormittags beim Einkaufen durchgeschwitzt ist. Innerhalb weniger Tage hat sich in meinem Zimmer somit ein ansehnlicher Haufen an Wäsche angesammelt, der dazu einlud die Waschmaschine auszutesten, die in der Wohnküche steht. Zwar hätte ich mich mit dem Wörterbuch vor die Knöpfe und Anzeigen setzen können, um zu verstehen, was ich einstellen kann, aber ich habe schon zur Genüge die Erfahrung gemacht, dass eine wörtliche Übersetzung meist sinnlos ist. So konnte ich beispielsweise beim Reiskochen mit dem Reiskocher immer zwischen den Stufen „weißer Reis“, „schneller Reis“ und „Badewasser“ wählen. Wem’s hilft. Folglich habe ich mich für die einfache Methode entschieden und einfach das gemacht, was Yosuke gemacht hat: Alle Wäsche rein, Waschmittel drüber und anschalten. Zunächst war ich noch überrascht wie leise die Waschmaschinen in Japan sind, dann ist mir nach drei Minuten aufgefallen, dass ich das Wasser für die Waschmaschine gar nicht aufgedreht hatte. Aber die Wäsche ist letztlich sauber geworden, was will man mehr?
Am Nachmittag klingelte es an der Tür. Zu meiner Überraschung stand dort Viktor, ein Kommilitone aus Marburg, der das Semester vor mir an der Dokkyo-Universität war. Nach den Vorlesungen war er für mehrere Wochen quer durch Japan gereist und zuletzt in Okinawa, dem Südzipfel Japans, gewesen. Während wir uns unterhalten haben, ist uns bewusst geworden, dass wir uns wahrscheinlich das letzte Mal gesehen haben, da Viktor bereits seinen Bachelor gemacht haben wird, bis ich wieder in Deutschland bin. Erst da ist mir aufgefallen, dass ich viele meiner Kommilitonen, mit denen ich in Marburg begonnen habe zu studieren im Laufe meines Studiums nicht mehr sehen werde. Zum Abschied hat Viktor mir eine Plane geschenkt, die ihm immer gute Dienste geleistet haben soll: Als Regenschutz, als Sonnenschutz. Die Plane liegt bei mir auf dem Schrank, aber ich bin mir bis jetzt unsicher, ob er die Plane ernsthaft für ein nützliches Utensil hält, oder ob er nur seinen Müll bei mir abladen wollte.Abends habe ich wieder Reis gegessen, diesmal mit Furikake. Furikake ist ein Pulver in einer bestimmten Geschmacksrichtung, das man über den Reis streut. Es erschien mir eine recht kostengünstige Methode zu sein, um nicht nur weißen Reis zu essen, Es gab 5 Geschmacksrichtungen: Ei, Lachs, Pflaume, Bonito (ein Fisch) und Gemüse. Ich habe Ei und Lachs probiert, musste aber beide unter einem Berg Chilisauce ertränken, weil sie so widerlich geschmeckt haben. Die restlichen Beutel, die ich noch habe, habe ich Yosuke zur freien Verfügung gestellt. Wer sich fragt wie ich den Abend verbringe, dem sei gesagt, dass ich nach dem Hobby-Übersetzen immer noch eine Folge Supernatural schaue, eine US-Mysteryserie, die ich irgendwann einmal aus dem Internet heruntergeladen, aber nie gesehen habe. Jetzt profitiere ich davon, auch wenn ich mir abends manchmal vor Angst fast in die Hose mache.

Von Hunden und Perversionen

Es ist Tag 3 in Japan und jeder hier hat mit dem gleichen Problem zu kämpfen: Jetlag. Und so wache ich auch erst um 12 Uhr auf. Auch Yosuke schläft noch und wie ich später erfahre, schlafen die meisten anderen Austauschstudenten auch immer noch bis 14 Uhr. Um nun aber nicht den ganzen Tag dösig in der Wohnung zu versauern, ziehe ich mich an und widme den Tag wieder einmal der Erkundung von Soka. Nachdem ich das Wohnhaus verlassen habe, biege ich einfach nach links und lasse mich überraschen. Sehr ergiebig ist mein Ausflug allerdings nicht. Von Interesse sind lediglich ein Buchladen und ein Einkaufsmarkt für Süßigkeiten.
Bild1: Der Weg, den ich entlanggegangen bin. Die Schriftzeichen im Vordergrund bedeuten "Blume", da dort ein Blumenladen ist.
Bild2: Der Buchladen in dem ich war. Unschwer als solcher zu erkennen. Die Zeichen lesen sich "Takeshima", das ist der Name des Geschäfts.

Die Buchläden hier in Japan unterscheiden sich von unseren deutschen Buchgeschäften in zweierlei Hinsicht: Sie führen eine riesige Auswahl an Manga (japanische Comicbücher) und sie führen eine riesige Auswahl an Zeitschriften. Vor allem jedoch die zahlreichen Manga fallen ins Auge, da sie je nach Laden zwischen einem Zehntel und einem Viertel der Geschäftsfläche einnehmen. Und unter ihnen kann man dann wirklich (fast) alles finden: Regalweise Manga für Mädchen in grellem Pink reihen sich an Regale von Abenteuergeschichten, Manga zu Zeichentrickserien, Videospielen und Filmen, Horror- und Gewaltmanga und schließlich Hentai. Hentai heißt nichts anderes als „Perversion“ und bezeichnet die im Ausland sehr bekannt gewordenen Sex- und Erotikmanga. Habe ich anfangs noch beschämt die Regalreihe gewechselt, wenn ich aus Versehen vor diesen Manga stand, bei denen die Protagonistinnen versuchten ihre Brüste durch das Titelbild zu drücken, so ist mir doch recht schnell aufgefallen, dass es keinesfalls verwerflich oder anrüchig ist sich auch diese Manga in Ruhe zu betrachten. Und so habe ich sowohl einen dicken Japaner gesehen, der einen Hentai mit seinen Wurstfingern durchblättert und gierig die pornographischen Zeichnungen aufsaugt, als auch einen gewöhnlichen Jugendlichen, der zu seinen Lernsachen noch einen Hentai kauft oder einen Geschäftsmann, der kritisch vor dem Regal steht und sich noch nicht entschieden hat, ob es die großbrüstige Sekretärin im mittleren Alter oder doch lieber die innig küssenden Schulmädchen bevorzugt. Jetzt ist man verleitet zu denken, dass es in Japan einen übermäßig lockeren Umgang mit Sexualität und Körperlichkeit in der Öffentlichkeit gibt. Im Gegensatz zu den Hentai habe ich allerdings festgestellt, dass in der Werbung Sexualität überhaupt nicht thematisiert wird. So gibt es hier weder Werbeplakate von Männern, die mit nacktem Oberkörper für Mineralwasser werben, noch junge Frauen im knappen Bikini, die zeigen sollen, wie glücklich man im Ausland ist, wenn man besagte Reisegesellschaft wählt. Nackte Haut habe ich hier in der Werbung wirklich noch nirgends gesehen. Ob man die Japaner nun als pervers, verklemmt, gegensätzlich oder schlichtweg anders empfindet, bleibt jedem wohl selbst überlassen.
Der Süßigkeitenladen, den ich beim Umherlaufen entdeckt habe, ist eine wahre Goldgrube (für die Hüfte). Man findet hier alles von knatschigen Gummitierchen, über Gebäckstücke, bis zu verschiedensten Chips und Kräckern. Soweit ich es erkennen konnte, war ein Regal sogar süßen Fleisch- und Fischknabbereien gewidmet. Aber ein wenig obskur fand ich es schon kleine Fischchen zu trocknen und einzuzuckern. Ich bin auf Nummer Sicher gegangen und habe mir eine Packung voller kleiner Kuchen mit Schokoüberzug und eine Packung traditioneller Reiskräcker gekauft. Beides schmeckt sehr gut und ist perfekt für den Hunger zwischendurch.
Bild3: Der Süßigkeitenladen ganz in meiner Nähe.

Auf dem Rückweg begegnen mir dann drei Leute, die stolz ihre Hunde ausführen. Dachte ich bisher noch, dass es in Japan kaum Haustiere gebe, wurde ich bereits in den ersten Tagen eines Besseren belehrt: Das Geschäft mit den Haustieren boomt. In den Supermärkten sieht man meist eine ganze Regalreihe voller Hunde- und Katzenfutter. Beim Laufen durch Soka stolpert man förmlich über die vielen Hunde, die hier gehalten und ausgeführt werden und auch in den Buchhandlungen sind die Ratgeber für den Tierbesitzer nicht zu übersehen. Mit Hunderassen kenne ich mich leider kaum aus, daher kann ich nur sagen, dass ich hier nur kleinere Hunde (etwas größer als Katzen) gehalten werden. Auch wenn es unbegründet ist, wirkt es auf mich ein wenig so, als wären die Hunde meist eine Art modisches Accessoire, dass sich nur die Besserverdienenden leisten können. Einen streunenden Köter oder einen alten Hund, der neben seinem Herrchen hertrottet, habe ich bisher nämlich noch nicht gesehen. Aber wenn das auch nicht stimmen muss, so sind doch zumindest die drei Hundebesitzer eilig mit ihren Hunden durch die Straßen stolziert, um jeden zu zeigen welch wohl erzogenen Hund sie doch haben. Darum habe ich auch diskret weggesehen, als der Hund der einen Dame an einen Strommast pinkelte, sie ihn eilig wegzog, sich ertappt umblickte und dann schnell wieder zu den anderen Beiden aufholte, die erhobenen Hauptes mit ihren Hunden weiterstolziert waren.
Am Abend bin ich dann noch zu der Wohnung meines Nachbarn gegangen und habe nach Mike gefragt. Eine Freundin hatte netterweise einige ihrer ausrangierten Gebrauchsgegenstände bei ihm abgegeben, die ich dankend in Empfang nahm. So bin ich nun im Besitz eines Reis- und eines Wasserkochers. Zum Abendessen gab es dann auch ganz traditionell japanischen Reis.

Samstag, 20. September 2008

Ein Tag im Supermarkt

Mein zweiter Tag in Japan beginnt bereits früh morgens. Denn schon gegen Mitternacht werde ich durch Rumpeln und Gespräche in der Wohnküche geweckt. Recht schnell wird mir klar, dass dort wohl mein Mitbewohner am Werke ist, aber ich traue mich dennoch nicht aus meinem Zimmer. Die erste Begegnung muss ja nicht unbedingt um Mitternacht in Anwesenheit eines Fremden stattfinden, wenn man vollkommen übermüdet im Schlafanzug in die Wohnküche schlurft. Vorallem, wenn der andere möglicherweise nicht einmal Englisch sprechen kann. Da ich ohnehin noch müde bin, schließe ich meine Augen und schlafe sofort wieder ein.
Bereits um vier Uhr werde ich wieder wach. Diesmal nicht wegen Lärm, sondern weil ich auf's Klo muss. Auf dem Rückweg werde ich dann eiskalt erwischt:
"Hallo?"
In der Wohnküche brennt Licht und ein Junge sitzt am Tisch. Dort sitzt aber kein Chinese, sondern jemand, den ich bereits an der Uni in Marburg gesehen habe.
"Du musst David sein."
"Und du bist Yosuke."
Und so habe ich meinen Mitbewohner Yosuke kennengelernt (sprich: Jooske): Nachts um vier Uhr in der Wohnküche auf dem Rückweg vom Klo. Der Name war mir bereits bei meiner Bewerbung um die Patneruniversitäten untergekommen, da auch Yosuke an die Dokkyo-Universität wollte. Allerdings hatte ich ihn nur einmal kurz vor dem Internat für Internationale Angelegenheiten gesehen. Seitdem hatte die Sachbearbeiterin immer von Yosuke gesprochen und alle eMails an Yosuke und David adressiert, obwohl ich nie wußte, wer das eigentlich ist. Jetzt weiß ich aber, dass Yosuke Halbjapaner ist, der in Deutschland aufgewachsen ist und nie Japanisch gelernt hat. Da er aber vielleicht das Unternehmen seines Vaters übernehmen wird, hat er in Marburg parallel zu seinem Wirtschaftsstudium den Japanischkurs bei Frau Sawatari belegt und sich für ein Auslandsjahr beworben. Praktischerweise wohnt seine Tante ganz in der Nähe des Wohnheims, weshalb er nun vor Unibeginn öfters dort vorbeigeht und allerlei Mitbringsel geschenkt bekommt. So sehr ich damit gerechnet hatte einen Chinesen in der Wohnung zu treffen, bin ich doch ganz froh, dass Yosuke nun dort wohnt. Wir verstehen uns wirklich gut.
Wenn ich von Japan erzähle, werde ich nie müde zu erwähnen, dass es kein christlich geprägtes Land ist. Darum ist der Sonntag auch ein Tag wie jeder andere. Nachdem ich Jetleg-bedingt um 11 Uhr erst wach geworden bin, habe ich den Sonntag größtenteils mit Erkunden und Einkaufen verbracht. Um ein Gefühl für die Preise zu bekommen, bin ich in vier verschiedene Supermärkte gegangen und habe ausgiebig verglichen. So hat jeder Supermarkt in meiner direkten Umgebung Vor- und Nachteile, was die Preise und Vielfalt an Produkten angeht. Der Markt in meiner unmittelbaren Nähe ist der günstigste, hat aber vorallem bei Lebenmittlen nur eine kleine Auswahl, Obst oder Gemüse gibt es nicht. Der Einkaufsmarkt direkt daneben ist viel teurer, führt aber auch viel frisches Obst und Gemüse, sowie ein regelrechtes Schauersortiment an allen nur erdenklichen frischen Fisch- und Meerestierwaren. Gedanklich ist das für mich der japanische tegut. Dann gibt es nahe der Uni einen großes Einkaufszentrum, das eine riesige Auswahl anbietet und preislich in der Mitte liegt. Und schließlich die 100Yen-Shops, die alles total günstig haben, aber kaum irgendeine Form von Lebensmitteln führen. Sie sind eher für Haushaltswaren zu nutzen. Gemeinsam haben alle Märkte die Verkäufer, die endlose Monologsfloskeln vor sich hinplappern und dabei alle eingekauften Produkte in die billigen Plastiktüten packen, die man aus dem Spanienurlaub kennt. Pfiffig wie ich bin, habe ich mir einfach abgeschaut wie die Leute vor mir reagieren und festgestellt, dass alle nur gelangweilt dastehen und in die Luft starren, während der Verkäufer sie begrüßt, den Preis erläutert, die Waren einpackt, das Wechselgeld vorzählt, sich verabschiedet und für den Einkauf dankt. Da mir das aber doch ein wenig zu unfreundlich wirkte, habe ich mir einfach angewöhnt an geeigneten Stellen ein "Bitte", "Danke" oder ein beipflichtendes Kopfnicken einzustreuen. Zu meiner Überraschung nehmen viele Verkäufer Kenntnis davon und schauen entweder vollkommen erstaunt, weil ein Ausländer Japanisch spricht, oder sind hellauf begeistert, dass man ihnen für ihren auswendig aufgesagten Text Respekt zollt. Wer also einmal in einem handelsüblichen japanischen Supermarkt eingekauft hat, wird verstehen was der Slogan "Der Kunde ist König" beinhaltet: da gibt es keine mürrischen Verkäuferinnen oder Aldimitarbeiter die einem böse Blicke zuwerfen, wenn man zu lange braucht, um das Wechselgeld einzustecken. Vielleicht könnte sich die Servicewüste Deutschland eine Scheibe hiervon abschneiden. Eine Sache, die ich ebenfalls in Deutschland vermissen werde, sind die herabgesetzten Preis zur Abendzeit. So werden viele frische Fertigspeisen erst mit 20%-Rabatt- und später mit 50%-Rabatt-Marken versehen. So ist es bereits zu meiner Gewohnheit geworden mein Abendessen erst nach 19.30 Uhr zu kaufen, weil ich dann mein Sushi für einen einzigen Euro ersteigere. An meinem zweiten Abend habe ich mich aber noch mit einem normalen Sushigericht für 2 Euro zufrieden gegeben und habe abends angefangen meinen japanischen One Piece-Manga zu übersetzen, den ich in einer Buchhandlung gekauft hatte. Letztlich habe ich mehrere Stunden für die paar Sprechblasen gebraucht, da Umgangssprache doch um einiges komplizierter ist, als ich angenommen hatte. Gegen 11 Uhr habe ich mich dann gezwungen ins Bett zu gehen, um mich dem neuen Rythmus anzupassen.

So ist Soka

Der Bus rast vom Flughafen aus einige Straßen, biegt um viel zu enge Kurven und fährt auf die Autobahn. Die Passagiere, fast alle Japaner, schlafen in ihren Sitzen, nur ein deutscher Tourist sitzt mit großen Augen an der Scheibe. Den Fotoapparat im Anschlag fotografiert er alles, was ihm vor die Linse kommt.
Seltsamerweise bin ich gar nicht müde, obwohl es nun schon bald 4 Uhr morgens in Deutschland ist. Doch all die neuen Eindrücke und die strahlende Sonne verleihen ein Gefühl von Frische und Lebendigkeit. Ich fotografiere, um auch die kleinen Dinge festzuhalten: die andere Vegetation am Straßenrand, die Felder jenseits der Autobahn, der Blick auf kleine Bäche, die sich durch ein verwildertes Wäldchen schlängeln, verrostete Lagerhäuser, das Meer, dass sich hinter der Stadt abzeichnet. Wenn ich all das einordnen müsste, würde ich sagen, dass es wie eine Mischung aus Deutschland und Spanien war. Warum? Das lässt sich schwer sagen, vielleicht erkennt man es auf den Bildern, wenn einige etwas geworden sind. Mein Magen macht sich allmählich bemerkbar und glücklich esse ich das Twix, dass ich von Dominics Mutter bekommen habe. Nachdem der Bus einige Zeit durch ländlichere Gegenden gefahren ist, dringt er in das Großstadtgebiet vor. Und irgendwann muss ich wohl irgendwo im Raum angekommen Tokyo sein, denn am Horizont zeichnet sich eine Skyline ab, die von unzähligen Hochhäusern geprägt ist. Auf einer riesigen Brücke fährt der Bus über einem Meeresarm. Oder ist es ein breiter ruhiger Fluss? Ich weiß es nicht. Der Verkehr beginnt zu stocken und schließlich steht der Bus im Stau. Während die japanischen Fahrgäste immer noch schlafen, versuche ich die Werbebanner und Logos zu entziffern, die auf den langsam vorbeirollenden LKWs neben mir stehen.

Bild1: Blick auf eine ländliche Gegend durch das Busfenster.



Bild2: Blick aus dem Bus auf die Straße


Bild3: Mein erster Blick auf Tokyo


Nach knapp 100 Minuten Fahrt rollt der Bus durch Soka. Die Stadt macht auf mich zunächst den Eindruck einer etwas heruntergekommenen Vorstadt. Überall sind kleine Geschäfte, Häuser und betonierte Flächen, doch es ist alles durch viel Grün aufgelockert. Die meisten jungen und älteren Männer arbeiten wohl und so wird das Bild dominiert von Jugendlichen, Frauen und Alten. An Bahnhof von Soka steige ich aus, der Busfahrer hilft mir mit meinem Gepäck und dann stehe ich erst einmal da. Während der Bus abfährt trifft mein Blick eine junge Japanerin, die dort steht. Sie kommt unsicher auf mich zu und fragt: „David Kraft?“. Nicken. Es ist Izumi, das Mädchen, das mich abholen sollte. Wir warten noch auf ihren Freund Shinya, dann gehen wir zu dritt mit meinem Koffer im Schlepptau durch Soka. Unser erster Stopp ist bei der Agentur, die meine Wohnung im Wohnheim vermietet. Izumi hilft mir die japanischen Formulare auszufüllen und regelt alles mit der jungen Dame, da diese merkt, dass ich ihr japanisch nicht verstehe. Mit Izumi und Shinya rede ich auf Englisch, da ich mir mit Japanisch noch zu unsicher bin. Danach laufen wir bei sengender Hitze (Es ist nun schon nach 12 Uhr) durch Soka, den Weg merke ich mir nicht, viel zu sehr bin ich mit reden, zuhören und Koffer ziehen beschäftigt. Unterwegs fällt uns auf, dass wir keinen Schlüssel für meine Wohnung bekommen haben und so ruft Izumi noch einmal bei der Agentur an. Wenige Minuten später kommt die Dame angeradelt, verneigt sich mehrmals und murmelt eine Reihe von Entschuldigungsfloskeln. Mir wird bewusst, dass ich gar nicht weiß, wie ich reagieren soll. Ich lächle einfach die ganze Zeit und nicke leicht mit dem Kopf. Wie man auf einen Japaner reagiert, der förmlich vor einem auf dem Boden kriecht, wurde man im Studium schließlich nicht gelehrt. Nach einigen Minuten komme ich vollkommen verschwitzt in meinem Wohnheim an: Shimizu Mansion. Eigentlich ist es nur ein Blockhaus mit offenem Treppenhaus, an dem viele Wohnungen angrenzen. Ich wohne in 404A im 3. Stock. Die Wohnung, die ich mir mit jemandem teile ist, na ja, eine kleine Studentenwohnung eben. Man tritt in eine Wohnküche, daran angrenzend ein Abstellraum, ein winziges Klo, eine winzige Dusche mit einer noch winzigeren Badewanne und je ein privates Zimmer für die Studenten. Es ist niemand in der Wohnung, aber es ist offensichtlich, dass mein Mitbewohner bereits hier war. Nicht nur weil einiges auf dem Tisch liegt, sondern weil bereits jemand das bessere Zimmer in Beschlag genommen hat. Ich schiebe meinen Koffer durch die Wohnküche in mein Zimmer und Izumi und Shinya helfen mir das Futon auf dem Bett auszubreiten. Wir verabreden uns für 14 Uhr vor der Wohnung, da ich mich unbedingt Duschen und Umziehen will. Nachdem ich mich endlich erfrischt habe, esse ich den Apfel, den ich vor der Abreise eingesteckt hatte und schaue von meinem Balkon aus auf Soka. Müde bin ich immer noch nicht, aber ich merke, dass das unbequeme Sitzen und das Koffer ziehen seine Spuren hinterlassen hat: Ich bin komplett verspannt und es zieht in jedem Muskel.


Bild4: Shimizu-mansion, mein Wohnheim. Ich wohne dort, wo die gelben T-Shirts hängen.



Bild5: Blick auf Soka von meinem Balkon aus

Um kurz vor 14 Uhr höre ich jemanden an der Tür, es ist ein unbekannter Junge, der sich als Michael aus Bremen herausstellt, ebenfalls Austauschstudent. Erst denke ich, dass er mein Mitbewohner wäre, doch das Missverständnis klärt sich schnell, denn er wollte eigentlich zu meinem Mitbewohner. Letztlich geht er gemeinsam mit Izumi, Shinya und mir durch Soka, wobei ich ihn über meinen Mitbewohner ausfrage. Das soll wohl irgendein Chinese sein, der kein Englisch kann. Einerseits könnte man so gut trainieren Japanisch zu reden, andererseits dürfte es wegen der Kommunikationsbarriere schwer sein eine Freundschaft aufzubauen. Nach 10 Minuten Fußmarsch erreichen wir die Dokkyo-Universität, mein Studienort für die kommenden 12 Monate. Ich werde ein wenig herumgeführt und darf schließlich in der Bibliothek über Izumis Uniaccount kurz ins Internet, denn bisher habe ich ja weder im Wohnheim, noch an der Universität Internetzugang. Mir fällt keine eMailadresse ein, und so antworte ich eilig auf eine eMail von Dominic. Danach führen Izumi und Shinya mich und Michael in ein nahes Einkaufszentrum, in dem ich mir ein par Putzsachen für die Wohnung kaufe. Praktischerweise gibt es in Japan haufenweise 100 Yen Shops in denen man für 100 Yen (ungefähr 70c) fast alles bekommt. Zunächst bezahle ich noch bequem mit einem Schein, doch schon bald komme ich in Bedrängnis und muss mit Kleingeld bezahlen, was schwierig ist, wenn man die Währung noch nie zuvor gesehen hat. Dazu kommt noch, dass die Verkäufer bei jedem Einkauf einen Schwall Servicejapanisch zum Besten geben, auf den ich (wie schon bei der Dame, die sich entschuldigt hat) nichts zu erwidern weiß. Also stehe ich da, lächle und nicke ein wenig. Ich frage Izumi wie ich zu reagieren habe und sie winkt ab: Es genüge, wenn ich einfach kurz nicke, wenn ich das Wechselgeld erhalte. Mehr machen Japaner auch nicht. Um 17 Uhr muss Shinya gehen und mit ihm auch Izumi, also laufe ich mit Michael wieder zurück zum Wohnhein. Den Weg zwischen Wohnheim, Universität und Einkaufszentrum habe ich mir bereits eingeprägt. Später abends treffe mich noch einmal mit Michael, um in einem nahen Laden etwas Essen und Trinken zu kaufen. Da ich vieles nicht identifizieren kann, nehme ich einfach das billigste Getränk und das billigste Fertiggericht, lächle beim Bezahlen und übersetze Zuhause die Anleitung für mein Fertiggericht. So esse ich abends Yakisoba, also Nudeln mit Soße, und trinke kalten, grünen Tee. Yakisoba schmeckt sehr gut, der kalte Tee ist gewöhnungsbedürftig. Obwohl ich trotz des Jetlags lange aufbleiben wollte, um möglichst schnell in meinen neuen Tagesrythmus zu finden, werde ich ab 20 Uhr unglaublich müde. Ich lege mich in mein Bett, höre auf den Lärm des Verkehrs, das Zirpen der Zikaden und das Brummen der Klimaanlage, dann schlafe ich ein.

Bild6: Yakisoba-Varianten. Zubereitet sieht es genauso aus wie auf dem Cover.

Die Geschichte eines Einzelnen

Das kennt man: Umarmungen, feuchte Augen, letzte Worte und ein Winken mit der Hand, in der man das Flugticket hält. Eine typische Verabschiedung am Flughafen, wenn jemand auf eine lange Reise aufbricht. Ein Moment, den alle Anwesenden gemein haben. Doch sobald der Abreisende winkend um die Ecke biegt, beginnt für jeden eine eigene Geschichte. Vielleicht die Geschichte wie jemand in den Zug steigt und ans Meer fährt. Vielleicht die Geschichte von jemandem, der zur Arbeit geht, wie jeden Tag. Vielleicht auch die Geschichte von jemandem, der sich verirrt, drei Stunden lang am Flughafen umherirrt und letztlich von der Polizei aufgegabelt wird.

Ich möchte dieses Blog meiner Familie und meinen Freunden widmen, um sie an meiner ganz persönlichen Geschichte teilhaben zu lassen, die in just jenem Moment begann, in dem ich am Flughafen um die Ecke bog:

Flug LH710 ab Frankfurt am Main, Deutschland, nach Narita, Japan. Abflug um 13:55. So steht es auf meinem Ticket. Als boarding time wird 13:10 angegeben. Da ich allerdings fast nie fliege, kann ich mit dem Begriff nicht wirklich viel anfangen. Mein letzter Flug liegt bereits einige Jahre zurück, Kursfahrt nach Malta in der Oberstufe. Da musste man aber nicht viel selbst denken, sondern konnte dem Tutor und den anderen aus dem Kurs hinterherlaufen. Fliegt man doch einmal vollkommen auf sich alleine gestellt, ist man viel verunsicherter. Man hat weder Routine, noch jemanden, den man mal schnell befragen kann. Ziemlich aufgeregt gehe ich um die Ecke und nähere mich der obligatorischen Durchsuchung. Eine lange Reihe von Menschen steht bereits dort und wartet. Und schon beginnt die Aufregung:

‚Das wird sicher 10 Minuten dauern! Aber dann ist ja schon 13:10 Uhr! Muss ich da denn nicht schon an Bord gehen?’

Das Warten in der Schlange scheint eine Ewigkeit zu dauern und als ich endlich dran bin, muss ich schnell den Gürtel ausziehen und meinen Laptop aus dem Handgepäck packen. Irgendwelche Bestimmungen. Obwohl es niemand ausspricht, merkt man doch, wie die Menschen hinter einem innerlich aufstöhnen: ‚Wieder jemand, der seinen Laptop noch nicht ausgepackt hat und jetzt so lange braucht.’ Hektisch lege ich alles in die Kisten zum Durchleuchten und trete durch das Tor: PIIIEP! Man steht unter Druck, die anderen Warten und dann so etwas. Solange ich warten muss, bis ich einzeln durchsucht werde, rückt meine Schlange nicht weiter voran. Ich spüre förmlich wie mich die Blicke derjenigen, die hinter mir stehen, durchbohren. Als ich dann in einer kleinen Kabine abgetastet werde, kann ich nicht erkennen, warum ausgerechnet ich aus der Schlange herausgezogen wurde. Meiner Einschätzung nach piepst das Werkzeug des Flughafenbeamten einfach die ganze Zeit vor sich hin. Dann wird er ganz angespannt als er den Anhänger meiner Halskette sieht: „Na der ist ja ganz schön spitz!“. In Gedanken verabschiede ich mich bereits von meinem Andenken an Malta als ich frage „Soll ich die Kette ablegen?“. Der Beamte sagt kein Wort und tastet mich ab. Irgendwann schiebt er mich einfach weiter. Kein Wort, ob die Untersuchung abgeschlossen ist oder ich noch warten soll. Da er aber offensichtlich kein Interesse mehr an mir hat, gehe ich schnell zu meinen Kisten, packe hektisch meinen Laptop in den Rucksack, stecke den Gürtel in meine Tüte und renne Richtung Gate B46.
Den Schildern ist leicht zu folgen, doch mein Gate scheint immer weiter nach hinten zu rücken. Ich haste den Gang entlang, bis ich nach einigen Minuten die Passkontrolle sehe. Es muss bereits 13:20 sein und ich stehe am Ende einer endlos langen Schlange von Menschen, die alle ins europäische Ausland reisen wollen. Während ich anstehe und gezwungen bin ruhig zu warten, achte ich bereits auf die Durchsage, die mir mitteilen könnte, dass ich mich dringend zu Gate B46 begeben soll, doch keine Durchsage kommt. Als ich endlich durch die Kontrolle bin, haste ich den Gang weiter...
...und weiter...
...und weiter...
Und dann am Ende, ja wirklich am Ende, ist Gate 46. Ohne Scherz das allerletzte Gate. Und endlich setzt Erleichterung ein, da noch eine kleine Schlange darauf wartet in den Warteraum zu dürfen. Ich stelle mich an, ziehe mir möglichst unauffällig auch meinen Gürtel wieder an, damit sich meine Hose nicht noch weiter herabsenkt und warte wieder einmal. Nachdem ich nochmals mein Ticket und meinen Pass vorgezeigt habe, stehe ich in der Wartehalle für meinen Flug. Um mich herum sitzen und stehen unzählige Japaner, größtenteils Geschäftsleute, die darauf warten an Bord gehen zu dürfen. Die Aufregung und der Stress der letzten Tage, ja Wochen, fällt ab und ich stelle mich ans Glasfenster und beobachte die Flugzeuge. Man denkt noch mal über so vieles nach bevor man letztlich an Bord geht: Man denkt an Japan, an so viel Neues, man denkt aber auch an alles, was man nun zurücklässt.
Und dann geht es los. Man wird von den Menschenmassen mit ins Flugzeug geschoben, quetscht sich in seinen Sitz und schaut auf den Flughafen. Mit 15 Minuten Verspätung hebt das Flugzeug dann ab. Man merkt wie die Räder den heimischen Boden verlassen und blickt solange aus dem Fenster bis man Deutschland durch die Wolken nicht mehr sehen kann.
Auf Wiedersehen Deutschland.

Die folgenden 11 Stunden werden zu den unangenehmsten meines Lebens. Es ist nicht so, dass der Service schlecht wäre, oder man einen unangenehmen Sitznachbarn hätte, aber Flugzeuge scheinen einfach nicht für große Menschen mit langen Beinen gemacht worden zu sein. Schon nach wenigen Minuten wird meine Sitzposition unbequem und ich winde mich in meinem Sitz hin und her. Doch es wird und wird nicht besser. Und so kann ich im Gegensatz zu den meisten Japanern nicht einfach einschlafen, sondern hänge zusammengefaltet am Fenster und schaue erst die Chroniken von Narnia (der Neue) und dann irgendeinen Steinzeitfilm. Zwischendurch blättere ich durch den Reiseführer und beobachte die anderen Passagiere. Etwa 80 % von ihnen sind Japaner. Viele von ihnen spielen Nintendo DS, einige auch Playstation Portable. Einige reden leise auf Japanisch, doch verstehen kann ich fast nichts. Da ich vegetarisch bestellt habe, bekomme ich mein Essen immer zuerst ausgeteilt und habe mehr als doppelt so viel Zeit für mein Brötchen, meine Früchte, meine Nudeln und meine Miniflasche Mineralwasser als alle anderen. Die Flugroute geht über die Ostsee, Russland, China. Irgendwann geht die Sonne in Osteuropa unter, um dann wenige Stunden später über China wieder aufzugehen. Und dann sieht man wie sich das Flugzeug endlich von Norden her den japanischen Hauptinseln nähert. Noch ist es bewölkt, doch plötzlich reißt die Wolkendecke auf und ich kann meinen ersten Blick auf Japan werfen. Und mir schießt durch den Kopf: Das sieht aus wie Deutschland. Wälder und Felder. Straßen, die sich von Dorf zu Dorf winden. Kleine Seen und einzelne Gebäude. Selbst beim Landeanflug auf Narita kommt mir alles sehr vertraut vor. Keine wilden Urwälder, keine dicht besiedelten Wohnflächen.
Und dann steige ich aus und bin in Japan.
Willkommen in Japan!

Zuerst bemerke ich, dass es heiß und schwül ist. Aber ansonsten sieht alles aus wie in Frankfurt. Nur die Schilder sind nun auf Japanisch beschriftet; Darunter prangt Chinesisch und Koreanisch und schließlich Englisch. Ich folge einfach der Masse und komme wieder zur Passkontrolle. Und hier findet meine erste Begegnung mit einer fremden Kultur statt: Der ordnungsverliebte japanische Flughafenbeamte. Mit spärlichem Englisch dirigiert er jeden Ausländer an einen Schalter: „ Sebentiiin. You two go to....schikks. And you....eee...twallf.“ Die Ausländer belächeln ihn, doch jeder merkt, dass man eine Respektsperson vor sich hat und so lässt sich jeder bereitwillig zu einem Schalter dirigieren statt selbst zu einem freien zu gehen. Neben der Passkontrolle muss ich gleich noch Fingerabdrücke und ein Foto machen. Neue Bestimmungen seit Beginn des letzten Jahres. Dann steige ich eine Treppe herab und bin bei der Kofferausgabe. Dank meines Kofferbandes kann ich meinen Koffer schnell identifizieren und verlasse die Ankunftshalle. Ein wenig enttäuscht bin ich schon, dass niemand mit einem „David Kraft“-Schild auf mich wartet, sondern ich auf eigene Faust nach Soka zu meinem Wohnheim fahren muss. Es ist bereits 9.00 und ich muss noch Izumi anrufen, die Japanerin, die mich in Soka empfangen soll. Ich weiß, dass mein Bus gegen 9.15 abfahren soll, also plane ich schnell anzurufen und dann den Bus zu nehmen. Doch es gibt ein Hindernis, dass ich nicht bedacht habe: Telefonieren in Japan. Leider hat sich wohl niemand die Mühe gemacht die Erklärungen an den Telefonen zu übersetzen und so stehe ich minutenlang vor einem öffentlichen Telefon und versuche jemanden anzurufen. Schließlich nehme ich meinen Mut zusammen und spreche mit einigen vorbereiteten japanischen Sätzen eine Dame an, die in der Nähe steht. Und zu meiner Überraschung ist sie überaus hilfsbereit, spricht sogar auf Englisch, damit ich alles besser verstehen kann. Nachdem auch sie Probleme mit dem Telefon hat, gelingt es uns schließlich gemeinsam einen Anruf zu tätigen. So rufe ich Dominic in Marburg an, um zu berichten, dass ich gut angekommen bin. Wegen der 7 Stunden Zeitverschiebung ist es dort erst 2 Uhr morgens. Danach kaufe ich am Schalter Tickets für den Bus, der mich nach Soka bringt, rufe Izumi an (ich traue mich nur auf Englisch zu sprechen) und trete schließlich durch den Flughafenausgang ins Freie. Und erst jetzt als mir die warme Luft ins Gesicht schlägt und die Sonne auf mich strahlt, wird mir bewusst, dass ich in Japan angekommen bin.

Während ich auf meinen Bus warte (ich musste den Nächsten nehmen, da ich zu lange am Telefon gebraucht habe) atme ich tief durch und versuche so viele Eindrücke wie nur möglich aufzusammeln. Die Busse, die ankommen und abfahren. Die Jugendlichen in den grauen Uniformen, die beim Gepäck umladen helfen. Die Reisenden, die warten. Die Durchsagen, die den kommenden Bus ankündigen. Ich sauge es alles auf wie ein Schwamm und versuche es in meinen ersten Fotos festzuhalten. Und dann kommt bereits der Bus. Lächelnd gebe ich dem Jugendlichen in der grauen Uniform mein Gepäck, steige ein, setze mich an die Scheibe und blicke glücklich aus dem Fenster heraus.
Ich bin in Japan.
Ich bin endlich in Japan.

Bild1: Ich warte auf den Bus am Flughafen Narita.