Dienstag, 30. September 2008
Frau Nomura und Tomomi
Montag, 29. September 2008
Mein erster Schultag
Samstag, 27. September 2008
Hippe Hip-Hopper
Bild1: Sportliche Japaner beim Fußballspiel auf dem Sportplatz der Universität
Bild2: Auswechselspieler, Trainer und Schiedsrichter am Rande des Fußballspiels
Bild3: Schick angezogene Studenten, die von einer Tanzveranstaltung kommen und auf dem Campus sitzen. Man beachte die beeindruckende Frisur des Mädchens im Vordergrund.
Am Abend habe ich mir wie schon so oft mein reduziertes Sushi im Supermarkt gekauft. Spät abends habe ich dann noch mit Yosuke den Text für die erste Lektion vorbereitet, da wir nicht wussten, was uns erwartet. Mit einem flauen Gefühl im Magen bin ich dann ins Bett gegangen.
Der Weg ins Zauberland
Einen Großteil des Tages verbrachte ich auf dem Campus, insbesondere in der Bibliothek vor dem Computer. Bei dem Schreiben meiner Einträge fiel mir dann auf, dass ich zu vielen Dingen noch keine Fotos gemacht hatte, also ging ich mit meiner Kamera bewaffnet über den Campus, um ein paar Bilder zu schießen. Nach ein paar Bildern, die in den letzten Beiträgen verstreut sind, ging mein Foto allerdings aus, da die Batterie leer war. Da ich jedoch den Ehrgeiz hatte neue Bilder auf mein Blog zu laden, marschierte ich also nach Hause und aß Mittagessen, während mein Fotoapparat auflud. Zum Essen gab es Ramen, japanische Nudeln. Dabei mag der aufmerksame Leser sich nun den Beitrag heraussuchen, in dem ich bereits berichtete, dass Soba doch japanische Nudeln seien. Wer sich nun fragt was der Unterschied zwischen Ramen und Soba ist, wird an dieser Stelle enttäuscht sein, denn ich weiß es selbst nicht. An der Form kann es nicht liegen, schließlich sehen beide Nudeln wie Spaghetti aus. Pfiffig dachte ich mir dann, dass es vielleicht mit dem Gericht zusammenhängen könnte, da ich Ramen bisher immer nur in Suppen fand und Soba mit Soße. Nachdem ich aber einige Tage später eine Suppe mit Soba gegessen habe, scheidet auch diese Möglichkeit aus. Meine letzte Hoffnung ist die Zusammensetzung der Nudeln. Doch auch wenn dies die Erklärung sein mag, kann ich sagen, dass für mich Laien Soba und Ramen komplett identisch sind.
Nach dem Essen nahm ich meinen Fotoapparat zur Hand und durchstreifte erneut die Nachbarschaft, um Japan in Bildern festzuhalten. Doch es schien, als wolle eine höhere Macht dies verhindern, denn bereits nach kurzer Zeit begann es richtig zu regnen und ich saß wieder fest. Ohne Fotos. Und als dann der Regen endlich aufgehört hatte, dämmerte es bereits. Und auch an so etwas Simples muss man sich erst gewöhnen: Dämmerung in Japan. Denn der Tagesrhythmus ist hier im Gegensatz zu uns Mitteleuropäern verschoben. Bereits am frühen Morgen, etwa gegen vier Uhr, wird es hell. Im Gegenzug ist es bereits um sechs Uhr stockfinster. Möglicherweise liegt dies daran, dass es in Japan nicht das Konzept von Sommer- und Winterzeit gibt. Zumindest war es an den ersten Tagen sehr verwunderlich, als es bei hochsommerlichen Temperaturen bereits um 5 Uhr abends begann dunkler zu werden. Und bis jetzt kann ich mir nicht abgewöhnen, erst einmal anzunehmen, dass schlechtes Wetter aufzieht, wenn es schon so früh düster wird.
Als ich dann im Dunklen auf unbekannten Wegen nach Hause schlich, fiel es mir ins Auge: Am Straßenrand, irgendwo zwischen zwei Häusern stand eine kleine, kunstvolle Laterne, die ihr Licht in die leere Gasse warf. Neugierig geworden, lief ich zu der Laterne und entdeckte, dass sie einen engen Weg markierte, der zwischen den Häusern verlief und sich in Dunkelheit verlor. Noch einmal blickte ich mich um, dann verschwand ich in der Finsternis. Auf alten Steinen lief ich entlang, sprang über eine Pfütze und bog am Ende schließlich um eine scharfe Kurve. Und dann stand ich in einem Zauberland. Vor mir verlief ein Weg, gesäumt von fahl leuchtenden Laternen und Lampions, direkt auf ein traditionell japanisches Tor zu. Am Wegesrand standen kunstvoll geschnittene Sträucher und Bäume und hinter dem Tor, am Ende des Weges, stand ein altes Haus, das sich gegen den schwarzen Nachthimmel abzeichnete. Davor war ein liebevoll geschmückter Altar. Ich stand vor einem Shintoschrein, inmitten der Wohnhäuser von Soka.
Bild1: Ein nächtlicher Blick auf den Schrein. Der Eingang wird durch ein Tor gekennzeichnet, dass in Japan torii genannt wird.
Freitag, 26. September 2008
Naturgewalten
Bild1: Der Fernseher in meinem Zimmer. Sieht auf einem Bild viel moderner aus, als in Wirklichkeit.
Im Verlauf des Mittags habe ich dann zunächst meinen ersten Manga fertig übersetzt und stolz in meinen Schreibtisch gestellt. Man könnte somit sagen, dass ich bereits ein ganzes Buch auf japanisch gelesen habe. Danach habe ich die erste Lektion in meinem neuen Lernbuch durchgearbeitet und alle Vokabeln markiert, die ich noch nicht kannte und lernen wollte. Das waren insgesamt gerade einmal 15 Wörter, was mir ziemlich wenig erschien und mir wieder das Gefühl gab, dass ich unterfordert sein könnte. Da meine Schwäche aber schon immer das Hörverstehen und das freie Formulieren waren, will ich lieber den tatsächlichen Unterricht abwarten, bevor ich ein endgültiges Urteil fälle.
Im Verlaufe des Tages wurde der Regen dann immer stärker. War es am Vormittag noch ein leichter Nieselregen, fielen am Mittag bereits dicke Tropfen, bis es am Abend schließlich wie aus Eimern goss und ich mich ernsthaft zu fragen begann, wo all das Wasser denn herkam. Abends gegen 18 Uhr fing es dann auch noch an zu Gewittern. Erst hörte man nur ein leises Grollen, bald danach sah man es auch blitzen. Ich schenkte dem Wetter kaum Beachtung, saß bei offener Balkontür mit dem Laptop auf meinem Bett und genoss den frischen Luftzug. Zumindest bis es laut krachte und plötzlich das Licht ausging und ich im Dunklen saß. Bevor ich realisieren konnte was passiert war, ging das Licht wieder an. Dennoch hatte sich die Stimmung geändert: Die Dunkelheit wirkte drückender, der Regen stärker. Wie ein lauschendes Kaninchen saß ich in meinem Zimmer und blickte nach draußen in das Unwetter. Auf den Straßen war kein Mensch und in den meisten Haushalten war das Licht ausgeschaltet, es war ja schließlich erst kurz nach 18 Uhr. Da ich mich fragte, ob nur in unserem Wohnheim das Licht ausgegangen war, blickte ich in die Häuser in der Nachbarschaft, um zu sehen, ob beim nächsten Blitzschlag auch dort das Licht für kurze Zeit ausging. Und während ich auf einige Häuser blickte, die rund 200-300m entfernt waren, sah ich wie in eines dieser Häuser ein Blitz einschlug. Aus Reflex heraus riss ich die Hände vor die Ohren, doch der Blitzschlag war dennoch mehr als nur laut. Ich denke, dass ich ohne zu lügen sagen kann, dass dies der lauteste Blitzschlag war, den ich jemals gehört habe. Zwar benutzen wir in Deutschland gerne Superlative, um unseren Standpunkt zu verdeutlichen, doch diesmal meine ich es ernsthaft: Ich habe noch nie solch einen Schlag gehört. Dementsprechend saß ich in meinem Zimmer wie gelähmt. Erst als mir bewusst wurde, dass jederzeit noch solch ein Schlag die Ruhe zerreißen könnte, sprang ich auf, schloss die Balkontür, machte das Licht aus und zog den Stecker meines Laptops aus der Steckdose. Aber glücklicherweise verlief der Rest des Abends dann ganz normal. Der Regen nieselte zwar noch weiter bis ich einschlief, aber immerhin zog das Gewitter weiter.
Donnerstag, 25. September 2008
Es sind die kleinen Dinge...
Mittwoch, 24. September 2008
Tests und Touren
Bild2: Um 180°gedreht. Ich fand die sauber geschnittenen Büsche sehr beeindruckend.
Bild3: Die ist ein Teil des normalen Campus. Hier läuft durch, wenn man ineinanderes Gebäude geht oder kann sich einfach zumLernen oder Essen hinsetzen.
Dienstag, 23. September 2008
Der Trimm-Dich-Pfad in der Praxis
Nachdem wir nochmals zwei Stationen mit einer anderen Bahn gefahren waren, kamen wir schließlich in Suidobashi an, von wo aus wir zu unserer medical examination liefen. In einer Art riesigen Arztpraxis fanden wir dann so etwas wie einen Trimm-dich-Pfad: Man geht zu einer Station und sobald man sie absolviert hat, kommt man zur nächsten. Zunächst musste jeder zur Rezeption und seine Unterlagen und die Urinprobe abgeben. Dann hieß es erst einmal warten, bis man zur ersten Station durfte.
Station 1, Röntgen: In einem separaten Raum musste man alle metallischen Gegenstände ablegen und sich dann vor einen lustigen Apparat stellen. Dann verließen alle den Raum, kamen wieder rein, uns dann war es auch bereits vorüber.
Station 2, Urinprobe: Man bekam seine Akte und seine Urinprobe in die Hand gedrückt und musste in einem Raum, der von Toiletten gesäumt war (für diejenigen, die morgens das Röhrchen noch nicht gefüllt hatten). Am Ende war ein Schalter, wo man einer Dame, die in einem kleinen Labor saß die Probe und die Akte gab. Dann wartete man kurz, bis man mit seiner Akte weiter durfte.
Station 3, Vermessen und Wiegen: In einem kleinen Kämmerchen musste man die Schuhe ausziehen, sich dann auf eine Waage stellen und vermessen lassen. Das ging recht schnell, auch wenn ich Angst hatte, dass die Messlatte bei mir nicht reicht. Florian, ein Student aus Bremen, ist über 2 Meter groß und stellte die Leiterin der Station vor ein echtes Problem. Er musste dann in einen anderen Raum geführt werden, wo sie wohl etwas anderes zum Messen fanden.
Station 4, Blutdruck: An einem Tisch, saß man einer netten Frau gegenüber, die den Blutdruck gemessen hat. Und das hat richtig geschmerzt. Vielleicht ist mein Arm zu dick für die japanischen Gerätschaften gewesen, zumindest habe ich jetzt noch blutige Streifen an meinem rechten Oberarm, vom Druck des Messgeräts. Die Frau meinte, dass ich leichten Bluthochdruck hatte, weil ich auf der Skala ein wenig über dem Normwert lag. Kann mir jemand sagen, ob das schlimm ist?
Station 5, EKG: Man wurde in einen kleinen Raum geführt, musste seine Schuhe ausziehen und warten. Dann wurde irgendwann der Vorhang aufgezogen und man musste auf einer Liege Platz nehmen und das T-Shirt hochziehen. Dann wurden überall auf dem Brustkorb kleine Aufkleber befestigt und man musste eine Minute lang entspannt daliegen. Und schon war man fertig.
Station 6, Abhören: Dann wurde man zu einem Arzt geführt, von dem man ganz normal abgehört wurde. An Brust und am Rücken. Dann war man entlassen, nachdem man die Akte wieder zur Rezeption gebracht hatte.
An allen Stationen habe ich immer versucht ein wenig Japanisch zu reden, was auch einigermaßen geklappt hat. Einfach immer mal ein wenig danken und die Schwestern haben ganz begeistert geschaut.
Da erst Mittag war und wir ohnehin schon in Tokyo waren, haben sich Katharina, Lee und ich entschlossen auf dem Rückweg in Akihabara auszusteigen, um sich dort ein wenig umzusehen. Vielleicht hat der eine oder andere den Namen Akihabara bereits gehört, ist es doch eines der bekanntesten Viertel in Tokyo. Freaks aus aller Welt kommen in die japanische Hochburg von Manga, Anime, Videospielen und Elektrogeräten. Und bereits nach wenigen Minuten Fußmarsch standen wir in einer der Haupteinkaufsstraßen von Akihabara, wo sich ein Geschäft ans Nächste reiht. Zwar haben die meisten Läden nur eine geringe Grundfläche, dafür erheben sie sich meist über etwa 6 Stockwerke, vollgestopft mit allem nur erdenklichen Kitsch und Ramsch. Da Katharina selbst ein fanatischer Mangafan ist, mussten Lee du ich ihr in jeden Laden folgen und uns durch tausende von Mädchenmanga, Hentai (Erotik- und Sexmanga) und Figurinen von diversen Protagonistinnen kämpfen. Lee und ich haben uns gefragt, wie jemand denn überhaupt einen speziellen Manga in diesem riesigen Chaos finden wolle, haben allerdings keine Antwort gefunden. Habe ich einige Tage zuvor noch über die Hentai in den Buchhandlungen geschrieben, so sind diese lachhaft im Vergleich zu allem, was man in Akihabara in den Erwachsenenabteilungen findet. In grausamer Erinnerung ist mir eine Figur von einer Krankenschwester geblieben, die mit gespreizten Beinen auf einem Schreibtischstuhl sitzt und mit ihren Händen ihre Vagina auseinander reißt. Wer Interesse hat, kann sich diese Figur für rund 30 Euro kaufen und neben den Computer stellen. Nachdem wir durch einige solcher Abteilungen gegangen sind, ist mir aufgefallen, dass die Hauptkunden eindeutig Männer sind. Kaum ein Mädchen war zwischen den Manga und Figurinen zu entdecken, dabei würde man gerade in Deutschland Manga, Anime und sonstige Identifikationen mit der japanischen Populärkultur eher mit Mädchen in Verbindung bringen. Wenn man mal ein japanisches Mädchen sah, so liefen sie nur zu oft gelangweilt ihrem Freund hinterher. Viel interessanter als die unzähligen Manga und ihre ausgefallenen Beiprodukte, fand ich die Geschäfte für Videospiele. Vor allem für Fans von alten Spielen ist Japan nämlich wahrlich eine Oase. Läden in denen alte und gebrauchte Spiele und Konsolen günstig verkauft werde, findet man haufenweise. Jedes Spielerherz schlägt höher, wenn man vor einer gesamten Wand steht, an der fein säuberlich Klassiker für das Nintendo oder das Supernintendo en masse aufgereiht sind. Sogar Lee, die ansonsten kein Interesse an Spielen hat, entdeckte freudig Klassiker wie Tetris, Doktor Mario, Zelda, Sim City, Mario Bros., Aladdin oder Secret of Mana. Zu Schade nur, dass die Spiele nur auf den Japanischen Konsolen gespielt werden können, sonst hätte man die Spiele kistenweise nach Deutschland verfrachten können. Zwar bekommt man für umgerechnet knapp 10 EUR schon ein japanisches Super Nintendo, allerdings dürfte sich der Versand sowohl praktisch als auch finanziell als höchst aufwendig gestalten. Und so bleibt dem blutenden Spielerherz nichts anderes, als all die Spiele, die mitunter nie in Europa erschienen sind, anzuschauen und mit Tränen in den Augen den Laden wieder zu verlassen.
Nachdem wir insgesamt 5 Stunden durch Akihabara gelaufen sind und uns noch diverse CD- und Elektronikläden angeschaut haben, haben wir uns auf den Rückweg gemacht. Hierzu muss man folgendes wissen: Im Raum Tokyo gibt es zwei Bahnnetze, die unabhängig voneinander operieren. An einigen Stationen gibt es dann aber Überlappungspunkte, an denen man vom einen in das andere Netz wechseln kann. Akihabara ist einer dieser Punkte, der demzufolge zwei Bahnhöfe hat. Das hatte zur Folge, dass wir etwa eine halbe Stunde am falschen Bahnhof standen und verzweifelt nach einer Verbindung nach Soka gesucht haben. Erst als wir am anderen Bahnhof standen, wurde uns vieles klarer. Und da wir diesmal nicht unter Zeitdruck standen, hatten wir genug Zeit das Bahnsystem richtig zu verstehen. So kauft man nicht wie in Deutschland eine Fahrkarte für einen Zielpunkt, sondern eine Fahrkarte für eine Entfernung. Man schaut auf der Karte wie weit Soka entfernt ist und kauft dann ein dementsprechendes Ticket. Steigt man in Soka aus, muss man das Ticket wieder an der Schranke einführen und wird nur aus dem Bahnhof herausgelassen, wenn der Zielbahnhof innerhalb des Radius liegt, für den man gelöst hat. Innerhalb dieses Radius, kann man dann beliebig hin und her fahren, sowie ein und aussteigen. Man kann auch weiter fahren, kommt dann aber nur gegen einen entsprechenden Aufpreis aus dem Bahnhof heraus. So musste ich für meine Rückfahrt von Akihabara nach Kita-Senju und dann nach Soka fahren, was problemlos geklappt hat.
Abends habe ich dann noch ausgiebig übersetzt, um mich ein wenig auf den morgigen placement test vorzubereiten.
Montag, 22. September 2008
Dokkyo-Ouvertüre
Mittags sollten sich alle Studierenden treffen, um gemeinsam die Registrierungskarte für Ausländer in der Stadthalle zu beantragen, die komischerweise alien registration card heißt. Danach muss noch jeder dem national health insurance program beitreten. Allerdings waren viele wohl vorher bei der Stadthalle, weshalb sich nur eine handvoll Studenten im International Center einfanden. Angeführt von einer Japanerin und einem Koreaner, sind wir dann Richtung Bahnhof zur Stadthalle gelaufen. Unterwegs habe ich mich mit zwei Mädchen angefreundet, die in der Wohnung über mir wohnen: Katherina und Lee. Katharina studiert in Duisburg, ist allerdings nicht sehr gut im Japanischen. Sie ist ein wenig freakig, gibt ihr Geld fast nur für Videospiele und Manga aus, prahlt damit, dass sie nicht kochen kann, ist aber ansonsten sehr nett. Sie sagt, dass sie verheiratet ist, aber seitdem sie hier ist konnte sie ihrem Mann noch keine eMail schreiben konnte, weil sie ebenfalls keinen Internetzugang hat. Lee ist ursprünglich aus Laos, ist aber in den USA aufgewachsen und hat keinen Bezug mehr zu ihren asiatischen Wurzeln. Sie ist sehr ruhig, was vor allem daran liegt, dass sie kein Wort Japanisch kann und erst hier beginnen wird zu lernen. Sie hat zu Hause viele Geschwister und Cousinen, auf die sie ständig aufpassen muss, weshalb sie nicht wirklich viele Freizeitbeschäftigungen hat. Nun will sie in ihrem Auslandsjahr eine Fremde Sprache und Kultur kennen lernen. Da Lee weder Japanisch noch Deutsch kann, hat es sich ergeben, dass wir zu dritt immer auf Englisch reden, damit Lee nicht ausgeschlossen wird. Ich habe bereits gewitzelt, dass ich in dem Jahr in Japan somit nicht nur mein Japanisch, sondern auch mein Englisch verbessern werde. Für die Registrierungskarte in der Stadthalle mussten wir dann alle ein Formblatt ausfüllen, was bei mir erstaunlich gut ging, da mein Leseverständnis doch ziemlich gut ist. Es war sogar amüsant zu sehen, wie die Japanerin verdutzt geschaut hat, nachdem ich meine Adresse säuberlich in Kanji eingetragen habe und erstaunt „Aaah!“ und „Oooh!“ von sich gab. Bei allen Gesprächen mit Amtspersonen, saß meist eine Japanerin neben uns und regelte alles für uns. Jetzt dauert es noch drei Wochen, dann kann ich die Karte abholen. Vorläufig habe ich einen DIN A3 Zettel erhalten, mit dem ich mich ausweisen kann. Das musste ich auch gleich an einem anderen Schalter um ins national health insurance program einzutreten. Das heißt, dass man eine gewisse Summe zahlt und dann bei allen Arztbesuchen 60-70% Rabatt erhält. Wir waren alle verpflichtet in dieses Programm einzutreten, obwohl fast jeder eine Auslands-Reiseversicherung besitzt.
Im Anschluss waren wir im größten Kaufhaus von Soka, das sich ganz in der Nähe des Bahnhofs befindet. Es ist eigentlich nichts anderes als unser Karstadt, nur ein wenig größer. Einige haben sich nach Übersetzungscomputern umgeschaut, die etwa so groß sind wie eine Milkaschokolade. Hier nennt man sie denshi jisho, „elektronische Wörterbücher“, und fast jeder besitzt eines. Ich habe überlegt, ob ich auch eines benötige, aber ich habe bereits ein sehr gutes Lexikon auf meinem Laptop und rund 150 Euro aufwärts kann man auch nicht mal eben aus dem Ärmel schütteln. Vor allem, da es kaum gute Übersetzungscomputer für Deutsch-Japanisch gibt. Und ich glaube einige unterschätzen die Fehler, die sich einschleichen, wenn man über zwei Ecken übersetzt. Da ich nicht wirklich dem halbstündigen Dialog zwischen der Verkäuferin und der Japanerin folgen wollte (und dem daran anschließenden Übersetzungen für alle Studierende), habe ich mich mit dem Koreaner unterhalten. Er studiert bereits seit einem Semester an der Dokkyo und lernt seit über fünf Jahren Japanisch. Er spricht sehr gut und hat ausgezeichnetes Hörverstehen, dafür ist er im Englischen nicht so gut. Erstaunlicherweise war er fast so groß wie ich, was für Asiaten ja eher untypisch ist. Er war ziemlich lustig, weshalb ich oft lachen konnte. Er wohnt in der Wohnung neben mir ich habe ihn seit dem Ausflug aber nur einmal flüchtig getroffen.
Auf dem Rückweg bin ich mit Katharina in einem Laden für Videospiele vorbeigekommen. Sie hat einen Nintendo DS und ist stetig auf der Suche nach Schnäppchen. Aus Jux hätten wir uns fast ein Spiel zum Deutsch lernen gekauft. Populär sind hier in Japan die Wii, der DS, Playstation 3 und Playstation Portable, dafür bekommt man hier überall Spiele. Auf dem Weg zu Shimizu Mansion, meinem Wohnheim, habe ich dann einen kleinen Anhänger eines Charakters aus meiner Lieblingsserie gefunden. Offensichtlich war er abgefallen, also habe ich ihn mitgenommen, ordentlich gewaschen und bei mir auf den Schreibtisch gesetzt. Seitdem bewacht der kleine Zoro mein Zimmer. Abends als ich im Bett lag, habe ich mir das erste Mal gedacht: „Es ist schon ein gewisser Alltag eingekehrt.“. Und das meine ich im positiven Sinne.
Bild2: Der kleine Zoro,den ich auf dem Heimweg gefunden habe. Abgelichtet auf dem Boden vor der Balkontür.
Bild3: Mein Schreibtisch, der von der kleinen Zorofigur bewacht wird. Kannst du den kleinen Zoro finden?
Waschen für Anfänger – Fotos für Profis
Das Telefonieren klappte dann viel besser. Es dauerte zwar einige Anläufe bis ich mich wieder an die genaue Handhabung erinnern konnte, aber dafür kann ich nun auch alle Sätze verstehen, die die automatische Computerstimme sagt, wenn man einen Fehler gemacht hat. Insgesamt war ich nur etwa 15 Minuten in der Telefonzelle, doch die Viertelstunde und die drückende Hitze auf diesem kleinen Raum haben ausgereicht, um mich klatschnass wieder ins Freie treten zu lassen. Auf dem Rückweg bin ich dann an einer Pachinko-Spielhalle vorbeigelaufen. Pachinko ist ein Spiel ähnlich unseren Flipperautomaten, nur mit viel mehr Kugeln auf einmal. Es ist mir im Gedächtnis hängen geblieben wie es nur ein unterschwelliges Brummen gabe, als die Türen noch geschlossen waren. Doch in just in dem Moment, in dem ein Passant in die Spielhalle treten wollte und sich die Schiebetüren öffneten, drang ein ohrenbetäubender Lärm von hunderten von Pachinkoautomaten gleichzeitig ins Freie. Und so schnell der Lärm kam, wurde er auch wieder auf das unterschwellige Summen heruntergeschraubt, als die Türen sich wieder schlossen. Ich frage mich, wie man es für mehrere Stunden in solch einer Spielhalle aushalten kann.
Wie ich oben bereits angedeutet habe, muss man hier in Japan eigentlich alle Wäschestücke im Sommer täglich wechseln. Außer Hosen kann man kein Kleidungsstück für länger als 1 ½ Tage tragen. Manchmal muss man sich sogar mittags schon umziehen, weil das T-Shirt bereits im Laufe des Vormittags beim Einkaufen durchgeschwitzt ist. Innerhalb weniger Tage hat sich in meinem Zimmer somit ein ansehnlicher Haufen an Wäsche angesammelt, der dazu einlud die Waschmaschine auszutesten, die in der Wohnküche steht. Zwar hätte ich mich mit dem Wörterbuch vor die Knöpfe und Anzeigen setzen können, um zu verstehen, was ich einstellen kann, aber ich habe schon zur Genüge die Erfahrung gemacht, dass eine wörtliche Übersetzung meist sinnlos ist. So konnte ich beispielsweise beim Reiskochen mit dem Reiskocher immer zwischen den Stufen „weißer Reis“, „schneller Reis“ und „Badewasser“ wählen. Wem’s hilft. Folglich habe ich mich für die einfache Methode entschieden und einfach das gemacht, was Yosuke gemacht hat: Alle Wäsche rein, Waschmittel drüber und anschalten. Zunächst war ich noch überrascht wie leise die Waschmaschinen in Japan sind, dann ist mir nach drei Minuten aufgefallen, dass ich das Wasser für die Waschmaschine gar nicht aufgedreht hatte. Aber die Wäsche ist letztlich sauber geworden, was will man mehr?
Am Nachmittag klingelte es an der Tür. Zu meiner Überraschung stand dort Viktor, ein Kommilitone aus Marburg, der das Semester vor mir an der Dokkyo-Universität war. Nach den Vorlesungen war er für mehrere Wochen quer durch Japan gereist und zuletzt in Okinawa, dem Südzipfel Japans, gewesen. Während wir uns unterhalten haben, ist uns bewusst geworden, dass wir uns wahrscheinlich das letzte Mal gesehen haben, da Viktor bereits seinen Bachelor gemacht haben wird, bis ich wieder in Deutschland bin. Erst da ist mir aufgefallen, dass ich viele meiner Kommilitonen, mit denen ich in Marburg begonnen habe zu studieren im Laufe meines Studiums nicht mehr sehen werde. Zum Abschied hat Viktor mir eine Plane geschenkt, die ihm immer gute Dienste geleistet haben soll: Als Regenschutz, als Sonnenschutz. Die Plane liegt bei mir auf dem Schrank, aber ich bin mir bis jetzt unsicher, ob er die Plane ernsthaft für ein nützliches Utensil hält, oder ob er nur seinen Müll bei mir abladen wollte.Abends habe ich wieder Reis gegessen, diesmal mit Furikake. Furikake ist ein Pulver in einer bestimmten Geschmacksrichtung, das man über den Reis streut. Es erschien mir eine recht kostengünstige Methode zu sein, um nicht nur weißen Reis zu essen, Es gab 5 Geschmacksrichtungen: Ei, Lachs, Pflaume, Bonito (ein Fisch) und Gemüse. Ich habe Ei und Lachs probiert, musste aber beide unter einem Berg Chilisauce ertränken, weil sie so widerlich geschmeckt haben. Die restlichen Beutel, die ich noch habe, habe ich Yosuke zur freien Verfügung gestellt. Wer sich fragt wie ich den Abend verbringe, dem sei gesagt, dass ich nach dem Hobby-Übersetzen immer noch eine Folge Supernatural schaue, eine US-Mysteryserie, die ich irgendwann einmal aus dem Internet heruntergeladen, aber nie gesehen habe. Jetzt profitiere ich davon, auch wenn ich mir abends manchmal vor Angst fast in die Hose mache.
Von Hunden und Perversionen
Die Buchläden hier in Japan unterscheiden sich von unseren deutschen Buchgeschäften in zweierlei Hinsicht: Sie führen eine riesige Auswahl an Manga (japanische Comicbücher) und sie führen eine riesige Auswahl an Zeitschriften. Vor allem jedoch die zahlreichen Manga fallen ins Auge, da sie je nach Laden zwischen einem Zehntel und einem Viertel der Geschäftsfläche einnehmen. Und unter ihnen kann man dann wirklich (fast) alles finden: Regalweise Manga für Mädchen in grellem Pink reihen sich an Regale von Abenteuergeschichten, Manga zu Zeichentrickserien, Videospielen und Filmen, Horror- und Gewaltmanga und schließlich Hentai. Hentai heißt nichts anderes als „Perversion“ und bezeichnet die im Ausland sehr bekannt gewordenen Sex- und Erotikmanga. Habe ich anfangs noch beschämt die Regalreihe gewechselt, wenn ich aus Versehen vor diesen Manga stand, bei denen die Protagonistinnen versuchten ihre Brüste durch das Titelbild zu drücken, so ist mir doch recht schnell aufgefallen, dass es keinesfalls verwerflich oder anrüchig ist sich auch diese Manga in Ruhe zu betrachten. Und so habe ich sowohl einen dicken Japaner gesehen, der einen Hentai mit seinen Wurstfingern durchblättert und gierig die pornographischen Zeichnungen aufsaugt, als auch einen gewöhnlichen Jugendlichen, der zu seinen Lernsachen noch einen Hentai kauft oder einen Geschäftsmann, der kritisch vor dem Regal steht und sich noch nicht entschieden hat, ob es die großbrüstige Sekretärin im mittleren Alter oder doch lieber die innig küssenden Schulmädchen bevorzugt. Jetzt ist man verleitet zu denken, dass es in Japan einen übermäßig lockeren Umgang mit Sexualität und Körperlichkeit in der Öffentlichkeit gibt. Im Gegensatz zu den Hentai habe ich allerdings festgestellt, dass in der Werbung Sexualität überhaupt nicht thematisiert wird. So gibt es hier weder Werbeplakate von Männern, die mit nacktem Oberkörper für Mineralwasser werben, noch junge Frauen im knappen Bikini, die zeigen sollen, wie glücklich man im Ausland ist, wenn man besagte Reisegesellschaft wählt. Nackte Haut habe ich hier in der Werbung wirklich noch nirgends gesehen. Ob man die Japaner nun als pervers, verklemmt, gegensätzlich oder schlichtweg anders empfindet, bleibt jedem wohl selbst überlassen.
Der Süßigkeitenladen, den ich beim Umherlaufen entdeckt habe, ist eine wahre Goldgrube (für die Hüfte). Man findet hier alles von knatschigen Gummitierchen, über Gebäckstücke, bis zu verschiedensten Chips und Kräckern. Soweit ich es erkennen konnte, war ein Regal sogar süßen Fleisch- und Fischknabbereien gewidmet. Aber ein wenig obskur fand ich es schon kleine Fischchen zu trocknen und einzuzuckern. Ich bin auf Nummer Sicher gegangen und habe mir eine Packung voller kleiner Kuchen mit Schokoüberzug und eine Packung traditioneller Reiskräcker gekauft. Beides schmeckt sehr gut und ist perfekt für den Hunger zwischendurch.
Auf dem Rückweg begegnen mir dann drei Leute, die stolz ihre Hunde ausführen. Dachte ich bisher noch, dass es in Japan kaum Haustiere gebe, wurde ich bereits in den ersten Tagen eines Besseren belehrt: Das Geschäft mit den Haustieren boomt. In den Supermärkten sieht man meist eine ganze Regalreihe voller Hunde- und Katzenfutter. Beim Laufen durch Soka stolpert man förmlich über die vielen Hunde, die hier gehalten und ausgeführt werden und auch in den Buchhandlungen sind die Ratgeber für den Tierbesitzer nicht zu übersehen. Mit Hunderassen kenne ich mich leider kaum aus, daher kann ich nur sagen, dass ich hier nur kleinere Hunde (etwas größer als Katzen) gehalten werden. Auch wenn es unbegründet ist, wirkt es auf mich ein wenig so, als wären die Hunde meist eine Art modisches Accessoire, dass sich nur die Besserverdienenden leisten können. Einen streunenden Köter oder einen alten Hund, der neben seinem Herrchen hertrottet, habe ich bisher nämlich noch nicht gesehen. Aber wenn das auch nicht stimmen muss, so sind doch zumindest die drei Hundebesitzer eilig mit ihren Hunden durch die Straßen stolziert, um jeden zu zeigen welch wohl erzogenen Hund sie doch haben. Darum habe ich auch diskret weggesehen, als der Hund der einen Dame an einen Strommast pinkelte, sie ihn eilig wegzog, sich ertappt umblickte und dann schnell wieder zu den anderen Beiden aufholte, die erhobenen Hauptes mit ihren Hunden weiterstolziert waren.
Am Abend bin ich dann noch zu der Wohnung meines Nachbarn gegangen und habe nach Mike gefragt. Eine Freundin hatte netterweise einige ihrer ausrangierten Gebrauchsgegenstände bei ihm abgegeben, die ich dankend in Empfang nahm. So bin ich nun im Besitz eines Reis- und eines Wasserkochers. Zum Abendessen gab es dann auch ganz traditionell japanischen Reis.
Samstag, 20. September 2008
Ein Tag im Supermarkt
So ist Soka
Seltsamerweise bin ich gar nicht müde, obwohl es nun schon bald 4 Uhr morgens in Deutschland ist. Doch all die neuen Eindrücke und die strahlende Sonne verleihen ein Gefühl von Frische und Lebendigkeit. Ich fotografiere, um auch die kleinen Dinge festzuhalten: die andere Vegetation am Straßenrand, die Felder jenseits der Autobahn, der Blick auf kleine Bäche, die sich durch ein verwildertes Wäldchen schlängeln, verrostete Lagerhäuser, das Meer, dass sich hinter der Stadt abzeichnet. Wenn ich all das einordnen müsste, würde ich sagen, dass es wie eine Mischung aus Deutschland und Spanien war. Warum? Das lässt sich schwer sagen, vielleicht erkennt man es auf den Bildern, wenn einige etwas geworden sind. Mein Magen macht sich allmählich bemerkbar und glücklich esse ich das Twix, dass ich von Dominics Mutter bekommen habe. Nachdem der Bus einige Zeit durch ländlichere Gegenden gefahren ist, dringt er in das Großstadtgebiet vor. Und irgendwann muss ich wohl irgendwo im Raum angekommen Tokyo sein, denn am Horizont zeichnet sich eine Skyline ab, die von unzähligen Hochhäusern geprägt ist. Auf einer riesigen Brücke fährt der Bus über einem Meeresarm. Oder ist es ein breiter ruhiger Fluss? Ich weiß es nicht. Der Verkehr beginnt zu stocken und schließlich steht der Bus im Stau. Während die japanischen Fahrgäste immer noch schlafen, versuche ich die Werbebanner und Logos zu entziffern, die auf den langsam vorbeirollenden LKWs neben mir stehen.
Bild1: Blick auf eine ländliche Gegend durch das Busfenster.
Bild2: Blick aus dem Bus auf die Straße
Bild3: Mein erster Blick auf Tokyo
Bild4: Shimizu-mansion, mein Wohnheim. Ich wohne dort, wo die gelben T-Shirts hängen.
Bild5: Blick auf Soka von meinem Balkon aus
Um kurz vor 14 Uhr höre ich jemanden an der Tür, es ist ein unbekannter Junge, der sich als Michael aus Bremen herausstellt, ebenfalls Austauschstudent. Erst denke ich, dass er mein Mitbewohner wäre, doch das Missverständnis klärt sich schnell, denn er wollte eigentlich zu meinem Mitbewohner. Letztlich geht er gemeinsam mit Izumi, Shinya und mir durch Soka, wobei ich ihn über meinen Mitbewohner ausfrage. Das soll wohl irgendein Chinese sein, der kein Englisch kann. Einerseits könnte man so gut trainieren Japanisch zu reden, andererseits dürfte es wegen der Kommunikationsbarriere schwer sein eine Freundschaft aufzubauen. Nach 10 Minuten Fußmarsch erreichen wir die Dokkyo-Universität, mein Studienort für die kommenden 12 Monate. Ich werde ein wenig herumgeführt und darf schließlich in der Bibliothek über Izumis Uniaccount kurz ins Internet, denn bisher habe ich ja weder im Wohnheim, noch an der Universität Internetzugang. Mir fällt keine eMailadresse ein, und so antworte ich eilig auf eine eMail von Dominic. Danach führen Izumi und Shinya mich und Michael in ein nahes Einkaufszentrum, in dem ich mir ein par Putzsachen für die Wohnung kaufe. Praktischerweise gibt es in Japan haufenweise 100 Yen Shops in denen man für 100 Yen (ungefähr 70c) fast alles bekommt. Zunächst bezahle ich noch bequem mit einem Schein, doch schon bald komme ich in Bedrängnis und muss mit Kleingeld bezahlen, was schwierig ist, wenn man die Währung noch nie zuvor gesehen hat. Dazu kommt noch, dass die Verkäufer bei jedem Einkauf einen Schwall Servicejapanisch zum Besten geben, auf den ich (wie schon bei der Dame, die sich entschuldigt hat) nichts zu erwidern weiß. Also stehe ich da, lächle und nicke ein wenig. Ich frage Izumi wie ich zu reagieren habe und sie winkt ab: Es genüge, wenn ich einfach kurz nicke, wenn ich das Wechselgeld erhalte. Mehr machen Japaner auch nicht. Um 17 Uhr muss Shinya gehen und mit ihm auch Izumi, also laufe ich mit Michael wieder zurück zum Wohnhein. Den Weg zwischen Wohnheim, Universität und Einkaufszentrum habe ich mir bereits eingeprägt. Später abends treffe mich noch einmal mit Michael, um in einem nahen Laden etwas Essen und Trinken zu kaufen. Da ich vieles nicht identifizieren kann, nehme ich einfach das billigste Getränk und das billigste Fertiggericht, lächle beim Bezahlen und übersetze Zuhause die Anleitung für mein Fertiggericht. So esse ich abends Yakisoba, also Nudeln mit Soße, und trinke kalten, grünen Tee. Yakisoba schmeckt sehr gut, der kalte Tee ist gewöhnungsbedürftig. Obwohl ich trotz des Jetlags lange aufbleiben wollte, um möglichst schnell in meinen neuen Tagesrythmus zu finden, werde ich ab 20 Uhr unglaublich müde. Ich lege mich in mein Bett, höre auf den Lärm des Verkehrs, das Zirpen der Zikaden und das Brummen der Klimaanlage, dann schlafe ich ein.
Bild6: Yakisoba-Varianten. Zubereitet sieht es genauso aus wie auf dem Cover.
Die Geschichte eines Einzelnen
Ich möchte dieses Blog meiner Familie und meinen Freunden widmen, um sie an meiner ganz persönlichen Geschichte teilhaben zu lassen, die in just jenem Moment begann, in dem ich am Flughafen um die Ecke bog:
Flug LH710 ab Frankfurt am Main, Deutschland, nach Narita, Japan. Abflug um 13:55. So steht es auf meinem Ticket. Als boarding time wird 13:10 angegeben. Da ich allerdings fast nie fliege, kann ich mit dem Begriff nicht wirklich viel anfangen. Mein letzter Flug liegt bereits einige Jahre zurück, Kursfahrt nach Malta in der Oberstufe. Da musste man aber nicht viel selbst denken, sondern konnte dem Tutor und den anderen aus dem Kurs hinterherlaufen. Fliegt man doch einmal vollkommen auf sich alleine gestellt, ist man viel verunsicherter. Man hat weder Routine, noch jemanden, den man mal schnell befragen kann. Ziemlich aufgeregt gehe ich um die Ecke und nähere mich der obligatorischen Durchsuchung. Eine lange Reihe von Menschen steht bereits dort und wartet. Und schon beginnt die Aufregung:
‚Das wird sicher 10 Minuten dauern! Aber dann ist ja schon 13:10 Uhr! Muss ich da denn nicht schon an Bord gehen?’
Das Warten in der Schlange scheint eine Ewigkeit zu dauern und als ich endlich dran bin, muss ich schnell den Gürtel ausziehen und meinen Laptop aus dem Handgepäck packen. Irgendwelche Bestimmungen. Obwohl es niemand ausspricht, merkt man doch, wie die Menschen hinter einem innerlich aufstöhnen: ‚Wieder jemand, der seinen Laptop noch nicht ausgepackt hat und jetzt so lange braucht.’ Hektisch lege ich alles in die Kisten zum Durchleuchten und trete durch das Tor: PIIIEP! Man steht unter Druck, die anderen Warten und dann so etwas. Solange ich warten muss, bis ich einzeln durchsucht werde, rückt meine Schlange nicht weiter voran. Ich spüre förmlich wie mich die Blicke derjenigen, die hinter mir stehen, durchbohren. Als ich dann in einer kleinen Kabine abgetastet werde, kann ich nicht erkennen, warum ausgerechnet ich aus der Schlange herausgezogen wurde. Meiner Einschätzung nach piepst das Werkzeug des Flughafenbeamten einfach die ganze Zeit vor sich hin. Dann wird er ganz angespannt als er den Anhänger meiner Halskette sieht: „Na der ist ja ganz schön spitz!“. In Gedanken verabschiede ich mich bereits von meinem Andenken an Malta als ich frage „Soll ich die Kette ablegen?“. Der Beamte sagt kein Wort und tastet mich ab. Irgendwann schiebt er mich einfach weiter. Kein Wort, ob die Untersuchung abgeschlossen ist oder ich noch warten soll. Da er aber offensichtlich kein Interesse mehr an mir hat, gehe ich schnell zu meinen Kisten, packe hektisch meinen Laptop in den Rucksack, stecke den Gürtel in meine Tüte und renne Richtung Gate B46.
Den Schildern ist leicht zu folgen, doch mein Gate scheint immer weiter nach hinten zu rücken. Ich haste den Gang entlang, bis ich nach einigen Minuten die Passkontrolle sehe. Es muss bereits 13:20 sein und ich stehe am Ende einer endlos langen Schlange von Menschen, die alle ins europäische Ausland reisen wollen. Während ich anstehe und gezwungen bin ruhig zu warten, achte ich bereits auf die Durchsage, die mir mitteilen könnte, dass ich mich dringend zu Gate B46 begeben soll, doch keine Durchsage kommt. Als ich endlich durch die Kontrolle bin, haste ich den Gang weiter...
...und weiter...
...und weiter...
Und dann am Ende, ja wirklich am Ende, ist Gate 46. Ohne Scherz das allerletzte Gate. Und endlich setzt Erleichterung ein, da noch eine kleine Schlange darauf wartet in den Warteraum zu dürfen. Ich stelle mich an, ziehe mir möglichst unauffällig auch meinen Gürtel wieder an, damit sich meine Hose nicht noch weiter herabsenkt und warte wieder einmal. Nachdem ich nochmals mein Ticket und meinen Pass vorgezeigt habe, stehe ich in der Wartehalle für meinen Flug. Um mich herum sitzen und stehen unzählige Japaner, größtenteils Geschäftsleute, die darauf warten an Bord gehen zu dürfen. Die Aufregung und der Stress der letzten Tage, ja Wochen, fällt ab und ich stelle mich ans Glasfenster und beobachte die Flugzeuge. Man denkt noch mal über so vieles nach bevor man letztlich an Bord geht: Man denkt an Japan, an so viel Neues, man denkt aber auch an alles, was man nun zurücklässt.
Und dann geht es los. Man wird von den Menschenmassen mit ins Flugzeug geschoben, quetscht sich in seinen Sitz und schaut auf den Flughafen. Mit 15 Minuten Verspätung hebt das Flugzeug dann ab. Man merkt wie die Räder den heimischen Boden verlassen und blickt solange aus dem Fenster bis man Deutschland durch die Wolken nicht mehr sehen kann.
Auf Wiedersehen Deutschland.
Die folgenden 11 Stunden werden zu den unangenehmsten meines Lebens. Es ist nicht so, dass der Service schlecht wäre, oder man einen unangenehmen Sitznachbarn hätte, aber Flugzeuge scheinen einfach nicht für große Menschen mit langen Beinen gemacht worden zu sein. Schon nach wenigen Minuten wird meine Sitzposition unbequem und ich winde mich in meinem Sitz hin und her. Doch es wird und wird nicht besser. Und so kann ich im Gegensatz zu den meisten Japanern nicht einfach einschlafen, sondern hänge zusammengefaltet am Fenster und schaue erst die Chroniken von Narnia (der Neue) und dann irgendeinen Steinzeitfilm. Zwischendurch blättere ich durch den Reiseführer und beobachte die anderen Passagiere. Etwa 80 % von ihnen sind Japaner. Viele von ihnen spielen Nintendo DS, einige auch Playstation Portable. Einige reden leise auf Japanisch, doch verstehen kann ich fast nichts. Da ich vegetarisch bestellt habe, bekomme ich mein Essen immer zuerst ausgeteilt und habe mehr als doppelt so viel Zeit für mein Brötchen, meine Früchte, meine Nudeln und meine Miniflasche Mineralwasser als alle anderen. Die Flugroute geht über die Ostsee, Russland, China. Irgendwann geht die Sonne in Osteuropa unter, um dann wenige Stunden später über China wieder aufzugehen. Und dann sieht man wie sich das Flugzeug endlich von Norden her den japanischen Hauptinseln nähert. Noch ist es bewölkt, doch plötzlich reißt die Wolkendecke auf und ich kann meinen ersten Blick auf Japan werfen. Und mir schießt durch den Kopf: Das sieht aus wie Deutschland. Wälder und Felder. Straßen, die sich von Dorf zu Dorf winden. Kleine Seen und einzelne Gebäude. Selbst beim Landeanflug auf Narita kommt mir alles sehr vertraut vor. Keine wilden Urwälder, keine dicht besiedelten Wohnflächen.
Und dann steige ich aus und bin in Japan.
Willkommen in Japan!
Zuerst bemerke ich, dass es heiß und schwül ist. Aber ansonsten sieht alles aus wie in Frankfurt. Nur die Schilder sind nun auf Japanisch beschriftet; Darunter prangt Chinesisch und Koreanisch und schließlich Englisch. Ich folge einfach der Masse und komme wieder zur Passkontrolle. Und hier findet meine erste Begegnung mit einer fremden Kultur statt: Der ordnungsverliebte japanische Flughafenbeamte. Mit spärlichem Englisch dirigiert er jeden Ausländer an einen Schalter: „ Sebentiiin. You two go to....schikks. And you....eee...twallf.“ Die Ausländer belächeln ihn, doch jeder merkt, dass man eine Respektsperson vor sich hat und so lässt sich jeder bereitwillig zu einem Schalter dirigieren statt selbst zu einem freien zu gehen. Neben der Passkontrolle muss ich gleich noch Fingerabdrücke und ein Foto machen. Neue Bestimmungen seit Beginn des letzten Jahres. Dann steige ich eine Treppe herab und bin bei der Kofferausgabe. Dank meines Kofferbandes kann ich meinen Koffer schnell identifizieren und verlasse die Ankunftshalle. Ein wenig enttäuscht bin ich schon, dass niemand mit einem „David Kraft“-Schild auf mich wartet, sondern ich auf eigene Faust nach Soka zu meinem Wohnheim fahren muss. Es ist bereits 9.00 und ich muss noch Izumi anrufen, die Japanerin, die mich in Soka empfangen soll. Ich weiß, dass mein Bus gegen 9.15 abfahren soll, also plane ich schnell anzurufen und dann den Bus zu nehmen. Doch es gibt ein Hindernis, dass ich nicht bedacht habe: Telefonieren in Japan. Leider hat sich wohl niemand die Mühe gemacht die Erklärungen an den Telefonen zu übersetzen und so stehe ich minutenlang vor einem öffentlichen Telefon und versuche jemanden anzurufen. Schließlich nehme ich meinen Mut zusammen und spreche mit einigen vorbereiteten japanischen Sätzen eine Dame an, die in der Nähe steht. Und zu meiner Überraschung ist sie überaus hilfsbereit, spricht sogar auf Englisch, damit ich alles besser verstehen kann. Nachdem auch sie Probleme mit dem Telefon hat, gelingt es uns schließlich gemeinsam einen Anruf zu tätigen. So rufe ich Dominic in Marburg an, um zu berichten, dass ich gut angekommen bin. Wegen der 7 Stunden Zeitverschiebung ist es dort erst 2 Uhr morgens. Danach kaufe ich am Schalter Tickets für den Bus, der mich nach Soka bringt, rufe Izumi an (ich traue mich nur auf Englisch zu sprechen) und trete schließlich durch den Flughafenausgang ins Freie. Und erst jetzt als mir die warme Luft ins Gesicht schlägt und die Sonne auf mich strahlt, wird mir bewusst, dass ich in Japan angekommen bin.
Während ich auf meinen Bus warte (ich musste den Nächsten nehmen, da ich zu lange am Telefon gebraucht habe) atme ich tief durch und versuche so viele Eindrücke wie nur möglich aufzusammeln. Die Busse, die ankommen und abfahren. Die Jugendlichen in den grauen Uniformen, die beim Gepäck umladen helfen. Die Reisenden, die warten. Die Durchsagen, die den kommenden Bus ankündigen. Ich sauge es alles auf wie ein Schwamm und versuche es in meinen ersten Fotos festzuhalten. Und dann kommt bereits der Bus. Lächelnd gebe ich dem Jugendlichen in der grauen Uniform mein Gepäck, steige ein, setze mich an die Scheibe und blicke glücklich aus dem Fenster heraus.
Ich bin in Japan.
Ich bin endlich in Japan.