Donnerstag, 30. Oktober 2008

Theorie und Praxis

In meinem Bewerbungsschreiben für mein Austauschjahr habe ich angegeben, dass ich zwar schon seit drei Jahren Japanisch an der Universität lerne, aber selten Möglichkeiten finde das Erlernte in der Praxis anzuwenden und darum in Japan insbesondere meine Sprachkompetenz verbessern möchte. Das klingt sehr gut, macht Eindruck auf die Dozenten und ist durchaus ein erstrebenswertes Ziel. Was ich schrieb, war auch durchaus ernst gemeint und ich war bis vor einigen Wochen auch fest überzeugt gewesen, dass ich nach meinem Japanjahr auf wundersame Weise Japanisch sprechen könnte. Konkrete Pläne zur Sprachpraxis hatte ich aber nie. Nach einigen Wochen in Japan bin ich nun zu der Einsicht gekommen, dass man im Sprachunterricht und durch die ständige Beschallung mit japanischer Werbung zwar einige nützliche Formulierungen lernt und sein Vokabular erweitern kann, man aber im aktiven Sprechen kaum voran kommt. Die Sprachkompetenz fällt leider nicht vom Himmel, weshalb man durch die bloße Gegenwart in Japan nicht besser wird. Also ergriff ich selbst die Initiative und entschied mich in direkten Austausch mit Japanern zu treten. Zwar kannte ich bereits einige Japaner, mit denen ich mich hin und wieder traf, doch meist redete man doch nur Englisch, weil man sich in dieser Sprache schlichtweg sicherer fühlt. Mein Ziel war also mich gezielt zum Japanischsprechen zu treffen. Also schrieb ich Tak, dem Japaner, den ich beim Wandertag kennengelernt hatte eine eMail, um mich zu einer japanischen Konversation zu verabreden. Allerdings fiel das Treffen mit ihm nicht einfach aus heiterem Himmel, denn seit dem Wandertag hatte ich Tak bereits mehrmals in der Mensa oder im International Center gesehen und jedes Mal konnte man das gleiche Szenario beobachten: Man redet kurz, sagt "Lass uns mal treffen" mehr aus Freundlichkeit als aus Überzeugung und geht wieder getrennte Wege. Doch mit der eMail hatte ich es mir selbst bewiesen: Ich war bereit für ein Gespräch komplett auf Japanisch.
Am Montag traf ich mich mit Tak im International Center. Seit dem Wandertag hatte ich ihn als etwas frechen und direkten Japaner in Erinnerung, der zwar etwas abgedreht, im Großen und Ganzen aber doch recht nett und sehr lustig war. Irgendwie hatte ich ihn ein wenig als den Außenseiter in Erinnerung, darum war ich umso überraschter, als er im International Center zunächst zielstrebig auf einen der Verantwortlichen zuschritt und nach einem sehr lockeren Gespräch mit viel Lachen und Schulterklopfen Geld für seine gemeinnützige Arbeit erhielt. Wie sich bald bestätigte war Tak keineswegs der abgedrehte Aussenseiter, im Gegenteil, er schien einer der engagiertesten Studenten zu sein, die für das International Center tätig waren. Hatte ich anfangs noch gedacht, ich würde mit ihm ein wenig über den Campus laufen und dabei ein wenig japanische Smalltalk betreiben, zeigte sich schon bald, dass Tak ein erfahrender aber auch knallharter Japanischlehrer war. Dass er wohl schon mit vielen Ausländern Japanisch gelernt hatte, merkte ich nicht nur daran wie zielstrebig er mir Fragen stellte, mich verbesserte und mein Hörverständnis testete, sondern auch daran wie viele andere Ausländer er im Laufe unseres Gesprächs grüßte. Und nun konnte ich auch endlich das Bild, das ich am Wandertag von ihm erhalten hatte revidieren: Seine Direktheit war keinesfalls bösartig gemeint gewesen, vielmehr wollte er mich dazu bringen Japanisch zu reden, was er auch in unserem Gespräch unerbitterlich versuchte. Nur wenn ich mir gar nicht zu helfen wußte, lies er eine kurze Frage auf Englisch zu. Sonst wiederholte er unermüdlich, dass ich versuchen solle mich irgendwie in Japanisch ausdrücken. Insgesamt war das Gespräch für mich eine totale Blamage, da es mir vor Augen führte, dass mein aktives Sprachvermögen noch in den Kindeschuhen steckte. Innerhalb der ersten halben Stunde stammelte ich Sätze zusammen, mit denen ich in meinem ersten Semester mit Pauken und Trompeten durch die Sprachprüfung gefallen wäre. Da half es auch nicht, dass mir die Situation doch ziemlich gezwungen vorkam: Man setzte sich hin und musste sich mit einer fast fremden Person 90 Minuten lag unterhalten. Noch dazu sprach ich fast alleine, da Tak es irgendwie schaffte das Gespräch immer wieder auf mich zurückzuwerfen, so dass ich fast die ganze Zeit das Gefühl hatte irgendetwas sagen zu müssen, damit das Gespräch nicht zum Erliegen kam und in einer peinlichen Stille endete. Da ich von mir selbst enttäuscht war, hatte ich keine Hemmungen zu sagen, wie schlecht ich mein Japanisch fand, woraufhin Tak lächelnd antwortete: "Quatsch, dein Japanisch ist doch sehr gut.". Da starrte ich ihn ernst durch meine zusammengekniffenen Augen an und sagte ziemlich direkt: Nein, mein Japanisch ist nicht gut. Tak grinste noch breiter und erwiderte eiskalt: "Du hast recht, dein Japanisch ist wirklich nicht sehr gut.".
Und da hatte ich es: Mein Japanisch war grottenschlecht und ich spürte förmlich wie mein Selbstbewußtsein knackste. Vollkommen desillusioniert stotterte ich weiter meine Sätzen vor mich hin und schämte mich in Grund und Boden. Und als ich dachte, dass es gar nicht mehr peinlicher werden könnte, stand Tak auf, lief zu einer Japanerin, bat sie zu mir und sagte, dass ich mich vorstellen solle. Vollkommen überrumpelt spulte ich meine auswendig gelernten, japanischen Sätze ab, doch schon nach meinem letzten Satz ging auch hier das peinliche Gestotter los. Während ich an ein paar Fragen bastelte, schaute mein Gegenüber ziemlich verstört und gelangweilt. Immer wieder fragte sie nach, was ich denn gesagt hätte, und hörte irgendwann nur noch abwesend meinem Gestammel zu. Dann endete das Gespräch schließlich nach einigen Minuten in einer peinlichen Pause und ich log abschließend wie toll und interessant das Gespräch doch gewesen sei. Ja, das fand sie auch, log sie höflich zurück und ging steif zu ihren Freundinnen zurück. Während ich spürte wie sie sich vor ihren Freundinnen über mich ausließ, schaute mich Tak an und sagte langsam: "Das war...schlecht. Das war...wirklich schlecht." Wie ein Häufchen Elend saß ich da und hörte mir an, dass ich zuviel dachte und einfach spontan etwas sagen sollte. ich sollte bessere Themen anschneiden und viel mehr auf meinen Gegenüber eingehen. Irgendwann fragte ich mich, ob ich überhaupt noch im Konversationstraining war oder bei einer Persönlichkeitsberatung. Verzweifelt klammerte ich mich an den letzten verblieben Strohhalm und versicherte Tak, dass ich im Leseverständnis wirklich viel besser sei, als im freien Gespräch. Ohne zu zögern bat er mich mein Lehrbuch herauszuholen, eine beliebige Seite aufzuschlagen und zu übersetzen. Ich bereute, dass ich überhaupt begonnen hatte meine Ehre zu retten und begann den japanischen Text vorzulesen. Und während ich nur so durch die Zeilen flog und alles beim Lesen im Kopf erst ins Deutsche, dann ins Englische übersetzte und schließlich laut wiedergab, merkte ich wie Taks Kinnlade herunterklappte. Immer und immer wieder bat er mich noch den nächsten Satz zu übersetzen und konnte sich gar nicht satt hören. Erst als ich den gesamten Text übersetzt hatte, blickte ich zu ihm auf und er schaute mich verwirrt an. Konnte er anfangs so überhaupt keine Verbindung zwischen meinem Konversationsgestammel und meinem flüssigen Vorlesen und Übersetzen herstellen, verstand er nach mehreren Erklärungsversuchen, dass ich keineswegs ein Langzeitstudent war, der in den letzten Jahren nichts gelernt hatte, sondern dass ich in meinem Studium nur die Theorie gelernt, aber nie die Brücke zur Praxis geschlagen hatte. Er hielt kurz inne und sagte dann: "Hier in Japan ist es genau das Gleiche mit dem Englischen. Wir lernen nur die Theorie und können Texte sehr gut verstehen, aber wenn wir frei Sprechen müssen, bekommen wir kaum ein Wort heraus. Als ich nach England ging, habe ich kaum etwas sagen können, obwohl ich all die Theorie irgendwo in meinem Kopf hatte.", "Und wie hast du es geschafft so gut Englisch sprechen zu können?" Da grinste Tak wieder auf seine typische Art und Weise und sagte nur kurz "Übung.". Und wieder einmal hatte ich das Gefühl, dass ich Tak zuvor vollkommen falsch eingeschätzt hatte. Er hatte nie die Absicht mich bloßzustellen oder mir zu zeigen, dass ich kein gutes Japanisch konnte. Sein einziges Ziel war es mir zu helfen mein Japanisch zu verbessern und mich dazu zu bringen die Hemmschwelle zu überwinden, die man hat, wenn man in einer anderen Sprache spricht. Bis er gehen musste, sprachen wir wieder auf Japanisch, doch diesmal nahm ich jede Korrektur, die er an meinen Sätzen vornahm, zu Herzen. Mit Händen und Füßen versuchte ich etwas auf Japanisch zu erklären, um möglichst nicht ins Englische auszuweichen. Und auch als er beim Verabschieden ganz sachlich feststellte, dass ich viel mehr Japanisch sprechen müsse, wußte ich, dass er recht hatte und es gut meinte. Somit war Tak ein harter, aber guter Lehrer.
Als ich mich am Abend mit Katharina traf, versuchte ich gleich einiges von meinem Gespräch in die Tat umzusetzen und schlug ihr vor, den Rest des Abends auf Japanisch zu sprechen. War sie Anfangs noch ziemlich skeptisch, lies sie sich doch bald darauf ein und so liefen wir quer durch Soka, während wir irgendwie versuchten ohne unsere Muttersprache miteinander zu kommunizieren. Und es klappte. So hatte ich an diesem Tag etwas ganz anderes gelernt, als nur die ein oder andere Floskel oder ein paar Umgangsformen im Gespräch mit Jugendlichen: Ich hatte zum ersten Mal die Angst verloren auf Japanisch zu sprechen. Die ständige Angst Fehler zu machen, ausgelacht zu werden und sich zu blamieren, war der Gewissheit gewichen, dass ich bereits längst alles konnte und es nur schaffen musste es in die Tat umzusetzen. Und natürlich passieren dabei Fehler, das ist ganz klar. Aber wovor sollte ich Angst haben? Ich bin schließlich hier, um es zu lernen.

Mittwoch, 29. Oktober 2008

Leere Plätze

Heute blieb im Sprachkurs einer der Plätze unbesetzt. Nicht etwa weil jemand krank geworden war oder sich ein langes Wochenende machen wollte, nein, der Platz blieb unbesetzt weil einer der Kursteilnehmer den Sprachkurs verlassen hatte. Und dieser jemand war mein Mitbewohner Yosuke. Schon vor dem Sprachkurs wußte er, dass er mit den anderen nicht mithalten konnte, schließlich hatte er Japanisch nur nebenbei studiert und niemals als Studienschwerpunkt gehabt. Nach einigen Wochen harter Arbeit und stundenlanger Nachhilfe bei befreundeten Japanern sah er schließlich ein, dass ihm der Sprachkurs über den Kopf gewachsen war und er den Lernstoff unmöglich aufholen konnte. Vielleicht waren es die bissigen Kommentare von Frau Fukuda, vielleicht auch die bevorstehende Präsentation, die das Zünglein an der Waage darstellten und Yosuke dazu bewegten ab heute in den Unterkurs zu wechseln. Seiner Aussage zufolge gefällt es ihm im Unterkurs auch besser, schließlich ist er nun für die anderen Grundkursteilnehmer der Japanischprofi, zu dem man gehen kann, wenn man Fragen hat. Und so drückt er seit heute gemeinsam mit Lee die Bank des Grundkurses, während im Mittelkurs ein Platz leer bleiben wird.
Da ich am Vortag endlich mein Konto eröffnet habe, ging ich in der Mittagspause stolz mit meinen gesamten Bankunterlagen ins International Center, um mich nun genauer über mein Stipendium zu erkundigen. Während ich meine Unterlagen vor mir auf den Tresen legte, begann ich meinen zurechtgelegten Satz abzuspielen: "Ich habe eine Frage bezüglich des Stipendiums...". Wie gewohnt unterbrach mich die zuständige Sacharbeiterin, da sie wohl darauf trainiert war Ausländer nicht in die Verlegenheit zu führen einen Satz grammatikalisch richtig zu beenden zu müssen. Während sie meine Unterlagen durchblätterte und sich das Büchlein mit meinen Kontobewegungen herauspickte, fragte sie nach meinem Namen und verschwand kurz darauf am Kopierer. Danach kam sie zurück und verkündete mir, dass mein gesamtes Stipendium bis zum 8. November auf mein Konto überwiesen werden würde. Sie lächelte kurz, nickte mir zu, setzte sich auf ihren Bürostuhl und begann möglichst konzentriert auf den Bildschirm zu starren. Ein wenig verdutzt stand ich noch immer hinter dem Tresen, hatte ich doch bisher nicht viel mehr als "Ich habe eine Frage bezüglich des Stipendiums...", meinen Namen und ein paar beipflichtende "Ja." von mir gegeben. Wenn auch das Verhalten der Sachbearbeiterin eindeutig darauf schließen lies, dass das Gespräch an diesem Punkt für sie beendet war, so ließ ich nicht locker, ging um den Tresen herum, schritt zielstrebig auf sie zu und fragte, was mich schon so lange beschäftigte: "Das Stipendium ist nur für ein Semester. Kann ich auch für das kommende Semester ein Stipendium erhalten?" Blickte sie während meiner Frage noch ein wenig skeptisch auf den Ausländer der sich so frech am Tresen vorbeigeschlichen hatte, kam sie wohl zu der Einsicht, dass sie diese Situation wohl am schnellsten mit dem Beantworten meiner Frage beenden könne und tippte wild auf der Tastatur herum. "Sie wurden von Ihrer Heimatuniversität für dieses Stipendium vorgeschlagen. Für das kommende Semester haben wir von Ihrer Universität allerdings noch keinen Kandidaten erhalten, es ist also noch ein Platz frei. Sie müssten sich diesbezüglich mit Ihrer Heimatuniversität in Kontakt setzen.". Wie so oft sitzt meine Universität hinter allem, dachte ich mir und verließ das International Center mit der Hoffnung mein mageres Stipendium doch immerhin verdoppeln zu können.
Am Abend erfuhr ich von Ninja, dass vom Marburger Japanzentrum, an dem ich studiere, Mails an alle Studierenden geschickt wurden, die darüber informierten, dass das Zentrum bis Ende 2010 endgültig geschlossen werden wird. Da alle Studierenden bereits seit Beginn des Studiums wußten, dass dies früher oder später geschehen würde, war ich kaum überrascht. Das einzig Neue war der feste Termin den es nun gab: Ende 2010. Ab diesem Zeitpunkt sollen keine Vorlesungen oder Prüfungen mehr angeboten werden und es wird auch keine Lehrenden mehr geben: Das Japanzentrum existiert dann einfach nicht mehr. Jeder, der nun um meine universitäre Laufbahn bangt, kann aber vorerst beruhigt sein. Meiner Planung nach setze ich mein Studium nach meinem Auslandsaufenthalt zum Wintersemester 2009/2010 fort und werde höchstwahrscheinlich im folgenden Frühjahr meinen Abschluss machen. Und selbst, wenn irgendetwas schief gehen sollte, habe ich noch ein Ausweichsemester zur Verfügung. Viel mehr Gedanken mache ich mir über die Auflösung unserer Bibliothek und die auslaufenden Verträge der Lehrenden. Doch was bringt es jetzt sich hier in Japan den Kopf zu zerbrechen, wenn ich doch nichts ändern kann. Es gibt andere, die mit dieser Ankündigung viel mehr zu kämpfen haben, als ich. So meine Freundin Ninja, die, bedingt durch ihren anderen Studiengang, keine Gewissheit hat ihr Studium überhaupt abschließen zu können. Vielleicht wird sie in zwei Jahren als Einzige noch am Japanzentrum sein und um sie herum nur leere Plätze.

Montag, 27. Oktober 2008

Die Geschichte vom eigenen Konto

Nachdem ich den Mittwoch nach meiner Präsentation größtenteils faul in meinem Zimmer verbracht hatte, machte sich mein schlechtes Gewissen bemerkbar und ich entschloss mich den Donnerstag dem Eröffnen meines japanischen Kontos zu widmen. Allerdings gehören Dinge wie "Das Eröffnen eines eigenen Kontos" zu jenen Dingen, bei denen ich nicht einmal in Deutschland wüsste, wo ich anfangen sollte. Damit ich also nicht vollkommen unvorbereitet in irgendeine japanische Bank gehen musste, tat ich, was in Japan immer hilfreich ist: Man lässt sich von einem Japaner begleiten, der alles regelt und aufpasst, dass man nicht über den Tisch gezogen wird. Und so begab ich mich am Donnerstag, meinem 34. Tag in Japan, mit Lee, Katharina sowie Tomomi und ihrer Freundin Hiro auf den Weg ein Konto zu eröffnen.
Nach einer kurzen Diskussion auf Japanisch, entschieden sich Tomomi und Hiro mit uns zur "Resona"-Bank zu gehen, von der ich zwar noch nie zuvor gehört habe, die aber in Japan recht verbreitet zu sein schien. Es hätte sicher schon Aufsehen erregt, wenn nur eine lärmende Gruppe von jungen Japanern in die Bank gekommen wäre, doch ein ausländischer Riese, der mit vier jungen Mädchen im Schlepptau in die Bank einfiel, zog die Blicke aller Anwesenden auf sich. Gemeinsam liefen wir zur Frau am Hilfeschalter, die versuchte zu lächeln, während sie unsere Gruppe langsam auf sich zurollen sah. Während Katharina, Lee und ich versuchten uns dezent im Hintergrund zu halten, redeten Tomomi und Hiro auf sie ein, bis sie eifrig nickend verschwand und kurze Zeit später mit drei Formularen in der Hand winkend ebenso eifrig nickend wieder angerannt kam. Und so begannen Lee und Katharina mit der Hilfe von Tomomi, sowie ich mit der Hilfe von Hiro die nötigen Formulare auszufüllen. Ging es zu Anfang noch recht schnell voran bei Fragen zu Namen oder zum momentanen Wohnort, so gerieten wir immer mehr ins Stocken, bis wir letztlich an der Frage nach dem Geburtsjahr hängenblieben. In Japan ist ein Geburtsjahr nämlich nicht gleich ein Geburtsjahr. Zwar ist unser westlicher Kalender sehr verbreitet, doch hin und wieder muss man sein Geburtsjahr nach dem traditionell japanischen Kalender angeben, wie in besagtem Dokument. Und diese Datumsangabe hatte es in sich: Sie richtete sich nämlich nach bestimmten Ereignissen, wie beispielsweise der Amtszeit des regierenden Tenno, dem Oberhaupt Japans, historischen Wendepunkten oder ähnlichem. Das Kuriose an dieser Datumsangabe ist, dass nicht einmal die meisten Japaner genau wissen, damit umzugehen. Nachdem Hiro ratlos zu Tomomi gegangen war, Tomomi unsicher eine Dame von Serviceschalter um Hilfe gebeten hatte und diese beschämt zu ihrer Kollegin geschlurft war, standen schließlich 3 Ausländer, zwei junge Japanerinnen, zwei Servicemitarbeiterinnen und einige Schaulustige vor den Dokumenten und rechneten wild durcheinander. Während ich versuchte vergeblich den mathematischen Kapriolen der anderen zu folgen, bemerkte ich eine ältere Dame, die lächelnd in meine Richtung blickte. Ob sie lächelte, weil sie selbst nicht mit der japanischen Datumsangabe umgehen konnte, oder weil sie die Antwort wußte und uns belächelte, weiß ich nicht. Zumindest hatten sich nach einiger Zeit alle teilnehmenden Parteien mit Hilfe eines Taschenrechners auf ein Datum geeinigt und das Formular konnte schließlich, unter ständiger Hilfe der Servicemitarbeiter, zu Ende ausgefüllt werden. Gemeinsam mit Lee, Tomomi, Hiro und Katharina nahm ich auf den Wartebänken vor den Schaltern Platz, hinter denen uns bereits die Bankmitarbeiter misstrauisch beäugelten. Nach kurzer Zeit wurde wir an die Schalter gerufen und ich lief gemeinsam mit Hiro zur zuständigen Bankbeamtin, die uns mit ihrem aufgesetzten Lächeln möglichst herzlich grüßte. Und dann kam mein neuer Namensstempel zum Einsatz: Nach einigen Stempelabdrücken in die dafür vorgesehenen Unterschriftsfelder, musste ich nämlich alle selbst vorgenommen Korrekturen in meinem Formular abstempeln (und das waren nicht wenige). Wie glücklich ich mit meinem eigenen, offiziellen Namensstempel war, konnte ich nicht verbergen und so stempelte ich mit kindlicher Freude immer und immer wieder auf mein Dokument, so dass bereits nach kurzer Zeit auch die Bankbeamtin und Hiro ihr Lächeln nicht länger verbergen konnten und wir alle halb lachend vor dem Dokument saßen. Nachdem ich fast alle Korrekturen mit meinem Stempel bestätigt hatte, fiel der Bankbeamtin dann doch plötzlich auf, dass ich wohl zu viele Fehler gemacht hatte und sie bat mich das gesamte Formular noch ein zweites Mal auszufüllen. Ich fragte mich, warum sie wohl erst nach einigen Minuten auf diese Idee kam, tat aber brav wie mir geheißen ward und schrieb eifrig von Neuem meine Daten in einen der Bögen. Zumindest konnte ich so von Neuem meinen heißgeliebten Namensstempel zum Einsatz bringen. Als die Bankbeamtin dann mit meinem Bogen weglief, wies mich Hiro leise darauf hin, dass ich eigentlich gar nicht befugt wäre meinen Namensstempel selbst zu benutzen und dies eigentlich in den Aufgabenbereich der Bankbeamtin fallen würde. Auf meine Frage warum denn niemand etwas gesagt habe, lächelte sie und meinte, dass ich dies als Ausländer nicht wissen könne und niemand meine offenkundige Freude am Stempeln unterbrechen wollte.
Nach kurzer Zeit kam die Dame wieder und entließ uns mit dem Hinweis, das meine Karte binnen einiger Tage ins Wohnheim geliefert werden sollte. Dankend verabschiedete ich mich von der Bankangestellten und zusammen gingen wir alle noch in das nahgelegene Postamt, um uns wegen dem Versand von Post ins Ausland zu erkundigen. So erfuhr ich, dass der Versand von Post sich rein am Gewicht orientiert und die Größe keinerlei Rolle spielt, zumindest so lange sie keine Maximallänge von 3 Metern überschreitet. Mit diesem Wissen bin ich grübelnd nach Hause gegangen und habe überlegt, welche Weihnachtsgeschenke interessant aber leicht sein könnten...

Samstag, 25. Oktober 2008

Gute Präsentation / Schlechte Präsentation

Präsentationen schienen mir schon seit meiner Schulzeit zu liegen. Stets habe ich gute Leistungen erbracht und niemals grobe Fehler begangen, dennoch war ich im Vorhinein immer aufgeregt und befürchtete das Schlimmste, was natürlich fast nie eintrat. Obwohl ich heute meine lang angekündigte Präsentation halten musste, war ich den ganzen Tag über überraschend ruhig. ich ging weder nervös mein Skript durch, noch prüfte ich alle zehn Minuten, ob noch alle meine Unterlagen vorhanden waren. Vielleicht war ich so gelassen, weil ich schlichtweg wußte, dass ich eine gute Präsentation vortragen würde, in die ich wohl weitaus mehr Energie investiert hatte, als die meisten anderen. Es gab einfach keinen Punkt an dem ich mir unsicher war oder keinen Bereich, von dem ich hoffte, dass niemand danach fragen würde. Und so verlief der Vormittag wie gewohnt: Ich folgte aufmerksam dem Unterricht, ging zwischen den Stunden auf die Toilette und traf mich mit Lee und Katharina zum Mittagessen in der Mensa. Ein ganz normaler Tag, nur dass ich zur dritten Stunde ein wenig früher als gewohnt im Klassenraum erschien.
Frau Fukuda, die strengste Lehrerin von allen, war bereits da und bot an die Technik anzuschließen. Doch hier trat bereits das erste Problem auf: Mein Mac-Laptop war nicht kompatibel mit der Technik, die meine Bilder an die Wand werfen sollte. Was Frau Fukuda sachlich mit einem kurzangebundenen "Pech." kommentierte, brachte mich aber nicht aus der Ruhe und ich legte in aller Ruhe meine Blätter zurecht, startete meinen Laptop und traf alle notwendigen Vorbereitungen, während die anderen Kursteilnehmer einer nach dem anderen in den Raum getrottet kamen. Noch ein letzter prüfender Blick auf die Uhr und ein kurzes Nicken zu Frau Fukuda, dann fing ich an.
Nach einer kurzen Begrüßung reichte ich meine Handouts herum, die alle begierig betrachteten. Ich gab ihnen ein wenig Zeit, dann ging ich auf eine Liste der unbekannten Schriftzeichen ein, die ich hinzugefügt hatte. Mit einigen einfachen Fragen wie "Kennt ihr Nintendo?" und "Was assoziiert ihr mit Nintendo?" begann ich ins Thema einzuleiten und die Aufmerksamkeit der Zuhöhrer auf mich zu lenken. Nach einer kurzen Vorstellung meiner Gliederung, begann ich meinen Text möglichst langsam und betont vorzutragen. Da die Bilder von meinem Laptop nicht an die Wand geworfen werden konnten, lief ich an wichtigen Stellen meines Vortrags mit meinem Laptop in der Hand an den Tischen vorbei und erklärte das Bild, das ich mit mir herumtrug. Nachdem ich mit meinem Vortragsteil fertig war, bedankte ich mich und fragte nach Verständnisfragen oder Meinungen zu meinem Vortrag. Traute sich am Anfang niemand auch nur die Hand zu heben, wurde ich nach kürzester Zeit mit Fragen überhäuft, auf die ich auch meist sehr schnell und gut antworten konnte. Ein wenig ins Straucheln kam ich, als mich Frau Fukuda nach meiner Lieblingsvideospielreihe "The Legend of Zelda" befragte und mich bat für alle eine kurze Übersicht zu geben. Für die Erklärung eines Abenteuerspiels reichte mein Japanisch dann doch nicht aus und so gab ich eine sehr allgemeine und löchrige Übersicht von mir, die ihr aber zu genügen schien. Nach insgesamt 40 Minuten setzte ich mich schließlich auf meinen Platz und wurde mir bewusst, dass es nun endlich vorbei war.
Gleich nach mir war der Chinese Ma, der mir seit dem ersten Tag an der Universität negativ aufgefallen war, an der Reihe. Ohne jegliche Begrüßung begann er in einem Schwall undeutlichem Japanisch seinen Vortrag über ein Kochrezept aus seiner Heimat. Höflich versuchten alle dazusitzen und irgendetwas zu verstehen, um in der Diskussion Fragen stellen zu können, doch es war vergebens. Irgendwann lehnte sich Katharina zu mir und bemerkte gelangweilt, dass die einzigen Wörter, die sie verstehen konnte, Tomate und Ei seien. Mir ging es kaum anders. Irgendwann wurde Ma dann leise und blickte angestrengt auf sein Blatt. Zunächst dachten alle, er würde über die Lesung eines Schriftzeichens nachdenken, doch irgendwann wurde die Pause zu lang und alle schauten sich ein wenig betroffen und ratlos um. Dann ergriff Frau Fukuda das Wort und fragte, ob sein Vortrag denn beendet war, woraufhin er eifrig mit dem Kopf nickte. Nachdem sie innerlich stöhnend langsam den Kopf schüttelte, wies sie ihn darauf hin doch wenigstens das Publikum darauf hinzuweisen nun Fragen zu stellen. Er stand da und nickte wieder eifrig "Ja.". Frau Fukuda saß da, blickte ihn böse an und erwiderte wütend: "Nicht 'Ja.'! Fragen sie ihr Publikum, ob es Fragen gibt!". Ma blickte etwas verwirrt, drehte sich zu uns um und begann irgendetwas auf Chinesisch zu sagen. Da schlug Frau Fukuda einmal mehr die Hände über dem Kopf zusammen, schüttelte energisch den Kopf und begann eifrig sich Notizen auf ihren Bewertungszettel zu schreiben. Und so chaotisch wie die Diskussion begann, ging sie auch weiter. Ma konnte kaum eine Frage beantworten, die ihm gestellt wurde, wußte stellenweise nicht worüber er referiert hatte und redete fast nur auf Chinesisch mit seinen Kommilitonen. So sehr ich mich auch anstrengte, ich konnte nichts Positives an seinem Vortrag finden und auch Katharina meinte nur "Ich hätte ihm ja gerne eine leichte Frage in der Diskussion gestellt, aber ich habe seinen ganzen Vortrag nicht verstanden.". Zum Ende der Stunde gab Frau Fukuda dann ein kurzes Feedback zu den beiden Vorträgen. Wie zu erwarten zerriss sie den Vortrag von Ma in der Luft, während sie zu meiner Überraschung meinen Vortrag in den höchsten Tönen lobte. Vorallem mein Handout und meine Einleitung hatten es ihr besonders angetan und sie so wurde sie nicht müde immer wieder hervorzuheben wie viel besser meine Einleitung, meine Fragestellung, mein Handout und meine Vortragsweise waren.
Erleichtert konnte ich an diesem Tag nach Hause gehen und am Abend zur Feier des Tages mit Katharina zusammen Okonomiyaki zubereiten. Mit einem guten Essen und einem langen Gespräch klang der Abend aus und ich konnte mit dem Wissen ins Bett gehen, dass der allgegenwärtige Stress der letzten Tage nun endlich vorüber war und ich vorerst keine Handouts mehr schreiben, keine Bilder mehr suchen und keine Sprachübungen für mein Skript mehr machen musste. Mit dem guten Gefühl meine erste größere Hürde mit Bravour genommen zu haben, schlief ich ein.

Der schlafende Chinese

Nach einigen Wochen Sprachkurs an der Dokkyo-Universität, weiß man ziemlich genau worauf man sich im Unterricht gefasst machen kann. Man bekommt ein Gefühl für die Lehrer, ihre Unterrichtsmethoden und was man sich erlauben kann, während sie lehren. Montags habe ich immer noch Frau Ezoe, die wie die Wochen zuvor schnell und hektisch durch den Unterricht führt und ihre unverständlichen Erklärungen immer noch mit dem gewohnten "Wardasverständlichjadaswarverständlich." beendet. Da sie wie gewohnt lieber selbst redet, als die Studenten zu Wort kommen zu lassen, sinkt die Mitarbeit der meisten Studenten auf das absolute Minimum hinab. Haben alle in der ersten Woche noch versucht die Augen offen zu halten und möglichst höflich zu lauschen, um eine guten Eindruck zu machen, hörte in der zweiten Woche kaum mehr jemand zu und die Großzahl der Studenten beschäftigte sich unauffällig anderweitig. Mittlerweile macht kaum jemand mehr einen Hehl daraus, dass er sich langweilt und nur im Unterricht sitzt, um keine Fehlstunde eingetragen zu bekommen. Höflich wie ich bin, sitze ich noch immer in der ersten Reihe und versuche halbwegs motiviert mitzuarbeiten, während andere betont gelangweilt in ihre Lehrbücher schmieren oder gleich ganz abschalten und einfach einschlafen. So auch der Chinese Ryou, der sich dermaßen langweilte, dass er es sich an seinem Platz gemütlich gemacht hat und dann langsam eingedöste. Frau Ezoe bemerkte dies zwar, lies ihn aber ruhig weiterschlafen, zumindest vorerst. Denn bei der Erläuterung der Vokabeln für die neue Lektion, benutzte sie ihn als anschauliches Beispiel, um das Verb "jemanden aufwecken" zu erklären. Mit schnellen Schritten ging sie an seinen Tisch und schüttelte ihn kurz an der Schulter. Als Ryou müde die Augen öffnete, sah er vor sich Frau Ezoe stehen, die der Klasse gerade ganz sachlich verkündete "Das ist aufwecken. Ich habe gerade Ryou aufgeweckt.". Dann schritt sie mit ernster Miene wieder an ihr Pult zurück und setzte den Unterricht fort, als wäre nichts gewesen. Währenddessen saß Ryou noch halb eingeschlafen und vollkommen verwirrt an seinem Platz und versuchte sich darüber klar zu werden, warum plötzlich Frau Ezoe neben ihm gestanden, irgendetwas über "aufwecken" erzählt hatte und der ganze Kurs über ihn lachte. Während er die nächsten Minuten mehr schlafend als wach in seinem Stuhl hing, nutzte Frau Ezoe die Situation, um auch gleich noch die neue Vokabel "schläfrig sein" sehr anschaulich zu erklären. Auch wenn der ganze Kurs lachte, blickte Frau Ezoe recht streng, ja regelrecht zornig. Wenn sie auch kein einziges böses Wort über die Lippen brachte und versuchte sich nichts anmerken zu lassen, schien sie es doch nicht so ohne Weiteres wegzustecken, dass die Studenten in ihrem Unterricht einschliefen.
Am Nachmittag holte ich dann meinen Namensstempel ab, um in der kommenden Woche endlich ein Konto für mein Stipendium eröffnen zu können. Ohne Probleme bekam ich meinen ganz persönlichen Namensstempel ausgehändigt, mit dem ich stolz nach Hause lief. Den Abend verbrachte ich dann mit letzten Vorbereitungen für meinen morgigen Vortrag. Noch ein paar Sprechübungen, nochmals über die Bilder in der Präsentation schauen, ein letztes Mal das Handout nach Fehlern durchforsten und gedanklich die Begrüßung und die abschließenden Worte durchgehen. Dann legte ich mich schlafen und konnte, trotz einer nicht zu unterdrückenden Aufregung wegen meiner Präsentation, erstaunlich gut schlafen.

Dienstag, 21. Oktober 2008

Mit Ninja durch Akihabara

In meiner Zeit in Marburg habe ich viele gute Freunde gewonnen. Einer von ihnen ist Ninja, meine Kommilitonin aus den Japanwissenschaften, mit der ich nicht nur mein Studium, sondern auch viele Interessen und Erinnerungen teile. Ich war erleichtert, dass ich trotz der räumlichen Trennung von vielen meiner Freunde wenigstens Ninja in meiner Nähe habe, denn sie ist zur Zeit auch in Japan, wenn auch an einer anderen Universität. Nachdem wir über den gesamten Samstag hinweg ein Treffen planten, war es dann schließlich so weit: Wir entschlossen uns am nächsten Tag gemeinsam mit America, einer unserer Kommilitoninnen, in Akihabara treffen.
Am Sonntag fuhr ich dann das erste Mal vollkommen alleine Bahn. Obwohl eigentlich nichts schief gehen konnte, war ich doch ziemlich nervös. So stand ich fast 10 Minuten in Soka am Bahnhof und überprüfte über zwanzig Mal an der Abbildung des Liniennetzes mit welcher Linie ich wohin fahren musste. Dann nahm ich all meinen Mut zusammen, stellte mich an einen der vielen Verkaufsautomaten und wollte mein Ticket kaufen. Doch als ich nach fast einer Minute immer noch hilflos vor dem Bildschirm stand, gab ich fürs Erste auf und machte Platz für die Japaner, die hinter mir anstanden. Aus sicherem Abstand versuchte ich einen Blick auf die Kaufstrategien der Japaner zu erhaschen und war erleichtert, dass viel ältere Japaner fast genauso hilflos wie ich vor den Verkaufsautomaten standen. Als dann der Ansturm abgeebbt war, stellte ich mich wieder aufgeregt und mit schwitzigen Händen vor den Ticketautomaten und kaufte doch recht flott das Ticket für meine kommende Bahnfahrt. Während der Zugfahrt versuchte ich mich den vielen gelangweilten Japanern anzupassen und starrte stumm vor mich hin. Obwohl ich wert darauf legte so zu wirken, als würde ich jeden Tag fünfmal mit dieser Linie fahren, war ich innerlich doch immer noch ziemlich aufgekratzt und horchte jedes Mal auf, wenn die nächste Haltestelle durchgesagt wurde. Wie zu erwarten kam ich aber doch vollkommen unbeschadet und sogar pünktlich am Bahnhof des Tokyoter Stadtteils Akihabara an. Wie ich bereits in einem älteren Beitrag beschrieben habe, treffen in Akihabara die zwei Bahnlinien aufeinander, die ganz Tokyo durchziehen. Während ich an einem Bahnhof der Tokyo-Metro ausstieg, kamen Ninja und America am Bahnhof der Toei-Subway an. Wer nun denkt, dass ein simpler Marsch zum anderen Bahnhof genügen würde, um sich zu treffen, kalkuliert nicht die Weitläufigkeit der japanischen Bahnstationen ein, die sich unterirdisch über mehrere Hektar erstrecken und es ermöglichen an fast jeder Straßenecke Tokyos ans Tageslicht zu treten. Um ein verzweifeltes Suchen zu vermeiden, hatte ich in weiser Voraussicht Ninja und America angewiesen einfach an ihrem Ausgang stehen zu bleiben. Und nachdem ich fast 20 Minuten durch die Straßen und die Unterführungen Akihabaras geeilt war und alle ober- und unterirdischen Ausgänge abgeklappert hatte, traf ich schließlich Ninja und America.


Bild1: Ninja, America und ich auf einem Gruppenfoto.


Bild2: Und noch ein Gruppenfoto.

Scherzend und Anekdoten austauschend zogen wir durch die Straßen und Geschäfte Akihabaras und fotographierten alles, was uns vor die Linse kam. Wir liefen durch Menschenmassen, vorbei an abertausenden Mangabänden, wühlten in Figurenregalen, durchforsteten CD-Geschäfte und standen begeistert vor dem Angebot von Videospielen. Zwischendurch wurde es uns dann zu hektisch und wir setzten uns mit ein paar günstigen Süßigkeiten in eine ruhige Ecke, aßen, tranken, redeten und fotographierten uns gegenseitig. Obgleich ich in Japan doch viele nette Leute kennengelernt habe und über das Internet oft mit meinen Freunden und meiner Familie kommunizieren kann, so hat mir dieses Treffen mit Ninja sehr gut getan. Einen wirklich guten Freund in seiner Nähe zu haben, ist doch einfach unersetzlich.




Bild3: Nach einer anstrengenden Anreise und mehren Stunden Fußmarsch machen wir eine kleine Pause in einer ruhigen Ecke. 


Bild4: Erlesene Spezialitäten aus dem Hause KitKat.


Bild5: America bevorzugt die Sorte "Exotic Tokyo - White". Interessant, wozu sich der gute alte KitKat-Riegel in Japan entwickelt hat.


Bild6: Ninja und ich testen coole Sonnenbrillen in einem der vielen Kitschläden.


Bild7: Nur ein winziger Blick auf das riesige Sortiment an Videospielen. Hier ein Blick auf die Spieleauswahl der Konsole "Wonderswan", die meines Wissens nie in Europa erschienen ist.


Bild8: Auf mehrfachen Wunsch habe ich Bilder von Akihabara geschossen. Hier die vollen Fußgängerwege vor den vielen kleinen Läden.


Bild9: Eines der vielen Einkaufshäuser auf denen je nach Stockwerk verschiedene Manga, Videospiele, Figurinen oder Kostüme angeboten werden.


Bild10: Einfach nur ein schönes Bild von Akihabara bei Nacht (es war eigentlich erst 17:30 Uhr)


Bild11: Ein größeres Einkaufshaus etwas außerhalb von Akihabara. Auf dem Vorplatz sind auch bedeutend weniger Menschen zu sehen.

Stipendien, Schmetterlinge und Sushi

Nach dem regulären Sprachunterricht ging ich heute ins International Center der Universität, um mich wegen meines Stipendiums zu erkundigen. Nachdem ich Tag um Tag däumchendrehend in meinem Zimmer gesessen hatte und darauf wartete, dass sich mein Geld von alleine vermehren würde, beschloß ich, dass es nun an der Zeit sei die Sache selbst in die Hand zu nehmen. Ich hatte mir extra ein paar Vokabeln und Sätze zurecht gelegt, um möglichst elegant mein Anliegen vorzubringen. Doch kaum trat ich ins International Center, kam eine Bedienstete auf mich zugeeilt und wollte mich wegen des Stipendiums sprechen. Das brachte meine vorbereitete erst-einschmeicheln-dann-nachhaken-Strategie ins Wanken und letztlich stammelte ich doch nur ein paar holprige Sätze vor mich hin. Nichtsdestotrotz konnte die Frau mir glücklich berichten, dass ich ein Stipendium von der Universität erhielt. Mein Herz hüpfte vor Freude und ich war glücklich alleine durch meine guten Leistungen eigenes Geld erwirtschaftet zu haben. Nachdem ich erfuhr, dass das Stipendium etwa 20.000 Yen im Monat umfasste, wurde ich bereits ein wenig stiller. Schließlich sind dies nur etwa 140 EUR, von denen ich die Hälfte an meinen Mitbewohner Yosuke abgeben muss (das wird mir von der Marburger Universität vorgeschrieben). Nun ja, immerhin rund 70 EUR, dachte ich mir. Als mir die Angestellte des International Centers dann aber eröffnete, dass das Stipendium nur für ein halbes Jahr vorgesehen sei, rutschte mein Herz vollends in die Hose. Auf den Monat gerechnet blieben gerade einmal 35 EUR übrig, also grob ein Euro pro Tag. Natürlich bin ich nicht undankbar für das Geld, aber ein wenig mehr finanzielle Unterstützung hätte ich mir doch erhofft. Aber wenigstens kann ich fortan in meinen Bewerbungen immer schreiben, dass ich für meinen Japanaufenthalt ein Stipendium erhalten habe und das kommt ja immer gut an.
Auf dem Rückweg von der Uni, entdeckten Katharina, Lee und ich auf der Straße einen Schmetterling, der nicht mehr fliegen konnte. Da wir Mitleid hatten, nahmen wir ihn und setzten ihn auf eine Pflanze im nächsten Vorgarten. Natürlich erst nachdem wir ihn ausgiebig fotographiert hatten.


Bild1: Der Schmetterling auf Katharinas Hand.


Bild2: Der Schmetterling auf der grünen Pflanze, auf der wir ihn ausgesetzt haben.


Da man ein japanisches Konto benötigt aus welches das Stipendium überwiesen wird, war es für mich und Lee (Sie erhält auch ein Stipendium) unvermeidlich bei einer japanischen Bank ein eigenes Konto zu eröffnen. Dies wiederum geht nur mit einem japanischen Namensstempel, der vergleichbar mit unserer Unterschrift ist. Da wir aber beide sehr unsicher im Umgang mit dem Japanischen sind, und man gerade beim Anfordern eines offiziellen Namensstempel besser keine Fehler machen sollte, planten wir einen Japaner als Dolmetscher in unsere Aktion einzuspannen. Da kam es uns natürlich gerade recht, dass ich mich ohnehin abends mit Shinya und einem seiner Freunde treffen wollte. Und so liefen am späten Nachmittag Lee, Shinya, Katharina, Yuuichi und ich einmal mehr durch das Bahnhofsviertel von Soka um ein Geschäft für Namensstempel aufzusuchen. Mit Shinya als Dolmetscher war die gesamte Bürokratie keine Schwierigkeit und zum Beginn der nächsten Woche konnte ich nun meinen eigenen Namensstempel abholen. Da Yuuichi und Shinya sich entschieden hatten zum Abendessen Okonomiyaki und Sushi zuzubereiten, kauften wir auf dem Rückweg gemeinsam im Supermarkt alle nötigen Zutaten ein. Dabei standen wir dann zwischenzeitlich zu fünft vor dem riesigen Angebot an frischem Fisch in den Kühlregalen und schauten alle nachdenklich. Yuuichi und Shinya, weil sie überlegten welche Fischsorte sie den Ausländern wohl servieren sollten; Katharina, weil sie überlegte wie sie am höflichsten sagen könnte, dass sie gar keinen Fisch aß; Lee und David, weil sie all die Fischsorten nicht unterscheiden konnten und hofften, dass am Abend kein Fisch mit Augen und Flossen auf auf den Sushi lag.


Bild3: Das Geschäft, in dem ich meinen Namensstempel habe anfertigen lassen.


Nachdem wir wieder im Wohnheim waren, machten sich Yuuichi und Shinya sich ans Zubereiten, während ich versuchte möglichst beschäftigt durch die Gegend zu wuseln. Yosuke, der auch mitessen wollte, hatte sich auf sein Zimmer verschanzt, um nicht beim Zubereiten mithelfen zu müssen. Ebenso die beiden Mädchen. Und so stand ich dann ein wenig hilflos neben Yuuichi und Shinya und versuchte mir das ein oder andere abzuschauen. War es zu Beginn noch ein wenig steif und förmlich, entspannte sich die Atmosphäre spätestens nachdem die ersten Okonomiyaki zubereitet waren und sich nach und nach alle Gäste einfanden. Während Shinya mit Yosuke und Michael über Fußball sprach, saß ich mit Lee und Yuuichi vor dem Reis, um ihn mit improvisierten Fächern kaltzuwedeln. Mit Lees Fotoapparat bewaffnet machte ich mich dann daran den amüsanten Abend in Fotos festzuhalten, bis verkündet wurde, dass das Sushi-Buffet nun eröffnet war. Dann durfte jeder der Anwesenden unter Beweis stellen, wie aufgeschlossen er dem kulinarischen Angebot Japans gegenüberstand. Nachdem alle peinlich berührt auf den rohen Fisch äugelten, nahm ich mir ein Herz und aß als Erster den rohen Fisch auf Reis. Und ich muss sagen, dass es gar nicht schlimm war. Der rohe Fisch schmeckte eigentlich nach nichts, weshalb ich auch nicht sagen konnte ob roher Thunfisch, Lachs oder Bonito nun am besten schmecken würden. Vorbildlich steckte ich mir ein halbes dutzend Sushi in den Mund und erntete einen anerkennenden Blick von Yuuichi und Shinya. Als es dann allerdings an die Fischeier ging, verließ mich mein Mut und ich lehnte höflich ab. Lee versuchte ihr Glück an den Fischeiern, stand dann aber ziemlich unglücklich mit vollem Mund mitten im Raum und versuchte vergeblich zu verstecken, dass diese ihr so gar nicht zusagten. Gegen zehn Uhr mussten Shinya und Yuuichi gehen und Katharina, Yosuke und zwei andere Deutsche saßen noch einige Zeit in der Kücke und unterhielten sich. Ich war zu diesem Zeitpunkt bereits wieder in meinem Zimmer und berichtete übers Internet von meinem interessanten Abend.


Bild4: David und Yuuichi beim Kühlen des Reis.


Bild5: Schichtwechsel: Lee und Yuuichi beim Kühlen des Reis.


Bild6: Shinya (links), Michael aus Bremen (mitte) und Yosuke (rechts) beim Gespräch über Fußball.


Bild7: Unser Sushi-Buffet. Ein Pott Reis, dahinter Sojasoße mit Wasabi, die rohen Fischscheiben und die gefürchteten Fischeier.

Sonntag, 19. Oktober 2008

Alien sucht DVD

Gemeinsam mit Lee und Katharina war ich heute in der Stadthalle, um eines der am lustigsten klingendsten Dokumente abzuholen: Die Alien Registration Card. Ich bin nun also ein offizielles Alien in Japan. Trotz der befürchteten Bürokratie, habe ich in der Stadthalle nicht viel mehr gemacht als eine Nummer zu ziehen und zu warten, bis ich aufgerufen wurde. Dann habe ich lächelnd meine Abholbestätigung über den Tisch zu der Beamtin geschoben und brav gewartet, bis sie mir meine Karte übergab. Jetzt bin ich im Besitz meiner eigenen Alien Registration Card, über deren Nutzen ich mir allerdings noch nicht recht im Klaren bin. Ich trage sie einfach mit mir herum und hoffe, dass irgendjemand irgendwann danach fragen wird.
In dem Teil Sokas, in dem ich wohne, ist es sehr ruhig. Durch die Straßen fahren einige Autos, doch viel häufiger sieht man Fahrradfahrer. Hausfrauen, die vom nahegelegenen Supermarkt kommen, Studenten, die von der Uni nach Hause radeln, Mütter mit ihren Kindern. Oftmals sieht man Grundschulkinder in kleinen Gruppen an den vielen Häusern mit ihren kleinen Gärten vorbeilaufen. Es ist eine ruhige Gegend, in der man oft Nachbarn miteinander reden hört oder von älteren Menschen beim Vorbeigehen zugenickt bekommt. Das Bahnhofsviertel, in dem sich die Stadthalle befindet ist ganz anders. Hier pulsiert das Leben. Viele Menschen laufen eilig neben der vielbefahrenen Straße hin und her. Der Weg wird gesäumt von unzähligen kleinen Geschäften und Läden. Alles wird untermalt von einer Geräuschkulisse aus redenden Menschen, Motorengeräuschen, klingelnden Fahrrädern und Werbeansagen. Nichts steht still im Bahnhofsviertel, überall scheint sich etwas zu bewegen: Seien es die Menschen, die Autos oder die Werbeanzeigen. Aber auch das ist Soka.
Im Zentrum dieses regen Treibens erhebt sich in unmittelbarer Nähe des Bahhofs das größte Kaufhaus Sokas: "marui". "marui" heißt "rund", obwohl ich nicht wirklich erkannt habe, was an dem Kaufhaus rund sein sollte. Man kann es sich wie Kaufhof oder Karstadt vorstellen. Über mehrere Etagen erhebt sich das Einkaufsparadies, das von der Designerunterhose, über einen Hightech-Staubsauger, bis zum Regenschirm alles anbietet. Viel davon habe ich mir noch nicht angesehen, schließlich blieb ich mit Katharina und Lee in der CD/DVD-Abteilung hängen. Auf der Suche nach einer günstigen DVD oder einer preiswerten CD durchstöberte ich ein Regal nach dem anderen und war ziemlich enttäuscht, dass die Preise für ebenjene unerwartet hoch waren. Rund 35 Euro für ein normales Album, für eine gewöhnliche DVD ebenso. Mein Plan ein paar CDs und DVDs nach Hause zu schicken, war fürs Erste gescheitert, obwohl ich vieles fand, was ich mir schon seit längerer Zeit kaufen wollte. Bevor ich mein Geld kampflos einer möglicherweise überteuerten Elektroabteilung überließ, entschied ich mich für die aufwendige Methode des Preisvergleichs. Der Haken ist allerdings, dass ich außer der besagten Elektronikabteilung noch keinerlei CD- oder DVD-Geschäft gefunden habe. Entweder muss ich bislang alle Geschäfte übersehen haben, oder solcherlei Dinge sind in Japan nicht wirklich populär.


Bild1: Das große Kaufhaus "marui" erhebt sich neben dem Bahnhof von Soka.


Am Abend erhielt ich dann eine eMail von Shinya. Nachdem ich ihn am Wandertag auf ein gemeinsames Kochen angesprochen hatte, kam er nun auf diese Einladung zurück. Mit ein paar Freunden wollte er mit mich und ein paar anderen Deutschen treffen und zum Abendessen Kochen. Da dies eine willkommene Alternative zu den sonst so häufigen Keipentouren zwischen Deutschen und Japanern bot, nahm ich dankend an. Am nächsten Tag, also am Freitag, wollten wir uns treffen.

Donnerstag, 16. Oktober 2008

Die Welt wächst zusammen

Die Welt wächst zusammen. Und das merkt man nicht nur an Dönerbuden, Harry Potter, Anime und US-Rappern. Der Informationsfluss rund um den Globus ist heutzutage so schnell, dass eine lokal fast unüberbrückbare Distanz auf eine fast schon unheimliche Nähe zusammenschrumpft.
Eine Reise von Deutschland nach Japan war vor hundertfünfzig Jahren noch ein gefährliches Wagnis. Mit dem Schiff hatte man Afrika zu umsegeln, um dann wochenlang durch unbekannte Gewässer an fremden Häfen vorbeizufahren, bis man am Ende der Welt eine exotische Insel fand. Was in der Heimat im fernen Westen passierte, erfuhr man nur bruchstückhaft und in einem zeitlichen Abstand, je nachdem wie oft Schiffe sich auf den Weg in heimatliche Gefilde aufmachten. Doch man muss gar nicht so weit in die Vergangenheit reisen, um zu bemerken, wie die Welt zusammenwächst. Vor gerade einmal 20 Jahren, als das Internet noch nicht die ganze Welt umspannte, war eine Reise nach Fernost, auch noch ein Abenteuer. Man schrieb Briefe, schickt Pakete und freut sich über jede Kunde von der Person am anderen Ende der Welt. Hin und wieder konnte man telefonieren, damals noch mit der typischen Sprechverzögerung von einigen Sekunden und nur ganz kurz, schließlich brannte die Leitung um die Welt ein Loch in den Geldbeutel. Aus meiner eigenen Kindheit kenne ich noch die Telefonate, die meine Oma mit Verwandten im Ausland führte. Sie waren jedes Mal ein Erlebnis, jedes Mal ein kleines Abenteuer. Und wenn schließlich jemand nach Wochen oder Monaten aus dem Ausland zurück kehrte, hatte er einen Koffer voller Anekdoten und Erinnerungen dabei, die er jedem mit glitzernden Augen erzählte und die alle in sich aufsogen.
Ich hatte ein wenig das Gefühl, dass meine Familie und meine Freunde noch ein ähnliches Bild vor Augen hatten, als sie an meinen Auslandsaufenthalt dachten. Doch die Vernetzung der Welt ist mittlerweile so weit vorangeschritten, dass ich trotz meines 11stündigen Fluges nur einen Katzensprung von Zuhause entfernt bin, zumindest fühlt es sich so an. Spätestens nachdem ich heute meinen Laptop an das neueingerichtete Internet im Wohnheim angeschlossen habe, habe ich bemerkt, dass Nähe und Ferne relativ sind und eine lokale Distanz im Gegensatz zu gefühlter Entfernung steht. Heutzutage kann man jederzeit kostenlos über das Internet rund um den Globus telefonieren. Ohne Zeitverzögerung und sogar mit Bild. Alles was man braucht ist ein Anschluss an das Internet und schon ist man mit der ganzen Welt verbunden. Beim Telefonieren über das Internet kann ich jederzeit meinen Laptop herumgetragen, mein Zimmer zeigen und sogar das Nachtpanorama Sokas präsentieren. Dies ist zwar praktisch, lässt mich aber auch ein wenig wehmütig daran denken, dass ich nach einem ganzen Jahr im Ausland keine spannenden Geschichten mehr erzählen werden kann, habe ich doch schon alles entweder in diesem Blog oder in den vielen eMails niedergeschrieben. Und die letzten kleinen Geheimnisse gebe ich bei stundenlangen Gesprächen am Abend bekannt. Zu meinem großen Abenteuer Japan werde ich nach einem Jahr wohl nicht mehr viel Neues hinzufügen können, dafür habe ich aber eine Nähe zu Freunden und Familie, die noch enger ist als zu meiner Zeit in Marburg.
Am Abend meines 26. Tages in Japan habe ich dann in einer Konferenzschaltung zeitgleich mit meinem Freund aus Deutschland und einer Freundin aus Spanien gesprochen. Hätte man sich das vor fünf Jahren schon vorstellen können? Während mein Freund mir beim Essen zusieht, schaut meine Mutter über Satellitenbilder auf mein Haus und ich schreibe eMails nach Spanien. Es sind jene Momente in denen ich immer wieder von Neuem ins Staunen gerate und fasziniert bin vom Wunderwerk Technik. Und erneut bemerkt man, dass die Welt zusammenwächst.

Mittwoch, 15. Oktober 2008

Die Ultrahand wirkt Wunder...

Nach einige arbeitsreichen Tagen habe ich endlich das Skript für meinen Vortrag abgegeben. Ein wenig aufgeregt war ich schon, mein Schicksal in die Hände der unfreundlichsten Japanischlehrerin zu legen, die mir je begegnet war. Schon am Morgen überprüfte ich dreimal, ob ich auf meinem MP3-Player auch tatsächlich das Skript hatte, schließlich musste ich es noch in der Pause in der Bibliothek ausdrucken. Nachdem ich in der letzten Woche so viel Prügel wegen meiner Fragen bezüglich des Vortrags einstecken musste und die Lehrerin sich so gar nicht für meine Präsentation verantwortlich fühlte, hätte es mich nicht gewundert, wenn sie die Korrektur meines Skriptes, wozu sie ja verpflichtet ist, komplett unter den Tisch hätte fallen lassen. Als ich dann morgens im Unterricht saß, kam sie dann aber doch mit einem forschen Blick auf mich zu und fragte nach meinem Skript. Bereitwillig zeigte ich ihr meinen MP3-Player und versicherte ihr alles noch bis zur Mittagspause auszudrucken. Dies quittierte sie nur mit einem abwertenden Blick und startete unverzüglich in den Unterricht.
In der Pinkelpause zwischen der ersten und zweiten Unterrichtsstunde rannte ich zur Bibliothek und druckte glücklicherweise ohne jegliche Komplikationen mein Skript aus. Dabei muss einmal erwähnt werden, wie praktisch es an japanischen Universitäten ist, dass man alle benötigten Unterlagen kostenlos ausdrucken lassen kann. Theoretisch könnte ich das gesamte Internet in schwarz-weiß ausdrucken, ohne dass ich auch nur einen Cent bezahlen müsste. Zumindest konnte ich mit meinem frischbedruckten, kostenlosen Skript wieder in den Raum rennen und saß zum Beginn der zweiten Stunde da, als wäre ich niemals fort gewesen. Vor der Mittagspause drückte ich der Lehrerin dann stolz mein Skript in die Hand, was sie diesmal mit einer wohlwollenden Überraschung quittierte.
Am Ende des Schultages bat sie mich dann ihr kurz in einen anderen Raum zu folgen, um das korrigierte Skript zu besprechen. Ziemlich aufgeregt watschelte ich dann hinter ihr durch die Gänge, was ein sehr lustiges Bild gewesen sein muss, schlieslich überrage ich sie um mehr als zwei Köpfe und und laufe dennoch wie ein geprügelter Hund hinter ihr her. In irgendeinem Raum nahmen wir an einem Tisch platz und sie begann in gewohnt barschem Ton aufzuzählen wo mein Skript verbesserungswürdig sei. Während sie meinen Text zur Firmengeschichte Nintendos Wort für Wort zerpflückte, blieb sie plötzlich an einem Satz hängen, der von der Einführung der "Ultrahand" berichtete, einem Spielzeug, welches Nintendo vor über drei Jahrzehnten auf den Markt gebracht hatte und das Nintendos Durchbruch in der Spielwarenindurstrie markierte. Eine Weile schaute meine Lehrerin auf den Satz, dann sagte sie plötzlich ganz ruhig: "Ich kenne diesen ganzen modernen Computerkram nicht, aber ich erinnere mich daran, dass Nintendo damals in der Spielwarenindustrie tätig war und die "Ultrahand" auf den Markt gebracht hatte. Ich habe vorm Fernseher gesessen und immer gesagt: 'Mama, ich will auch eine Ultrahand!', aber meine Mama hat sie mir nie gekauft." Dann hielt sie eine Weile inne, bevor sie weiterberichtete: "Alle meine Freunde hatten eine Ultrahand, die sah so aus..." Sie holte einen Stift aus ihren Unterlagen und begann auf einem Blatt die Ultrahand aufzuzeichnen. "Damit konnte man immer Dinge nehmen, die weiter entfernt waren, dazu musste man nur hier drücken und dann..." Und so saß sie einige Minuten da, zeichnete an ihrem Bild herum und erzählte von dem Spielzeug, dass sie sich immer so sehr gewünscht, aber nie bekommen hatte. Danach war sie wie ausgewechselt. Sie lobte mich für meinen Schreibstil und spielte die Fehler die sie fand herunter. Sie hob hervor, wie gut ihr mein Schluss gefiel und dass sie schon ganz gespannt auf meinen Vortrag sei. Als ich dann den Raum verließ sagte sie mit einem herzlichen lächeln, dass es bestimmt ein ganz toller Vortrag werden würde. Und so bin ich das erste Mal seit Tagen mit einem guten Gefühl wegen des Vortrags ins Wohnheim gegangen.

Ratlosigkeit

Da ich am nächsten Tag die Skript zu meiner Präsentation abgeben muss, saß ich heute wieder einmal grübelnd vor dem Computer, diesmal allerdings in der Universitätsbibliothek. Schamlos nutzte ich es aus, dass die Bibliothek während der Vorlesungszeit bis 22 Uhr geöffnet hat und saß bis kurz vor 22 Uhr an einem Unicomputer. Um mich herum waren rund eine hand voll Japaner, die entweder eifrig arbeiteten oder mit Kopfhöhrern Videos im Internet anschauten. In diesen stillen Minuten hatte ich genug Zeit und Ruhe mein Skript durchzulesen, Fehler zu beheben und über meinen Vortrag nachzugrübeln. Doch es gab noch etwas anderes, was mir im Kopf herumschwirrte. Es war eine eMail von Ayano, dem Mädchen, mit dem ich mich zur Konversation verabredet hatte. Der Text ihrer eMail lautete wie folgt:
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Dearest David
thank you for your e-mail!
Ja,I remember that we'll see on the thurthday;)
to tell the truth,I'm not cheerful now.
It is because my precious friend has been dead in 4th Oktober.today I went to her funeral.It is too sad for me to come to Uni,because everyday in school we take lunch together.
So I think,in thurthday,I can't speak well in cheerfully.So sorry...X(
Ayano
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Wie reagiert man auf eine solche eMail?
Eigentlich kenne ich Ayano nicht wirklich, wir haben uns nur zweimal gesehen und uns lediglich eine halbe Stunde unterhalten. Was schreibt man einer solchen Person zurück? Ich fühlte mich ein wenig hilflos, und sehnte mich nach einer Person, die mir in dieser Situation einen Rat geben könnte. Während ich darüber nachdachte, ob eine Antwort auf Japanisch oder auf Englisch angemessener wäre, um mein Beileid zu bekunden, begannen meine Gedanken abzuschweifen. Und ehe ich mich versah, dachte ich darüber nach wie zerbrechlich ein menschlies Leben doch sein konnte. Gerade wenn man jung ist, sind Freunde und Familie so selbstverständlich, dass man gar nicht damit rechnet, dass einer von ihnen im nächsten Moment tot sein könnte. Wie würde ich wohl reagieren, wenn eine Mail käme, die mir mitteilen würde, dass jemand aus meinen Freundeskreis bei einem Autounfall ums Leben kam, oder jemand aus meiner Familie überfallen und getötet wurde. Nachdenklich saß ich vor dem Computer, bis die bibliothekstypische Glockenmusik verkündete, dass nun auch der letzte Besucher die Bibliothek verlassen solle. Schnell schrieb ich eine eMail an Dominic und bat ihn um Rat, dann verließ ich die Bibliothek und den Campus und hing auf dem Weg zu meinem Wohnheim meinen Gedanken nach.
Als ich in meine Wohnung trat, fielen mir sogleich zwei Dinge auf: Es lag ein riesiger Karton auf dem Küchentisch und aus Yosukes Zimmer konnte man lautes Diskutieren hören. Beides war untypisch und so stellte ich Nachforschungen an. Recht schnell stellte sich jedoch heraus, dass in dem Karton die nötigen Gerätschaften für den langerwarteten Internetanschluss waren, die Katharina und Yosuke lauthals diskutierend versuchten anzuschließen. Wer jemals auf die dumme Idee gekommen ist, seinen Internetanschluss selbst einzurichten, der weiß zu welch einem Chaos das führen kann und wie irreführend und nutzlos die Anleitungen in "Informatiker-Fachchinesisch" sind. Und so kann man sich auch vorstellen wie drei Leute verwirrt und ratlos vor den Unterlagen in "Informatiker-Fachjapanisch" saßen und hilflos auf ihren Laptops herumdrückten. Fast zwei Stunden waren wir damit beschäftigt Werbeprospekte von wichtigen Bedienungsanleitungen zu trennen und alles was wie ein Passwort aussah in beliebige Felder zu schreiben. Und irgendwann hatten wir dann Internet. Wir wissen nicht genau, wie es geschah und ob unser virtuoses Tastendrücken letztlich überhaupt irgendeinen Einfluss ausgeübt hatte, doch die Tatsache, dass es endlich funktionierte vom Wohnheim aus ins Internet gehen zu können, genügt uns, um alle anderen Fragen in den Hintergrund zu drängen. Als ich dann abends im Bett lag, konnte ich hören wie Yosuke noch lange Zeit mit seinem Vater sprach und freute mich bereits darauf auch bald selbst "nach Hause telefonieren" zu könne.

Sonntag, 12. Oktober 2008

Das "Soll"

Wenn es Tag 23 in Japan verdient erwähnt zu werden, dann nur deswegen, weil ich übermäßig viel gelernt habe. Den ganzen Tag über saß/kniete/lag ich auf meinem Bett vor dem Laptop und tippte Satz um Satz für meine Präsentation. Und da ich ohnehin einen kurzen Abriss darüber geben wollte, was ich dieses Semester zu leisten habe, kommt mir dieser ereignislose Tag sehr gelegen, um mich ein wenig über mein "Soll" auszulassen.
Zunächst einmal muss ich zwei Präsentationen erstellen. Das heißt jeweils ein einseitiges Skript schreiben, auf dem Wort für Wort notiert ist, was ich sage. Dazu ein Handout mit den wichtigsten Stichpunkten, eine Liste der unbekannten Wörter und Quellenangaben, sowie die Visualisierung anhand von Bildern, Videos oder Texten, je nach Thema. Meine ausgefertigten Materialien muss ich dann zwei Wochen vor der Präsentation dem Lehrer geben und absegnen lassen, damit ich genug Zeit habe meine Präsentation einzuüben. Das Thema kann ich mir übrigens selbst auswählen, weshalb ich sowohl über ein eigenes Hobby oder Interesse, als auch ein aktuelles politisches Thema referieren kann.
Dazu kommt eine Reihe von längeren Aufsätzen, die wir zu schreiben haben und dann abgeben müssen. Bei diesen Aufsätzen ist das Thema vorgegeben, also ist keine Kreativität, sondern nur eine möglichst akkurate Anwendung der Grammatik des Unterrichts gefragt.
Etwa im Takt von 10 Tagen schreiben wir Kurztests über die im Unterricht behandelten Texte und die neue Grammatik. Dazu muss man Fragen zum Textverständnis beantworten, Sätze vervollständigen, Konjunktionen und Partikel korrekt einsetzen, sowie japanische Schriftzeichen schreiben und lesen. Diese Tests dauern 90 Minuten und sind ziemlich stressig.
Zu guter letzt haben wir Konversationsprüfungen, ich glaube etwa 5 Stück. Hierzu müssen wir mit einem Partner einen Dialog unter dem Gesichtspunkt neuer Grammatik erstellen und einüben. Einige Tage später, wenn der Dialog sitzen sollte, wird man vom Lehrer in einem separaten Raum geprüft, indem man den Dialog möglichst fließend, fehlerfrei, deutlich und betont vorträgt. Manchmal schließt sich dann noch ein persönliches Gespräch an, in dem die Fähigkeit zur freien Konversation überprüft wird. Diese Konversationstests sind unglaublich nervenaufreibend. Zudem ist die Aufregung nicht gerade förderlich beim Vortrag des einstudierten Dialogs.
Das Semester wird dann mit einem allesumgreifenden Semester-Abschluss-Test beendet, über dessen Inhalt ich noch nicht informiert bin. Mir ist aber zu Ohren gekommen, dass der Test wirklich schwer sein soll. Aber darüber mache ich mir jetzt noch keine Gedanken, schließlich hat im Moment die Präsentation oberste Priorität. An deren Skript habe ich dann auch bis spät abends gesessen, aber zumindest ist es nun fast fertig. Nur ein paar schöne zusammenfassende Worte am Ende fehlen noch.

Mittwoch, 8. Oktober 2008

A day in the woods

Heute war die Exkursion in die Gegend um den Fuji, bei der sich Ausländer und Japaner näher kennenlernen sollten. Da wir uns bereits um 7.45 Uhr am Hauptgebäude der Dokkyo-Universität treffen sollten, stand ich bereits um 6.30 Uhr auf, um morgens noch schnell ein paar Eier für mein provisorisches Sandwich zu braten, schließlich wollte ich für den 11stündigen Wandertag mit außreichend Nahrung gewappnet sein. Nachdem ich meinen besten Freund, die Trinkflasche, befüllt hatte, traf ich mich mit Yosuke, Lee und Katharina vor dem Wohnheim und gemeinsam liefen wir gen Universität. Vor dem Hauptgebäude standen dann auch schon zwei Busse und eine ganze Horde von wanderwütigen Japanern und Nicht-Japanern. Zunächst wurde ich zu einem Tisch gedrängt, an dem jeder Teilnehmer einen Aufkleber mit seinem Namen abholen musste, um ihn irgendwo auf das T-Shirt zu kleben. Da bei der Willkommensfeier für die ausländischen Studierenden bereits die gleiche Prozedur durchgeführt wurde, war ich es schon gewohnt mich stolz mit meinem Namen auf der Brust zu präsentieren. Bevor ich mich zurechtfinden konnte, standen plötzlich schon zwei Japaner vor mir und reichten mir die Hand. "Wie heiße ich?" fragte der eine sofort auf Japanisch uns wies mich auffällig auf sein Namensschild hin. "Äh, Taka...", "Jaja, das genügt. Nenn mich Tak, so nennen mich alle. Und das ist Shuuhei." Er zeigte auf den Japaner neben sich, der wiederum auffällig auf sein Namensschild zeigte und noch einmal langsam die japanischen Silben wiederholte. "Shu-u-he-i." Dann standen sie beide grinsend da und Tak zeigte auf Katharina, die unsicher hinter mir stand. "Wer ist das? Stell sie uns doch mal vor.  Natürlich auf Japanisch!" Das Grinsen der beiden wurde breiter und ich wurde das Gefühl nicht los, dass mich Tak und Shuuhei absichtlich auf den Arm nahmen. Mit ein paar Fehlern stellte ich Katharina Tak und Shuuhei vor. Nachdem ich fertig war, grinsten die beiden immer noch, schauten sich an und Tak wiederholte einen fehlerhaften Satz von mir, woraufhin beide sich das Lachen verkneifen mussten. Ich fühlte mich ziemlich unbehaglich und malte mir bereits aus, wie es wohl wäre, wenn die beiden während der Busfahrt neben mir sitzen und mich die gesamte Zeit so behandeln würden. Unsicher fragte ich, welchem Bus die beiden denn zugewiesen wurden, woraufhin beide gleichzeitig auf Bus 1 deuteten. Äußerlich enttäuscht und innerlich sehr erleichtert gab ich bekannt, dass ich "leider" Bus 2 zugeteilt wurde. Und da wir uns bereits kurz vor der Abfahrt befanden, drehte ich mich langsam in Richtung Bus und versicherte Ihnen, dass ich mir ihre Namen merken und mich sehr freuen würde sie nach der Hinfahrt wieder zu treffen. Nachdem ich mich in einem sicheren Abstand wägte, klopfte mir bereits wieder jemand auf die Schulter, Ich blickte mich um und stand genau vor Shinya, dem Japaner, der mich an meinem ersten Tag in Japan mit Izumi am Bahnhof abgeholt, zum Wohnheim gebracht und mir schließlich die Universität gezeigt hatte. Ich begrüßte ihn und er war sehr verwundert, dass ich mich sogar noch an seinem Namen erinnern konnte. Wir unterhielten uns kurz und stellten fest, dass er auch im zweiten Bus fuhr. Kurze Zeit später stieg ich dann gemeinsam mit Lee und Katharina in den Bus. Die beiden setzen sich nebeneinander und ich saß davor. Als ich schon befürchtete, dass ich die ganze Fahrt über alleine sitzen müsste, kam Shinya und fragte, ob er sich neben mich setzen könne, was ich glücklich annahm. Dann fuhren wir pünktlich um 8 Uhr vor dem Hauptgebäude der Universität ab.


Bild1: Tak ohne seinen ständigen Begleiter Shuuhei.



Bild2: Shinya muss für das Foto in die Sonne schauen.


Gleich nach der Abfahrt bekamen wir Prospekte für den Ausflug ausgeteilt, schließlich wußte ich bis jetzt immer noch nicht genau, wo es überhaupt hinging. Mit der Unterstützung von Shinya entzifferte ich dann, dass wir im Anschluss an die dreistündige Fahrt zunächst wandern würden, dann auf einer Aussichtsplattform unser Mittagessen verzehren und schließlich wieder den Berg hinabsteigen würden. Im Anschluss ginge es zu einer nahegelegenen Höhle, um letztlich ein traditionelles Dorf zu besuchen. Gegen 15.30 Uhr sollte es dann schließlich wieder zurück nach Soka gehen. Natürlich ließen sich die drei Stunden Hinfahrt nicht nur mit der Lektüre eines Programmheftchens füllen und so kam ich mit Shinya ins Gespräch. Gleich zu Beginn fragte ich ihn, wo denn Izumi sei. Da blickte er etwas verwirrt, zuckte die Schultern und fragte wie ich denn auf Izumi komme. Etwas irritiert erinnerte ich ihn, dass Izumi doch seine Freundin sei, und befürchtete bereits ihn in eine verlegene Situation zu bringen, da er sich möglicherweise von ihr getrennt haben könne. Da schaute er ganz erstaunt und fragte, wer denn behauptet habe, dass er und Izumi zusammen seien. Nach kurzer Zeit klärte sich das Missverständnis auf: Am ersten Tag wollte Izumi nämlich mit ihren bisherigen Englischkenntnissen sagen, dass Shinya ein männlicher Freund von ihr sei. Dies übersetzte sie allerdings irrtümlicherweise mit "boyfriend", weshalb ich stets im Glauben war, dass die beiden ein Paar seien. Über dieses Missverständnis aufgrund der Sprache, kamen wir mit Lee ins Gespräch und unterhielten uns über interkulturellen Austausch zwischen Japan, Deutschland und den USA. Dabei fühlte ich mich wie ein Experte für Deutschland, schließlich waren alle auf mein Wissen angewiesen. Und so erzählte ich bereitwillig über Esskultur, Dialekte oder auch Sport in Deutschland. Zwar studiert Shinya Wirtschaftswissenschaft, dennoch möchte auch er gerne ein Jahr im Ausland verbringen, allerdings in den USA. Bisher war er aber nur für kurze Zeit in Deutschland, am aufregendsten fand er dort die Autobahnen, da diese im Gegensatz zu Japan kein Tempolimit besitzen. Er wußte sogar noch ein paar deutsche Sätze, die ihm letztes Semester ein deutscher Studierender beigebracht hatte, nämlich "Ich kann ohne dich nicht leben.", "Gute Nacht, meine Prinzessin." und "Deine Augen funkeln wie die Sterne." Ich fragte mich wer ihm diese, nun ja, doch recht kitschigen Sätze beigebracht hatte, und bot ihm an einen etwas alltagstauglicheren Ausdruck an, den er auch im Gespräch mit Jungen benutzen könne. Da er ganz erpicht darauf war modernes Deutsch zu lernen, brachte ich ihm "Alter, was geht ab?" bei. Das ist zwar übelster Jugendslang, aber zugegebenermaßen doch eine häufige Begrüßungsformel unter deutschen Jugendlichen. Begeistert gab er seinen neuen Satz an seine Freunde im Bus weiter und bald verbreitete sich mein Begrüsungsformel wie ein Lauffeuer, bis sich schließlich am Ende des Tages fast alle Japaner und Japanerinnen mit "Alter, was geht ab?" anredeten. Möglicherweise habe ich damit ja eine Lawine ausgelöst und eine neue Begrüßung für japanische Jugendliche eingeführt. Im Gegenzug ließ ich mir dann auch bereitwillig das japanische Pendant beibringen.
Als wir schließlich an unserem Zielpunkt ankamen, bekam jeder erst einmal ein Bento in die Hand gedrückt. Das ist ein schön anzusehendes Sammelsurium an Speisen, das man als Mahlzeit für unterwegs kaufen oder auch selbst zubereiten kann. Dann stiegen alle mit ihren Bento im Gepäck auf die nahe liegende Anhöhe, was richtig war anstrengend, da es mitunter eine Steigung von rund 40 Prozent gab. Ich lief den Großteil des Weges gemeinsam mit Lee und Shinya und unter Keuchen und Schnaufen kamen wir auf einer Zwischenhöhe an. Nach einer kurzen Fotopause, ging es gleich weiter den Berg hoch, bis wir nach einer Gesamtzeit von rund einer Dreiviertelstunde die eigentliche Aussichtsplattform erreichten. Dort wurden dann in typischer Touristenmanier von der Umgebung und den Freunden Fotos gemacht. Endlich wurde auch das Bento gegessen und sich dabei wieder ausgetauscht. Ich traf auch wieder auf Tak und Shuuhei, die mir diesmal aber glücklicherweise nicht so forsch entgegentraten, vorallem mit Tak unterhielt ich mich dann doch noch ganz gut. Insgesamt kam ich mit vielen anderen Japanern ins Gespräch (und aufs Bild) und nach einer knappen Stunde stiegen wir den Berg dann auch wieder herab.


Bild3: Der Zwischenstop während des Aufstiegs. Ganz links in grün-weiß steht Yosuke. Alle tragen in den Beuteln ihre Bento.



Bild4: Lee fotografiert die Aussicht.



Bild5: Aussicht nach dem Aufstieg.



Bild6: Mein Bento zum Mittagessen.



Bild7: Eine quirlige Japanerin, die sich auf's Bild geschlichen hat, Tak, Katharina und Shinya. Shinya sagt gerade "Was geht ab, Alter?"


Nachdem wir eine Weile durch den Wald gestiefelt waren und dabei die Super-Mario-Melodie gesummt hatten, fuhren wir zu den Höhlen. Hatte ich eigentlich eine spektakuläre Tropfsteinhöhle erwartet, wurde ich von einem mickrigen Höhlensystem enttäuscht, das stellenweise nur einen halben Meter hoch war. So quetschte ich mich teilweise fast auf allen Vieren durch die feuchten Bergspalten, ganz zur Belustigung der meisten jungen Japanerinnen. Irgendwie verlor ich beim Fotografieren dann Shinya und Lee, und so lief ich erst eine Weile alleine umher, bis ich schließlich von Shuuhei aufgegabelt wurde. Während wir wieder zum Bus liefen und uns unterhielten, fiel mir auf wie schlecht Shuuheis Englisch war. So hielten wir mit einem Mix aus Englisch, Japanisch und sogar Chinesisch eine Konversation aufrecht. Und ich erfuhr, dass Shuuhei statt Englisch, seinen Fokus aufs Chinesische gelegt hatte, was auch ich für ein Semester lang gelernt hatte. Es ist nicht viel, aber wir konnten immerhin drei chinesische Sätze austauschen. Nach kurzer Zeit stiegen wir wieder in den Bus und fuhren schließlich ins traditionelle Dorf.



Bild8: Niedrige Höhlen. Die Japanerin vor mir geht mir bis zur Brust und muss sich dennoch bücken...


Etwa 90 Minute liefen wir zwischen einer einem Dutzend von traditionell errichteten Häusern umher. Was sich spontan nicht unbedingt interessant anhörte, entpuppte sich als ein Paradies für Fotografen. Und so schoss ich ein Bild nach dem anderen, bis zu meinem Erschrecken der Foto auf dem Display "Die Kapazität der Speicherkarte ist erschöpft" anzeigte. Das lies mich in ein fünfminütiges Stimmungstief fallen, wollte ich den Wandertag doch schließlich zum Fotografieren von Land und Leuten nutzen. Nachdem ich dann ein wenig mit Katharina und Tomomi herumgelaufen war, kletterte ich aus dem Stimmugstief heraus und landete schließlich gemeinsam mit Shuuhei, Tak, Shinya, Lee, Katharina und Tomomi auf einem kleinen flachen Feld, auf dem man "Takeuma" laufen konnte. "Takeuma" heißt wörtlich übersetzt Bambuspferd und ist die Bezeichnung für eine japanische Art von Stelzen. Ich kann mich nicht erinnern jemals sonderlich gut im Stelzenlaufen gewesen zu sein, dennoch lies ich mich von Tak und Shuuhei überreden es zu versuchen und stolperte dann auf meinem "Bambuspferd" durch die Gegend. Auch Lee und Katharina erging es nicht viel besser, doch immerhin schaffte ich schließlich 16 Schritte, mein persönlicher Rekord. Davon lies sich aber vorallem Shinya nicht beeindrucken, der mit den Stelzen durch die Gegend lief, als hätte er nie etwas anderes gemacht. Nachdem wir zum Bus zurückgingen entdeckten wir am Wegesrand eine Gottesanbeterin. Bis jetzt bin ich noch vollkommen begeistert eine echte Gottesanbeterin aus nächster Nähe gesehen zu haben, die einmal nicht hinter einer Glasscheibe saß. Katharina hat sie dann auf die Hand genommen und nachdem ich ein paar Fotos gelöscht hatte, versuchte ich Bilder zu machen, aber leider ging es nicht. Wie sich später herausstellte, war mein Foto auf Video eingestellt und so habe ich nun nur ein 1sekündiges, unscharfes Video von der Gottesanbeterin. Ich bin mir nicht einmal sicher, ob man irgendwas erkennen kann, wenn man nicht weiß, was man zu sehen hat. Nachdem Katharina die Gottesanbeterin auf einen Busch gesetzt hatte, rannten wir zum Bus, stiegen ein und fuhren wieder Richtung Soka.



Bild9: Ausblick auf das traditionelle Dorf.



Bild10: Tomomi lächelt für die Kamera.



Bild11: Blumen am Wegesrand.



Bild12: Eine Toneule betrachtet das Geschehen. Sie hat mich an das Lieblingskuscheltier meines Bruders erinnert, als wir noch Kinder waren.



Bild13: Schönes Steingarten neben dem Haus.



Ersatz für Bild14: Das Minivideo über die Gottesanbeterin. (Ihr Kopf ist rechts im Bild)

Zum Beginn der Busfahrt sprach  ich wieder mit Shinya und erfuhr, dass er einen Nebenjob als Koch habe, weshalb ich ihn einlud, doch einmal für uns alle zu kochen, schließlich bräuchten wir eine professionelle Einführung in die japanische Küche. Irgendwann wurde es dann leiser, viele waren erschöpft und einige schliefen. Ich drückte mein Gesicht an die Scheibe und versuchte so viel von der Landschaft aufzusaugen, wie ich nur konnte. Von den Wäldern, den Bergen, den vorbeiziehenden Dörfern, Felswänden, überholenden Autos, Flüssen, die sich unter mir durch die Ebenen schlängelten. Ein Blick zur Seite verriet, dass Lee das Gleiche tat. Ein kurzer Blick, ein kurzes Lächeln, dann drückten wir wieder unsere Gesichter an die Scheibe. Während ich darüber nachdachte welch einen schönen Tag ich erlebt und wie viele nette Bekanntschaften ich geknüpft hatte, wurde es allmählich dunkel und der Bus fuhr durch die Nacht nach zurück Soka.

Dienstag, 7. Oktober 2008

Von Planungen, Vorbereitungen und Wagnissen

Der Freitag ist immer ein sehr schöner Tag. Denn man hat nur vormittags bei Frau Takeda Unterricht, der lustigen, älteren Dame. Irgendwie schafft sie es nicht nur verständliche und anschauliche Erklärungen zu geben, sondern auch den gesamten Unterricht locker und lustig zu gestalten. So ist es stets wie eine Belohnung, wenn man nach einer harten Woche in ihrem Unterricht sitzt, Spass hat und dabei auch noch eine Menge lernt. Der Höhepunkt war diesmal ihre Erklärung des Wörtchens "nante". Hatte sich Tage zuvor noch eine Lehrerin den Mund fusselig geredet, um uns zu erklären in welcher Art Satz man dieses Wort zu benutzen hat, so schaffte es Frau Takeda in einem einzigen, sowohl lustigen als auch einprägsamen Beispiel: Sie ging zum Fenster, sagte "Auf Wiedersehen" und sprang symbolisch heraus. Dann machte sie ein ganz verwundertes Gesicht und sagte "Huch? Frau Takeda ist ja aus dem Fenster gesprungen 'nante'.". Seitdem war jedem klar, dass man das kleine Wörtchen "nante" an Sätze anhägt, die Verwunderung oder Unglaube ausdrücken. Gegen Ende half sie uns noch bei der Vorbereitung für den Test am kommenden Montag und schenkte dann jedem zur Motivationssteigerung eine Süßigkeit.

Nach dem Unterricht ging ich mit Katharina und Lee in die Mensa und wir redeten über Weihnachten und Silvester. Ein wenig einsam könne es schon werden, wenn wir an Heiligabend alleine in einem leeren Haus sitzen, gab ich zu bedenken und Lee stimmte mir zu. Hier in Japan ist Weihnachten ja eher wie unser Silvester: Man geht aus, trifft sich mit Freunden, trinkt etwas, betrinkt sich etwas und wird lauter, je später der Abend wird. So sehr wir auch in die japanische Kultur eintauchen wollten, an Weihnachten durch die Bars zu ziehen war uns dann doch zu radikal. Eine Alternative haben wir bislang noch nicht gefunden, aber es sind ja schließlich noch über zwei Monate Zeit sich über die Gestaltung der Festtage den Kopf zu zerbrechen. Stattdessen habe ich mit Lee etwas anderes geplant: Da wir beide etwas von Japan sehen wollen, haben wir uns entschlossen nach dem Ende der Vorlesungszeit eine Reise nach Kyoto zu unternehmen und auf dem Rückweg noch die eine oder andere Sehenswürdigkeit zu betrachten. Zwar haben wir noch keine festen Daten oder Orte, aber das Gerüst steht bereits. So bin ich nun ganz glücklich jemanden gefunden zu haben, der auch Vorfreude auf ein zweiwöchiges Kulturprogramm verspürt.

Am Nachmittag habe ich in der Mensa wieder Ayano getroffen. Sie war fleißig am Lernen und wir haben gleich ein Treffen für die kommende Woche vereinbart. Dabei ist mir einmal mehr aufgefallen, dass in Japan "ja" nicht immer "ja" bedeuten muss. So habe ich Ayano gefragt, ob sie am Dienstag Zeit hätte, woraufhin sie nickte und schnell "hai, hai" erwiderte, was soviel wie "ja, ja" bedeutet. Da ich aber bereits wußte, dass ein "hai" nicht immer nur ein "ja" ist, hakte ich nochmals nach und fragte, ob wir uns denn am Dienstag treffen könnten. Und siehe da: Am Dienstag war es nicht so gut, da hatte sie viel zu tun, aber der Donnerstag würde ihr passen. Die Erklärung für dieses Missverständnis ist allerdings nicht wirklich schwer. Denn das japanische "hai" zeigt nämlich eher an, dass man dem Gegenüber zuhört, als dass man ihm beipflichtet. So hat Ayano nur höflich zeigen wollen, dass sie meinen Worten lauscht und nicht anderweitig beschäftigt ist. Ein wenig stolz war ich dann schon, dass ich diese typische Ausländerfall so elegant umschifft hatte.

Den Abend verbrachte ich dann mit meiner Präsentation. Hatte ich in den Tagen zuvor bereits ein grobes Layout erarbeitet, so tippte ich nun alles, was ich Kopf hatte, in meinen Laptop. Dabei war es immer sehr demotivierend zu sehen, wie ein ganzer Absatz deutschen Texts auf vier magere Zeilen japanische Schriftzeichen zusammenschrumpfte. Da wurde mir einmal mehr bewußt in welch komprimierter Form man Wissen durch Schriftzeichen darstellen kann. Aufgelockert wurde mein Lernen durch mein Abendessen. Denn ich war mutig und hatte mir einen panierten Fisch gekauft, schließlich wollte ich kulinarisch ein wenig mehr erleben, als nur die immergleichen Sushi. Ein wenig Überwindung kostete es mich dann aber doch einfach so ins Ungewisse zu beißen. Letztlich war der Fisch aber sehr lecker, auch wenn mich die Fischflosse, die dekorativ an einem Ende heraushing, störte. Bis spät in die Nacht habe ich an meiner Präsentation gesessen und mich mit einem billigen Kaffeegetränk wach gehalten. Letztlich habe ich aber gerade einmal rund ein Drittel geschafft. Als ich mich dann schlafen legte, kreisten noch eine Zeit lang Schriftzeichen, Übersetzungsprogramme und Formulierungen in meinem Kopf herum, bis ich schließlich einschlief.

Bild1: Der Fisch war sehr lecker, auch wenn ich immer auf die Flosse starren musste, wenn ich zugebissen habe.