In meinem Bewerbungsschreiben für mein Austauschjahr habe ich angegeben, dass ich zwar schon seit drei Jahren Japanisch an der Universität lerne, aber selten Möglichkeiten finde das Erlernte in der Praxis anzuwenden und darum in Japan insbesondere meine Sprachkompetenz verbessern möchte. Das klingt sehr gut, macht Eindruck auf die Dozenten und ist durchaus ein erstrebenswertes Ziel. Was ich schrieb, war auch durchaus ernst gemeint und ich war bis vor einigen Wochen auch fest überzeugt gewesen, dass ich nach meinem Japanjahr auf wundersame Weise Japanisch sprechen könnte. Konkrete Pläne zur Sprachpraxis hatte ich aber nie. Nach einigen Wochen in Japan bin ich nun zu der Einsicht gekommen, dass man im Sprachunterricht und durch die ständige Beschallung mit japanischer Werbung zwar einige nützliche Formulierungen lernt und sein Vokabular erweitern kann, man aber im aktiven Sprechen kaum voran kommt. Die Sprachkompetenz fällt leider nicht vom Himmel, weshalb man durch die bloße Gegenwart in Japan nicht besser wird. Also ergriff ich selbst die Initiative und entschied mich in direkten Austausch mit Japanern zu treten. Zwar kannte ich bereits einige Japaner, mit denen ich mich hin und wieder traf, doch meist redete man doch nur Englisch, weil man sich in dieser Sprache schlichtweg sicherer fühlt. Mein Ziel war also mich gezielt zum Japanischsprechen zu treffen. Also schrieb ich Tak, dem Japaner, den ich beim Wandertag kennengelernt hatte eine eMail, um mich zu einer japanischen Konversation zu verabreden. Allerdings fiel das Treffen mit ihm nicht einfach aus heiterem Himmel, denn seit dem Wandertag hatte ich Tak bereits mehrmals in der Mensa oder im International Center gesehen und jedes Mal konnte man das gleiche Szenario beobachten: Man redet kurz, sagt "Lass uns mal treffen" mehr aus Freundlichkeit als aus Überzeugung und geht wieder getrennte Wege. Doch mit der eMail hatte ich es mir selbst bewiesen: Ich war bereit für ein Gespräch komplett auf Japanisch.
Am Montag traf ich mich mit Tak im International Center. Seit dem Wandertag hatte ich ihn als etwas frechen und direkten Japaner in Erinnerung, der zwar etwas abgedreht, im Großen und Ganzen aber doch recht nett und sehr lustig war. Irgendwie hatte ich ihn ein wenig als den Außenseiter in Erinnerung, darum war ich umso überraschter, als er im International Center zunächst zielstrebig auf einen der Verantwortlichen zuschritt und nach einem sehr lockeren Gespräch mit viel Lachen und Schulterklopfen Geld für seine gemeinnützige Arbeit erhielt. Wie sich bald bestätigte war Tak keineswegs der abgedrehte Aussenseiter, im Gegenteil, er schien einer der engagiertesten Studenten zu sein, die für das International Center tätig waren. Hatte ich anfangs noch gedacht, ich würde mit ihm ein wenig über den Campus laufen und dabei ein wenig japanische Smalltalk betreiben, zeigte sich schon bald, dass Tak ein erfahrender aber auch knallharter Japanischlehrer war. Dass er wohl schon mit vielen Ausländern Japanisch gelernt hatte, merkte ich nicht nur daran wie zielstrebig er mir Fragen stellte, mich verbesserte und mein Hörverständnis testete, sondern auch daran wie viele andere Ausländer er im Laufe unseres Gesprächs grüßte. Und nun konnte ich auch endlich das Bild, das ich am Wandertag von ihm erhalten hatte revidieren: Seine Direktheit war keinesfalls bösartig gemeint gewesen, vielmehr wollte er mich dazu bringen Japanisch zu reden, was er auch in unserem Gespräch unerbitterlich versuchte. Nur wenn ich mir gar nicht zu helfen wußte, lies er eine kurze Frage auf Englisch zu. Sonst wiederholte er unermüdlich, dass ich versuchen solle mich irgendwie in Japanisch ausdrücken. Insgesamt war das Gespräch für mich eine totale Blamage, da es mir vor Augen führte, dass mein aktives Sprachvermögen noch in den Kindeschuhen steckte. Innerhalb der ersten halben Stunde stammelte ich Sätze zusammen, mit denen ich in meinem ersten Semester mit Pauken und Trompeten durch die Sprachprüfung gefallen wäre. Da half es auch nicht, dass mir die Situation doch ziemlich gezwungen vorkam: Man setzte sich hin und musste sich mit einer fast fremden Person 90 Minuten lag unterhalten. Noch dazu sprach ich fast alleine, da Tak es irgendwie schaffte das Gespräch immer wieder auf mich zurückzuwerfen, so dass ich fast die ganze Zeit das Gefühl hatte irgendetwas sagen zu müssen, damit das Gespräch nicht zum Erliegen kam und in einer peinlichen Stille endete. Da ich von mir selbst enttäuscht war, hatte ich keine Hemmungen zu sagen, wie schlecht ich mein Japanisch fand, woraufhin Tak lächelnd antwortete: "Quatsch, dein Japanisch ist doch sehr gut.". Da starrte ich ihn ernst durch meine zusammengekniffenen Augen an und sagte ziemlich direkt: Nein, mein Japanisch ist nicht gut. Tak grinste noch breiter und erwiderte eiskalt: "Du hast recht, dein Japanisch ist wirklich nicht sehr gut.".
Und da hatte ich es: Mein Japanisch war grottenschlecht und ich spürte förmlich wie mein Selbstbewußtsein knackste. Vollkommen desillusioniert stotterte ich weiter meine Sätzen vor mich hin und schämte mich in Grund und Boden. Und als ich dachte, dass es gar nicht mehr peinlicher werden könnte, stand Tak auf, lief zu einer Japanerin, bat sie zu mir und sagte, dass ich mich vorstellen solle. Vollkommen überrumpelt spulte ich meine auswendig gelernten, japanischen Sätze ab, doch schon nach meinem letzten Satz ging auch hier das peinliche Gestotter los. Während ich an ein paar Fragen bastelte, schaute mein Gegenüber ziemlich verstört und gelangweilt. Immer wieder fragte sie nach, was ich denn gesagt hätte, und hörte irgendwann nur noch abwesend meinem Gestammel zu. Dann endete das Gespräch schließlich nach einigen Minuten in einer peinlichen Pause und ich log abschließend wie toll und interessant das Gespräch doch gewesen sei. Ja, das fand sie auch, log sie höflich zurück und ging steif zu ihren Freundinnen zurück. Während ich spürte wie sie sich vor ihren Freundinnen über mich ausließ, schaute mich Tak an und sagte langsam: "Das war...schlecht. Das war...wirklich schlecht." Wie ein Häufchen Elend saß ich da und hörte mir an, dass ich zuviel dachte und einfach spontan etwas sagen sollte. ich sollte bessere Themen anschneiden und viel mehr auf meinen Gegenüber eingehen. Irgendwann fragte ich mich, ob ich überhaupt noch im Konversationstraining war oder bei einer Persönlichkeitsberatung. Verzweifelt klammerte ich mich an den letzten verblieben Strohhalm und versicherte Tak, dass ich im Leseverständnis wirklich viel besser sei, als im freien Gespräch. Ohne zu zögern bat er mich mein Lehrbuch herauszuholen, eine beliebige Seite aufzuschlagen und zu übersetzen. Ich bereute, dass ich überhaupt begonnen hatte meine Ehre zu retten und begann den japanischen Text vorzulesen. Und während ich nur so durch die Zeilen flog und alles beim Lesen im Kopf erst ins Deutsche, dann ins Englische übersetzte und schließlich laut wiedergab, merkte ich wie Taks Kinnlade herunterklappte. Immer und immer wieder bat er mich noch den nächsten Satz zu übersetzen und konnte sich gar nicht satt hören. Erst als ich den gesamten Text übersetzt hatte, blickte ich zu ihm auf und er schaute mich verwirrt an. Konnte er anfangs so überhaupt keine Verbindung zwischen meinem Konversationsgestammel und meinem flüssigen Vorlesen und Übersetzen herstellen, verstand er nach mehreren Erklärungsversuchen, dass ich keineswegs ein Langzeitstudent war, der in den letzten Jahren nichts gelernt hatte, sondern dass ich in meinem Studium nur die Theorie gelernt, aber nie die Brücke zur Praxis geschlagen hatte. Er hielt kurz inne und sagte dann: "Hier in Japan ist es genau das Gleiche mit dem Englischen. Wir lernen nur die Theorie und können Texte sehr gut verstehen, aber wenn wir frei Sprechen müssen, bekommen wir kaum ein Wort heraus. Als ich nach England ging, habe ich kaum etwas sagen können, obwohl ich all die Theorie irgendwo in meinem Kopf hatte.", "Und wie hast du es geschafft so gut Englisch sprechen zu können?" Da grinste Tak wieder auf seine typische Art und Weise und sagte nur kurz "Übung.". Und wieder einmal hatte ich das Gefühl, dass ich Tak zuvor vollkommen falsch eingeschätzt hatte. Er hatte nie die Absicht mich bloßzustellen oder mir zu zeigen, dass ich kein gutes Japanisch konnte. Sein einziges Ziel war es mir zu helfen mein Japanisch zu verbessern und mich dazu zu bringen die Hemmschwelle zu überwinden, die man hat, wenn man in einer anderen Sprache spricht. Bis er gehen musste, sprachen wir wieder auf Japanisch, doch diesmal nahm ich jede Korrektur, die er an meinen Sätzen vornahm, zu Herzen. Mit Händen und Füßen versuchte ich etwas auf Japanisch zu erklären, um möglichst nicht ins Englische auszuweichen. Und auch als er beim Verabschieden ganz sachlich feststellte, dass ich viel mehr Japanisch sprechen müsse, wußte ich, dass er recht hatte und es gut meinte. Somit war Tak ein harter, aber guter Lehrer.
Als ich mich am Abend mit Katharina traf, versuchte ich gleich einiges von meinem Gespräch in die Tat umzusetzen und schlug ihr vor, den Rest des Abends auf Japanisch zu sprechen. War sie Anfangs noch ziemlich skeptisch, lies sie sich doch bald darauf ein und so liefen wir quer durch Soka, während wir irgendwie versuchten ohne unsere Muttersprache miteinander zu kommunizieren. Und es klappte. So hatte ich an diesem Tag etwas ganz anderes gelernt, als nur die ein oder andere Floskel oder ein paar Umgangsformen im Gespräch mit Jugendlichen: Ich hatte zum ersten Mal die Angst verloren auf Japanisch zu sprechen. Die ständige Angst Fehler zu machen, ausgelacht zu werden und sich zu blamieren, war der Gewissheit gewichen, dass ich bereits längst alles konnte und es nur schaffen musste es in die Tat umzusetzen. Und natürlich passieren dabei Fehler, das ist ganz klar. Aber wovor sollte ich Angst haben? Ich bin schließlich hier, um es zu lernen.
2 Kommentare:
Hallo David,
da hast du ja einen guten Lehrer gefunden, ich wette, da lernst du tausend mal mehr als bei deinen
"wardasverständlichjadaswarverständlich"- Lehrerinnen ;-)
Kann mir vorstellen, wie entmutigend die Konversation mit Tak zum Teil war, denn er ist schon sehr direkt, aber so weißt du jetzt wenigstens woran du arbeiten musst.
Dann wünsche ich dir viel Erfolg, dass dein Selbstbewusstsein beim freien Sprechen in den nächsten Tagen, Wochen und Monaten noch weiter steigen wird.
Viele Grüße von h.
Hallo H.,
Am Anfang war ich wirklich am Boden zerschmettert, aber ich habe das Gefühl, dass mir die Konversation mit Tak weitaus mehr gebracht hat, als mein Konversationsunterricht in Marburg oder hier in Soka. Deswegen habe ich mir seine Kritik auch so zu Herzen genommen und versuche nun stetig meine Sprachfertigkeiten zu verbessern. Und es hilft sogar!
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