Sonntag, 23. November 2008

Pakete, Partys, Peinlichkeiten

Das international center der Dokkyo-Universität ist stets darum bemüht einen regen Austausch zwischen den ausländischen Studierenden und den japanischen Studierenden herzustellen. In enger Zusammenarbeit mit den Studierenden, die Mitglied im Club für Internationale Angelegenheiten sind, werden somit des Öfteren kleinere Zusammentreffen, Partys oder Ausflüge veranstaltet. Früchte dieser Zusammenarbeit waren beispielsweise die Willkommensfeier zu Beginn des Semesters (Mein erster Schultag), der Wandertag (A day in the woods) oder eine Halloweenparty, an der ich wegen des Deutschen Filmfestivals in Tokyo nicht teilnahm. Obwohl mir der Wandertag zwar viel Spass gemacht hat und ich ein paar nette Kontakte knüpfen konnte, sind die restlichen Veranstaltungen doch nicht wirklich ergiebig. So haben die Zusammentreffen und Partys theoretisch zwar das löbliche Konzept japanische und ausländische Studierenden miteinander bekannt zum machen, damit man Konversationspartner und vielleicht auch Freunde findet, in der Praxis sind dies allerdings hauptsächlich Verkupplungspartys, zu denen Japanerinnen gehen, die sich mit einem ausländischen Freund schmücken wollen, oder Ausländer, die eine Liaison mit einer jungen Japanerin oder einem jungen Japaner suchen. Da ich keinen Wert darauf lege als Hahn in einen Stall voller gieriger Hennen gesteckt zu werden, halte ich mich von diesen gut gemeinten, aber doch allzu schnell ins Ordinäre umschlagenden Veranstaltungen fern.
Als ich vor einigen Tagen durch die Universität lief, traf ich auf Tomomi und Hiro, die beiden Japanerinnen, die mir beim Eröffnen meines eigenen Kontos geholfen hatten. Und während wir uns kurz unterhielten, warf Tomomi die Frage in den Raum, ob ich denn zur nächsten Veranstaltung des international center und des Clubs für Internationale Angelegenheiten kommen würde. Dabei deutete sie auf ein Plakat am Schwarzen Brett direkt hinter mir, das ausländische und japanische Studierende dazu einlud an einer sogenannten "Lasst uns japanisch sprechen"-Party teilzunehmen. Da Tomomi und Hiro Mitglieder des Clubs für Internationale Angelegenheiten waren, konnte ich natürlich nicht einfach ablehnen, wollte aber auch nicht zusagen, weshalb ich wie ein Politiker jede Menge Worte machte, aber doch eigentlich nichts sagte. Und damit war für mich die peinliche Party fürs Erste aus der Sicht und aus dem Sinn. Zumindest bis gestern zwischen den Unterrichtsstunden eine Mitarbeiterin des International Center in den Unterrichtssaal kam und Katharina, mich und zwei Chinesen auf frischer Tat ertappte. Vollkommen überraschend kam sie in den Unterrichtssaal, berichtete kurz über die "Lasst uns japanisch sprechen"-Party und hielt uns eine Liste samt Stift entgegen, damit wir uns sofort eintragen könnten. Zunächst versuchte ich möglichst höflich abzulehnen, indem ich mitteilte, dass ich noch gar nicht wusste, ob ich denn Zeit hätte, ebenso Katharina. Doch die Mitarbeiterin ließ nicht locker, hielt uns Liste und Stift entgegen und versicherte uns, mehrfach dass es auch umsonst Essen gäbe. Da dies nicht wirklich ein schlagkräftiges Argument war, versuchten Katharina und ich uns irgendwie aus dieser Situation zu befreien, bis die Mitarbeiterin dann irgendwann aufgab und ganz verzweifelt sagte, dass nur die Unterschrift wichtig sei und wir auch nicht kommen müssten, wenn wir nicht wollten. Und da Katharina und ich die arme Frau nicht zum Weinen bringen wollten, trugen wir uns in die Liste ein, nachdem wir uns mehrfach hatten versichern lassen, dass es auch wirklich in Ordnung sei, wenn wir nicht kommen würden. Zufrieden nahm die Mitarbeiterin ihre Liste, ging strahlend zum Ausgang und verabschiedete sich mit einem hämisch grinsenden "Dann bis Morgen". Und da saßen Katharina und ich und hatten das Gefühl einen dummen Fehler gemacht zu haben.
Als der Unterricht dann vorbei war, fiel mir auf, dass auf meinem Tisch noch immer der Stift der Mitarbeiterin lag. Und ehrlich wie ich bin, steckte ich ihn nicht einfach ein, sondern brachte ihn nach dem Unterricht ins international center zurück, wo ich ihn einer Mitarbeiterin übergab, die mich bereits kannte. Und dann geschah natürlich das Unvermeidbare: Als ich bereits gehen wollte, fragte mich die Mitarbeiterin, ob ich denn auch zu der "Lasst uns japanisch sprechen"-Party ginge. Hinter ihr standen andere Mitarbeiter und der Chef der Abteilung, die alle meine Aufrichtigkeit und Ehrlichkeit erlebt hatten und Zeuge geworden waren, wie ich laut mit meinem Namen angesprochen worden war. Alle schauten mich nun erwartungsvoll an und so lächelte ich nur aufgesetzt, lies eine kurze Zeit verstreichen, bis ich vollkommen überzeugt "Aber natürlich, ich freue mich schon." log. Der Abteilungschef nickte zufrieden und die Mitarbeiter widmeten sich wieder ihren Arbeiten, während ich geknickt aus dem international center schlurfte und mich ärgerte, dass ich einfach nicht "Nein" sagen konnte.
Heute war mir diese Party dann den ganzen Tag ein Dorn im Auge. Und als ich in einer freien Minute missmutig mit Katharina in die English Communication Zone ging, trafen wir auf Nobuko, eine Freudin von Tak, und ihre Freundin Ayano (eine andere Ayano, als jene, die ich bisher kannte) und schilderten ihnen unser Leid. Auch wenn wir wegen der Party ein wenig schlecht gelaunt waren, so mussten wir doch alle gemeinsam über unser absurdes Pech und die Peinlichkeiten bei diesen Partys lachen. Nobuko und Ayano wollten gar nicht wahrhaben, dass diese Veranstaltungen eigentlich nur Verkupplungspartys waren, zu denen bevorzugt willige Japanerinnen und ausländische Studierende gingen. Und um so mehr absurde Anekdoten ich von meinen Erfahrungen mit diesen peinlichen Treffen von mir gab, um so lauter mussten Nobuko und Ayano lachen, bis sie sich letztlich ansahen und übereinkamen, dass sie sich solch ein Spektakel selbst einmal aus nächster Nähe anschauen mussten. Also verabredeten wir uns kurz vor Beginn der zweistündigen "Lasst und japanisch sprechen"-Party auf dem Campus, um das Beste aus der Situation zu machen und gemeinsam über die peinliche Party lachen zu können.
Als ich vor der Party noch ins Wohnheim ging, lag in meinem Postfach ein großes Paket. Nach eineinhalb Wochen war endlich das Express-Paket meiner Mutter angekommen und nachdem ich es ausgiebig fotografiert hatte, packte ich es glücklich aus. Seitdem stapeln sich auf meinem Schreibtisch Fertigsuppen, Fertigsoßen, Fertigpudding, Konservendosen, Brause und andere Aufgießgetränke.


Bild1: Das Paket meiner Mutter ist endlich angekommen.

Am Nachmittag ging ich mit Katharina schließlich zurück zur Dokkyo-Universität und traf dort wie geplant Nobuko und Ayano. Gemeinsam gingen wir zu der "Lasst uns japanisch sprechen"-Party, wo bereits Tomomi und Hiro saßen und glücklich unsere Namen auf der Liste abhakten. Dann betraten wir einen größeren Raum, in dem bereits ein paar Japaner und viele Japanerinnen in Grüppchen standen und saßen. Während wir selbstsicher einmal quer durch den Raum liefen, schaute sich Nobuko um, stieß mich hastig an und flüsterte lachend: "Die Mädchen schauen dich ja echt alle an!". "Ja, das habe ich doch die ganze Zeit gesagt!", erwiderte ich und versuchte jeglichem Blickkontakt mit Japanerinnen zu entgehen. Als wir dann in Gruppen zur Konversation eingeteilt wurden, musste jeder einen Zettel aus einer Tüte ziehen und an den entsprechenden Tisch gehen. Wir alle fanden dies recht lächerlich und kamen uns ein wenig wie bei einem Speed-Dating vor. Nichtsdestotrotz zog ich brav einen Zettel mit der Nummer 1 aus der Tüte, zeigte ihn Nobuko, die daraufhin so lange in der Tüte herumwühlte, bis auch sie eine 1 gezogen hatte. Ebenso Ayano und Katharina. Und dann standen wir mit einem bunten Haufen anderer Studierender an Tisch Nummer 1 und schwiegen uns zu Tode. Um irgendwie eine Konversation zustande zu bringen, wurde das gemacht, was man in Japan nur allzu oft macht und auch schon des Öfteren in meinem Einträgen erwähnt wurde: Reihum musste sich jeder auf Japanisch vorstellen und ein paar Sätze über sich verlieren. Und kaum hatten wir das gemacht, wurden auch alle ausländisch Studierenden nach vorne geholt und mussten, man ahnt es schon, sich noch einmal vor allen Anwesenden vorstellen. Also stand ich wieder vorne, wartete bis mir das Mikrofon in die Hand gedrückt wurde und spulte meine Standardsätze ab. Kaum war ich fertig, sah ich schon eine Unzahl von glitzernden Mädchenaugen auf mich gerichtet, deren junge Besitzerinnen frenetisch applaudierten und sich wohl am liebsten auf mich gestürzt und zerfleischt hätten.
Nachdem sich jeder ausländische Studierende vorgestellt hatte, durften wir zurück an unseren Tisch schlurfen und das Essen wurde eröffnet. Und irgendwie kam ich mit einem jungen Japaner ins Gespräch. Seinen Namen habe ich längst vergessen, ich weiß nicht einmal mehr, ob ich ihn je wusste. Ich weiß aber noch, dass es das schlechteste Gespräch war, dass ich jemals geführt hatte. Denn der Japaner verstand zwar einigermaßen mein Japanisch, doch ich hatte keinerlei Ahnung, was er mir mitteilen wollte. Und so bat ich ihn stets seinen Satz nochmals zu wiederholen. Und ein zweites Mal. Und ein drittes Mal. Und ich entschuldigte mich, dass ich ihn so schlecht verstand und bat ihn ein viertes Mal. Und ein fünftes Mal. Und dann bat ich ihn den Satz doch auf Englisch zu wiederholen. Und auch dies ein zweites und ein drittes Mal. Und dann lächelte ich einfach nur noch nervös und zuckte die Schultern. Und irgendwann verstand ich, dass er mich versuchte auf deutsch zu fragen, ob ich aus Mitteldeutschland käme. Er schien sich aber weder von seiner grottenschlechten Aussprache noch von dem offensichtlich anders lautendem Titel der Party, nämlich "Lasst uns japanisch sprechen", davon abbringen weiterhin mit "Deutsch" auf mich einzureden. Anfangs konzentrierte ich mich noch auf seinen Redefluss und nahm hin und wieder etwas vom Buffet, um nicht zu desinteressiert zu wirken, doch schon nach fünf Minuten konzentrierte ich mich nur noch auf das Buffet und warf gelegentlich gelangweilte Ähs und Ahs ein, um so desinteressiert wie nur möglich zu wirken. Aber bedauerlicherweise kamen wir nicht aus dem Gespräch heraus und so stopfte ich mich mit Kartoffeln, Bohnen und Chips voll, während er mit zittrigen Händen jeden Satz fünfmal wiederholte und hoffte, dass ich diesmal vielleicht nicht auf japanisch sagen würde "Habe ich nicht verstande. Bitte noch einmal.". Irgendwann zog mich glücklicherweise Nobuko weg, die ich sofort anflehte mich in irgendein Gespräch zu verwickeln, damit ich nicht wieder mit dem Japaner sprechen musste, welcher übrigens ebenso schnell wie ich weggegangen war, sich zu einer Gruppe von Chinesen gestellt hatte und versuchte sich irgendwie in das Gespräch einzuklinken. Kaum hatte ich mit Nobuko vereinbart den Rest der Party ein scheinbar interessiertes Gespräch vorzutäuschen, wurden alle Anwesenden wieder gemischt und neu verteilt, weshalb ich nun ganz alleine an Tisch 2 stand. Um ein Gespräch in Gang zu bringen, musste sich wieder einmal jeder kurz auf japanisch vorstellen. Ich war froh Ryou, den Chinesen aus meinem Sprachkurs, an meinem Tisch zu haben und verwickelte ihn gleich in ein kurzes Gespräch, um nicht Gefahr zu laufen, wieder in eine vollkommen ungewollte Konversation hineingezogen zu werden. Doch gerade als unser Gespräch in Gang kam, geschah das, was ich bereits den ganzen Tag befürchtet hatte, hinter mir standen zwei kleine Japanerinnen, die unbedingt mit mir, dem hochgewachsenen Ausländer, sprechen wollten. Und ehe ich sie abwimmeln konnte, war Ryou auch schon davon gelaufen und mir blieb nichts anderes übrig, als ein Gespräch mit den beiden kichernden, kleinen Japanerinnen zu beginnen.
Über eine halbe Stunde dauerte das Gespräch mit den beiden Japanerinnen, das zu achtzig Prozent eigentlich ein Monolog meinerseits war, da die beiden Mädchen meist meine Fragen nur mit einem Kichern oder einem "Oh, wie süß." kommentierten. Und so stand ich dreißig geschlagene Minuten unter dem Druck mir ständig neue Fragen auszudenken, da von den beiden Mädchen fast nie irgendeine Form von Gegenfrage kam. Und so erzählte ich ein wenig von mir und zog den quietschenden Mädchen jede Antwort einzeln aus der Nase. In der Hoffnung irgendwo Katharina, Nobuko oder Ayano zu erblicken, blickte ich mich immer wieder hilflos um, doch leider vergebens. Und so quälte ich mich durch ein gezwungenes Gespräch, das so gar kein Ende finden wollte. Nachdem ich dann irgendwann einfach nicht mehr wußte, was ich nun noch fragen sollte und bereits wieder begann Chips in mich hinein zu schaufeln, verabschiedeten sich die beiden Mädchen endlich und zogen kichernd davon. Doch nach nicht einmal 20 Sekunden, stand bereits die nächste Zweiergruppe von Mädchen vor mir. Sie reichten mir die Hand und begannen mich mit glitzernden Augen anzustarren. Nachdem sie mir höflichkeitshalber drei Fragen gestellt hatten, holte das eine Mädchen ihr Mobiltelephon aus ihrem Handtäschchen und drückte es ihrer Freundin in die Hand. "Können wir ein Foto mit dir machen?", sagte sie und drückte sich bereits, in die Kamera lächelnd, an meine Seite. Da blieb mir gar nichts anderes übrig als einfach zu nicken und auch in die Kamera zu lächeln. Kichernd und tuschelnd blickten die beiden Mädchen auf ihr erbeutetes Foto und zogen lachend davon. Und schon kam kam das nächste Mädchen angelaufen, diesmal aber glücklicherweise Nobuko, die mit weit aufgerissenen Augen auf mich zugeeilt kam und sofort panisch flüsterte: "Hilf mir! Hilf mir! Ich will nicht mehr mit dem aufdringlichen Ausländer sprechen!". Und recht schnell stellte sich heraus, dass auch sie die letzte halbe Stunde in ein peinliches Gespräch verwickelt gewesen war, aus dem es keinen Ausweg gegeben hatte. Nobuko konnte sich gar nicht mehr einkriegen und regte sich unentwegt darüber auf, wie unverblümt ihr Gesprächspartner ihr auf die Pelle gerückt war. "Warum stehen all diese dummen Mädchen um ihn rum und himmeln ihn so an?", regte sich Nobuko auf und ich tat mein Bestes, um sie ein wenig zu beruhigen. Ich habe einmal gehört, dass viele Ausländer viel direkter flirteten als ihre gleichaltrigen, japanischen Landsmänner, was auf einige Japanerinnen einen unwiderstehlichen Charme ausübt, während es anderen vollkommen verschreckt. Und so musste ich ein wenig nachdenken, ob Nobukos Gesprächspartner wirklich so aufdringlich gewesen war, wie sie mir panisch schilderte, oder ob es doch nur ein Schock über die ungewohnte Direktheit gewesen war. Wie dem auch sei, wir beide hatten erst einmal genug von der gut gemeinten Party, sammelten Katharina und Ayano wieder ein und verließen mit einigen anderen den Raum.
Kurze Zeit später standen wir auf dem Campus noch in eine ruhige Ecke und ließen die "Lasst und japanisch sprechen"-Party nochmals Revue passieren. Dabei waren wir uns alle darin einig, dass dies wohl für jeden von uns eine der peinlichsten Veranstaltungen gewesen war, die wir je besucht hatten. Aber auch wenn die vergangenen zwei Stunden noch so träge und nervenaufreibend gewesen waren, so boten sie doch ein unerschöpfliches Gesprächspotential und jede Menge Denkanstöße, über das Verhältnis zwischen Japanern und Nicht-Japanern. Gemeinsam zerpflückten wir die Veranstaltung und kamen uns überein, dass dies wirklich nicht mehr als eine gigantische Partnerbörse war. "Aber immerhin", sagte ich zum Abschluss, "Ich hatte dort ein reichhaltiges Buffet zu Abendessen und habe sehr viel Japanisch gesprochen. Und vielleicht muss man so eine Veranstaltung auch einmal besucht haben.". Lachend verabschiedeten wir uns und während Nobuko mit Ayano zum Bahnhof ging, um nach Hause zu fahren, lief ich mit Katharina zum Wohnheim. Auf dem Rückweg unterhielten wir uns noch einmal ausgiebig über die vergangenen zwei Stunden, die so peinlich und doch so ergiebig gewesen waren.

2 Kommentare:

H. hat gesagt…

Haha, auch wenn ich mir vorstellen kann, wie unangenehm das ganze für dich war, ist dieser Artikel doch sehr amüsant :-)Glaube, von diesen Partnerbörsen hast du erstmal die Nase voll...bis zum nächsten Mal, wenn du ganz geschickt dazu manipuliert wirst ja zu sagen :-)

Anonym hat gesagt…

Wenn es sich vermeiden lässt, werde ich die "Partnerbörsen" demnächst ganz galant umgehen.
Es würde ja helfen, wenn ich gezielt lügen könnte, um mich aus solchen verfänglichen Situationen befreien zu können. Aber dafür bin ich ja leider zu ehrlich...