Samstag, 8. November 2008

Die zehn Anderen

Etwa alle 10 Tage habe ich anstelle des normalen Textlesens einen zweistündigen Konversationsunterricht. Dazu hört man einen Dialog von Kassette, spricht ihn nach, lernt verschiedene Formulierungen und muss unter mit den neu gelernten Ausdrucksformen einen Dialog mit einem Partner verfassen, den man sowohl im Unterricht vorträgt, als auch für die Konversationsprüfung auswendig lernt. Immer wenn unser Konversationsunterricht auf einen Donnerstag fällt, leitet Frau Nomura den Unterricht. Damit wir nicht immer mit den gleichen Leuten sprechen, setzt sie die normalen Banknachbarn auseinander und weist uns neuen Gesprächspartnern zu. Zwar ist es immer etwas seltsam mit Unbekannten zu arbeiten, mit denen man sich manchmal nur in gebrochenem Japanisch unterhalten kann, andererseits trainiert man sich auf unterschiedliche Gesprächspartner einzustellen und lernt nebenbei die anderen Mitglieder des Sprachkurses kennen, mit denen man sonst eigentlich nicht wirklich viel zu tun hat. Diesen Donnerstag hatten wir wieder Konversationsunterricht bei Frau Nomura, weshalb ich aus gegebenem Anlass einige Worte, über die Teilnehmer meines Sprachkurses verlieren möchte:
Cassy ist Kanadierin mit chinesischer Herkunft, weshalb sie sowohl Chinesisch, als auch Englisch fließend spricht. Sie hat eine Vorliebe für alles was süß und kitschig ist. Ich komme sehr gut mir aus, obwohl ich fast noch nie etwas mit ihr zu tun hatte. Yosuke versteht sich sehr gut mit ihr, weshalb ich sie manchmal in unserer Wohnung treffe.
Florian kommt aus Bremen und ist der Größte im Sprachkurs. Mit seiner Körpergröße und seiner Vorliebe für Bier ist er immer ein beliebtes Ziel für Beispielsätze der Lehrer. Da wir nah beieinander sitzen und den gleichen Humor haben, bringen wir uns während des Unterrichts oft zum Lachen. Ich verstehe mich sehr gut mit ihm und oftmals reden wir vor dem Klassenraum miteinander.
Katharina ist meine Sitznachbarin und mein Hauptgesprächspartner, während langweiliger Unterrichtsstunden. Verstehen wir uns außerhalb des Unterrichts sehr gut und verbringen oft Zeit miteinander, stehen wir im Unterricht oftmals auf Kriegsfuß. Das liegt daran, dass Katharina im Unterricht das Malen von kleinen Kunstwerken und das Schreiben von Fantasiesätzen dem eigentlichen Unterricht vorzieht. Darum muss ich ihr ständig sagen wo wir gerade sind und immer nochmals erklären, was der Lehrer gerade gesagt hat. Das stört mich, weil ich dann selbst dem Unterricht nicht mehr folgen kann.
Ma ist der Chinese, mit dem ich überhaupt nicht klar komme. Da er den Kurs wiederholt, hat er fast alle Lösungen in seinen Unterlagen bereits vermerkt und wird nicht müde sie stets in den Raum zu rufen, auch wenn er gar nicht dran ist. Obwohl er selbst den ganzen Unterricht redet, neigt er dazu andere aufzufordern ruhig zu sein. Auch wenn er Anfangs den Eindruck machte viel zu wissen, stellte sich doch schnell heraus, dass er meist nur alles aus seinem Buch abliest und bei freien Aufgabenstellungen oder freier Konversation überhaupt nichts versteht.
Marius kommt ebenfalls aus Bremen und ist mein Sitznachbar. Er kommt mit dem Lernstoff oft nicht hinterher, weshalb ich ihm oftmals kurze Erklärungen oder Hilfestellungen gebe, die er dankend annimmt. Gemeinsam mit Florian und mir, regt er sich gerne über die unverständlichen Erklärungen einiger Lehrer auf, die uns überhaupt nicht weiterbringen. Insgesamt komme ich sehr gut mit ihm aus.
Marvin kommt aus Duisburg-Essen und ist neben mir wohl der beste im Kurs. Wir reden zwar selten, kommen aber dennoch gut miteinander aus. Er ist bisher der Einzige von dem ich sicher weiß, dass er auch nächstes Semester noch in Japan sein wird.
Michael kommt aus Bremen und ist nicht sonderlich gut im Japanischen. In meinen ersten Tagen in Japan, als noch kaum jemand anderes da war, hatte ich noch viel mit Michael zu tun, mittlerweile sprechen wir kaum noch miteinander. Er ist bekannt für all die Extremsportarten, die er betreibt und wird wegen seiner langen, lockigen Haare auch manchmal Lockenköpfchen genannt.
Paul kommt auch aus Duisburg-Essen und unternimmt fast alles gemeinsam mit Marvin, da sie sich eine Wohnung im Wohnheim teilen. Laut Marvin kommt er jeden Tag zu spät in den Unterricht, weil er so lange vor dem Spiegel steht, um seine Haare zu stylen, dabei hat er gar keine ausgefallene Frisur.
Riku ist neben Ma, der zweite Chinese, der den Kurs wiederholt. Er ist eher ruhig und scheint immer glücklich, wenn er gar nicht auffällt und seinen Gedanken nachhängen kann. Sein chinesischer Akzent ist so stark, dass er oftmals seine Sätze wiederholen muss, da ihn niemand versteht. Sein Kennzeichen sind seine ausgefallenen Haare, die die Lehrer oftmals als wilde Zeichentrickfrisur bezeichnen. Er kommt grundsätzlich zu spät, manchmal fast eine Stunde, weil angeblich immer der Zug Verspätung hat. Während des Unterrichts verschwindet er immer, um heimlich zu rauchen. Bisher hatte ich noch nichts mit ihm zu tun.
Ryou ist der letzte Chinese, der oft mit Cassy zu sehen ist. Da er oftmals heimlich Filme im Unterricht sieht, weiß er oft nicht, wo wir uns gerade befinden und wurde schon manchmal von den Lehrern diesbezüglich zurechtgewiesen. Er ist bekennender Manga- und Animefan, scheint eine Vorliebe für Fastfood zu haben und schläft im Unterricht gerne mal ein, wenn es ihm zu langweilig wird. Er ist sehr nett und grüßt mich immer, wenn wir uns sehen. Obwohl wir uns kaum verständigen können, kommen wir doch ganz gut miteinander aus.


Bild1: Meine Sitznachbarin Katharina, die auch die Mitbewohnerin von Lee ist. Wir unternehmen viel gemeinsam.


Bild2: Links im Bild sieht man Ma, den Chinesen, mit dem ich mich so gar nicht verstehe.


Bild3: Marvin aus Duisburg-Essen. Auf der Bank vor ihm sitzt auf der rechten Seite sein Mitbewohner Paul.


Bild4: Michael aus Bremen wird wegen seiner Haare auch manchmal Lockenköpfchen genannt.


Bild5: Der Chinese Ryou, der auch einen Mac-Laptop benutzt.


Am Nachmittag nach dem Unterricht traf ich mich, wie am Vortag vereinbart, mit Ayano. In unserer 90-minütigen Konversation konnte ich sie ein wenig besser kennenlernen und erfuhr, dass ihre Bewerbung um einen Studienplatz im Ausland erfolgreich war. Da sie sehr musikinteressiert ist, wird sie ab dem kommenden Semester nach Wien gehen und vermutlich am Konservatorium Unterricht nehmen. In ihrer Freizeit nimmt Ayano nämlich bereits professionellen Gesangsunterricht und überraschte mich damit, dass sie sogar schon Auftritte in der Oper hatte. So hatte sie beispielsweise einen Gesangspart in der Hochzeit des Figaro von Mozart. Unser Gespräch drehte sich dann größtenteils auch um Musik und Deutschland. Es muss lustig gewesen sein, wie Ayano mit gebrochenem Deutsch einen Satz sagte, auf den ich stets mit gebrochenem Japanisch antwortete. So hangelte sich jeder durch die Muttersprache des anderen und keiner musste sich schämen, da jeder das gleiche Handicap hatte. Irgendwie kamen wir dann auf das Deutsche Filmfestival in Tokyo zu sprechen, was am morgigen Tag anlief. Ohne große Diskussion verabredeten wir uns für Morgen, um gemeinsam dorthin zu fahren. Schon seit einiger Zeit wollte ich nämlich den Film "Krabat" sehen, der in den deutschen Kinos bereits seit Wochen lief, während Ayano mit der Verfilmung von Clara Schumanns Leben liebäugelte. Glücklich einen Gefährten für die Fahrt zum Filmfestival gefunden zu haben, machte ich mich am späten Nachmittag wieder auf den Weg ins Wohnheim und genoss den Abend.

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