Donnerstag, 11. Dezember 2008

Stiller Kampf im IC

"Und kommst du zu der Feier?"
Herr Takeshima, einer der Angestellten am international center der Dokkyo-Universität schaute mich hoffnungsvoll an. Wieder einmal war ich in eine dieser Situationen gerutscht. Und wieder einmal wusste ich nicht wie ich daraus entkommen sollte. Die Frage lastete zentnerschwer auf meinen Schultern und ich versuchte mich mit einem schiefen Lächeln und einem unschuldigen "Ich weiß noch nicht..." von der Bühne des Geschehens zu stehlen.
"Bis jetzt hat sich nämlich noch kein Deutscher angemeldet. Und eine deutsche Weihnachtsfeier ohne Deutsche erscheint mir ein wenig...nun...trist."
Herr Takeshima klammerte sich in einer verzweifelten Aktion symbolisch an meinem Bein fest und versuchte mich nicht so einfach davonkommen zu lassen. Aber ich gab nicht auf, rief mir immer wieder die Schrecken von der "Lasst und japanisch sprechen"-Party ins Gedächtnis und kämpfte bis zuletzt.
"Ich werde den anderen definitiv nochmals von der Feier berichten."
Ich klopfte mir für diese Antwort selbst auf die Schulter, denn normalerweise entdeckte ich solch effektive Rettungswege immer erst viel zu spät. Herr Takeshima dachte eine Weile lang nach und gab sich schließlich geschlagen. Jeder weitere Versuch wäre zu offensichtlich gewesen. Und schritt ich mit stolz erhobenem Haupt aus dem international center mit dem Wissen aus der Schlacht als Sieger hervorgegangen zu sein.
Ja, Weihnachten steht vor der Tür und das international center steckt einmal mehr mitten in der Planungen für eine ihrer Veranstaltungen. Doch diesmal hatte ich mir vorgenommen felsenfest auf meiner Meinung zu beharren und mich nicht wieder zu einem Besuch breitschlagen zu lassen. Und offensichtlich hatte ich Erfolg. Zumindest fürs Erste, denn ich war mir sicher, dass Herr Takeshima noch andere Möglichkeiten finden würde, um mich in die Enge zu treiben.
Eigentlich wollte ich gar nicht ins international center gehen, denn wer betritt schon freiwillig die Höhle des Löwen, wenn dieser dort hungrig wartet. Dass man mich während der Vorbereitungen für die Weihnachtsfeier natürlich versuchen würde zum Kommen zu überreden, war mir nur allzu klar gewesen, aber schließlich hatte ich Katharina versprochen mit ihr um Hilfe zu bitten. Denn Katharina hat zur Zeit ein Problem: Im Januar möchte sie nämlich ein dreimonatiges Praktikum beginnen und anschließend gegen Ende März nach Hause fliegen, um ihr Studium rechtzeitig zum Sommersemester fortsetzen zu können. Doch bei der praktischen Umsetzung ihres Vorhabens gibt es einige Schwierigkeiten: Zunächst einmal muss ihr Visum umgeschrieben werden, dann überschneiden sich die Zeiten für ihr Praktikum mit der Endprüfung des Sprachkurses und zu guter letzt darf sie nicht weiter im Wohnheim wohnen, wenn sie nicht an der Universität eingeschrieben ist. Ohne zu sehr ins Detail zu gehen, kann man sagen, dass es sehr chaotisch wird und Katharina vor einem ganzen Haufen an Fragen steht, den sie irgendwie beantworten muss. Und das möglichst schnell, schließlich sollte ihr Praktikum bereits in rund einem Monat beginnen.
In der Zeit in der wir beide gemeinsam im international center waren, habe ich Katharina in einem ganz neuen Licht gesehen. Ist sie sonst die taffe, unnahbare, manchmal etwas schroffe und launische junge Frau, so habe ich sie heute als zerbrechliches und verletzliches Mädchen kennengelernt, das bei dem Gedanken, dass die lange gehegte Planung nicht klappen könnte und der Auszug aus dem Wohnheim, in dem sie so gute Freunde gefunden hat, unvermeidlich scheint, damit kämpfen musste nicht zu weinen. Mit rotem Kopf, feuchten Augen und verbissener Miene saß sie da und starrte vor sich hin. Und auch wenn sie wie immer taff sein wollte, versuchte sich nichts anmerken zu lassen und kein einziges Wort über ihre Gefühle verlor, so weiß ich doch, dass sie glücklich war mich an ihrer Seite zu haben. Während wir am Tisch saßen und warteten, begann sie das erste Mal über die Probleme in ihrer Ehe zu reden. Natürlich sprach sie kein einziges Problem direkt an, das wäre schlichweg nicht Katharina, stattdessen verpackte sie all ihre Bedenken und Ängste in lustige Kommentare und Anekdoten, die sie scheinbar beiläufig einwarf. Ich half ihr so gut ich konnte, auch wenn ich stellenweise einfach nur zuhörte. Aber manchmal ist es auch genau das, was andere brauchen: Jemanden zum Zuhören.
Nachdem alles geklärt war, was auf die Schnelle geklärt werden konnte, lief ich mit Katharina nach Hause. Lee war bereits früher gegangen. Ohnehin hatte ich Lee an diesem Tag kaum gesehen, da sie sich zum Mittagessen entschlossen hatte nicht mehr in die Mensa zu gehen, um ein wenig Geld zu sparen. Wenn möglich wollte sie sich morgens schon ein Mittagessen zum Mitnehmen zubereiten und dieses dann alleine irgendwo essen, da ihr die überfüllte Mensa zur Mittagszeit zu laut und zu hektisch war. Und darum hatten Katharina und ich heute das erste Mal ganz einsam, ohne Lee, zur Mittagszeit in der Mensa gesessen und unser Mittagessen gegessen. Ich würde mir wünschen, dass Lee wieder kommen würde. Nicht weil ich es mit Katharina unangenehm fände, sondern weil es doch einfach lebhafter ist, wenn mehrere Personen beieinander sitzen und sich austauschen.
A propos Austauschen: Da wir im Nachmittagsunterricht zu früh mit dem Unterrichtsstoff durch waren, hatten wir noch fünfzehn Minuten zur freien Konversation zur Verfügung. Meine Lehrerin Frau Nomura kam daraufhin auf die Idee spontan über etwas erzählen zu lassen. Und so musste jeder einige Sätze über etwas Besonderes erzählen, dass er in den letzten Tagen erlebt hatte. Und mit einem kurzen Blick zu Katharina und zu Cassy, die hinter mir saß, berichtete ich von unserem gemeinsamen Essen am Montag; Wie sehr es mir Spaß gemacht hatte und wie viele neue Erfahrungen ich gesammelt hatte.
Als ich am Abend dann mein Zimmer mit etwas Weihnachtsdekoration schmückte, erhielt ich eine eMail von Shinya, dem Japaner, mit dem ich bereits zweimal zum Kochen getroffen hatte ("Stipendien, Schmetterlinge und Sushi" & "Meisterkoch"). Nachdem er in den letzten Wochen viel für die Universität machen musste und im üblichen Vorbereitungsstress für sein anstehendes Auslandssemester steckte, hatte er nun vor Weihnachten endlich wieder etwas Luft für ein Treffen. Darum wollte er es sich natürlich nicht entgehen lassen sich mit mir ein weiteres Mal zu treffen, um mein Versprechen für das "Deutsche Essen" einzulösen. Wenn ich auch gar nicht genau wußte, was ich Shinya denn vorsetzen sollte, sagte ich voller Vorfreude für das kommende Wochenende zu. Und mit dem guten Gefühl viele Freunde hier um mich zu haben, legte ich mich am Abend ins Bett und schlief ein.


Bild1: Meine Weihnachtsdekoration besteht aus Strohsternen und Tannenzweigen.


Bild2: Eine tolle Weihnachtskarte von meiner Mama. Vielen herzlichen Dank, eine wirklich tolle Idee. Vielleicht werde ich Gebrauch von der Bastelanleitung machen.


Bild3: Mein kleiner Adventskalender und der Tee-Advent-Kalender, beide von meiner Mutter.

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