Wenn ich von meinem Unterricht berichte, dann schreibe ich oft von langweiligen Lehrern, teilnahmslosen Studenten, öden Lehrbüchern und fantasieloser Unterrichtsgestaltung. Man könnte meinen, dass mein Unterricht, abgesehen von gelegentlichen Anekdoten, eine einzige Qual ist, dass ich mich Tag für Tag durch viereinhalb Stunden Langeweile schleppen muss. Doch im Großen und Ganzen mag ich meine Zeit an der Dokkyo-Universität. Sicherlich gibt es sie, die Stunden, in denen man kurz vor dem Einnicken auf seinem Stuhl sitzt, krampfhaft versucht dem Lehrer Gehör zu schenken und sich doch nicht davor schützen kann mit den Gedanken gelegentlich auf Reisen zu gehen, doch ebenso gibt es jene Stunden, in denen man freudig mitarbeitet, der Lehrer scherzt und witzelt und man fast schon mit Bedauern den Lehrsaal verlässt.
So zum Beispiel der heutige Unterricht bei Frau Kitamura, die mittlerweile meine Lieblingslehrerin ist. Es waren keine Stunden, in denen irgendetwas Besonderes geschehen wäre, keine haarsträubende Anekdote, kein faszinierendes Detail, das ins Auge gestochen wäre, einfach nur ein heiterer Unterricht, an dem sich jeder im Kurs erfreute.
Das Lektionsthema war die Beschreibung von unbekannten Sachen. Nun hätte man den Inhalt des Lehrbuches trocken und langweilig durchgehen können, um das Muss abzuarbeiten, doch Frau Kitamura legte schon recht früh das Buch beiseite und kramte stattdessen einen Stapel Zettel hervor und rief jemanden zu sich. Und da niemand nach Vorne treten wollte, weil alle etwas Schlimmes befürchteten, ging schließlich ich an die Tafel und lies mir von Frau Kitamura einen der Zettel zeigen.
"Erklären Sie das bitte. Natürlich ohne das Wort zu benutzen."
Sie deutete auf das Bild einer Tasche. Sofort begriff ich, dass wir statt der Theorie des Buches, das Erklären sofort praktisch lernten. Doch das war gar nicht so leicht wie es sich anhören mag, denn erst bei solch simplen Aufgaben fällt einem auf, welche Schwierigkeiten man nicht nur beim Ausdrücken im Japanischen, sondern auch beim Erklären von solch elementaren Dingen wie einer Tasche hat.
"Es ist eine Sache. Äh, es steht neben Nikki auf dem Boden."
Der ganze Kurs drehte sich zu Nikki um, die schockiert neben sich blickte. Und wild durcheinander riefen alle das Wort Tasche durch den Raum. Frau Kitamura musste lachen und beschuldigte mich die eigentliche Aufgabe umgangen zu haben. Und so musste ich noch einmal eine Tasche erklären, allerdings mit ein wenig Mitarbeit der anderen Kursteilnehmer.
"Man kann etwas hineintun. Es hat Griffe. Man trägt es herum."
"Man nimmt es auf eine Reise mit."
"Ist oft aus Leder."
Und so setzte sich der Unterricht fort. Ich erklärte einen Zirkel, ein Lineal, ein Küchenbrett, einen Eimer und viele andere Dinge und riet im Gegenzug eifrig mit, als die anderen erklären durften. Irgendwann wurde der Schwierigkeitsgrad erhöht und dem Erklärenden wurden Listen mit Wörtern gezeigt, die er nicht benutzen durfte, also ähnlich wie das Spiel Tabu. Der Kurs zeigte großes Interesse an dem spielerischen Lernen, man freute sich, wenn man richtig lag, lachte über irrsinnigen Erklärungsversuche, über die Versprecher, die einige Erklärungen unverständlich werden ließen und dachte fieberhaft nach, wenn man selbst an der Tafel stand und ein neues Bild von Frau Kitamura gezeigt bekam. Und ganz nebenbei lernte man auch noch.
Es war einer jener Tage, an denen ich fast schon traurig war, als es läutete und wir in die Mittagspause entlassen wurden. Man hatte Spass und konnte lernen, was kann man sich mehr wünschen für einem Unterricht? Es sind keine lustigen Anekdoten, die ich in Erinnerung behalten werde, vielleicht nicht einmal die Tatsache, dass ich einmal einen amüsanten Unterricht hatte, in dem ich Dinge erklären musste. Aber Tage wie diese prägen das Bild, das ich eines Tages von meinem Unterricht haben werde, wenn ich an Japan zurückdenke. Es gab nicht nur Langeweile, nicht nur Tristheit und stures Lernen, unterbrochen durch die ein oder andere Anekdote, nein, es gab ebenso auch Tage, an denen man den Klassensaal gar nicht verlassen wollte. Und letztlich bleibt das Bild von einem vielfältigen Unterricht hier in Japan, der im Großen und Ganzen doch recht amüsant war.
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