Samstag, 25. Juli 2009

Von Aufkündigungen, Anerkennung und dem Abschiednehmen

Was war das Erste, was ich in Japan getan habe, nachdem ich in Soka angekommen und von Izumi und Shinya am Bahnhof abgeholt worden war ("So ist Soka")? Ich ging mit den beiden zur Wohnungsagentur, unterschrieb den Vertrag für meine Wohnung, erhielt meinen Schlüssel, meine neue Anschrift und machte mich auf den Weg in meine eigenen vier Wände. Nun ja, wenn ich ehrlich bin, dann haben Shinya und Izumi damals alles erledigt, alles verhandelt, alle Probleme gelöst und ich habe nur meine Unterschrift unter all die Papiere gesetzt. Bei dem ganzen Papierkram und all den Fragen der Sachbearbeiterin, hätte ich damals vermutlich ohnehin nicht durchgeblickt.
Mittlerweile sind über zehn Monate vergangen. Zehn lange Monate, in denen ich mein Japanisch verbessern konnte, in denen ich Monat für Monat zu meiner Wohnungsagentur lief, um meine Miete in bar zu bezahlen, und in denen ich lernen konnte ein wenig mit japanischer Bürokratie zurechtzukommen. Und so kam es, dass ich mich, als die Zeit gekommen war, dazu entschied meinen Mietvertrag auf eigene Faust aufzulösen. Ich wolle mir selbst beweisen,was ich mittlerweile bewerkstelligen konnte, mir selbst zeigen, was ich im vergangenen Jahr gelernt hatte. Ganz ohne fachkundige Hilfe, ohne Ratschläge von Kommilitonen, ohne sprachliche Unterstützung von Ayano oder Tak, machte ich mich auf den Weg zur Zweigstelle meiner Wohnungsagentur nahe des Bahnhofs von Soka. In meiner Begleitung war nur meine Freundin Lee, die ebenfalls ihren Vertrag auflösen musste und mich um Hilfe gebeten hatte. Und so betrat ich ohne fremde Hilfe, stattdessen sogar als Unterstützung für jemand anderen, am Nachmittag meines 306. Tages in Japan die Geschäftsstelle meiner Wohnungsagentur, die ich in den letzten Monaten schon so oft besucht hatte.
Es war schon verhältnismäßig spät am Nachmittag und hinter der dünnen Trennwand zum Arbeitsbereich der Angestellten saß junge Frau alleine am Computer, die sofort aufblickte, als sie das Glockenläuten der Tür hörte, und Lee und mir eilig entgegen hastete.
"Komme Sie doch bitte herein. Wie kann ich Ihnen helfen."
Die Frau blickte uns mit einem natürlichen, warmen Lächeln an, während sie in ihrem Kostüm vor uns beiden stand.
"Ich habe eine Frage. Und zwar verlassen wir beide in knapp einem Monat das Land und müssen darum aus unseren Wohnungen ausziehen. Was müssen wir dafür machen?"
Erst im Nachhinein wurde mir bewusst, dass ich mir den Satz im Voraus gar nicht zurechtgelegt, sondern frei aus dem Bauch heraus gesprochen hatte. Die junge Dame verstand sofort, bat uns Platz zu nehmen und kam kurz darauf mit zwei Formularen zurück, eines für Lee und eines für mich. Routiniert legte sie diese auf den Tisch und drehte sie genau in unsere Richtung.
"Darf ich fragen, wann sie planen das Land zu verlassen? Dann kann ich schon einmal den Satz ihrer letzten Mietzahlung berechnen."
"Der neunte August."
"Der sechste August."
Die junge Dame warf einen kurzen Blick auf unsere Namen.
"Der sechste August für Frau Chang, der neunte August für Herrn Kraft. Stimmt das so?
Wir bejahten und mit einem Lächeln verschwand die junge Frau hinter der dünnen Trennwand zum Arbeitsbereich. Während sie mit dem Taschenrechner unsere Restmiete berechnete, widmeten sich Lee und ich den Formularen, die wir ohne größere Probleme ausfüllen konnten. Unsere Namen, unsere Anschrift, Gründe für den Auszug, Anzahl unserer Schlüssel, alles kein Problem. Gelegentlich fragte mich Lee nach der Bedeutung eines Schriftzeichens, vergewisserte sich, dass sie auch wirklich das Richtige ankreuzte, doch ansonsten konnte sie alles selbst bewerkstelligen.
Nach einiger Zeit kam die junge Dame zurück und präsentierte uns den Betrag unserer Restmiete für den August, die Lee und ich sogleich beglichen. Und so blieb letztlich nicht mehr zu tun, als unsere Formulare vorzuzeigen und überprüfen zu lassen.
"Was bedeutet dieses Wort?"
Ich deutete auf einen Ausdruck in den Unterlagen, den ich nicht kannte und mir auch nicht erklären konnte. Die Frau warf einen Blick darauf, grübelte kurz und erklärte mir letztlich, dass es sich um die Frage nach Mängeln am Boden handeln würde. Ein wenig verwirrt, lauschte ich der Antwort und deutete auf eine Zeile darüber.
"Aber wird nicht an dieser Stelle nach Mängeln am Boden gefragt?"
Die junge Frau stutzte einen Moment, nahm mein Formular in die Hand und blickte eine Weile lang auf die Schriftzeichen.
"Ja, sie haben vollkommen recht. Das ist in der Tat seltsam."
Einen Moment herrschte Stille.
"Haben sie vielleicht Schiebetüren oder ähnliches in der Wohnung?"
"Ja, das haben wir."
"Dann bezieht sich diese Frage wohl darauf. Ob sie Mängel an den Schiebetüren haben."
Ich bedankte mich und kam mit der jungen Angestellten ins Gespräch. Wie lange ich in Japan gewesen war, was ich hier gemacht hatte, warum ich wieder nach Deutschland zurückkehren würde. Und so erzählte ich von mir, ganz frei, ganz ungezwungen. Ebenso Lee. Und auch wenn wir Fehler machten und uns verhaspelten, nach Worten rangen und uns immer wieder selbst verbessern mussten, war es doch ein angenehmes Gespräch mit der Frau von unserer Wohnungsagentur.
"Hat Ihnen Ihr Jahr in Japan gefallen?"
"Auf jeden Fall."
"Kommen Sie denn irgendwann wieder?"
"Ich weiß noch nicht wann, aber ich werde auf jeden Fall wieder nach Japan reisen."
Es war eine lange Verabschiedung als Lee und ich die Zweigstelle verließen, fast schon so, als würde man einen Freund verabschieden. Natürlich mussten wir auf dem Rückweg ein wenig lächeln über einige unserer sprachlichen Fehler, über einige unserer Patzer und insbesondere Lee schämte sich für ihr schlechtes Japanisch. Doch ich tröstete sie.
"Als du vor einem Jahr nach Japan gekommen bist, konntest du kein einziges Wort Japanisch sprechen. Und nun schau dich an. Du kannst mittlerweile sogar fast komplett ohne Hilfe Verträge abschließen und aufkündigen. Und auch wenn es gelegentlich ein wenig holprig ist, so kannst du doch Japanisch lesen, verstehe und auch sprechen. Du hast keinen Grund dich zu schämen, du hast Grund stolz auf dich zu sein!"
Lee lächelte und war wirklich ein wenig stolz auf sich. Und ebenso zollte ich auch mir selbst Anerkennung, denn vielleicht hatte ich nicht nur Lee gelobt, sondern insgeheim auch mich.

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