Sonntag, 12. Juli 2009

Anderssein

"Das ist der Typ, der nie zu den Partys kommt."
So wurde ich heute von Paul vorgestellt. Die Japanerin, die mich angesprochen hatte lachte ein wenig verlegen und wusste im ersten Moment nicht so recht, was sie sagen sollte. Also fragte sie die Frage, die jeder in diesem Zusammenhang fragen würde:
"Warum gehst du nicht auf Partys."
"Ich fühle mich dort unwohl. Ich trinke nicht einmal Alkohol. Ich treffe mich lieber mit Freunden und reise durch die Gegend, gehe Essen oder unternehme etwas anderes."
Das junge, japanische Mädchen lächelte nichtsagend und ich konnte nicht einschätzen, ob sie dies einfach nur aus Höflichkeit tat oder mich von oben herab belächelte. Zumindest schien sie abgesehen von dem nichtsagenden Lächeln, einem Nicken und einigen Lauten, die zeigten, dass sie meine Antwort zur Kenntnis genommen hatte, keine Reaktion zu zeigen. Und so drehte sie sich ohne weitere Kommentare zu Paul um und begann über irgendwelche Partys zu sprechen. Ich war für sie wohl uninteressant geworden.
Ja, so kann es gehen. Ich bin es schon gewohnt, dass Menschen ein wenig schief schauen, wenn ich sage, dass ich nicht auf Partys gehe. Man bekommt oft den Stempel aufgedrückt nichts mit den anderen zu tun haben zu wollen, für sich sein zu wollen und wird dementsprechend distanziert behandelt. Jemand will nicht mit uns Party machen? Dann muss er irgendein Problem mit uns haben, irgendwas muss ihn an uns stören. Jemand trinkt keinen Alkohol? Dann muss er irgendein religiöser Fanatiker sein. Oder irgendein verschrobener Öko-Heini. Mit so einem will man nichts zu tun haben. Man fällt aus dem Muster und wird dementsprechend behandelt. Dann frage ich mich immer ob das Partymachen heutzutage wirklich solch ein integraler Bestandteil des Lebens geworden ist, dass man ohne Feiern keinen Spass mehr haben, keine Menschen mehr kennenlernen, keine Zeit mit anderen verbringen kann. Was ist mit all den anderen Dingen, die man unternehmen könnte? Früher habe ich mich mit meinen Freunde getroffen, um Filme zu schauen, Tischspiele oder Computerspiele zu spielen, gemeinsam zu kochen und essen, einen Spaziergang zu machen oder einfach nur um die Zeit mit Reden zu verbringen. Man kann zusammen Reisen, man kann Essen gehen, Einkaufen gehen und sich die Umgebung anschauen. Sind dies heutzutage etwa keine akzeptablen Möglichkeiten zum gemeinsamen Verbringen von Zeit mehr? Immer wenn ich eine Einladung zu einer ausschweifenden Party höflich ausschlage, habe ich es mir angewöhnt eine Gegeneinladung anzubieten.
"Das ist wirklich nett, dass du an mich gedacht hast, aber ich mag Partys nicht wirklich. Aber wir könnten ja mal etwas anderes unternehmen. Ich mache gerne bei allem mit, bei dem kein Alkohol fließt."
Meist bekommt man dann ein wortloses Nicken, gepaart mit einem Schulterzucken, manchmal auch ganz direkt ein "Du kommst also nicht zur Party.", geradzu so, als hätte ich gar keinen Gegenvorschlag gemacht, und oftmals bekommt man als Erwiderung ein vehementes Nicken und Bejahen, wartet dann aber doch Woche um Woche vergebens auf eine Reaktion des anderen. Und so scheint es manchmal wirklich als wird man zu Aussenseiter, nur weil man keinen Alkohol trinkt und keine Partys mag.
Doch natürlich gibt es sie, die Menschen die noch nicht verlernt haben ohne Feiern Zeit zu verbringen, mit denen man auch ohne Alkohol Spass haben kann. Ich freue mich jedes Mal, wenn ich mit Lee die Mittagspause verbringe, mit Milena einen abendlichen Spaziergang unternehme, Tak einfach nur zum Reden vorbei kommt oder ich mit Ayano einfach nur über Gott und die Welt diskutieren kann. Doch sie werden allmählich rar, diese Menschen, von denen man nicht nur als der Typ, er nicht zu den Partys kommt, betitelt wird. Um so glücklicher bin ich, wenn man Menschen findet, die freudig noch von sich aus Angebote machen zusammen Zeit zu verbringen und einmal nicht Partys als Universallösung sehen, sondern auch noch andere Möglichkeiten kennen. Zum Beispiel als Lee mich heute fragte, ob ich nicht gerne mit ihr und einigen Mitstudenten einen Film schauen würde, ich wäre herzlich eingeladen. Ich kannte die anderen nicht, hatte vielleicht übers Hörensagen ihre Namen einmal gehört, aber das war es auch. Dennoch war ich eingeladen einmal nicht zu einer Party zu gehen, sondern einen Film zu schauen. Und freudig sagte ich zu.
Karolina hieß die Polin, die eine Sammlung von drei japanischen Kurzfilmen im Internet gefunden hatte und sie mit einigen Personen anschauen wollte, Daniel hieß der Brite, der zu diesem Anlass sein Zimmer samt Computer und Bett zur Verfügung stellte, und Jessica hieß seine Kommilitonin, die mit von der Partie war. Und alle drei lernte ich heute kennen.
Während Dan, wie alle den Briten nannten, am Computer saß und versuchte den Film zum Laufen zu bringen, knüpfte ich erste Kontakte mit den beiden Mädchen. Jessica lag längs auf dem Bett von Dan und redete stets mit einem Lächeln und einem ansteckenden Lachen. Sie kam aus Wales und studierte gemeinsam mit den beiden anderen in Cardiff. Neben Japanisch konnte sie auch noch Spanisch sprechen, was mich sehr beeindruckte. Und sie mochte keinen Käse. Die Polin Karolina saß aufrecht, mit ernster Miene und überschlagenen Beinen am äußersten Rand des Bettes. Ich verstand sie anfangs nur schwer, weil ihr Englisch stark eingefärbt war, und ein wenig hatte ich den Eindruck, dass sie über mich verärgert war, warum auch immer. Doch irgendwo hatte ich einmal aufgeschnappt, dass sie auf den ersten Blick unfreundlich wirken, aber in Wirklichkeit ein herzensguter und lustiger Mensch sein sollte, weshalb ich mich nicht beirren ließ und sie interessiert zu den Filmen befragte. Und auch wenn ich nicht all ihr Englisch verstand, war nickte ich doch, lachte und ließ ein wenig meine Charme sprühen. Und als ich ihr zustimmte, dass Deutsch für Ausländer nicht unbedingt schön klang, schien das Eis gebrochen zu sein und ich merkte wie sie mir für meine Meinung fast schon anerkennend zunickte. Lee saß ein wenig zusammengekauert auf der vordersten Ecke des Bettes und packte ein paar Süßigkeiten aus, die sie von ihrer Familie aus den U.S.A. geschickt bekommen hatte. Darunter eine Packung Kräcker, die mit Käse gefüllt waren, und bunte, kabelartige, kurze Schnüre, die meiner Meinung nach nur nach Chemie schmeckten. Die Mädchen stürzten sich auf die bunten Schnüre, während der Brite Dan und ich die Kräcker mit Käsefüllung bevorzugten. Und so starten schließlich die drei Kurzfilme, während Lee die Schüre zwischen sich, Karolina und Jessica hin und her reichte, ich alle paar Minuten die Tüte mit Kräckern zu Dan gab, Jessica sich lachend über den Käsegeruch aufregte und Karolina etwas über den Film referierte.
Es war ein spassiger Nachmittag mit den vier anderen. Die Chemie stimmte und so tauschten wir uns rege aus, lachten und diskutierten über die Kurzfilme, die wir soeben gesehen hatten. Dan überließ mir großmütig die letzten Kräcker, ich versprach Karolina Kerzen, die ich zu Ostern erhalten hatte, und sie schaute mich letztlich mit ernster Miene an und sagte, dass ich für einen Deutschen sehr nett und umgänglich wäre. Und so löste sich am späten Nachmittag unsere Runde auf und ich stand noch eine Weile lang mit Lee an der Brüstung des Wohnheims, schaute auf Soka hinaus und unterhielt mich mit ihr.
Ich verglich das heutige Treffen mit dem Ausflug in die Sushi-Bar vor knapp einer Woche ("Sein und Schein"). Damals war ich mir ein wenig deplatziert vorgekommen inmitten der angespannten Atmosphäre. Ich hatte das Gefühl ein wenig das fünfte Rad am Wagen gewesen zu sein. Doch das heutige Zusammensein war anders gewesen: Ich hatte dazu gehört, war einer von ihnen gewesen. Eigentlich absurd, kenne ich doch Yosuke, Marvin und Paul bedeutend länger als Karolina, Dan und Jessica. Doch es war beim Filmschauen eher ein Miteinander, als ein Gegeneinander gewesen. Es war eher eine Gruppe, als das Beisammensein verschiedener Individuen. Und immer wieder musste ich an die Worte von Karolina denken: "Für einen Deutschen warst du sehr nett und umgänglich.". Waren wir Deutschen wirklich unfreundlich? Eine Weile lang dachte ich über diesen Satz nach und mir fiel auf, dass wir Deutschen hier in Japan oft doch recht dickköpfig waren. Wir waren nicht von uns aus unfreundlich, aber wir neigten dazu schnell beleidigt zu sein, uns ständig zu beschweren, immer gerne eine etwas pessimistische Sicht auf die Dinge zu haben und unsere Meinungen so zu äußern, dass es auf andere oft arrogant und selbstgefällig wirkte. Wir waren oft recht überzeugt von dem, was wir machten, kamen oft auch mal aneinander, wenn etwas nicht so lief, wie wir es uns vorstellten, und hatten selten Probleme damit sachlich den Fehler bei anderen zu suchen. Vieles erscheint uns ganz normal, weil wir es nicht anders gewohnt sind, doch bei genauerem Nachdenken waren wir Deutschen doch ein wenig zu ernst, zu dickköpfig und hatten einen ziemlich ruppigen Umgang miteinander. Vielleicht war es das, was mich damals in der Sushi-Bar gestört hatte, etwas das den anderen gar nicht so sehr aufgefallen war, weil sie es gewohnt waren auch einmal aneinander zu geraten, ein wenig ruppig und kantig zu sein, während ich vielleicht eher das friedliche Miteinander bevorzugte, es vorzog zur Entspannung der Atmosphäre auch einmal zu lachen und meinen Ärger lieber still herunterzuschlucken, als ihn laut zu äußern. Vielleicht bin ich in dieser Hinsicht nicht der Durchschnittsdeutsche. Aber wer ist das schon? Ob ich mich deswegen ausgegrenzt fühle? Sicher nicht. Denn letztlich darf man doch eines nie verwechseln: Anderssein und Aussenseiter sein.

2 Kommentare:

michi hat gesagt…

naja. es gibt leute, fuer die spass haben nurnoch ueber parties und alkohol geht und die sich nicht mehr an anderen dingen erfreuen koennen. und auf der anderen seite der skala gibt es leute, die parties absolut und grundsaetzlich nicht moegen und sich nie ueberreden lassen mal auf eine zu gehen und sich viel lieber an anderen dingen erfreuen ;)
je nachdem aus welchem blickwinkel man beide gruppen betrachtet, sind sie entweder grundverschieden oder sehr sehr aehnlich.
vielleicht waere das leben von beiden gruppen noch ein stueckchen reicher, wenn sie auch mal die andere seite ausprobieren. ;)

David Kraft hat gesagt…

Ein Gedankengang, über den ich erst einmal nachdenken muss.
Ich finde es toll, dass hier in den Kommentaren so oft Denkanstöße zu den verschiedensten Dingen gegeben werden. Das macht mich wirklich glücklich.