Ein wenig nervös schaute ich auf die Uhr. Es war bereits halb drei Uhr am Mittag, doch die Britin Jessica war noch nicht vorbeigekommen. Hatte sie nicht versprochen um zwei Uhr an meine Tür klopfen zu wollen? Also telefonierte ich weiter übers Internet, während ich ein wenig verunsichert über die Zeitplanung des heutigen Tages nachdachte. Um vier Uhr hatte ich mich mit meiner Freundin Nathalie ("Das Wiedersehen") am Bahnhof von Shinjuku verabredet, vorher wollte ich mit Jessica gemeinsam Bustickets kaufen, schließlich wollten wir schon morgen mit dem Bus zum Fuji, dem höchsten Berg Japans reisen. Wie würde ich all dies auf die Reihe bekommen, wenn Jessica nicht käme?
Ein letztes Mal blickte ich auf die Uhr, dann packte ich meine Sachen zusammen und hastete aus der Wohnung. Es war mittlerweile Viertel nach drei und Jessica war noch immer nicht aufgetaucht, doch ich konnte nicht mehr warten, denn ganz gleich wie ich mich auch beeilen würde, ich würde zu meinem Treffen mit Nathalie zu spät kommen. Um vier Uhr hatte wir uns an einer der unzähligen Ticketschranken am Bahnhof von Shinjuku, einem der größten Bahnhöfe der Welt, verabredet, doch bis ich in Shinjuku ankommen würde, würde noch mindestens eine weitere Stunde vergehen. Und so lief ich schnellen Schrittes zum Bahnhof von Soka, setzte mich in der erstbesten Zug und fuhr in Richtung Shinjuku.
Etwa gegen Viertel nach Vier erreichte ich meinen Zielbahnhof und eilte zu der vereinbarten Ticketschranke, doch Nathalie war nicht da. Ich wartete eine Weile, doch sie kam nicht mehr, war vermutlich schon wieder gegangen. Und so lief ich ein wenig in der näheren Umgebung umher und suchte nach ihr, hoffte sie an jenem Bahnhof zu finden, der täglich mehrere Millionen Besucher verzeichnet. Ein Ding der Unmöglichkeit. Und so sah ich nach fast einer halben Stunde ein, dass ich heute sowohl Jessica, als auch Nathalie verpasst hatte, und entschied mich den verpatzten Tag noch irgendwie zu retten. Also besann ich mich auf jene Dinge, die ich noch für meinen Besuch des Fuji kaufen musste und nutzte die weitläufigen Einkaufsstraßen innerhalb und um den Bahnhof von Shinjuku herum, um ein wenig in den Geschäften zu stöbern. Einen billigen Regenüberzug und eine Taschenlampe suchte ich, doch auch nach fast zwei Stunden stand ich noch mit leeren Händen da. Außer Damenschuhen, Markenkleidung, ein paar Läden voller teurem Kitsch, einem Möbelhaus mit Designermöbeln und noch mehr Damenschuhen fand ich nichts, schon gar keine billige Regenkleidung. Und so lief ich in Richtung meiner Bahnlinie, um mit dem nächsten Zug zurück nach Soka zu fahren. Noch einmal lief ich an den Ticketschranken vorbei, an denen ich Nathalie hatte treffen wollen, doch natürlich war niemand da. Und so setzte ich mich in den nächsten Zug und fuhr unverrichteter Dinge nach Hause.
Am Abend klingelte es und Jessica stand lächelnd vor der Tür.
"Hey, wo warst du denn heute um zwei Uhr?"
"Um zwei? Da war ich auf dem Abschlussessen mit meinem Sprachkurs. Heute war doch unser Abschlusstest."
"Ach, war das heute?"
"Ja, das war heute. Aber weswegen ich eigentlich hier bin: Morgen steht unser Treffen? Wegen der Bustickets?"
"Ich dachte wir machen das vor unserer Reise zum Fuji."
"Das machen wir ja auch. Wir fahren Übermorgen zum Fuji."
"Übermorgen erst?"
Ich klatschte mir mit der flachen Hand gegen die Stirn. Und dann erzählt ich Jessica von meinem verpatzten Tag, wie ich auf die gewartete hatte, mich wunderte, warum sie nicht gekommen war, letztlich viel zu spät in Shinjuku gewesen war und Nathalie verpasst hatte. Und wir konnten beide darüber lachen.
Am Abend kontaktierte ich Nathalie, um mich für meine Verspätung zu entschuldigen. Wie sich herausstellte, war ich nicht nur zu spät gekommen, sondern hatte auch noch an der falschen Ticketschranke gewartet. Und so klatschte ich mir ein weiteres Mal mit der flachen Hand gegen die Stirn und erzählte zum zweiten Mal meine Geschichte.
Ärgerlich war ich an diesem Abend nicht auf mich, stattdessen lachte ich über meine Schusseligkeit. Und ich war sogar ein wenig erleichtert, denn ich kann nicht leugnen überrascht gewesen zu sein, dass Jessica nicht zur vereinbarten Zeit gekommen war und Nathalie nicht einmal eine Viertelstunde gewartet hatte. Doch nun wusste ich, dass ich verlässliche Freunde hatte und sich jedes Missverständnis immer irgendwie aufklärte. Und so schüttelte ich noch einmal den Kopf darüber, wie chaotisch heute alles gewesen war und widmete mich anderen Dingen.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen