Nebel, das war so ziemlich alles, was ich sah, als ich den Gipfel des Fuji betrat. Ein milchiges Grau, das sich über alles vor mir legte. Irgendwo links von mir war die Aussichtsplattform, von der aus man sich den Sonnenaufgang des neuen Tages anschauen konnte, doch alles was man sah, war eine gigantische Wolke. Es gab keine Aussicht von Dach der Welt bis an den entfernten Horizont, nur eine Wand aus milchig, trübem Dunkelblau. Doch in diesem Moment kümmerte es mich nicht einmal, zu erschöpft war ich, zu kraftlos. Meine Beine hatten mich die letzten Stufen bis zum Gipfel empor getragen, weiter konnten sie nicht mehr. Ich war am Ende. Und in meinem Kopf war kein Platz für lange Gedankenkette, für Enttäuschung, für geeignete Fotomotive. Und so wendete ich meinen Blick nur zu meiner Rechten, wo ich den breiten Eingang zur Hütte auf dem Gipfel sah. Und ohne zu schauen was die drei anderen machten, stolperte ich in die Hütte, setzte mich auf den erstbesten Platz auf der harten, kalten Holzbank und atmete erst einmal durch. Es war eine Genugtuung endlich zu sitzen, nicht mehr stehen oder laufen zu müssen, doch eines kam dennoch nicht: Wärme. Die Hütte war nicht beheizt, es gab keine Decken, kein offenes Feuer, an dem man sich wärmen könnte, nur einen Souvenirladen für die Touristen und einige Holzbänke, auf denen sich die Neuankömmlinge tummelten. Ein Weile saß ich frierend in meinem eigenen Schweiß, von meiner Jacke tropften die letzten Reste des Regenschauers und stetig wehten neue Böen in die Hütte, fuhren zwischen den Bänken hindurch, unter die Kleidung, dann setzte ich mich zusammen mit einem Briten irgendwo weiter nach hinten. Doch es half nicht, ich fror immer noch, meine Finger waren taub, ich zitterte am ganzen Körper und meine Kleidung blieb klamm und feucht. Und während ich bitterlich fror, dämmerte der neue Tag. Doch es war keine strahlende Offenbarung eines neues Tages, welcher die Kälte der Nacht mit warmen Sonnenstrahlen vertrieb, nein, es war nur ein kaltes trübes Licht, das wie ein eisiges Feuer den Gipfel des Fuji erleuchtete. Keine Wärme, keine Wonne, nur ein milchiges Weiß, das den gesamten Gipfel einhüllte.
Bild12: Ein Blick in die Hütte des Fuji, innerhalb der ich einige Zeit fror, während es draußen allmählich hell wurde.
Wie furchtbar es wohl sein musste zu erfrieren, dachte ich mir in diesen Momenten, während der Brite halbschlafend neben mir auf der Bank saß und seine blauen Lippen zittern ließ. Und so stand ich auf, lief auf wackeligen Beinen zum Eingang der Hütte und kaufte mir einen heißen Kakao, der dort zu unverschämt hohen Preise vertrieben wurde. Jetzt ist nicht der geeignete Moment um knauserig zu sein, dachte ich mir, nahm die kochend heiße Kakaodose an mich und stolperte zurück auf meinen Platz. Und so saß ich da, zusammengekauert, in meiner Hand eingeschlossen die kleine Kakaodose, die in diesem Moment das Wichtigste auf der Welt war. Wärme, danach hatte ich mich gesehnt. Wärme, das war es, was mir die kleine Dose gab. Und so rieb ich mir die Dose über die Hände, übers Gesicht, packte sie unter die Regenjacke und umschloss sie mit meinem Körper. Eine dick eingepackte Angestellte lief an mir vorbei, sah wie ich mich an der Wärme der Dose erfreute und lächelte mir zu.
"Das ist eine gute Idee. Sehr clever."
Und für einen Moment konnte ich wieder lächeln. Dann versank ich wieder auf meinem Platz, rollte mich um meine Dose und versank in einem Dämmerschlaf, irgendwo zwischen Wachsein Frieren, Zittern und Schlafen.
Bild13: Eine Welt für eine warme Dose. Ein Foto von der Kakaodose, die mir für über eine halbe Stunde als Wärmequelle diente.
Film3: Ein Rundblick innerhalb der Berghütte. Mittlerweile war bereits die Sonne aufgegangen, doch man hatte keinen erhabenen Sonnenaufgang beobachten können, es war lediglich von milchig blau zu milchig weiß umgeschlagen.
Ich hatte jegliches Gefühl für Zeit verloren. Vielleicht dauerte es eine halbe Stunde, vielleicht auch eineinhalb Stunden, aber irgendwann erfuhr ich, dass die zweite Hälfte unserer Gruppe auf dem Gipfel angekommen war. Und so lief ich einigermaßen fit in die benachbarte Berghütte, die mir zuvor gar nicht aufgefallen war, und traf auf Milena, Lee, Jessica und die restlichen Briten. Natürlich sahen sie mitgenommen aus, ich wusste ja schließlich was sie durchgemacht hatten, dennoch waren sie halbwegs zufrieden. Vorallem Jessicas ununterbrochene gute Laune erstaunte mich, denn obwohl sie nass und erschöpft war, strahlte sie wie ein Honigkuchenpferd und konnte gar nicht aufhören die Umstehenden mit ihrem Optimismus anzustecken. Und in diesem Moment bewundert ich sie. Obwohl sie den gleichen Aufstieg wie ich hinter sich hatte, obwohl sie die gleichen Qualen durchlitten hatte, saß sie strahlend auf ihrem Platz, trocknete sich ihre nassen Haare und löffelte lachend ihren Curryreis, den sie sich bestellt hatte. Und allmählich kam unsere Gruppenmotivation, unsere Freunde wieder, die in den letzten Stunden verloren gegangen war.
Bild14: Lee in cooler Pose, kurz nachdem sie den Gipfel erreicht hatte. (Danke an Milena für das Foto)
Bild15: Milena isst warme Ramen (japanische Nudeln), die sie sich auf dem Gipfel bestellt hat.
Bild16: Die Britin Jessica verbreitete trotz aller Mühen und Anstrengungen gute Laune. Eine wirklich bemerkenswerte Gabe.
Bild17: Drei erschöpfte Briten. Vorallem der Brite ganz rechts hatte mit dem Aufstieg zu kämpfen. Er war der Erste gewesen, der bei der Besteigung stets zurückgefallen war.
Bild18: Und zwei weitere Briten aus unserer Gruppe, leider konnte ich mir in der kurzen Zeit nicht alle Namen merken. Der Junge links war allerdings mit mir gemeinsam in der schnellen Gruppe.
Während die anderen noch ein wenig schwatzten und sich austauschten, wagte ich mich gegen sechs Uhr morgens mit Milena und Lee hinaus auf den Gipfel. Es war nebelig und der Wind wütete gleich einem wilden Drachen zwischen den kleinen Hütten, pfiff uns um die Ohren und wehte uns beinahe weg. Lee und Milena suchten nur eine kleine Toilette und mussten letztlich knapp zweihundert Yen (etwa 1,40 EUR) für eine verdreckte, herabgekommene Absteige bezahlen. Währenddessen lief ich ein wenig auf dem Gipfel umher, um ein wenig das eisige Szenario festzuhalten, das sich mir in 3776 Metern Höhe bot. Ich hatte kaum ein halbes dutzend Bilder geschossen und einige kurze Videoaufnahmen gemacht, da bereute ich es bereits die windgeschützte Hütte verlassen zu haben: Das bisschen Wärme, das ich durch die Kakaodose gewonnen hatte, war verschwunden und meine Kleidung war wieder nass, stellenweise sogar mit einer dünnen Schicht Eis überzogen. Noch schnell schossen wir mit tauben Fingern ein paar Bilder von uns vor jener Kulisse, die eigentlich die aufgehende Sonne hätte zeigen sollen, dann huschten wir zurück in die geschützte Hütte und froren weiter vor uns hin.
Bild19: Ein Blick von der Hütte, in der wir uns befanden, hinaus in die weiße Hölle. (Danke an Milena für das Foto)
Bild20: Eine Aussenansicht der Gipfelhütte. Wie man sieht, ist es sehr nebelig.
Bild21: Ich weiß nicht, ob es tatsächlich eine Art Gipfelkreuz war, aber ich entdeckte diese Säule, während ich für kurze Zeit bei eisigen Temperaturen auf dem Gipfel umherlief.
Film4: Ein kurzes Video vom Gipfel des Fuji, um einen Eindruck von den Bedingungen zu geben, unter denen wir den Gipfel erreicht hatten, und mit denen wir für die Dauer unseres Aufenthalts zu kämpfen hatten.
Bild22: Lee und ich an jener Stelle, an der man für gewöhnlich den Sonnenaufgang fotografieren würde. Wir versuchten glücklich zu schauen, obwohl uns so gar nicht zum Lächeln zumute war. Zudem hätte uns der Wind beinahe von der Klippe geweht. (Danke an Milena für das Foto)
Bild23: Und noch ein gemeinsames Bild von Milena und Lee vom Gipfel des Fuji. (Danke an Milena für das Foto)
"Ich kann da unmöglich wieder runter gehen."
Milena hatte es auf den Punkt gebracht. Wir waren alle am Ende, vor der Hütte tobte ein wahrer Schneesturm, unsere Kleidung war durchnässt, uns war kalt und doch waren wir gerade einmal an der Hälfte unserer Reise angekommen. Bisher hatte unser Augenmerk auf der Besteigung des Fuji gelegen, doch nun wurde uns bewusst, dass wir irgendwie auch wieder herunter mussten. Und hatte mich zuvor der Gedanke an das Erreichen des Gipfels vorangetrieben, war ich nun ernsthaft demotiviert.
"Ich muss es ganz deutlich sagen: Ich komme mir verarscht vor. Acht Stunden lang haben wir uns nach oben gequält und nun haben wir nicht einmal einen unvergesslichen Sonnenaufgang gesehen."
Die Enttäuschung, die ich bei meiner Ankunft auf dem Gipfel des Fuji noch verdrängt hatte, kam allmählich zurück. Was waren noch gleich meine Erwartungen gewesen? Dass wir frohen Mutes den Berg hinaufsteigen und vor der Kulisse des Sonnenaufgangs Bilder machen. Nichts davon war eingetroffen. Wir hatten uns den ganzen Berg nach oben gequält, um für knapp zwei Stunden in der eisige Kälte zu sitzen und zu vollkommen überteuerten Preisen eine Mahlzeit einzunehmen. Kein Sonnenaufgang, keine Rundsicht vom Dach der Welt, nur Eis und Sturm, eine weiße Wüste so weit das Auge reichte. Woher sollte die Motivation für den Abstieg kommen? Es war eine Qual den Rucksack wieder auf den kalten, nassen Rücken zu schnallen, die Kapuze der Regenjacke zuzuziehen und mit den anderen ins Freie zu treten. Wer weiß wie viele Stunden Abstieg uns noch bevorstanden? Nichtsdestotrotz lächelten wir alle für das letzte Gruppenbild, dann tauchten wir gemeinsam hinein in den weißen Sturm, der auf 3776 Metern Höhe wütete, und schon nach wenigen Schritten waren wir hinter einem Vorhang aus Regen und Nebel verschwunden. Und so begann unser Abstieg hinab ins Ungewisse.
Bild24: Ein letztes Gruppenfoto, dann begann unser gemeinsamer Abstieg. (Vielen Dank an Milena für das Foto)
1 Kommentar:
Du packst auch immer die schlimmsten Fotos von mir in deinen Blog *grrr*
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