Donnerstag, 28. Mai 2009

Sonnenzeit

Schon einmal habe ich geschrieben, dass ich nicht sehr viel von den festgelegten Anfängen der Jahreszeiten halte ("Herbstanfang"), weil jeder für sich selbst entscheidet, ob er sich im Sommer, Frühling, Herbst oder Winter befindet. So hat beispielsweise heute für mich ganz individuell der Sommer begonnen.
Es begann bereits mit einem ungewohnt sonnigen Morgen. Mit T-Shirt und kurzer Hose lief ich durch die sonnengetränkten Straßen Sokas zur Uni und auch der anstehende Test konnte meine gute Laune nicht trüben. Motiviert löste ich eine Aufgabe nach der anderen und mogelte mich gemeinsam mit Nikki irgendwie durch den Konversationstest. Wirklich gut lief es nicht, aber ich nahm es mit einem Lachen: "Wir haben unser Bestes gegeben. Und lass uns lieber froh sein, dass wir den Test bald hinter uns haben, als Trübsal zu blasen.". Dem stimmte auch Nikki mit einem Strahlen zu und so setzten wir uns bis zum Unterrichtsende an unseren Tisch, schrieben erst den Test zu Ende, kämpften uns durch den restlichen Unterricht und traten schließlich hinaus ins Freie.
Es war warm, die Sonne schien und überall, wo man auch hinblickte, sah man frisches, saftiges Grün, strahlendes Blau und andere kräftige Farben. Es war nicht mehr nur ein sonniger Morgen, es war ein richtiger Sommertag. Vergnügt lief ich über dem Campus, lies mir die Sonne ins Gesicht scheinen, blinzelte glücklich in den Himmel und genoss die Wärme und das Licht. Und dann zog ein großer Schmetterling meine Aufmerksamkeit auf sich. Ein Schmetterling, der so groß war, dass ich mir für eine Weile nicht sicher war, ob er nicht vielleicht eine Schwalbe wäre. Begeistert lief ich ihm nach und bestaunte ihn wie ein kleines Kind, während die anderen Studenten mich ein wenig argwöhnisch musterten, weil ich kreuz und quer auf dem Weg umherlief. Nachdem ich kurz darauf für die kommenden Tage eingekauft hatte und mit meinen Einkaufstüten durch Soka lief, genoss ich einfach nur den Sommer. Ich spürte die Sonne auf meiner Haut, roch den eigentümlichen Geruch von warmen Steinen und konnte mich gar nicht an den warmen Farben um mich herum satt sehen. Es wehte kein Wind, herrschte keine drückende Schwüle und auch keine sengende Hitze, es war einfach nur ein warmer Sommertag wie aus dem Bilderbuch. Für manch einen vielleicht ein wenig zu warm, aber nach so vielen mehr oder weniger windigen, mehr oder weniger bewölkten Tagen an denen es mal wärmer, mal kälter war, saugte ich die Wärme und Sonne auf, wie ein trockener Schwamm das Wasser.
Wenn ich darüber nachdenke, ist es hier in Japan ganz anders mit den Jahreszeiten als bei uns in Deutschland, weil es keinen wirklichen Winter gibt, wie ich ihn gewohnt bin. Nachdem hier der Herbst begonnen hatte, es kalt geworden, das Laub von den Bäumen gefallen und die Anzahl der Regenschauer immer häufiger geworden war, ja, war eigentlich nichts passiert. An einem einzigen Tag hatte es geschneit ("Abschiedsschnee"), aber abgesehen davon war das Wetter bis in den März hinein in diesem Zustand verblieben. Dann hatte sich direkt an den Herbst der Frühling angeschlossen, was sich eigentlich auch nur dadurch bemerkbar gemacht hatte, dass es grünte. Wirklich warm und sonnig, war es erst später geworden. Und nun fühlte ich mich bereits wie im Sommer, obwohl erst Mai war. Man nimmt ein solches Jahr in so verschiedenen Weise wahr, dachte ich mir und überlegte, ob mir je untergekommen wäre, dass jemand etwas über den fehlenden europäischen Winter im Raum Tokyo erzählt hätte. Und so lief ich mit meinen Gedanken irgendwo verloren zwischen den Jahreszeiten Japans und Deutschlands durch die sonnendurchfluteten Straßen Sokas, atmete die warme Sommerluft ein, spürte die Wärme und war einfach nur glücklich.

2 Kommentare:

michi hat gesagt…

das muss bestimmt andersrum sau cool sein: wenn man japaner ist und das jahr nur so wie bei ihnen kennt und dann nach mitteleuropa kommt und auf einmal gibt es eine jahreszeit mehr. mit eingefrorenen seen (naja gut, im rheintal passiert das nicht jedes jahr ;)) und ab und zu schnee.
aber wahrscheinlich kennen sie das ohnehin aus ihrem eigenen norden.

David Kraft hat gesagt…

Schnee und Winter kennt man hier in Japan zur Genüge, denn auf der Rückseite Japans, also auf der Seite, die dem Kontinent zugeneigt ist, fallen jährlich mehrere Meter hoch Schnee und es gibt dort viele bekannte Skiorte. Shinya war beispielsweise begeisterter Snowboarder und auch Tak wollte eigentlich in der vorlesungsfreien Zeit in den Skiurlaub fahren.
Interessanterweise kannte Nikki aber keinen Schnee bevor sie nach Japan kam und hat mir einmal begeistert von ihrem ersten Erlebnis mit Schnee erzählt. Vorher kannte sie den wirklich nur aus Filmen und Erzählungen. Ich habe richtig gesehen, wie sie sich beim Erzählen wie ein kleines Kind gefreut hat. Das hat mich dann auch ganz glücklich gemacht.