Missmutig lief ich mit meinen elektronischen Wörterbuch, Schreibunterlagen und einem leeren Zettel durch den Raum. Irgendjemanden hatte es ja treffen müssen, doch ich hatte mir vorgenommen nicht zu klagen und das Beste aus dem Konversationsunterricht zu machen, weshalb ich mich mit einem herzlichen Lächeln neben Ma setzte. Es war schon ein wenig Pech für mich, dass sich in den ersten Wochen unter den Studenten feste Paare gefunden hatten, die alles zusammen machten, zum Beispiel die wöchentlichen Konversationsübungen. Denn somit blieb meine Wenigkeit bei solchen Übungen stets übrig. Es ist nicht so, dass ich mich bewusst vom Rest des Kurses abgekapselt hätte, nein, ich bin seit Beginn des Semesters sogar zu einem festen Gespann mit den anderen beiden Jungen aus Deutschland geworden, doch leider kennen sich Marvin und Paul schon viel länger, weshalb ich bei Paarübungen immer außen vor bleibe. Und so hatte ich an diesem Tag keine andere Wahl, als mit der Person zusammenarbeiten, mit der niemand in eine Gruppe wollte: Ma. Mit einem netten "Hallo." begrüßte ich ihn auf japanisch und versuchte all die Vorurteile und schlechten Erinnerungen aus dem letzten Semester aus meinem Kopf zu verbannen und noch einmal ganz von vorne anzufangen. Da drehte er sich um, schaute mich aus großen Augen an und rülpste mir mitten ins Gesicht.
Warum heißt eine Paararbeit wohl Paararbeit? Wahrscheinlich deswegen, weil man als Paar arbeiten soll. Das hatte Ma aber offensichtlich nicht verstanden, denn er verweigerte jegliche Mitarbeit beim Erstellen eines gemeinsamen Dialoges, lehnte sich in seinem Stuhl zurück und blickte im Raum umher. Also begann ich den ersten Satz zu formuliere und schob ihm diesen dann zu: "Was würdest du hierauf antworten?". Ohne auch nur einen Blick auf den Zettel zu werfen grinste er und stotterte in gebrochenem Japanisch: "Ich kenne keine Ausdrücke aus Firmen." und damit war für ihn alles geregelt und er starrte wieder vor sich hin. Zwei Dialoge hatten wir schreiben sollen: Einen zwischen zwei Freunden, einen zwischen zwei Kollegen aus einer Firma. Allerdings kam es dabei weniger auf die Umgebung und den Inhalt, als auf die Höflichkeitsebene an. Man kann es sich somit vorstellen wie einen Dialog auf Du-Ebene und einen auf Sie-Ebene. Mas offensichtliche Ausrede zog somit nicht und ich schob ihm immer wieder den Zettel hin und forderte ihn auf seinen Teil zu schreiben, doch er antwortete fortan nur mit: "Ich denke gerade.". "Ich denke gerade.", das ist Mas neuer Lieblingsspruch, den er wohl irgendwo aufgeschnappt hat und seitdem zu jeder passenden und unpassenden Gelegenheit einwirft. Und so "dachte" er die gesamte Unterrichtsstunde über. Nachdem meine zahllosen Versuche in irgendeiner Form ein Paararbeit in Gang zu bekommen gescheitert waren, schrieb ich letztlich alleine die geforderten Dialoge.
Der peinlichste Moment an diesem Tag war wohl, als wir unsere in Partnerarbeit erstellten Dialoge vortragen mussten. Frei, ohne Blick aufs Papier. Da Ma aber überhaupt nicht mitgearbeitet hatte, wusste er natürlich auch nicht wie unser Dialog verlief. Und so stammelte er ein wenig hilflos herum und schaute immer wieder auf den Dialog, den er halbherzig von mir abgeschrieben hatte. Da er aber kaum etwas lesen konnte, nuschelte er nur beständig, unterbrach sich immer wieder selbst und warf alles durcheinander. Und so standen wir minutenlang vor dem Kurs und jeder lachte über uns. Als ich mich dann setzen durfte, fügte Frau Ezoe überflüssigerweise auch noch hinzu, dass wir, Ma und ich, uns besser vorbereiten sollten. Na danke, dachte ich mir.
"Sie haben die Gebühr für den neuen Futon noch nicht überwiesen", hatte man mir an diesem Mittag mitgeteilt. Ein Neuer Futon? Einen Moment hatte ich nachdenken müssen, dann erst fiel mir jener Tag wieder ein, an dem die Mitarbeiterin des Zentrums für internationale Angelegenheiten eines Morgens ohne Ankündigung in meiner Eingangstür gestanden hatte, um meinen und Yosukes Futon auszutauschen ("Tausendundein Tausch"). Ich war mir sicher, dass die Frau mir niemals etwas von zu entrichtenden Kosten erzählt hatte, weshalb ich ein wenig verärgert war, dass man mich nun so forsch darauf hinwies. "Bis wann müssen wir denn bezahlen?", hakte ich nach und blickte zu Lee, die ebenso unvorbereitet von den Kosten erfahren hatte. "Oh, bis letzten Freitag.", sagte die Frau ohne erkenntliche Schuldgefühle. "Hätte man uns das nicht früher sagen können?", regte ich mich gemeinsam mit Lee auf dem Weg zur Finanzabteilung der Universität auf, doch natürlich hatten wir niemanden, an dem wir unseren Ärger hätten auslassen können.
Das Bezahlen der Rechnung verlief problemlos und wir mussten glücklicherweise auch keine Mahngebühren zahlen, doch wirklich zufrieden stellte mich dies nicht. Denn in mir war immer noch der Ärger über die Fehler und die Faulheit der anderen, für die ich gerade stehen musste. Es waren Augenblicke wie diese, in denen ich mir wünschte ein wenig aktiver zu sein und einfach mal auf den Tisch zu hauen. Wie gerne hätte ich Ma klar und deutlich gesagt, was ich von seiner Faulheit gehalten hätte, oder wie gerne hätte ich der Dame noch einmal vorgehalten, dass niemand uns über die Kosten für den Futon informiert hatte. Wahrscheinlich hätte es nicht wirklich viel geändert, denn an der verspäteten Mitteilung zu den Kosten konnte ich im Nachhinein nichts mehr ändern und ich kannte Ma mittlerweile gut genug um zu wissen, dass er so oder so keinen Finger krumm gemacht hätte, aber vielleicht hätte es mir geholfen. Vielleicht hätte wenigstens ich davon profitieren können ein wenig Dampf abzulassen, indem ich einfach Mal ein wenig egoistisch gewesen wäre. Und ein wenig gesunder Egoismus ist eigentlich angebracht, wenn man bedenkt, wie oft Andere Fehler auf uns abwälzen, die wir dann ausbügeln müssen.
2 Kommentare:
Ja, manchmal auf den Tisch zu hauen ist sicherlich nicht falsch. Aber in deiner Situation kommt ja noch hinzu, dass du das auf japanisch machen müsstest...oder kann Ma etwa englisch?
Dieser Ma ist ja wirklich so ein Idiot. Unglaublich, wie unverschämt manche Leute sind. Aber wirklich viele Freunde macht er sich so ja nicht und letztendlich sind so Leute einfach nur einsam und frustriert...und freuen sich, wenn sie ihren Frust an anderen auslassen können. Da kann man ja nur noch den Kopf schütteln.
Nein, Englisch beherrscht Ma nicht, keiner der Chinesen und Koreaner kann es.
Und ja, Ma ist schon eine schwierige Person, aber ich denke du wirst in den nächsten Beiträgen noch genug über ihn lesen, darum möchte ich nichts vorweg nehmen.
Vielleicht sollte ich mir wirklich angewöhnen manchmal auf den Tisch zu hauen, aber die Sprachbarriere, mit der ich dann meinen Wutausbruch erklären müsste, macht es natürlich schwer. Denn es wäre ja peinlich wutentbrannt auf den Tisch zu hauen, um dann unsicher herumzustottern. : )
Kommentar veröffentlichen