In einem fernen Land irgendwo im Westen lebte einst ein Dieb. In seinem Herzen trug er eine fürchterliche Krankheit, die ihn von innen zerfraß, doch zu seinem Glück besaß er unzählbare Reichtümer. Und so besuchte er jeden Arzt in diesem Land, auf dass er geheilt würde, doch niemand konnte ihm helfen. Die Krankheit, die sich durch seinen Körper fraß, war unheilbar. Und als er hörte, dass er sterben würde, wurde er zornig und rannte hinaus in die Wildnis. Schließlich erreichte er einen Berg und sah dort etwas, was ihm den Atem raubte: Kirschblüten. Der ganzer Berg war bedeckt von wunderschönen Kirschblüten. Und als er zu den Ärzten zurückkehrte, waren diese überwältigt, denn der Dieb war durch und durch gesund. Es war ein Wunder! Die Krankheit, an der er geglaubt hatte sterben zu müssen, war geheilt.
So erzählt man sich auf einer Insel, die im ewigen Eis liegt. Auf dieser kleinen Insel liegt ein kleines Königreich, das von Tyrannei und Krieg zerrüttet war. Es war ein hoffnungsloses Land, das dem Untergang entgegen blickte, bis eines Tages der tyrannische König gestürzt und das unterdrückte Volk endlich befreit wurde. Und in jenem Moment, in der der tyrannische König, der das Land beinahe in den Tod getrieben hätte, seinen Thron verließ, fiel vom höchsten Berg rosafarbener Schnee auf das Land im ewigen Schnee hinab und das sterbende Land wurde geheilt.
Das ist eine meiner Lieblingsgeschichten aus meinem Lieblingsmanga One Piece. Und jedes Mal, wenn ich sie von neuem lese, bin ich immer wieder gerührt, wenn am Ende der rosafarbene Schnee auf der Insel des ewigen Eises fällt. Seitdem habe ich mich immer gefragt wie es wohl sein würde in einem tatsächlichen Regen aus Kirschblüten zu stehen. Der Gedanke hat mich in den letzten Jahren nie losgelassen und so kam es auch, dass ich als Jugendlicher immer wieder die Geschichte von neuem ausgekramt und verarbeitet habe. Mal habe ich sie Freunden gezeigt, mal habe ich aus der Filmadaption Bilder von den Kirschblüten gesammelt oder einfach für mich selbst Kollagen zu diesem Thema zusammengestellt. Viele der Dinge, die ich damals gebastelt oder erfunden habe, sind nach dem Absturz meines alten Computers verloren gegangen und alles was geblieben ist sind Erinnerungen und ein einzelnes Bild, das ich schon seit Jahren auf meinem Laptop mit mir herumtrage. Es ist irgendwann vor Jahren entstanden, künstlerisch nicht unbedingt anspruchsvoll, trägt aber vielen Erinnerungen in sich: An die Geschichte vom Dieb und dem geheilten Königreich, an den Glauben, dass es keine unheilbaren Krankheiten gibt, an Wunder, aber auch an gemeinsame Filmabende mit Freunden und Stunden, die ich am Computer in verschiedenen Bilder investiert habe. Und dieses Bild trägt den Titel "Und es regnete Kirschblüten".
Bild1: Ein selbstgestaltetes Bild, an dem so vielen Erinnerungen hängen: "Und es regnete Kirschblüten".
Es war Tag 210 in Japan, der letzte Unitag vor dem Wochenende. Wie schon seit dem Beginn der Woche war es schönes, sonniges Wetter und man bedauerte es schon fast ein wenig in dem stickigen Klassensaal zu versauern. Glücklicherweise hatten wir die erste Stunde Unterricht bei Frau Nomura, einer meiner Sprachlehrerinnen vom letzten Semester. Sie ist eine nette ältere Dame, die stets freundlich und hilfsbereit ist, auch wenn sie manchmal ein wenig weltfremd und gutgläubig sein kann. Ihr Unterricht war noch immer so entspannt und doch lehrreich wie noch letztes Semester und bot somit eine willkommene Abwechslung zu den sterbenslangweiligen Unterrichtsstunden von beispielsweise Frau Ezoe oder Herrn Ikuta und den fordernden und anstrengenden Stunden bei Frau Kitamura und Frau Nakanishi. Und so genoss ich meine Zeit, lehnte mich entspannt zurück und lauschte, ohne faul oder bequemlich zu sein. Immer wieder war Frau Nomura mehr an den fremden Kulturen interessiert, als an den eigentlichen Aufgabenstellungen des Lehrbuchs und so verbrachten wir viel Zeit damit über unsere Heimaten zu erzählen und man konnte fast im Minutentakt die Fragen "Und wie ist das in Deutschland?", "Wie ist das in China?", "Ach, und in Korea?" oder "Ist das auch auf den Philippinen so ähnlich?" hören.
Die letzte Stunde vor dem Wochenende hatten wir dann, wie auch letztes Semester, bei Frau Takeda, der lebensfrohen, älteren Dame, die auch am Mittwoch unterrichtete. Und wie schon im alten Semester verteilte sie aus reiner Nettigkeit Süßigkeiten, um uns so kurz vor dem Start ins Wochenende noch einmal zum Mitarbeiten zu bewegen. Aufgehen tat ihre Rechnung allerdings nicht, denn der Kurs war gedanklich bereits abwesend und döste vor sich hin. Somit hielt Frau Takeda trotz mehrmaliger Motivationsansprachen den Unterricht praktisch alleine. Und so sehr ich mich auch bemühte mitzuarbeiten, den Drang endlich den Klassensaal zu verlassen, in die Sonne hinauszutreten und nach einer anstrengenden Woche endlich das Wochenende genießen zu können konnte auch nicht unterdrücken und war somit sehr erleichtert, als wir schließlich entlassen wurden.
Doch bevor ich zum Wohnheim lief, hatte ich noch eine wichtige Sache zu erledigen und somit stellte ich mich ein wenig abseits der belaufenen Wege zu einer kleinen Gruppe von Bäumen zwischen den Gebäuden, packte meine Kamera aus und wartete. Und nach einiger Zeit war es dann auch so weit: Ein Luftstoss fegte über den Platz und riss einen Stoß von Kirschblütenblättern von den Ästen, die hoch in die Luft gewirbelt wurden, eine Weile um sich tanzten und dann schließlich dem Boden entgegen schwebten.
Und ich? Ich stand mitten auf dem Platz, breitete die Arme aus, spürte die warme Sonne auf meiner Haut, die leichte Brise und wartete...
...und es regnete Kirschblüten.
Bild2: Der Boden ist bereits mit Kirschblütenblättern bedeckt.
Bild3: Man kann nicht viel mehr machen, als zu versuchen Momente in Bildern festzuhalten, die man eigentlich nicht festhalten kann: Kirschblütenregen an der Dokkyo-Universität.
Film1: Hier noch einmal der Versuch den Kirschblütenregen in einem Video einzufangen.
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