Mittlerweile hat sich das neue Semester schon ein wenig gesetzt und meine anfängliche Angst gegenüber Frau Kitamura, der älteren und etwas strengeren Lehrerin vom Dienstag, ist verschwunden. Eigentlich denke ich sogar mittlerweile, dass Frau Kitamura nicht nur sehr nett, sondern wohl auch eine der fähigsten Lehrerinnen dieses Semesters ist. Sicherlich erwartet sie viel und man sollte stets gut vorbereitet in den Unterricht gehen, doch es lohnt sich, weil man so vieles gelehrt wird und Frau Kitamura sich bei ihren zahlreichen Erklärungen und Übungen wirklich Mühe gibt. Und auch wenn man mal eine Antwort nicht weiß, hat sich gezeigt, dass sie einem wohlgesonnen ist, solange zeigt, dass man sich bemüht hat.
Eine Sache, die sie von den anderen Sprachlehrern unterscheidet und die mich zum Beginn auch ein wenig eingeschüchtert hat, ist ihr Bestehen auf Respekt. Das mag sich nun ein wenig seltsam anhören, sollte man doch eigentlich jedem Lehrenden Respekt zollen, doch in der Realität lassen sich unsere Sprachlehrer erstaunlich viel gefallen. Und damit meine ich nicht nur, dass sie es wortlos tolerieren, wenn die Schüler im Unterricht herumdösen und anderweitig beschäftigt sind, sondern dass sie sich auch damit abfinden, dass wir Schüler mit grammatikalisch falschen und manchmal ziemlich unhöflichen und umgangssprachlichen Formulierungen mit den Lehrern reden, schließlich sind wir ja noch am Lernen. Nicht so Frau Kitamura, die auf die sprachliche Korrektheit und eine angemessene Höflichkeit besteht, denn schließlich ist sie der Lehrer und wir als Lernende sollten gerade Wert darauf legen uns ein gewisses Maß an Höflichkeit im Umgang mit Höhergestellten anzueignen. Und darum verbessert sie uns stets, wenn wir zu umgangssprachlich im Gespräch mit ihr werden und lehrt uns höfliche Formulierungen zu benutzen, was ich als äußerst sinnvoll erachte, schließlich lernt man auf diese Weise mehr, als wenn man immer und immer wieder einen falschen und unangebrachten Satz benutzt. Ein typisches Beispiel ist, wenn wir eine Kassette hören und uns Frau Kitamura fragt, ob wir den Dialog noch ein weiteres Mal anhören wollen. Bei anderen Lehrern ruft dann irgendjemand "Ja.", woraufhin der Dialog noch einmal aus den Lautsprechern dudelt, während Frau Kitamura uns dazu erzogen hat sehr höflich darum zu bitten "Herr Lehrer, könnten Sie uns die Kassette noch ein weiteres Mal vorspielen?". Ebenso hat sie uns beigebracht, was man sagen sollte, wenn der Lehrer unbeabsichtigt vor der Tafel steht. Denn bisher rief Ma lautstark in den Raum "Lehrer. Ich seh' nichts!", was Frau Kitamura offensichtlich vergraulte. Und so hielt sie uns erst einmal einen Vortrag darüber, dass sie kein Hirsch wäre, den man anschnauzt, damit er einen Sprung zu Seite macht, sondern eine Respektsperson, die man auch als solche zu behandeln hat. Und so habe ich mir den höflichen Satz "Herr Lehrer, könnten Sie wohl ein Stück zur Seite treten." notiert und auswendig gelernt. Und Frau Kitamura war ganz angetan, als ich den Satz auch noch am selben Tag benutzte.
Wenn es sich anbietet, lässt uns Frau Kitamura gerne in Gruppen arbeiten. Damit wir aber nicht immer mit den gleichen Partnern zusammenarbeiten, teilt sie uns zufällig in Paare ein. So auch heute, an meinem 221. Tag in Japan, als wir in Zweierpaaren über eine Fragestellung diskutieren sollten. Und Pech wie ich hatte, wurde ich Ma zugeteilt. Nach den Erlebnissen der vergangen Woche hatte ich allerdings wenig Verlangen an einer Zusammenarbeit mit ihm, weshalb ich mich kurzerhand zu einer Chinesin drehte und sie bat doch mit mir die Konversation zu machen, damit ich nicht mit Ma sprechen müsste. Sie lächelte und erwiderte freundlich: "Ich kann mit ihm machen. Das ist kein Problem.". Und so stand sie auf, lief zu Ma und ich setzte mich neben ihre Konversationspartnerin: Nikki, das Mädchen aus den Philippinen. Zu tun hatten wir miteinander noch nichts und so stellten wir uns erstmals ein wenig unsicher vor. Recht schnell fanden wir heraus, dass wir beide Englisch sprachen und so kamen wir ins Gespräch. Und ehe wir uns versahen waren wir in einer Konversation versunken und hatten die Aufgabenstellung ganz vergessen, so interessiert waren wir an der Kultur des anderen. Ganz fasziniert fragte mich Nikki über Deutschland aus, während ich das erste Mal in meinem Leben etwas von den Philippinen erfuhr. Somit hatte es sich wahrhaftig gelohnt den Konversationspartner zu tauschen. Nicht nur, weil ich nicht mit Ma hatte arbeiten müssen, sondern weil ich in Nikki endlich eine nette Person im Sprachkurs gefunden hatte, mit der ich mich gut verstand. Das Ergebnis unserer Aufgabenstellung mussten Nikki und ich dann nicht vorstellen, zu früh war der Unterricht vorbei. Aber vielleicht war das auch ganz gut, schließlich waren wir mehr aneinander interessiert, als an dem Lehrbuch.
2 Kommentare:
Eure Frau Kitamura erinnert mich an einen Professor, den wir zur Zeit häufiger haben. Der ist relativ gefürchtet, weil er manchmal einfach irgendwelche Leute in der Vorlesung drannimmt. Aber trotzdem macht er einfach die beste Vorlesung, die wir jemals in diesem Studium hatten. Deshalb mag ich ihn total :-)
Mittlerweile hat sich meine Angst vor Frau Kitamura merklich gelegt und ich bin zu der Erkenntnis gekommen, dass sie sehr nett und aufgeschlossen ist. Und wenn ich ehrlich bin, freue ich mich mittlerweile sogar auf ihren Unterricht. Nicht nur weil sie nett ist, nein, weil man wirklich etwas lernen kann. Das kann man ja leider nicht von jedem Lehrer sagen...
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