Wenn ich mich entscheiden müsste, ob ich lieber Sommer- oder Wintersemester mag, würde ich mich auf jeden Fall für Sommersemester entscheiden. Alleine aus dem Grund, weil man morgens besser aus dem Bett kommt, wenn die Sonne durch das Fenster strahlt und einen freundlich dazu einlädt munter und voller Lebensfreude in den neuen Tag zu starten. Das mag ich auch an meinem Sommersemester hier in Japan: Wenn man kurz nach dem Aufstehen aus dem Fenster über das friedliche, morgendliche Soka blickt, sieht man einen glasklaren, blauen Himmel, eine strahlende Sonne und Menschen, die ihren gewohnten Beschäftigungen nachgehen: Frauen, die Wäsche aufhängen, Gruppen von kleinen Kinder, die mit ihren übergroßen Schulränzen zur Schule wackeln und Alte, die schon im Garten arbeiten. Bei solch einem Anblick kann ich es morgens manchmal gar nicht abwarten das Haus zu verlassen und durch die Sonne zur Universität zu laufen. Doch es gibt da auch etwas, was man nicht sieht, wenn man morgens über das friedliche Soka blickt: Den Wind.
Als ich heute bei strahlendem Sonnenschein die Wohnung verließ und unter den blauen Himmel trat, fegten regelrechte Sturmböen zwischen den Häusern durch und ich hatte Mühe mich gegen die Wand aus Wind zu legen. Und so lief ich trotz des schön anzuschauenden Panoramas, fröstelnd durch die Straßen Sokas zur Universität, immer begleitet von den eisige Böen. Wie hatte es mir beim Blick aus dem Zimmer nicht auffallen können, dass sich die Bäume bogen, die Folien der Müllsäcke ein unentwegtes Konzert an Geknister und Geraschel von sich gaben und die Radfahrer Mühe hatten nicht vom Rand der Straße abgedrängt zu werden?
Der Wind hielt den Vormittag und Mittag über an und so wütete trotz Sonnenschein und klarem Himmel ein erbitterter Sturm auf dem Campus, als ich gemeinsam mit Lee zum Mittagessen in die Mensa ging. Es war ein seltsames Gefühl das nahezu perfekte Panorama zu sehen, gleichzeitig aber den heftigen Wind zu spürten, der so gar nicht in das perfekte Bild passte. Nichtsdestotrotz hielt der Sturm an, auch wenn sich kein Wölkchen am Himmel zeigte.
Am Nachmittag saß der Kurs dann dösig im Unterricht bei Frau Ezoe. Es herrschte totale Flaute. Niemand reckte seine Hand nach oben oder antwortete auf ihre Fragen, alle hingen nur halbtot auf ihrem Stuhl und träumten vor sich hin. Und so ergriff ich als einziger gelegentlich das Wort, wenn es so gar nicht voranging und führte den Unterricht schließlich alleine, bis Frau Ezoe meiner überdrüssig wurde und mich nicht mehr drannahm, weil es sinnlos war den Unterricht nur mit einer Person zu führen. Die anderen rührten dennoch keinen Finger und so verging die restliche halbe Stunde immer nach dem gleichen Schema: Frau Ezoe redete vor sich hin, stellte gelegentlich eine Frage, auf die niemand antwortete, ignorierte meine erhobene Hand und nahm irgendwann jemanden dran, dem sie dann die Antwort in den Mund legte. Und so begann auch ich ganz dösig zu werden, blickte nach draußen und beobachtete die Bäume, die sich im Wind wiegten. Da der Raum keine funktionierenden Klimaanlage hatte und die Sonne den ganzen Vormittag durch die Fensterfront hineingeschienen hatte, hatte Frau Ezoe die Schiebetür hinter der Jalousie geöffnet, durch die gelegentlich ein lauter Windstoss in den Raum gefegt kam, der alle dösigen Studenten regelmäßig aus ihrem Dämmerschlaf riss. Und so war die klappernde Jalousie, die mitunter heftig gegen die Fensterscheiben stieß, das Einzige, was man hörte, wenn Frau Ezoe auf eine Antwort wartete.
Als die letzte Viertelstunde anbrach, begann sich schließlich auch der Himmel mit Wolken zuzuziehen. Scheinbar aus dem nichts waren sie gekommen und stürmten wie Reiter eines gegnerischen Heeres den strahlenden blauen Himmel und tauchten ihn in ein unheilvolles dunkelgrau. Interessiert beobachtete ich den Sturm vor dem Fenster, der so rasant den Himmel zu verdunkeln begann, während im Klassenraum noch stets vollkommene Flaute herrschte. In geradezu beängstigender Schnelle wurde das Blau des Himmel von Wolken überrannt und neben dem Pfeifen des Winde hörte man fast ausschließlich das unheilvolle Klappern und Knallen der Jalousie. Nach einer scheinbaren Unendlichkeit beendete Frau Ezoe den Unterricht und die anderen begannen träge ihre Unterlagen zusammenzupacken, sich zu strecken und sich die Augen zu reiben, während ich mir meine Kamera schnappte und versuchte das Naturschauspiel irgendwie in Bildern festzuhalten, doch es war vergebens. Denn wie schon oben gesagt: Man kann den Wind nicht spüren. Man sieht nicht wie rasant der gesamte Himmel von Wolken überrannt wurde. Alles was man zu sehen bekommt ist ein bewölkter Himmel. Keine Spur von Sturm. Keine Spur von Flaute.
Bild1: Auf dem Bild kann man noch erahnen wie strahlend blau der Himmel den ganzen Tag über gewesen war...
Bild2: ...doch binnen kürzester Zeit zogen düstere Wolken über den einst so klaren Himmel.
1 Kommentar:
ah, ihr hattet sturm, deswegen ist also ein loch im spinnaker.
und ich hatte mich schon gefragt wie das passieren konnte.
;)
halt die ohrn steif
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