Dienstag, 5. Mai 2009

Alles beim Alten

Es war wie ein Wiedersehen mit einem alten Freund, als ich an meinem 208. Tag in Japan im Klassensaal saß und Frau Takeda in den Raum gewackelt kam. Ein wenig außer Atem ließ sie ihre Tasche auf den Tisch vor sich plumpsen, blickte sich um und begann erst einmal breit zu grinsen und gackernd zu lachen: "Ich bin erst in den falschen Raum gegangen, deswegen bin ich so spät. Ach, ich bin aber auch schusselig, naja, das ist das Alter.". Wieder ließ sie ihren Blick durch die Reihen schweifen und begann schließlich Marvin, Paul und mir zuzuwinken. "Euch kenne ich noch, aber was ist denn aus den anderen geworden?". Und so erzählten wir, was wir wussten: Katharina war wieder in Deutschland, Florian in Kyoto und die anderen beiden Deutschen absolvierten auch irgendwo in Japan ein Praktikum. Interessiert hörte Frau Takeda zu, dann blickte sie sich wieder im Kurs um und erkannte auch Cassy, Riku, Ryou und Ma aus dem Mittelkurs wieder. Aber auch das Mädchen aus den Philippinen und eine Koreanerin schienen ihr bereits bekannt zu sein, denn auch ihnen nickte sie freudig zu. "Ich denke mich kennt ja fast jeder hier, aber ich stelle mich trotzdem noch einmal für die ganz Neuen vor.", lachte Frau Takeda, blickte zu einigen Chinesinnen und Koreanerinnen und sagte noch einmal überbetont und langsam ihren Namen.
Der Unterricht von Frau Takeda war eigentlich genau wie letztes Semester: Unterhaltsam, amüsant, immer wieder unterbrochen von kleinen Geschichten, Abschweifungen und Anekdoten und hin und wieder auch ein wenig konfus. Nichtsdestotrotz hatte er ein wenig von seinem Charme verloren. Vielleicht lag es daran, dass ich mich schon im letzten Semester an ihre aufgeweckte Art gewöhnt hatte, vielleicht waren meine Ansprüche an den Unterricht gestiegen, vielleicht war auch der Inhalt der Lektion Schuld, der in dieser Stunde behandelt wurde, oder vielleicht steckte mich auch einfach nur die Trägheit der anderen Kursteilnehmer an, denn ich döste mitunter beinahe ein und der Unterricht schien sich streckenweise wie Kaugummi zu ziehen. Und so leid es mir für die aufgeweckte Frau Takeda auch tat, aber ich war erleichtert, als die erste Stunde vorüber war.
Den Rest des Tages hatten wir Unterricht bei Frau Sakatani, die ich auch noch aus dem letzten Semester kannte. Und ich kann nur sagen, dass sie so konfus und hektisch, aber auch ebenso liebenswert war, wie ich sie in Erinnerung hatte. Schon in dem Moment, in dem sie ins Zimmer eilte, ihre Tasche auf das Lehrerpult feuerte und dabei ein Ordner aus der Tasche flog und über den Boden schlitterte, wußte ich, dass sie noch ganz die Alte war. Und so hatte sich ihr Unterricht auch kaum verändert und es war noch wie im Mittelkurs, was aber durchaus positiv war. Denn im Gegensatz zu vielen anderen Lehrern verausgabte sie sich regelmäßig beim Erklären des Textes und erläuterte alles lieber einmal zu oft als zu wenig, weshalb ich auch wirklich alles verstand, was wir machten.  Einige Koreaner und Chinesen begannen sich aber ausgiebig zu langweilen und legten dreist ihre Köpfe nieder, weshalb ich mich in der Verantwortung sah den ganzen Unterricht über auf Frau Sakatanis Fragen zu antworten und immer ein einsames "Ja." in den Raum zu rufen, wenn sie fragte, ob ihre Erklärungen verständlich waren.
In der Pause fand eine Willkommensfeier für die ausländischen Studierenden statt, an der ich aber kein großes Interesse fand, schließlich kannte ich diese Willkommensfeiern nur zu gut vom letzten Semester ("Mein erster Schultag") und wusste, dass mich dort nur eine Schar japanischer Mädchen auf Partnersucher erwarteten. Und so verbrachte ich die Mittagspause alleine, Lee war offensichtlich auf der Feier. Ich lief zum nahgelegenen Supermarkt, kaufte mir etwas zu essen und schaute mir die Kirschblüten und die anderen Studenten an, während ich entspannt auf dem Campus in der Sonne saß und mein Mittagessen aß. Irgendwann hatte ich dann genug gesehen und gegessen und lief wieder zum Klassenraum, in dem ich mich dann an meinen Platz setzte und noch eine Viertelstunde lernte, ehe der Unterricht weiterging.
Nachdem ich nach der dritten Stunde zurück ins Wohnheim gelaufen war, verbrachte ich den Nachmittag trotz des schönen Wetters wie schon am Vortag in meinem Zimmer und lernte. Um aber wenigstens ein wenig von der Sonne und der Frische des Tages zu profitieren, ließ ich meine Balkontür weit offen und hatte so trotz des Lernstresses ein wenig Frühling um mich. Bis zum späten Abend lernte ich wieder, nur unterbrochen vom Abendessen, und schlief schließlich wieder gegen elf Uhr abends ein.

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