Alle Köpfe drehten sich gleichzeitig um. Für einen Moment herrschte eine ungläubige Stille, dann begann der Kurs schlagartig zu lachen. Und nicht nur der Kurs, auch Frau Sakatani konnte sich nicht an sich halten und brach in ein helles Lachen aus. Alle Blicke richteten sich auf drei Personen: Die beiden Chinesen Ma und Ryou sowie die Koreanerin Chu. Ma und Ryou blickten unbekümmert in ihre Bücher und verzogen keine Miene, während Chu schockiert in die Augen der lachenden Kursteilnehmer blickte und sich vehement von dem Geschehen distanzierte: "Schaut mich nicht an! Ich war's nicht!"
Es war wohl einer der absurdesten Momente des Semesters, als heute vollkommen unerwartet ein Furz die Lernatmosphäre zerriss. Aber auch wenn jeder lachte und Spass an dem ungewollten Körpergeräusch hatte, ist der besagte Furz eigentlich nur die Spitze eines Eisberges von schlechten Manieren bei uns im Kurs. Denn wenn ich darüber nachdenkt, ist der heutige Furz eigentlich eher ein Grund resigniert den Kopf zu schütteln, als laut aufzulachen. Und ich muss zugeben, dass ich verwunderter bin, dass unseren Sprachlehrern nicht allmählich der Kragen platzt, bei all jenen Dingen, die sich die ausländischen Studenten herausnehmen. Es fängt schon damit an, dass einige Studenten eben nicht wissen, wann es anfängt, weil sie nämlich notorisch zu spät kommen. Und damit ist fast jeder Kursteilnehmer gemeint. Denn scheinbar sind Marvin, Ma und ich die einzigen Kursteilnehmer, die Wert auf Pünktlichkeit legen und täglich zum Glockenschlag auf ihrem Platz sitzen und auf den Beginn des Unterrichts warten. Ein Großteil der anderen Teilnehmer trödelt dann allmählich innerhalb der nächsten Viertelstunde ein und einige Hartgesottene kommen regelmäßig eine halbe Stunde zu spät. Dazu muss angemerkt werden, dass es eine Regelung an der Dokkyo-Universität gibt, die besagt, dass die erste Unterrichtsstunde bei mehr als einer halben Stunde Verspätung als Fehlstunde angerechnet wird. Einige Spezialisten kommen darum stets um Neun Uhr und Neunundzwanzig Minuten an, um gerade noch einer Fehlstunde zu entgehen. Warum bleiben sie nicht gleich zu Hause, frage ich mich dann regelmäßig, und muss mich stets daran erinnern, dass viele Studenten dies bereits tun: Manchmal ganze Tage, manchmal auch nur einige Unterrichtsstunden. Besonders beliebt ist es zu einem Test pünktlich zu erscheinen und nach dem Abgeben der Papiere samt Rucksack einfach zu verschwinden. Ebenso hat es sich bei einigen Mitstudenten eingebürgert den Nachmittag blau zu machen. Weshalb der Unialltag dünn bestückt beginnt und fast ebenso dünn bestückt wieder endet.
Aber auch wenn die Studenten körperlich anwesend sind, heißt das nicht, dass sie auch mental im Klassenraum sind, denn der Großteil des Kurses verschläft einfach den Großteil des Unterrichts. Und damit meine ich nicht nur ein sanftes Dösen, während der Lehrer einen Monolog hält, nein, damit meine ich einen offensichtlichen Winterschlaf mit ausgestreckten Armen auf dem Tisch und mitunter sogar begleitet von leisem Schnarchen. Abgesehen von Frau Kitamura, die im Viertelstundentakt durch die Reihen läuft und alle schlafenden Studenten mit einem Hieb gegen den Kopf unsanft wieder aufweckt, ignorieren die meisten Lehrer dieses Verhalten allerdings und lassen besagte Studenten einfach aus, wenn beispielsweise Grammatik- oder Leseübungen bearbeitet werden. Einige Studenten kombinieren ihr Schlafen auch gleich mit dem verspäteten Erscheinen, wodurch sie eigentlich nur ihren nächtlichen Schlaf nach einer kurzen Unterbrechung direkt im Klassenraum fortsetzen.
Ein regelrechter Klassiker für schlechte Manieren ist das Reden im Unterricht, was meines Erachtens kein wirklich schlimmes Vergehen ist, solange es sich in einem erträglichen Rahmen abspielt. Ich denke man kann sich leise unterhalten, wenn man seine Aufgaben beendet hat, jemanden etwas fragt oder einfach auf etwas Lustiges hinweisen möchte. Solange man niemanden stört, ist es erträglich. Doch die regelrechten Diskussionsrunden während des Unterrichts, die einige Leute veranstalten, sprengen jeden Rahmen. Mitunter sind einige schwatzende Koreanerinnen so sehr in ihr Gespräch vertieft, dass sie nicht einmal mitbekommen, wenn der Lehrer sie um Ruhe bittet. Und darüber, dass sich die Chinesen im Kurs in ihrer Muttersprache lauthals Sätze zurufen, regt sich schon niemand mehr auf. Es gehört praktisch zur Geräuschkulisse im Kurs.
Manchmal frage ich mich wie unsere Sprachlehrer bei all dem Chaos noch so ruhig bleiben können. Wenn ich Sprachlehrer wäre und mein Kurs mich wegen angeregter Diskussionen vollkommen ignorieren oder gleich provokativ einschlafen würde, würde ich ein Donnerwetter von mir geben. Vielleicht bin ich zu naiv, wenn ich denke, dass man in einen Sprachkurs geht, um eine Sprache zu lernen. Aber vielen Studenten scheint dies tatsächlich nicht sehr wichtig zu sein, denn warum sonst würden sie morgens verspätet in einen Sprachkurs trotten, sich erst einmal ausschlafen und dann bis zur Mittagspause mit ihren Freunden reden, ehe sie nach dem Mittagessen direkt wieder nach Hause laufen. Eigentlich kann es mir egal sein wie motiviert meine Mitstudenten sind, doch es wird allmählich lästig in Gruppenarbeiten den anderen erst einmal die Aufgabenstellung zu erklären oder immer den gleichen Satz zu hören, wenn jemand vom Lehrer drangenommen wird: "Wo sind wir denn gerade im Buch?". Ich habe immer Mitleid mit dem Lehrenden, wenn niemand aufpasst, während dieser sich abmüht fünf Minuten lang ein Idiom oder einfach nur einen komplizierten Satz zu erklären und dann auf die Nachfrage, ob es denn halbwegs verständlich war, nur ein nichtsagendes Gemurmel oder gleich totale Stille folgt.
Man zeigt ungern mit dem Finger auf Schuldige und ich mag eigentlich keine Verallgemeinerungen, aber ich kann aus meinen Erfahrungen berichten, dass die Chinesen im Kurs die schlechtesten Manieren haben. Vermutlich habe ich bei mir im Kurs nicht gerade die positivsten Repräsentanten ihrer Nation sitzen, denn es sind bedauerlicherweise die Chinesen des Kurses, die für alles oben Erwähnte Paradebeispiele sind. Manchmal greife ich mir an den Kopf, wenn ich sehe wie sie ihren Müll einfach in die Ecke des Raumes werfen oder während des gesamten Unterrichts unter dem Tisch auf ihrem Mobiltelefon fernsehen. Sicherlich nutzen es viele ausländische Studenten aus, dass sich unsere Sprachlehrer so ziemlich alles gefallen lassen und erlauben sich Dinge, für die man an der Heimatuniversität im hohen Bogen aus dem Kurs geworfen worden wäre, doch meines Erachtens ist es doch auffällig, wie viel dreister die Chinesen meines Kurses sind. Natürlich soll dies aber nicht davon ablenken, dass auch die anderen Kursteilnehmer keine Engel sind: Erst heute saß eine Koreanerin zusammengesackt und mit glasigen Augen auf ihrem Platz und zeigte kaum eine Reaktion, bis sie vom Lehrer auf die Krankenstation geschickt wurde. Wie ich herausfand war sie aber nicht krank, sondern sturzbetrunken von einer Feier bis spät in die Nacht.
Wer letztlich in der heutigen Unterrichtsstunde den überraschenden Furz von sich gab, ist nicht geklärt. Natürlich kann man sich lange darüber den Kopf zerbrechen. Und natürlich kann man sich aufregen wie schlecht die Manieren und das Verhalten in meinem Sprachkurs sind, doch sehr viel weiter bringt es einen doch nicht. Viel mehr als den Kopf schütteln und es einfach hinzunehmen wie es eben ist, bleibt einem nicht übrig. Und wenn man einmal alle Anstandsregeln und sonstigen Unzulänglichkeiten der Kursteilnehmer außer Acht lässt, war es letztlich auch nur ein lustiger Moment an einem sonst recht langweiligen und unspektakulären Tag. Sozusagen ein gleißendes Licht in der Dunkelheit. Und niemand kann leugnen, dass dieses kleine Malheur nicht nur jedem Kursteilnehmer ein herzliches Lachen bescherte, sondern auch ein wenig Leben in den sonst so dösigen und abwesenden Kurs brachte. Und so muss rückblickend jeder für sich selbst abwägen, ob der heutige Furz zukünftig nur eine heitere Anekdote ist, oder ein weiteres Beispiel für den Sittenverfall und die Anstandslosigkeit in unserem Kurs darstellt.
4 Kommentare:
also, wenn es noch kinder waeren, waere das ja alles halbwegs ok. oder wenn sie gezwungen worden waeren in dieses land zu reisen und diese sprache zu lernen und diesen kurs zu besuchen.
aber sind sie nicht da, weil sie was lernen WOLLEN, etc?
ich versteh das nicht wie man seine zeit so verbummeln kann. ausserdem wirds doch um so weniger langweilig, je mehr man selbst und die anderen mitmachen.
verkehrte welt...
der titel koennte eine phrase von e.a.poe oder aus herr der ringe sein ;)
Ich habe das Gefühl, dass viele ins Ausland gehen, weil es sich einfach gut im Lebenslauf macht und ein Jahr lang Urlaub vom regulären Unitrott ist. Für viele zählen ja die Leistungen, die sie in Japan erbringen ohnehin nicht, darum fehlt auch jeglicher Anreiz und Druck. Und mit Eigenmotivation und Lernen für sich selbst ist das ja so eine Sache.
Ich bin übrigens gespannt, ob jemand herausfindet, worauf mein Titel anspielt. Dürfte aber mit minimalem Aufwand bei Google nicht sehr schwer zu lösen sein.
Also wenn man den kompletten Titel googlet, landet man als erstes auf deinem Blog. (Ist es nicht beruhigend, dass ye olde google seinen Job macht und einfach alles findet?) Wenn man weitergooglet landet man bei Desp.Hw.. Und spaetestens da faellt mir auf: Was? Schon fuenf Staffeln? Ich hab echt viel nicht mitbekommen.
Irgendwann habe ich auch durch Zufall mal mein Blog entdeckt: Als erster Treffer bei Google. Das ist ein echt komisches Gefühl, wenn man etwas sucht und bei sich selbst landet. Komisch. Das gibt einem einen ganz anderen Blick auf Autoren, die einen Bestseller schreiben und "über Nacht" berühmt werden. Es ist echt komisch seine eigenen Werke zufällig irgendwo zu entdecken, wo man sie nicht erwartet.
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