Freitag, 27. März 2009

Abschiedsschnee

Als ich heute an meinem 168. Tag in Japan aufstand und einen Blick aus dem Fenster warf, konnte ich meinen Augen kaum trauen, denn es schneite. Schon seit Wochen hörte ich von Rekordschneefällen in Deutschland und war immer ein wenig geknickt, dass nicht einmal ein einziges Schneeflöckchen auf Soka nieder fiel. Eigentlich hatte ich mich schon damit abgefunden, dass hier im Raum Tokyo an einen nassen, ungemütlichen Herbst direkt der Frühling anschließen und die Jahreszeit Winter ein Jahr pausieren würde, doch mit dem heutigen Tag hatte ich immerhin einen einzigen symbolischen Wintertag in Japan. Dabei ist es nicht so, dass es in Japan nicht schneien würde. Es gibt Gegenden in denen zur Winterzeit der Schnee meterhoch liegt. Die Erklärung für diese ungleiche Verteilung von Schnee, bietet die Gebirgskette, die sich von Nordjapan entlang der gesamten Hauptinsel bis nach Südjapan zieht, denn diese fängt alle Regen- und Schneewolken, die vom Kontinent nach Japan ziehen wie eine Mauer ab, weshalb ein Großteil der Niederschläge auf jener Seite Japans niedergehen, die dem Eurasischen Kontinent zugewandt ist. Da Tokyo und Soka allerdings auf der anderen Seite dieses Gebirgszuges liegen, ist es hier oft trocken und schneelos, während zur gleichen Zeit nur einige hundert Kilometer entfernt, jenseits des Gebirges, ein Schneechaos ausbrechen kann.


Bild1: So beginnt mein eintägiger Winter in Soka. Ein Blick vom Balkon.



Film1: Ein Film über den langersehnten Schneefall.


So sehr ich mich über den Schneefall auch freute, so ungelegen kam er an diesem Tag leider auch, da einerseits Florian aus Bremen nach Kyoto umzog und auch Lee heute ihren Urlaub in die U.S.A. antrat. Auf das Gepäck Florians aufzupassen war kein Problem, schließlich stand es nur für eine Weile in meiner Wohnung, während er den Auszug mit der Wohnungsagentur regelte. Und obwohl ich gar nicht wirklich aktiv mithalf, schenkte er mir zum Abschied einige Dinge, die er nicht mit nach Kyoto nahm, darunter eine Packung Butter und deutsche Taschentücher. Das hört sich zwar ein wenig mickrig an, allerdings muss man sich daran erinnern, dass beides für japanische Verhältnisse Luxusartikel sind. Viel problematischer stellte sich der Schneefall für die Abreise von Lee heraus, denn als ich gegen Mittag Lees Gepäck zum Bahnhof von Soka zog, war aus dem sanften Schneefall ein unangenehmer Nieselregen geworden, der sich in großen Pfützen auf dem Boden bemerkbar machte. Bis wir beide schließlich am Bahnhof angekommen waren, war unsere Kleidung bereits unangenehm feucht geworden und das Regenwasser hatte sich unangenehm an den Hosenbeinen nach oben gesogen. Und so stand Lee unglücklich schauend mit mir am Bahnhof und wartete auf den Bus zum Flughafen, während sich das Regenwasser in ihren Turnschuhen sammelte. Ich konnte wenigstens nach Hause gehen und meine Kleidung wechseln, doch Lee standen noch knapp achtzehn Stunden Reise bevor, mit zweimaligem Flugwechsel in den U.S.A..
Als wir warteten kam ein älterer Herr in Regenjacke auf uns zu und begann uns auf japanisch zu fragen, ob wir beabsichtigten mit dem Gepäck zum Flughafen zu reisen, was Lee bejahte. Daraufhin musste sie ein Formular ausfüllen, was rund fünf Minuten in Anspruch nahm. Während ich daneben stand und kaum verstand, was der ältere Herr nuschelte, antwortete Lee recht zielstrebig auf Japanisch. In diesem Moment dachte ich darüber nach wie schnell Lee in den vergangenen fünf Monaten Japanisch gelernt hatte, schließlich hatte sie bei Null begonnen. Ob ich zu wenig Japanisch sprach, fragte ich mich, während Lee auf die Fragen des älteren Herrn antwortete, denn nach über drei Jahren Japanisch schien ich weniger zu verstehen als Lee. Trotz meiner Zweifel freute ich mich für Lee und teilte ihr auch mit wie stolz ich auf ihre Fortschritte im Japanischen war, woraufhin sie mich erstaunt anschaute und dann das Gesicht verzog. "Ich habe gar nicht verstanden, was er mich gefragt hat! Der hat so genuschelt. Ich habe einfach immer 'ja' gesagt. Hoffentlich habe ich das richtige Ticket gekauft.", sagte sie unsicher und ich musste über das Missverständnis lachen. Während Lee ein wenig über ihre nasse Kleidung klagte und sich vornahm am Flughafen noch frische Kleidung für den Flug anzuziehen, kam der Bus angefahren und stoppte an der Haltestelle. Also verabschiedete ich Lee für die nächsten Wochen, wünschte ihr einen schöne Zeit in de U.S.A. bei ihrer Familie und wartete geduldig bis der Fahrer ihr Gepäck eingeladen hatte. Eine Weile stand ich noch an der Haltestelle und winkte ihr durch die Busscheibe zu, bis der Bus schließlich in Richtung des internationalen Flughafens Narita fuhr.


Bild2: Der Bus mit dem Lee zum internationalen Flughafen von Narita fuhr. Mit einem ähnlichen Bus kam ich an meinem ersten Tag in Japan auch an.


Bild3: Ein letztes Bild von Lee bevor sie zum Flughafen fuhr.


Den Abend verbrachte ich mit einem seltsamen Gefühl. Ein wenig fühlte ich mich durch die vielen Verabschiedungen an meine Abreise von Deutschland erinnert. Nicht auf eine traurige, wehmütige Weise, sondern eher nostalgisch. Die Hälfte meiner Zeit in Japan war bereits verstrichen, die ersten Studenten verließen Japan bereits, bald würden schon Neue kommen. Eine Weile hing ich meinen Gedanken nach, dann blickte ich hinaus ins nächtliche Tokyo. Und wie zum Beginn des Tages fiel wieder Schnee. Abschiedsschnee.


Bild4: Ein nächtliches, schneebedecktes Soka. Das erste Mal, dass ich dieses Jahr Schnee sah, der liegen blieb.

Keine Kommentare: