Mülltrennung gehört zu jenen Dingen, die ich schon immer gewissenhaft betrieben habe. Aufmerksam habe ich stets alles aussortiert, was einen grünen Punkt hat, habe niemals Batterien in den Restmüll geworfen, habe mein Flaschen gesammelt und nach Farbe sortiert in die dafür vorgesehenen Glascontainer entsorgt und hatte immer einen speziellen Platz für den Papiermüll. Manchmal muss ich meine Mitmenschen mit meiner konsequenten Mülltrennung wohl ein wenig gereizt haben, wenn ich wieder einmal mahnend darauf hinwies, dass die Verpackung der Frühstücksflocken einen grünen Punkt hat, Verpackungsfolie nicht in den Restmüll gehört und man das Etikett von Pfandflaschen nicht beschädigen sollte, damit man sie problemlos im Supermarkt um die Ecke wieder zurückgeben kann. So habe ich mir meine kleine Welt aufgebaut, in der jede Form von Müll ihren festen Platz hatte, zumindest bis ich nach Japan kam und sich alles wieder änderte.
Mülltrennung. Das war eine jeder Sachen, über die ich mir nie Gedanken gemacht hatte, bevor ich nach Japan kam. Weder hatte ich angenommen, dass es wie in Deutschland sein würde, noch hatte ich mich auf ein vollkommen neues Müllsystem vorbereitet. Und hätte ich nicht an meinem ersten Tag in Japan von der Wohnungsagentur einen Zettel mit einer ausgiebigen Erläuterung des japanischen Entsorgungssystems erhalten, hätte ich nach einigen Tagen wohl vollkommen ratlos vor dem Müllplatz gestanden und nicht gewusst wofür die verschiedenen Boxen und Nischen gedacht sind. Und noch heute erinnere ich mich an den schlecht kopierten Zettel, den ich mir an meinem ersten Tag in Japan nachmittags zur Hand nahm und aufmerksam betrachtete, um die ausführlichen Grafiken und Anmerkungen zu verstehen, die das japanische Entsorgungssystem verständlich machen sollten. Dabei lässt sich das japanische Entsorgungssystem auf eine recht simple Frage reduzieren: Brennbar oder nicht.
In der Praxis spiegelt sich dies folgendermaßen wider: Man steht vor einem Haufen Müll, sortiert jene Dinge aus, die als "nicht brennbar" deklariert wurden und packt alles Übrige in eine Mülltüte. Gemessen an unserem recht ausdifferenzierten deutschen System der Mülltrennung ist die japanische Grenze zwischen "brennbar" und "nicht brennbar" nicht immer logisch nachzuvollziehen, aber dennoch simpel zu erklären. So gelten folgende Dinge als "nicht brennbar": Glas und Getränkedosen. Diese werden gesondert in Boxen gesammelt, ebenso Plastikflaschen und Batterien. Eine Ausnahme bilden auch fortlaufende Zeitschriften und Zeitungen, die gesammelt und als Paket zusammengeschnürt neben der herkömmlichen Müll gestellt werden. Ein wenig erinnert dies an unser Pfandsystem für Plastikflaschen und Getränkedosen. Und auch Glas und Batterien werden bei uns gesondert entsorgt. Hier hören die Gemeinsamkeiten aber auch auf, denn alles Übrige wird wild durcheinander in Plastikbeutel gepackt, ganz gleich ob es Plastikverpackungen, Taschentücher, Papierzettel, zerbrochen Teller oder Essensreste sind. Und gerade Letztere bieten immer einen willkommenen Anlass für Krähen, um forsch an den Müllplätzen zu sitzen und Tüten aufzupicken, denn so wie man bei uns in den Fußgängerzonen Tauben trifft, sieht man in japanischen Wohngebieten Krähen, die unentwegt Ausschau nach Essen halten. Deshalb werden in Japan für gewöhnlich Netze über die Müllsäcke gespannt, um zu verhindern, dass gierige Krähen Tüte nach Tüte aufpicken und den Inhalt in der Straße verteilen. Einige Male habe ich es bereits erlebt, dass eines jener Netze nicht ordnungsgemäß befestigt wurde, was meist unweigerlich das folgende Szenario nach sich zog: Krähen, die sich um aufgerissene Mülltüten in Einfahrten und auf Straßen versammelten und lauthals um Essensreste stritten.
Bild1: Ein Blick auf den Müllplatz vor dem Wohnheim. Links stapeln sich die mit einem Netz abgedeckten Mülltüten, die mit "brennbarem" Müll gefüllt sind, rechts sind die großen Boxen, in denen jeweils Plastikflaschen, Getränkedosen oder Glas gesammelt wird. Im Vordergrund kann man schemenhaft eine Krähe sehen, die gerade davonfliegt.
Es ist nicht immer leicht sich mit der japanischen Mülltrennung zurechtzufinden. So habe ich bis heute immer das Problem, dass ich nie so recht weiß, wie ich beispielsweise Thunfischbüchsen entsorgen soll. Man könnte annehmen, dass sie zu den Getränkedosen zählen, schließlich sind sie ebenso aus Aluminium hergestellt. Doch bisher habe ich noch nie eine Konservendose bei den Getränkedosen gesehen und zugegebenermaßen gibt es bei uns auch nur Pfanddosen und keine Pfandkonserven. Somit werfe ich Konservendosen immer in den brennbaren Müll, obwohl sie eigentlich nicht brennbar sind. Ebenso verwirrend finde ich die konsequente Aussortierung von Plastikflaschen, obgleich alles andere aus Plastik zum übrigen Müll geworfen wird. Und ganz verwirrt bin ich immer, wenn es irgendwo ein ganz anderes System zur Mülltrennung gibt, wie beispielsweise in dem Café, in dem ich mich vor einigen Tagen mit Ayano getroffen hatte. Dort wurde nämlich alles getrennt, vom Strohhalm, über den Pappbecher, dessen Plastikabdeckung, die Serviette, bis hin zu Essens- und Getränkeresten. Was sich sehr umweltfreundlich anhört, überforderte mich allerdings vollkommen, da ich nur vor einem Tisch mit rund einem dutzend kleinen Öffnungen stand, die alle mit unverständlichen Schriftzeichen plakatiert waren, was mich letztlich dazu brachte alles in einen großen Sammelmüll mit der Aufschrift "brennbar" zu werfen, was dem Inhalt des Beutels zufolge auch fast alle Kunden vor mir so getan hatten.
Egal ob man das Müllsystem in Japan nun gut oder schlecht findet, man muss den Japanern eines lassen: Konsistenz. Denn im Gegensatz zu Deutschland, wo man trotz der ausgefeilten Mülltrennung noch ziemlich häufig öffentlich Mülleimer findet, in die man einfach alles wirft, habe ich in Japan noch keinen einzigen Universalmülleimer gesehen. Wo ich auch hingehe, es findet sich immer mindestens die Dreiteilung, die ich anfangs beschrieben habe: Glas, Plastikdosen und "brennbar". Und zu meinem Erstaunen wird dies auch oft penibel eingehalten. Vielleicht gibt es ein anderes Empfinden für Müll in Japan, als bei uns, denn obwohl es weitaus weniger Mülleimer in Japan gibt, findet man kaum Müll auf japanischen Straßen oder öffentlichen Plätzen. Liegt dies daran, dass man in Japan weniger Müll produziert? Hängt dies mit den vielen öffentlichen Putzkräften zusammen, die unentwegt die Straßen sauber halten? Ich kann es nicht sagen, aber eine Szene ist mir bis heute in Erinnerung geblieben: Als ich einen Tempel besuchte, sah ich eine Plastikverpackung über den Boden fliegen. Und als ich noch darüber nachdachte, ob ich sie aufheben und wegwerfen sollte, kam ein japanischer Jugendlicher aus einiger Entfernung angelaufen, hob die Plastikverpackung, die ganz sicher nicht von ihm war, auf und warf sie in einen Mülleimer, bevor er zurück zu seinen Freunden lief.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen