Dienstag, 4. August 2009

Willkommen in den Philippinen!

Noch während der Vorlesungszeit hatte meine Freundin Nikki bereits angekündigt, dass ihre Mutter aus den Philippinen zu Besuch kommen würde, ehe die beiden gemeinsam Japan verlassen und Nikki die folgenden Wochen in ihrer Heimat verbringen werde. Und so hatte Nikki mich herzlich dazu eingeladen vor der Rückreise in die Philippinen gemeinsam mit ihr und ihrer Mutter Essen zu gehen.
"Meine Mutter ist genau wie ich. Sie interessiert sich für fremde Kulturen und verschlingt ein Buch nach dem anderen. Du wirst sie mögen, da bin ich mir sicher."
Und weil Nikki überzeugt war, dass wir drei gut miteinander auskämen, sagte ich freudig zu, obwohl ich noch nicht genau wusste, wann das Treffen stattfinden würde.
So verging ein Tag nach dem anderen, schließlich fast drei Wochen. Und während dieser Zeit begann ich gemeinsam mit meiner Nachbarin Milena und deren Mitbewohnerin Christa einen Tagesausflug zu planen. Schließlich einigten wir uns darauf am Montag, Tag 319 in Japan, früh am Morgen aufzustehen, um bereits gegen Sieben Uhr am Bahnhof mit dem Zug abzufahren. Wir planten unseren Zielort, unsere Unternehmungen für den Tag, kauften alles Nötige ein und waren in Gedanken bereits verreist, als ich knapp zwei Tage vor dem geplanten Ausflug eine E-Mail von Nikki erhielt.
"Lass uns am Montag Abend treffen. Das ist mein letzter Tag in Japan."
Und so geriet meine gesamte Planung durcheinander. Ich hatte den Tagesausflug bereist fest eingeplant und konnte unmöglich abspringen. Deshalb schlug ich die einzige Alternative vor, die mir einfiel:
"Ich bin bis zum Abend weg, werde dich aber kontaktieren, wenn ich wieder nach Soka zurückgekehrt bin. Dann können wir gemeinsam ausgehen. Es kann aber später werden."
Ich war ein wenig traurig, dass ich nicht einmal die Gewissheit hatte meine Freundin Nikki noch ein letztes Mal vor ihrer Abreise zu sehen. So viel Zeit hatten wir im letzten Semester miteinander verbracht, dass es schade wäre, wenn wir uns weder persönlich voneinander verabschieden, noch uns ein letztes Mal treffen könnten. Und so schlief ich am Abend vor meiner Abreise mit einem etwas mulmigen Gefühl ein.
Am Montagmorgen, meinem 319. Tag in Japan, stand ich in aller Frühe auf und machte alles so, wie ich es am Vorabend geplant hatte: Ich bereitete mein Lunch-Paket vor, zog die zurechtgelegte Kleidung an, packte meine über Nacht aufgeladene Kamera ein und steckte alles in meinen Rucksack, was ich im Verlauf des Tages noch brauchen könnte. Bevor ich meine Wohnung verließ, überprüfte ich noch einmal meine E-Mails und fand überraschenderweise eine Benachrichtigung von Milena: Es herrschte schlechtes Wetter an dem Ort, den wir besuchen wollten, darum würde sie zu Hause bleiben. Ich blickte auf meine gepackten Sachen, auf die Uhr, die halb Sieben anzeigte, und zuckte die Schultern: Ich würde mich wie geplant mit Milenas Mitbewohnerin treffen.
Und tatsächlich stand ich kurz darauf mit Christa im Gang vor meiner Wohnung und gemeinsam überdachten wir unseren Ausflug. Im Regen wollten auch wir keinen ganzen Tag verbringen und ohne Milena wäre es sicher nur halb so amüsant, also entschieden wir uns trotz unserer Vorbereitungen, trotz unserer Planung, unseren Tagesausflug auf einen späteren Termin zu verschieben. Doch da wir bereits gepackt und bereit zum Aufbruch waren, entschieden wir uns dazu wenigstens einen frühmorgentlichen Spaziergang durch Soka zu unternehmen. Und so brachen wir auf, liefen bei sengender Sonne bis zur Flusspromenade, setzten uns in den Park von Soka und picknickten auf der Wiese, während wir den morgentlichen Aktivitäten der anderen Parkbesucher zusahen. Es war ein schöner Tag, obwohl es bereits vor Sieben Uhr drückend heiß war. Ich genoss es das Treiben so früh am Morgen zu erleben, denn dazu hatte sich mir noch nicht oft die Chance geboten. Ich war schon am Mittag, am Abend und sogar in der Nacht durch Soka spaziert, aber noch nicht in der Frühe. Und schon gar nicht in den Stadtpark, um inmitten des Grün zu frühstücken.
Knapp zwei Stunden verbrachte ich so mit Christa, tauschte mich scherzend mit ihr über die kleinen Unterschiede zwischen Österreich und Deutschland aus, über unsere Zeit in Japan und letztlich über unseren anstehenden Tagesausflug. Und obwohl wir uns zuvor kaum zu Gesicht bekommen hatten, sprachen wir als seien wir alte Bekannte, als hätten wir uns schon seit Ewigkeiten gekannt. Wir waren auf einer Wellenlänge, konnten uns über alles austauschen, ganz ohne peinliche Pausen, ganz ohne verkrampftes Suchen nach Gesprächsthemen. Es sprudelte einfach aus uns heraus. Wer wir waren, was wir machten, was wir mochten, was wir werden wollten. All diese Themen, die man für gewöhnlich in monatelanger Freundschaftsarbeit aufarbeitet, sprachen wir in diesen zwei Stunden durch. Und auch wenn es komisch klingen mag, haben sich Christa und ich in diesen wenigen Stunden am Morgen besser kennengelernt, als viele Personen, die bereits seit Jahren Kontakt haben.


Bild1: Eine Gruppe von Jungen, die im Park von Soka Frühsport betrieb.


Bild2: Hier rannten sie schließlich Staffellauf um die gesamte Parkanlage herum. Und das trotz der drückenden Hitze am frühen Morgen.


Bild3: Hundebesitzer beim Gassi gehen. Ja, es waren viele Hundebesitzer am frühen Morgen unterwegs.


Bild4: Ein Blick auf mein Lunchpaket: Reis mit Sojasoße und Algen. Christa und ich haben kräftig zugelangt.


Bild5: Kurz vor unserem Rückweg zum Wohnheim packte Christa unsere Sachen zusammen.


Bild6: Ich habe bereits über die großen Schmetterlinge in Japan geschrieben, denen ich gelegentlich begegne ("Sonnenzeit"). Und auf dem Rückweg gelang es mir doch tatsächlich einen zu fotografieren. Doch natürlich sieht er auf dem Foto gar nicht so groß aus, wie er tatsächlich ist.


Bild7: Blumen in Soka.


Bild8: Eine wunderschöne Sonnenblume, die nahe des Wohnheims blühte. Im Hintergrund sieht man Christa.


Da ich nun den Rest des Tages Freizeit hatte, kontaktierte ich sogleich Nikki und sagte ihr für das gemeinsame Abendessen zu, worüber sie sich riesig freute. Und so verließ ich zur Dämmerung mein Wohnheim, traf mich gemeinsam mit Nikki und ihrer Mutter Peng um Sieben Uhr abends in Soka und gemeinsam liefen wir in ein kleines Restaurant in der unmittelbaren Nachbarschaft.


Bild9: Es dämmerte bereits zu Abend, als ich das Wohnheim verließ.


Ich war zunächst ein wenig nervös Nikkis Mutter zu treffen, kannte ich sie doch nur vom Hörensagen, doch dann besann ich mich, dass sie sehr nett sein müsste, schließlich würde Nikki sie mir sonst nicht vorstellen. Zudem hatte ich im Verlauf des letzten Jahres gelernt auf Menschen zuzugehen ("The story of Dan and Dave") und ging mit Selbstvertrauen und Selbstsicherheit der Frau an Nikkis Seite entgegen. Und es gab wirklich nichts, weswegen ich hätte nervös sein müssen, denn Peng war ein sehr freundlicher und aufgeschlossener Mensch, der genau auf Nikkis Beschreibung passte: "Meine Mutter ist genau wie ich. Sie interessiert sich für fremde Kulturen und verschlingt ein Buch nach dem anderen.". Und obwohl Peng mehr als doppelt so alt wie Nikki war, saßen wir wie drei gute Freunde beieinander und tauschten uns über die verschiedene Kulturen aus: Über die Philippinen, über Japan, über Deutschland und über die gesamte Europäische Union.
"Ich lese so viel über die Europäische Union. Es muss wirklich wunderbar sein so frei zwischen den vielen verschiedenen Ländern reisen zu können, so ganz ohne Grenzen. Soetwas kennen wir in den Philippinen gar nicht, unser Pass ist nichts wert. Es ist schon immer ein Riesenaufwand nur für einen kurzen Urlaub nach Japan zu kommen."
Und ein wenig wurde mir an diesem Abend bewusst, wie gut es mir doch in Deutschland, in Europa ging. Es gibt so viele Dinge, die unser Leben, das Reisen, die Völkerverständigung erleichterten, die uns schon vollkommen selbstverständlich geworden sind. Darum fasste ich an diesem Abend den Entschluss in Zukunft ein wenig mehr die Vorzüge der Europäischen Union zu nutzen und viel öfter ins Ausland zu reisen, viel mehr zu sehen, viel mehr mit anderen Kulturen in Kontakt zu treten. Denn was braucht man schon? Ein wenig Geld und einen Rucksack, dann kann man schon von Südspanien bis nach Island und von dort nach Zypern reisen. Warum macht man dies nur so selten? Es ist schließlich nicht so, als gäbe es nichts zu sehen. Vielleicht braucht man sie, diese Sicht von Fremden, von Aussenstehenden, um schätzen zu lernen, was man hat.
An diesem Abend lud mich auch Nikkis Mutter Peng noch einmal in die Philippinen ein.
"Du bist bei uns immer herzlich willkommen. Und nimm auch gerne Freunde oder Familie mit. Für Europäer ist es ohnehin so günstig in den Philippinen. Wir freuen uns über jeden, der unser Heimatland kennenlernen möchte."
"Vielen lieben Dank. Ich werde auf jeden Fall einmal zu Besuch kommen. Vielleicht nicht dieses Jahr, vielleicht auch nicht nächstes Jahr. Aber ich werde definitiv kommen. Versprochen."
Und dieses Versprechen sagte ich nicht nur dahin, nein, ich meinte es wirklich so. Genau so, wie ich es auch Nikki vor wenigen Wochen versprochen hatte in Kontakt zu bleiben ("Band der Freundschaft").


Bild10: Ein Bild von Nikki, ihrer Mutter Peng und mir in den kleine Restaurant, in dem wir zu Essen waren. Es ist eine Erinnerung an einen wunderschönen Abend.


Durch die warme Sommernacht liefen wir bis zu Nikkis Wohnung, wo mir Peng überraschend ein kleines Geschenk überreichte.
"Es ist nichts Besonderes. Nur ein paar getrocknete Mango aus den Philippinen. Eine kleine Aufmerksamkeit."
Ich konnte gar nicht in Worte fassen wie glücklich ich war. Es war solch eine liebe, herzliche Geste, dass mir die Worte fehlten. Gerührt nahm ich die kleine Tüte mit den getrockneten Früchten an mich und bedankte mich, doch Peng winkte lächelnd ab.
"So besonders ist es nun auch nicht."
Sie lächelte mir noch einmal zu, dann drehte sie sich um und ließ Nikki und mich alleine zurück.
"Ich bin so glücklich, dass du heute doch noch kommen konntest."
"Ja, ich auch. Ich hatte so viel Spass mit dir und deiner Mutter. Das sollten wir in den Philippinen wiederholen."
Nikki lachte auf.
"Oder in Südamerika, wenn wir uns Machu Piccu ansehen."
Eine Weile unterhielten wir uns, schmiedeten an unserer Zukunft, bauten Wolkenschlösser und erzählten uns von unseren Träumen. Und dann war es schließlich so weit.
"Ich sage nicht Tschüss. Nicht auf Wiedersehen. Das sagt man immer nur, wenn man sich trennt. Aber wir bleiben zusammen, bleiben in Kontakt."
"Ja, das bleiben wir. Das bleiben wir ganz sicher."
"Darum sage ich: Bis später."
Ich musste lächeln. Noch einmal drückten wir uns fest, dann ging ich langsam davon.
"Bis später! Wir sehen uns wieder."
"Na klar!"
Und mit einem Lachen und einem Lächeln trennten sich unsere Wege. Es war kein trauriger Abschied, keine schmerzhafte Trennung, die im Vordergrund stand, nein, es war die Gewissheit einen Freund gefunden zu haben, mit dem man in Kontakt bleiben und den wieder sehen würden. Nicht vielleicht, sondern mit Sicherheit.
Irgendwo.
Irgendwann.

3 Kommentare:

michi hat gesagt…

Das meintest du also letztens damit, dass wir so viele Vorzuege haben, die man oft nur von aussen betrachtet sieht. So gesehen stimmt das. Vlt. ist die EU so eine Art kleines Utopia ;) Ein Stueck Welt wo sie so ist, wie sie eigentlich ueberall sein sollte.
Warum man nicht mehr durch die Gegend reist? Vlt. gerade weil! es so einfach ist. Es ist nichts besonderes aus Zwaengen auszubrechen, wenn es eigentlich keine Zwaenge mehr gibt.
Von daher ist es wirklich wichtig von Aussenstehenden mal wieder gezeigt zu bekommen, was man an seinem eigenen Land wertschätzen kann.

MLD hat gesagt…

Dann war es ja ganz gut, dass wir an diesem Tag nicht gefahren sind :)

David Kraft hat gesagt…

An Milena:
In allem Negativen, lässt sich etwas Positives finden. Hier sogar recht konkret, da ich Nikki nicht hätte verabschieden können, wenn wir an diesem Tag in Nikko gewesen wären. Aber dort sind wir ja schließlich doch noch hingekommen.

An Michi: Vielleicht sollte man einfach ein wenig mehr reisen, einfach weil man es kann. Heutzutage ist es so simpel und auch billig irgendwohin zu reisen, zumindest hier in Europa. Es ist wirklich ein kleines Utopia, wenn man einmal darüber nachdenkt.