Jeden Freitag besucht Nikki ein Seminar an der Universität, in dem sie lernt wie man Ausländer effizient Japanisch lehrt, eine unerlässliche Veranstaltung für jeden angehenden Japanischlehrer. Die Dozentin ist die motivierte, überfreundliche und doch strenge Frau Nakanishi, meine Sprachlehrerin vom Donnerstag, die allen Teilnehmern regelmäßig Hausaufgaben aufgibt, an denen diese dann eine Woche lang zu knabbern haben. Meist dreht es sich um das Entwickeln von Erklärungsmodellen für Grundlagen der Japanischen Grammatik: Wie erklärt man die Grundlagen des Satzbaus, wie erklärt man die Funktion einzelner Partikel, womit veranschaulicht man seine Erklärung, um es möglichst einprägsam vorzutragen.
Mit diesen Fragestellungen setzt sich auch Nikki Woche für Woche auseinander und nicht selten zieht sie mich dabei zu Rate. Dann treffen wir uns nach dem Unterricht, setzen uns irgendwo zu zweit hin und lassen unserer Kreativität freien Lauf. Nikki erklärt mir wie ihre Hausaufgabe lautet, worauf es ankommt und ich kommentiere dann ihre bisherigen Lösungsvorschläge. Manchmal feile ich ein wenig an ihrem Konzept oder schlage ihr ganz neue Strategien vor, an die sie bisher noch gar nicht gedacht hatte. Und so erarbeitet Nikki Woche für Woche in Partnerarbeit mit mir Lehrmethoden und durchdachte Lösungen für die geforderten Hausaufgaben, während ich nebenbei jede Menge über das Lehren lerne. Ein netter Nebeneffekt, schließlich habe ich früher immer mit dem Gedanken gespielt Sprachlehrer zu werden.
Doch Nikki lernt mit mir nicht nur für ihr Seminar, sie erzählt mir auch immer wieder Interessantes über die Philippinen, ihr Heimatland. So auch heute, an Tag 259 in Japan, als ich ihr Gesellschaft leistete, während sie nach dem Unterricht auf den Beginn ihrer Lehrveranstaltung bei Frau Nakanishi warten musste. Die anderen Studenten des Sprachkurses hatten die Universität bereits verlassen, als Nikki und ich zu zweit im leeren Klassenraum saßen, unser Mittagessen auspackten und begannen uns zu unterhalten. Während jeder von uns seinen Reis und die Beilagen nach und nach verspeiste, tauschten wir uns über die Probleme und Jugendkultur in unseren Ländern aus, denn darüber kann man sich gut mit Nikki unterhalten, da sie auch bei heiklen Themen kein Blatt vor den Mund nimmt. Und so erzählte sie munter von der immer bequemer und fauler werdenden Jugend in den Philippinen, die genau jenes Gut vernachlässigte, für das die Philippinen weithin bekannt waren: Die englische Sprache.
"Wir sind bekannt für unser gutes, akzentfreies Englisch. Darum werden wir oft für Korrespondenzen in Asien angeheuert und viele asiatische Ausländer kommen zu uns, um Englisch zu lernen. Doch das Englisch der Jugend wir immer schlechter und darum geht es mit der Wirtschaft immer weiter bergab. Man ist zu faul geworden richtiges Englisch zu lernen und mischt es mit Tagalog, einer traditionellen Sprache in den Philippinen. Darum wurde von staatlicher Seite das Englisch gefördert und sogar zur zweiten Amtssprache ernannt, doch das kümmert die Jugend herzlich wenig. Weißt du, es ist eine Art Teufelskreis in den Philippinen: Die Armen bleiben arm und die Reichen reich, darum sehen vor allem die Armen keinen Sinn darin Englisch zu lernen, wenn sie letztlich doch nur als Haushälter, Chauffeur oder ähnliches enden. Ich denke ich kann froh sein, dass ich aus einem reichen Haushalt komme und mir alle Wege offen stehen. Wir haben Angestellte, ein großes Grundstück und meine Mutter muss nicht einmal arbeiten. Dennoch sehe ich das Elend um mich: Wenn ich im Auto zur Schule gefahren werde, betteln die Armen an der Autoscheibe und wollen Geld. Aber das kann ich ihnen nicht geben, denn einerseits sind es zu viele Bettelnde und man kann sich nicht entscheiden wer es verdient hat und wer nicht, andererseits müssen sie selbst arbeiten, um Geld zu bekommen. Das klingt hart, aber in den Philippinen gibt es immer mehr Menschen, die zu faul sind zu arbeiten, da verschlimmert man alles nur, wenn man ihnen Geld für nichts gibt. Ja, es ist nicht alles perfekt in den Philippinen und ich frage mich oft wie sich mein Land in Zukunft entwickeln wird.".
Interessiert hörte ich Nikki zu und war überrascht wie viele Gemeinsamkeiten unsere Heimatländer hatten, obgleich sie doch so unterschiedlich waren. Fast eine Stunde lang lernte ich von Nikki und sie von mir, dann verabschiedeten wir uns und sie machte sich auf den Weg in ihr Seminar, um vorzustellen, was wir in der vergangenen Woche gemeinsam erarbeitet hatten.
"Irgendwann musst du mal mitkommen in das Seminar. Ich denke das könnte dir gefallen."
Ich dachte ernsthaft darüber nach. Vielleicht würde ich das wirklich einmal machen.
2 Kommentare:
Du bist sicherlich eine große Hilfe beim Erstellen von Erklärungsmodellen. Schließlich warst du schon immer gut darin, Sachen zu erklären.
Ich möchte hiermit feierlich verkünden, dass ich endlich auf dem aktuellen Stand bin :-)
Herzlich willkommen auf dem "neuesten Stand", auch wenn der immer zwei bis drei Wochen hinter den tatsächlichen Geschehnissen hängt. Aber ich nehme mir dich zum Vorbild und werde mich beharrlich nach vorne arbeiten.
Und wenn ich ehrlich bin, ist es manchmal auch ganz nett ein wenig Luft zwischen dem Stand der Realität und dem Blog zu haben, dann kann man ein wenig rekapitulieren und sieht, was man beispielsweise noch unbedingt schreiben sollte, oder was man auch in einen späteren Eintrag integrieren kann.
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