Es ist schon wie ein schlechter Witz, dass ich bei jeder Gelegenheit mit Ma zusammenarbeiten muss, wenn wir Gruppenarbeiten haben. Als dann heute während des schriftlichen Tests die Paare für die Konversationsprüfung aufgerufen wurde, war ich somit kaum überrascht, dass Frau Takeda ausgerechnet Ma und mich in eine Gruppe steckte.
Als wir die schriftliche Prüfung verlassen hatten, grüßten wir uns in gewohnt gegenseitiger Abneigung kurz und bündig und liefen stumm zum Prüfungsraum, wo Frau Takeda bereits lachend saß und auf ihrem Lehrerstuhl durch den Raum rollte. Thema war ein Streitgespräch, um eine verschobene Prüfung: Ich wollte den Prüfungstermin vorziehen, Ma wollte ihn hinauszögern.
"Ein Streitgespräch mit Ma. Na, das kann ja was werden."
Und es wurde tatsächlich etwas. Es schien uns zugute zu kommen, dass wir beide unseren Konversationspartner nicht sonderlich mochten und unseren Dickschädel durchsetzen wollten, da niemand nachgab. Das Gespräch war ursprünglich simpel konzipiert: Das Problem ansprechen, jeweils ein Argument liefern und sich einigen. Eine Aufgabe für knapp eine Minute Dialog. Ma und ich schoben allerdings den Einigungsprozess stetig hinaus und türmten ein Argument nach dem anderen auf, jeder darauf versessen den Turm des anderen zum Einsturz zu bringen.
"Wir zögern den Termin hinaus. Der Kurs will es so."
"Ach ja? Nicki, Marvin und Paul haben mir gesagt, dass sie den Termin vorziehen wollen."
"Die Chinesen und Koreaner wollen ihn hinauszögern."
"Da haben Cassy, Chu und Tei mir aber etwas ganz anderes gesagt."
Über fünf Minuten warfen wir uns mehr oder weniger stichhaltige Argumente an den Kopf, während Frau Takeda bereits vor lachen auf dem Boden kullerte.
"Toll! Toll! Das war so toll!"
Begeistert klatschte sie, als wir den Dialog letztlich zu einem Ende gebracht hatten und den Raum erleichtert verließen. Einen Moment standen wir auf dem Gang vor dem Prüfungssaal, bis wir uns schließlich in die Hände klatschten und gegeseitig für die gute Konversationsprüfung gratulierten. Wunder gibt es immer wieder.
Am Abend klingelte es an der Eingangstür und ich war überrascht Tak unerwartet vor mir in der Tür stehen zu sehen. Es war bereits zwischen neun und zehn Uhr, nicht unbedingt die Zeit, zu der man unangekündigten Besuch erwarten würde, doch da stand er ein wenig unsicher in der Tür, lächelte zögerlich und trat nervös von einem Bein aufs andere.
"Hey. Ist schon eine Weile her."
Es kam alles zusammen: Die Situation, seine Gestik und Körperhaltung und letztlich dieser Satz. Ich konnte gar nicht anders als erst einmal zu lachen, so absurd wirkte alles auf mich. Und innerhalb dieser wenigen Augenblicke war das Eis gebrochen, das man erwarten würde, wenn man sich monatelang nicht mehr gesehen hat.
"Warum bist du spät abends hier in Soka? Was treibt dich zu mir?"
"Ich wurde auf die Feier von einem Freund eingeladen, der hier wohnt. Darum bin ich direkt von der Arbeit hierher gekommen."
Ich blickte an Tak herunter und sah mir den Anzug an, den er noch von der Arbeit trug. Vielleicht lag es daran, dass ich Anzüge nicht besonders mochte, vielleicht auch einfach daran, dass ich Tak in Alltagskleidung gewohnt war, aber ich fand es seltsam ihn im Anzug anzuschauen. Wann hatte ich ihn wohl das letzte Mal in T-Shirt und Jeans gesehen? Es musste Monate her sein.
"Warum bist du bei mir, wenn du zu einem Freund eingeladen wurdest."
"Weißt du, es gibt solche und solche Freunde."
Er unterstrich seine Worte, indem er sich einmal nach links und einmal nach recht beugte, während er ein wenig peinlich berührt lächelte.
"Und der Freund, bei dem ich eingeladen bin, nun, den kenne ich nicht wirklich. Das stört keinen, wenn ich später komme. Und da dachte ich mir, wenn ich schon einmal in Soka bin, dann komme ich doch lieber bei einem der wenigen, richtigen Freunden vorbei."
Ich musste lächeln und schob ihn durch die Küche in mein Zimmer, wo wir uns auf mein Bett plumpsen ließen.
"Was macht Nobuko?"
"Oh, ich weiß nicht so recht. Ich habe sie eine Zeit lang nicht gesprochen."
"Aber sie ist deine Freundin. Unterhaltet ihr euch da nicht?"
"Wir sind beide sehr beschäftigt. Sie hat auch begonnen zu arbeiten, weshalb wir uns unter der Woche gar nicht und am Wochenende nur gelegentlich treffen können. Sie hat zur Zeit Ärger in ihrer Firma, weil sie gezwungen wird Sachen zu machen, die sie als neuer Angestellter nicht machen sollte. Sie soll immer übersetzen: Japanisch-Chinesisch und Chinesisch-Japanisch. Sie ist ja schließlich Halbchinesin."
Eine Weile sprachen wir über Nobuko, dann fanden wir den Weg über ihre Arbeit zu Taks neuer Anstellung. Was genau er machte, weiß ich nicht mehr, aber er schien nicht sehr glücklich zu sein.
"Man verdient halt Geld. Das ist toll."
"Früher hattest du schönere Träume für die Zukunft. Vielleicht hättest du nach Großbritannien gehen sollen. Ich denke das hätte dir gut getan."
"Ja, das hätte ich."
Ich war überrascht. Eigentlich hätte ich erwartet, dass Tak beginnen würde Argumente aufzuzählen, warum er nicht in nach Großbritannien hätte gehen wollen, doch er gab einfach nur klein bei.
"Es ist ein kleines Geheimnis, aber ich möchte immer noch nach Großbritannien gehen. Wenn ich das Geld gehabt hätte, wäre ich nach dem Abschluss der Uni hingegangen, aber es hat nicht gereicht. Darum habe ich mir einen Job gesucht und spare nun Geld. Und mit ein wenig Glück kann ich vielleicht irgendwann gegen September nach Europa reisen."
"Das klingt gut! Ich hoffe, dass es so läuft, wie du es dir wünscht."
Über eine Stunde lang saßen wir auf meinem Bett. Und während wir unsere Köpfe gegen die Wand legten, lachten und uns unterhielten, war es wieder wie damals ("Momente"). Wie zu der Zeit, als wir uns fast täglich getroffen hatten. Es gab keine peinliche Stille, keine Unsicherheiten, nur zwei beste Freunde, die sich austauschten. Geradezu als hätten wir uns nie aus den Augen verloren.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen