Zwischen Paul, Marvin und mir sind die allgegenwärtigen Präsentationen zu einem Dauerbrenner geworden. Fast täglich kommt irgendwann das Gespräch auf jene wenige Minuten im Semester, die zwischen all dem übrigen Lernstoff fast untergehen. Dabei tauschen wir uns aber weniger über Tipps und Vorbereitungsstrategien aus, sondern machen unserem Stress ein wenig Luft, denn wirklich Zeit und Motivation zu finden sich hinzusetzen und aus dem Nichts eine Präsentation auf die Beine zu stellen, ist nicht so einfach. Ich würde die Zeit lieber ins Lernen und Schreiben investieren, Paul und Marvin lieber ins Ausgehen und Feiern. Und so witzeln wir auf dem Weg zur Uni manchmal über absurde Themen oder Vortragsformen, um uns den anstehenden Stress ein wenig zu komprimieren: "Man könnte eine Präsentation über den Sinn von Präsentation halten.", "Wir drehen einen Kurzfilm und referieren über unseren eigenen Film.", "Wie wäre es wenn wir einfach unsere Themen vom letzten Semester austauschen? Marvin redet über Rekorde im Tierreich, David über das Schulsystem in Deutschland und ich über die Firmengeschichte von Nintendo?". Und je öfter wir sprachen, um so häufiger kamen wir immer und immer wieder auf eine unserer Ideen zurück: Warum nicht einfach die Themen vom letzten Semester austauschen?
"An sich ist es keine schlechte Idee", dachte ich mir zunächst, schließlich ging es ja nicht darum neue wissenschaftliche Erkenntnisse zu bringen, sondern den freien Vortrag zu üben, was man mit jedem beliebigen Inhalt machen konnte. Würde man seine Präsentation auf Basis einer anderen Präsentation errichten, hätte man schon das Thema, eine Gliederung und ein Skript, das man nur an den eigenen Sprachgebrauch anpassen müsste, und könnte die Zeit, die dadurch verschlungen worden wäre, anderweitig investieren. "Aber wie man es dreht und wendet, es bleibt ein Plagiat.", dachte ich mir und widerstand der Versuchung den einfachen Weg für meine zweite Präsentation zu wählen. Ebenso auch Marvin, der die Idee ebenfalls reizvoll fand, sich aber doch lieber mit einem neuen Thema auf sicherem Terrain bewegte. Nur Paul blieb an der Idee hängen und spielte eine Weile mit dem Gedanken sich selbst zu kopieren, um seine kommende Präsentation ohne große Mühen hinter sich zu bringen. Und als Paul heute im Unterricht die Folien seines Vortrags an die Wand warf, schüttelte ich nur grinsend den Kopf, denn er gab tatsächlich seine Präsentation zu den Rekorden im Tierreich erneut zum Besten.
Alle, die die Präsentation bereits im letzten Semester gesehen hatten, beäugelten neugierig Frau Ezoe, um zu schauen, ob sie die Präsentation wiedererkannte. Natürlich hatte Paul sie letztes Semester nicht bei Frau Ezoe gehalten, so dreist war er dann doch nicht, aber die Sprachlehrer tauschten sich sicher untereinander aus und so hätte es gut sein können, dass Frau Ezoe das Thema bekannt hätte vorkommen können, doch sie zeigte keine Reaktion, stellte in Ruhe ihre Kamera auf und verteilte die Bewertungsbögen. Und so schien Pauls zweiten Präsentation des gleichen Themas nichts im Wege zu stehen, bis sich schließlich jemand aus den Reihen der Studenten meldete: "Herr Lehrer, die Präsentation wurde letztes Semester schon einmal gehalten.". Alle drehten sich zu Ma um, der mit einem schmierigen Grinsen Frau Ezoe anlächelte. Für einen Moment herrschte Stille, weil niemand wusste, was nun passieren würde, dann wendete sich Frau Ezoe verwirrt zu Paul und stellte ihn zur Rede. "Nein, die habe ich noch nicht gehalten,", log Paul und sein Kopf wurde hochrot. "Lüge!", rief Ma mit seinem schmierigen Lächeln auf den Lippen und drehte sich triumphierend zu Frau Ezoe um, als Cassy ihn auf Chinesisch anfauchte. Ich griff mir an den Kopf: Lügen, Betrügen und Abkupfern war sicherlich nicht richtig, aber viel schlimmer fand ich es einen Mitstudenten zu verpetzen. Unser Kurs hatte immer zusammengehalten, ganz gleich worum es ging. Ein Student kam am Morgen zu spät und behauptete verschlafen zu haben, obwohl alle wussten, dass er die Nacht durchgefeiert hatte? Niemand sagte etwas. Eine Studentin verließ den Unterricht wegen Kopfschmerzen früher, obwohl alle wussten, dass sie eine Verabredung hatten? Niemand sagte etwas. Und auch bei noch so schlechten Präsentationen hatten wir unsere Kommilitonen immer mit positivem Feedback vor dem Lehrer gut dastehen lassen. Es war eine ungeschriebene Regel seine Kommilitonen nicht auflaufen lassen, und Ma hatte sie gebrochen.
Letztlich hielt Paul seine Präsentation doch noch. Er sagte, dass seine Präsentation vom letzten Semester als Grundlage für dieses Semester gedient, er aber vieles geändert und neu hinzugefügt hätte, es auf den ersten Blick aber so aussehen könnte, als wären sie gleich. Der Kurs stellte sich hinter ihn und bestätigte seine Ausflüchte und so ließ sich Frau Ezoe nach einigen Zweifeln doch davon überzeugen, dass Paul nicht einfach die gleiche Präsentation zweimal halten würde. So dreist ich Pauls Aktion auch gefunden hatte, letztlich blieb mir an diesen Tag nicht seine Präsentation und wie er sich aus den Anschuldigungen von Ma herausgewunden hatte, sondern der Zusammenhalt unseres Sprachkurses in Erinnerung. So faul, bequem und unhöflich viele aus dem Kurs auch sein mögen, letztlich sind wir doch eine kleine, verschworene Gesellschaft. Nun ja, vielleicht bis auf Ma.
4 Kommentare:
Eigentlich versteh ich euch nicht, Präsentationen sind doch so toll! (eben meine 3te in diesem Semester gehalten...). Aber wenn du eine Präsentation zum Vergleich von psychologischen Praxis in Deutschland und Japan machen möchtest, kann ich dich dabei mit großen Freude unterstützen, d.i. in meiner Vorlesung zur Klinischen Psychologie ist letzens eine Kurzdiskussion zu dem genannten Thema entstanden. Ob die hiesigen Methoden überhaupt auf die Japaner mit ihrem Gruppendenken anwendbar sein?
Ma übt weiterhin die Faszination auf mich aus, mit seinen scheinbar nicht vorhandenen Sozialen sowie fachlichen (Sprache) Kompetenzen aber doch Pünktlichkeit und regelmäßige Anwesenheit im Unterricht. Mit dem ewigen wenig bringenden Auslandsstudium... Mit der Dreistigkeit auf die wiederverwendete Präsentation hinzuweisen, und doch frage ich mich ob ich selbst nicht vergleichbar gehandelt wäre. Denn solch eine Wiederverwendung betrachte ich als dreiste Lüge, mein sozialer Anpassungsgrad ist dagegen fraglich...
Zusammenfassend, würde ich dich fast schon bitten noch mehr über mr. Ma zu recherchieren: was sind seine Hobbies? Familiensituation? Zukunftsplanung? Ich glaube hier liegt es mir schon daran die Person besser verstehen zu können...
Ich glaube es ist der allgemeine Unmut und die Teilnahmslosigkeit der Kursteilnehmer, die einem jeglichen Spass an Präsentationen verderben, denn Marvin meinte einmal treffend: "Man hält die Präsentation nur für den Lehrer.". Ich versuche immer interessante Themen zu wählen und leicht verständlich zu reden, aber die anderen hören einfach nicht zu. Ich würde mich ja freuen, wenn ich interessiertes Publikum hätte.
Leider kann ich nicht viel mehr über Ma berichten als das, was ich schon schreibe. Dazu kommt, dass er wirklich ein Lügner ist und haarsträubende Geschichten erzählt, weshalb man alle seine Angaben immer mit gewisser Vorsicht zu genießen hat. Falls es dich aber interessiert, er jobbt nebenbei in einem chinesischen Restaurant und unterhält sich immer nur mit den chinesischen Mitarbeitern. Nikki meinte mal, dass er Gerüchten zufolge in Japan Geld verdienen würde, um es seiner armen Familie nach China zu schicken. Aber so herzensgut es möglicherweise auch klingen mag, es könnte auch nur eine von Mas vielen Lügengeschichten sein, um einen guten Eindruck auf die Lehrer zu machen. Du kannst dir ja noch einmal die Beiträge "Einer für alle, alle für sich!" (Juni 2009), "Secret of Ma", "Die Fehler der anderen", "Hören und Verstehen" (alle drei Mai 2009), "Hochzeit in China" (Januar 2009) und "Die zehn Anderen" (November 2008) durchlesen, dort habe ich vieles über Ma zusammengetragen.
Und ja, die Sache mit Pauls Präsentation. Ich fand es auch nicht gut, ebenso Marvin. Aber man muss schon zugeben, dass es einiges über Frau Ezoe aussagt, wenn sie sich einfach so eine wiederverwendete Präsentation auftischen lässt. Letztlich muss jeder wissen welche Ziele er im Sprachkurs verfolgt. Ich finde die Präsentation auch als lästig, aber ich sehe sie als Übung und Herausforderung an, zudem zählt für mich jede erbrachte Leistung hier in Japan. Paul und Marvins Auslandsaufenthalt hat keinerlei Einfluss auf ihr heimisches Studium, weshalb die Präsentation aus ihrer Sicht nur ein störendes Ärgernis ist, das einige Nachmittage raubt. Vielleicht kann das Pauls wiederverwendete Präsentation ein wenig erklären, wenn auch nicht rechtfertigen.
Ein bisschen kann ich Paul verstehen. Ihr muesst Praesentationen nicht um des Inhalts sondern um der Praesentation selbst willen halten. Das heisst der Inhalt ist eigentlich sinnlos. Unabhaengig davon, dass das zwar trotzdem nicht ok ist, haette ich aber zumindest Ma eine reingehauen. Zwar nicht wirklich, aber zumindest in meiner Phantasie.
Das geht einfach nicht. Man verpfeift keinen.
Ich bin ja immer recht zurückhaltend mit meinen Äußerungen und lasse gerne mal Unangenehmes wortlos auf an mir abprallen. Paul hingegen macht seinem Ärger da schon offenkundiger und häufiger Luft, weshalb ich überrascht war, dass er Ma nicht einmal, um es mit deinen Worten zu sagen, "eine reingehauen" hat. Wenn auch nur sprichwörtlich.
Und du hast recht, es geht um das Präsentieren des Präsentieren Willens. Inhalt ist fast schon belanglos. Natürlich wünscht man sich immer Freiraum beim Bearbeiten eines Themas, aber wenn man ZU viel Freiraum hat, dann hängt man ziemlich lose in der Luft. Ich denke damit kämpfen viele bei unseren Präsentationen. Man soll einfach nur über IRGENDETWAS reden. IRGENDETWAS. Das ist nicht so positiv, wie es klingen mag.
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