Samstag, 27. Dezember 2008

Zehn Minuten

Wenn ich in den Pausen zwischen den Unterrichtsstunden in die International Communication Zone gehe und niemanden treffe, den ich kenne, setze ich mich für gewöhnlich ans Fenster und betrachte das rege Treiben auf dem Campus. Manchmal nehme ich mir auch eines der japanischen oder englischen Bücher zur Hand und blättere es wenig interessiert durch. So vertreibe ich mir dann meine zehn Minuten Pause, bevor ich wieder zurück in den Klassensaal gehe. Also eigentlich immer vollkommen uninteressant und wenig ergiebig.
Als ich heute, an meinem 95. Tag in Japan wieder einmal in die ICZ ging und nur einen einsamen Japaner dort sitzen sah, der mit Lernen beschäftigt war, griff ich mir eine Zeitschrift über Übersetzungen und setzte mich auf das Sofa. Kaum hatte ich begonnen ein wenig lustlos Seite um Seite umzublättern, kam der Japaner auf mich zu und ich erkannte ihn. Natürlich fragt sich nun jeder, wen ich erkannt habe, aber diese einfach Frage ist nicht leicht zu beantworten, da ich weder den Namen des jungen Japaners kenne, noch ein Foto von ihm habe. Aber ich kenne ihn und er kennt mich, da wir uns bereits einige Male über den Weg gelaufen sind.
Das erste Mal traf ich ihn vor rund fünf Wochen, als ich in der ICZ auf Tak wartete. Damals schrieb ich:

So setzte ich mich in die English Communication Zone, packte meine Lernmaterialien aus und bereitete mich auf neunzig Minuten Lernen vor. Doch kaum hatte ich mein Buch aufgeschlagen, kam ein schmächtiger Japaner an meinen Tisch gewackelt und blieb erwartungsvoll stehen. "Du kennst Nemoto? Äh...Takeru? Tak?" Ein wenig verwirrt war ich schon, dass der junge Japaner so zielstrebig nachfragte und beschloss auf seine Fragen mit Bedacht zu antworten. Nachdem er zunächst eine ganze Reihe von Fragen losgeworden war, stellte er sich als Erstsemesterstudent vor, der unter der Verantwortung Taks stand. Da er ebenso wie Tak englische Sprache studierte, begann er sofort mit mir ein Gespräch auf Englisch, obwohl ich eigentlich Lernen wollte. Einmal mehr wußte ich nicht, wie man möglichst galant aus einem Gespräch entkommen könnte und lies mich darum von seinen Worten einlullen. Irgendwann begannen dann mehr und mehr Studenten in den Raum zu strömen, bis schließlich ein großgewachsener Ausländer hereinschritt, der offensichtlich Dozent an der Dokkyo-Universität war. Als ich meinen neuen Gesprächspartner darauf hinwies, stutzte dieser, schaute mich verwirrt an und fragte irritiert: "Du bist doch wegen des Englisch Konversationskurses hier, oder?". Nein, war ich eigentlich nicht, dachte ich mir, saß aber bereits mittendrin. Und so unterhielt ich mich dann einfach die restlichen 90 Minuten mit Taks Zögling auf Englisch, bis dieser zu seinem Fußballtraining eilte und ich wieder alleine an meinem Tisch saß.

Rund eine Woche später traf ich ihn auf Taks Geburtstagsfeier von neuem:

Nachdem auch noch die letzten Gäste eingetroffen waren, stellte Tak alle achtzehn Anwesenden der Reihe nach vor und einige von Ihnen kannte ich auch schon, darunter einen Freund, den ich einige Tage zuvor bei einem Treffen mit Tak kennengelernt hatte (Missionsziel: Ein Treffen mit Tak), die ausländischen Studierenden Cassy aus Kanada und Michael aus Bremen (Die zehn Anderen), Nobukos Freundin Ayano, die auch auf der "Lasst und japanische sprechen"-Party war (Pakete, Partys, Peinlichkeiten) sowie den schmächtigen Erstsemesterstudent, der unter der Verantwortung Taks stand (Missionsziel: Ein Treffen mit Tak)
(...)
Später am Abend kam ich auch mit dem Erstsemesterstudenten ins Gespräch, der unter Taks Verantwortung stand. Wir hatten zwar eine sehr stockende, aber doch recht amüsante Unterhaltung über die Schwierigkeiten beim Sprechen einer Fremdsprache.

Seitdem hatte ich ihn hin und wieder in der Mensa gesehen, ihm in der ICZ zugenickt oder ihn auf dem Campus lächelnd an mir vorbeieilen sehen. Und obwohl er eigentlich sehr nett war, hatte ich ihn immer irgendwie übersehen, was mir erst in jenem Moment bewusst wurde, in dem er auf mich zugelaufen kam, auf meine Zeitschrift deutete und fragte, was ich denn lesen würde. Und so kam ich mit dem jungen, schmächtigen Japaner, der immer im Schatten Taks stand, ins Gespräch.
Ich erzählte ihm von meinen derzeitigen Plänen Übersetzer zu werden und er hörte aufmerksam zu und nickte beipflichtend. Erst nach ein paar Minuten wurde mir bewusst, dass ich immer nur von mir erzählte, weshalb ich ihn ermutigte, doch ein wenig von sich zu erzählen. Da druckste er erst ein wenig herum, bis er schließlich verlauten ließ einmal Sprachlehrer werden zu wollen. "Oh, Sprachlehrer!", entfuhr es mir überrascht, woraufhin er sogleich unsicher schaute und aufgeregt verdeutlichte, dass sein Englisch und sein Deutsch überhaupt nicht gut seien. "Du sprichst deutsch?", fragte ich noch erstaunter nach. Erst seit ein paar Wochen, verdeutlichte er sofort, und deswegen könne er das alles noch nicht gut. Um ihn nicht noch aufgeregter werden zu lassen, ließ ich ihn nichts auf Deutsch sagen, sondern bot ihm stattdessen meine Hilfe an, wenn er einmal Probleme beim Deutschlernen haben sollte, was er dankbar annahm. Ein wenig sprachen wir dann noch über unsere Zukunftspläne und er erzählte davon nach Kanada gehen zu wollen, um dort sein Englisch zu verbessern.
Viel zu schnell waren die zehn Minuten Pause vorbei und ich musste wieder zurück in den Unterricht. Mit einem Lächeln verabschiedete ich mich und versicherte ihm nochmals, dass mein Angebot zur Hilfe erst gemeint war. Und so trennten sich unsere Wege nach zehn Minuten gemeinsamer Pausengestaltung. Doch vielleicht treffe ich ihn bald wieder, den Japaner, von dem ich noch nicht einmal den Namen kenne.

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Guau! Du schreibst aber viel!!
Habe gerade die Fotos des Gaigosai gesehen. He-he!

(アメリカです)

David Kraft hat gesagt…

Hey,

Freut mich, dass du den Weg auf meine Seite gefunden hast. Und ja, in den letzten drei Monaten hat sich so einiges angesammelt, worüber es sich zu schreiben lohnt. ;)

Viele Grüße nach Tama!