Es ist Donnerstag, Tag 76 in Japan und schon seit Beginn der Woche vermisse ich meine Studierendenkarte, eines meiner wichtigsten Dokumente hier in Japan. Denn diese Karte, die ich an meinem ersten Tag an der Dokkyo-Universität erhalten habe, weist mich offiziell als Studierenden an einer japanischen Universität aus und hat etwa vergleichbare Bedeutung wie mein deutscher Ausweis.
Ich erinnere mich daran, dass ich meine Karte vergangenen Freitag noch hatte, um das Handout für meine Präsentation auszudrucken, denn praktischerweise kann man am bibliothekseigenen Drucker vollkommen umsonst so viel ausdrucken, wie man möchte. Vorausgesetzt man trägt seine Studierendenausweis mit sich. Doch dieser Freitag lag nun schon fast eine Woche zurück und so hatte ich mir schon seit geraumer Zeit vorgenommen in der Bibliothek nachzufragen, ob möglicherweise jemand meine Karte bei den Druckern gefunden habe. Doch dummerweise lässt sich auch die Bibliothek nur mit der Studierendenausweis betreten, weshalb ich in einer ziemlich misslichen Lage gefangen war. Hatte ich bisher noch eingeredet, dass meine Karte höchstwahrscheinlich nur irgendwo in meiner Wohnung herumfliegen würde, so zerstörte meine gründliche Wohnungsreinigung für Taks und meine Instant-Party am Vortag alle Hoffnungen darauf, die Karte doch noch in irgendeiner entlegenen Ecke zu finden. Dementsprechend blieb mir heute nichts anderes übrig als im international center um Hilfe zu bitten.
Wie immer legte ich mir bereits vor dem Betreten des international center einige Sätze auf japanisch zurecht, und wie immer kam ich gar nicht dazu sie zu sagen. Denn just in dem Moment, in dem ich das international center betreten hatte, kam die junge Mitarbeiterin, die sich immer um mich kümmerte, auf mich zugelaufen und rief händewinkend "David! David!". Etwas erstaunt kam ich ihr entgegen und sogleich fragte sie mich: "Du hast etwas verloren?" Ziemlich überrascht von ihren offensichtlich hellseherischen Fähigkeiten, bejahte ich ihre Frage und sie gab mir sogleich eine Wegbeschreibung zum Hauptgebäude der Universität, wo ich beim Fundbüro nachfragen solle. Ohne große Umschweife bedankte ich mich und machte mich auf den Weg zum Hauptgebäude, wo ich auch sogleich die Ausgabe für Fundsachen fand. Da ich zunächst gar nicht genau wußte an welchem der drei Schalter ich gehen musste, stellte ich mich einige Meter entfernt in typischer Beobachterpose auf und übersetzte die Aufschriften über den Schaltern. Da es recht offensichtlich war, dass ich mich am Schalter für Studierendenausweise anzustellen hatte, reihte ich mich in der betreffenden Schlange ein und wartete, bis ich am Zug war.
Wie schon so oft hatte ich mir einen Satz zurechtgelegt, den ich gar nicht sagen konnte, da die Dame am Schalter sogleich nachfragte, ob ich David Kraft sei und meinen Studierendenausweis verloren hätte. Allmählich wurde es mir unheimlich, dass wohl jeder um mich herum mehr wußte, als ich, nichtsdestotrotz nickte ich brav und harte der Dinge die da auf mich zukamen. Zu meiner Verblüffung gab mir die Frau einen Schwamm in die Hand, bat mich meinen Namen wegzuwischen und verschwand aus meinem Sichtfeld. Vollkommen verloren stand ich mit dem Schwamm in der Hand am Schalter und schaute mich um. Erst dann fiel mir eine große Tafel an der Wand auf, auf der die Namen aller Studierenden notiert waren, deren Studierendenausweis gefunden worden war. Und da mein Name als einziger nicht in japanischen Schriftzeichen geschrieben war, war es für die Mitarbeiter des Fundbüros wohl auch nicht schwer zu erkennen gewesen, dass ich David Kraft war, der einzige Ausländer, der im Moment seine Studierendenkarte vermisste. Mit dem Schwamm wischte ich meinen Namen von der Tafel und ging zurück zum Schalter, wo die Frau mit meiner Karte stand und mich bat die Studierendennummer zu nennen, die auf meinem Studierenausweis geschrieben stand. Da ich nur grob wußte wie meine Nummer lautete, stammelte ich ein paar Zahlen vor mir hin, bis die Frau schließlich lächelnd nickte und mir meine Karte zurückgab. Wie sich herausstellte, war sie tatsächlich in der Bibliothek auf einem der Drucker gefunden worden, ganz so wie ich es vermutet hatte. Glücklich steckte ich meine Fundsache in mein neues Portemonnaie, bedankte mich höflich bei der Dame hinter dem Schalter und machte mich erleichtert auf den Heimweg.
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