Freitag, 5. Dezember 2008

Von Tellern, Gabeln, Schüsseln und Stäbchen

Zu meinem Glück standen mir seit dem Einzug in meine Wohnung Geschirr und Besteck zur Verfügung. Zwar war dies kein vollständiges Service, aber doch immerhin ein buntes Sammelsurium bestehend aus einzelnen Gläsern, Schalen, Schüsseln, Löffeln, Messern, Dosen, Tellern, Stäbchen und Tassen. Für den täglichen Gebrauch war dieses wüste Durcheinander für Yosuke und mich vollkommen ausreichend, kamen aber Gäste in unsere Wohnung, wurde es gelegentlich chaotisch, denn bestimmte Mahlzeiten lassen sich nunmal nur schwer mit zwei Tellern, vier Stäbchen und einer Gabel von mehr als zwei Personen gleichzeitig verspeisen. In den letzten Wochen haben Yosuke und ich einige Gegenstände in stillem Einverständnis unter uns aufgeteilt: So isst Yosuke für gewöhnlich mit den blauen Stäbchen, ich mit den gelben. Er erhebt ein stilles Anrecht auf die kleinen Schälchen, während ich mit unsichtbarer Tinte meinen Namen auf die einzige Gabel im gesamten Haushalt geschrieben habe. Zudem verbringt die Tier-Tasse mehr Zeit in meinem Zimmer, als an ihrem eigentlichen Platz im Schrank. Somit entschloss ich mich unser Sortiment an Geschirr und Besteck aufzustocken, um beim Besuch von Gästen nicht in die Verlegenheit zu kommen jemandem Yosukes Stäbchen zu geben oder ohne einen dritten Teller dazustehen.


Bild1: Der Geschirrschrank in unserer Wohnung.


Bild2: "Meine" gelben Stäbchen und "meine" Tier-Tasse.


Da ich wie gewöhnlich am Monatsende meine Miete für den kommenden Monat bei der Wohnungsagentur "Pollus" bezahlen musste, entschloss ich mich an meinem 74. Tag in Japan gleich im Anschluss an die Übergabe des Geldes mit Lee gemeinsam einen großen 100-Yen-Shop in der Nähe des Bahnhofs von Soka aufzusuchen. Nachdem wir zur Wohnungsagentur gelaufen waren, unser Mietbüchlein vorgezeigt und unser Geld übergeben hatten, gingen wir zu marui, dem größten Kaufhaus von Soka, fuhren in den obersten Stock und betraten den 100-Yen-Shop, das Paradies für Schnäppchenjäger. Auf fast einer ganzen Etage erstreckte sich Regale mit Bastelbedarf, Gartengeräten, Fertiggerichten, Kosmetikartikeln, Schreibwaren und Unmengen an Kitsch. Fast alle Artikel waren für theoretisch 100 Yen zu haben, praktisch kosteten sie mit 5% Mehrwertsteuer aber 105 Yen. Nichtsdestotrotz ist dies unglaublich günstig, bedenkt man, dass dies je nach Wechselkurs gerade einmal 70 bis 80 cent sind. Und so verbrachte ich mit Lee über eine Stunde im 100-Yen-Shop und konnte mich wegen der großen Auswahl an Küchenutensilien jeder Art gar nicht entscheiden, was ich nehmen sollte. Letztlich entschied ich mich für zwei Teller, zwei Gabeln und ein Paar Stäbchen. Besonders die Wahl der Stäbchen war schwieriger als erwartet: Normalerweise hätte ich aus Gewohnheit die günstigsten genommen, aber da alle Stäbchen zum gleichen Preis angeboten wurden, musste ich mich für ein neues Kriterium entscheiden und war verblüfft wie viele Unterschiede man zwischen so etwas scheinbar Banalem wie Essstäbchen finden konnte: Länge, Farbe, Form, Material und Beschaffenheit der Oberfläche. So stand ich ewig vor den zwei Regalen und entschied mich nach minutenlangem Abwägen für ein Paar schwarze Esstäbchen mit dem Aufdruck von Hotei, einer der sieben japanischen Glücksgottheiten (Japan in Bildern: Hotei müsste der dicke Mann ganz rechts auf Bild12 sein). Einen Sack mit seinen paar Habseligkeiten über den Schultern tragend soll er jenen Glück bringen, die mit wenig zufrieden sind. Und somit passte er mit seiner Selbstgenügsamkeit optimal zu meinem minimalistischen Lebensstil. Da übrigens auch mein geliebter Geldbeutel, welchen ich bereits seit Jahren mit mir trage, nur noch eine Ansammlung von Löchern und losen Nähten war, kaufte ich mir auch gleich noch ein günstiges, halbwegs ansprechendes Portemonnaie.


Bild3: Meine neuen Teller, Gabeln und Stäbchen.


Bild4: Mein neues Portemonnaie aus dem 100-Yen-Shop. Auch Lee konnte mir nicht so recht sagen, was die Aufschrift "Born in trouble" bedeuten soll.


Als ich dann an der Kasse stand, wies mich die Verkäuferin freundlich darauf hin, dass ich mich doch bitte an den Zeitungen bedienen solle. Zwar wußte ich gar nicht, was sie damit meinte, nickte aber sicherheitshalber und schlurfte mit meinem Korb voller neuer Errungenschaften zum Tisch, an dem man seine gekauften Artikel in Ruhe einpacken kann. Erst als ich überlegte wie ich die Teller am sichersten transportieren könnte, damit sie nicht zerbrechen, wurde mir klar, was die Verkäuferin gemeint hatte und so nahm ich mir ein Bündel Zeitungen, wickelte meine Teller bruchsicher darin ein und verstaute sie in meinem Rucksack. Dann lief ich gemeinsam mit Lee wieder ins Wohnheim, wo ich meine mein Geschirr und Besteck stolz Yosuke präsentierte, dann abwusch und glücklich in den Schrank räumte.

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