Samstag, 13. Dezember 2008

Verwirrende Zahlen

Eine der vielen Herausforderungen beim Erlernen einer neuen Sprache ist die Beherrschung der Zahlen. In seiner Muttersprache hat man gelernt ohne Probleme zu zählen und zu rechnen, doch in einer anderen Sprache kann so etwas Banales wie eine Zahlenreihe manchmal zu einer Tortur werden. Glücklicherweise sind die Zahlen im Japanischen sehr systematisch aufgebaut, weshalb man bei einer dreistelligen Zahl im Japanischen erst die Anzahl der Hunderter, dann die Anzahl der Zehner und zuletzt die Anzahl der Einer nennt. 472 wäre somit viermal Hundert, siebenmal Zehn und zwei. Da es keine Ausnahmen gibt, ist dies ein sehr einfaches und praktisches System, bei dem es kaum zu Problemen kommt.
Erst heute nach dem Sprachunterricht ist mir aufgefallen wie kompliziert im Gegensatz dazu unser deutsches Zahlensystem ist. Nimmt man sich nämlich einen Moment Zeit und denkt darüber nach wie wir Deutschen Zahlen ausdrücken, sollte einem recht schnell bewusst werden wie verwirrend unser heimisches Zahlensystem doch ist. So schnappte meine Lehrerin Frau Takeda heute ein paar Brocken Deutsch auf, als sie fasziniert einem Gespräch zwischen Katharina und mir folgte. Was sie hörte war die Zahl "Sechsunddreißig", weshalb sie ganz begeistert zur Tafel ging und die Zahl "63" anschrieb. Als wir sie allerdings auf ihren Zahlendreher hinwiesen, war sie ganz verwirrt und wiederholte ganz langsam "SECHSund DREIßig", wo doch ganz eindeutig die Sechs vor der Drei genannt wurde. Sie blickte weiterhin sehr verwirrt, als wir ihr erklärten, dass man im Deutschen die letzte Ziffer vor der vorletzten Ziffer nennen würde. Auf die Frage nach dem Grund, schauten sich sich Katharina und ich an und zuckten die Schultern. Bisher war es uns noch nie aufgefallen, wie unpraktisch diese Art zu Zählen eigentlich ist.
Um das verwirrende Zählen in Deutschland ein wenig zu kompensieren, erzählte ich ihr von den konfusen Zahlen im Französischen, wo die "98" durch "viermal zwanzig plus Zehn plus Acht" ausgedrückt wird (quatre-vingt-dix-huit). Erst dachte Frau Takeda ich wolle sie auf den Arm nehmen, aber als ihr dämmerte, dass man im Französischen tatsächlich auf diese Weise eine Zahl ausdrücken würde, schaute sie mich vollkommen entgeistert mit heruntergeklappter Kinnlade an. Mit ungläubigem Blick kommentierte sie die Zahl mit dem Satz "Man braucht ja einen Abschluss in Mathematik, um im Französischen zählen zu können.". Dann schrieb sie "zweimal sechzehn plus acht plus drei" an und fragte, ob man auf diese Weise im Französischen "43" ausdrücken könne, woraufhin ich lachend antwortete, dass es ein festes System gäbe und man nicht einfach eine beliebige Rechnung angeben könnte. Sie schien zwar ein wenig erleichtert zu sein, schüttelt aber dennoch ungläubig den Kopf. Und angesichts der komplizierten Zählweise in anderen Sprachen konnte ich es ihr gar nicht verübeln.
Morgen hat Katharina Geburtstag, und um nicht den ganzen Samstag alleine in ihrer Wohnung zu sitzen, hat sie sich entschlossen abends auszugehen. Da ihr der vergangene Montag mit Cassy, Tak und Nobuko so viel Spass gemacht hat, wollte sie diesen Abend mit Tak, Nobuko, Lee und mir gemeinsam wiederholen. Und da ich ihre Kontaktperson zu Tak und Nobuko war, musste ich natürlich alles irgendwie in die Wege leiten. In der Pause besuchte ich somit Tak in der ICZ und lud ihn zu Katharinas Geburtstagsfeier am nächsten Abend ein. Obwohl er wegen kommender Präsentationen im Stress war, sagte Tak zu und versprach auch Nobuko zu kontaktieren. Müde hing er dann in seinem Stuhl, rieb sich die Augen und fragte mich, ob er sich denn nicht einmal kurz hinlegen könne, weil er so müde sei. Und weil ich dachte er wollte sich nur ein wenig auf dem Sofa ausstrecken und die Augen zumachen, stand ich auf, nahm mir einen Stuhl und sah zu wie Tak gähnend zum Sofa schlurfte und sich hinlegte. Und dann war er einfach weg. Wäre ich es nicht gewohnt, dass Japaner immer und überall einnicken können, wäre ich wahrscheinlich vollkommen überrascht gewesen. Aber so saß ich neben dem schlafenden Tak und blätterte meine Unterrichtsmaterialien durch, bis die Pause zu Ende war und ich wieder zurück in den Unterrichtsraum ging.
Aus unerklärlichen Gründen verspürte ich am Mittag das Bedürfnis selbst etwas zuzubereiten, weshalb ich in den Supermarkt lief und mir alles kaufte, was ich für Sushi benötigte. Zwar kannte ich mich mit rohem Fisch nicht aus, aber an solchen Banalitäten wollte ich mein Vorhaben nicht scheitern lassen, weshalb ich mir einfach den nächstbesten Fisch mitnahm, der mir aus dem Kühlregal entgegenlächelte. Zu Hause widmete ich dann meine Zeit der Zubereitung meiner ersten selbstgemachten Sushi in Japan und blickte nach einer halben Stunde stolz auf mein Ergebnis und bereits nach meinem ersten Bissen wusste ich, dass sich die Mühe gelohnt hatte. Obwohl ich mir extra viel Sushi gemacht hatte, um auch am Abend noch davon zehren zu können, konnte ich meinen Appetit nicht zügeln und verspeiste alles auf einmal. Vollgefressen aber sehr zufrieden saß ich in meinem Zimmer und genoss den Nachmittag, während mir das erste Mal schmerzhaft bewusst wurde, dass es so vieles gibt, das ich schmerzlich vermissen würde, käme ich erst wieder nach Deutschland zurück.

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