Als ich vor rund zwei Wochen ein Paket meiner Mutter aus Deutschland erhielt, fand ich darin Käse, Fertigsuppen, Gemüsebrühe, Fertigsoßen, Pudding und vieles andere. Noch am gleichen Abend berichtete ich Tak im Chat von all den Sachen, die ich zugesendet bekommen hatte, und wir scherzten einige Zeit über all die deutschen Fertiggerichte. Irgendwie kamen wir auf die Idee eine kleine Feier zu veranstalten, zu der wir nur Fertiggerichte zubereiten wollten, schließlich hatte ich fast ein ganzes Paket voll von ihnen. Die Idee wurde in den nächsten Tagen zu einem running gag und fast jedes Mal, wenn wir uns trafen, kamen wir immer wieder scherzhaft auf unsere imaginäre Fertiggerichte-Feier zu sprechen, die wir fortan immer "Instant-Party" nannten. Und da Instant-Gerichte in der Regel sehr schnell zubereitet werden, fanden wir immer Spass daran uns vorzustellen wie unsere Instant-Party bereits nach einem kurzen Moment wieder vorbei war und wir die kürzeste Party aller Zeit feiern würden. Als Tak schließlich vor etwa einer Woche Geburtstag feierte, entschloss ich mich unseren running gag in die Tat umzusetzen und schenkte ihm eine Einladung zu einer realen Instant-Party. Und heute, über eine Woche nach meiner Einladung, an meinem 75. Tag in Japan, war es endlich so weit: Tak und ich trafen uns zu unserer ganz privaten Instant-Party nur mit Fertiggerichten.
Noch bevor wir uns am Abend verabredet hatten, traf ich Tak in der ICZ, als ich mit Katharina wie an jedem Unterrichtstag die Pause dazu nutzte, um in die English Communication Zone zu gehen, um sich auf dem weichen Sofa auszustrecken und Nachrichten zu schauen. Neben Tak, trafen wir auch auf Nobuko, eine Freundin von Tak, die mit Katharina und mir gemeinsam auf der "Lasst uns japanisch sprechen"-Feier gewesen war. Da wir an diesem Tag alle zusammen sehr viel Spass gehabt hatten, hatten wir damals bereits vereinbart, dass wir uns alle einmal gemeinsam treffen müssten. Und damit sich diese gemeinsame Unternehmung nicht im Sand verlaufen würde, machten wir Nägel mit Köpfen und vereinbarten ein Treffen am kommenden Montag. Was wir machen wollten, wussten wir noch nicht genau, aber das Treffen zwischen Katharina, Nobuko, Tak und mir war für Montag um Sechs Uhr schon einmal fest geplant.
Als ich am Mittag mit Lee und Katharina in die Mensa essen ging, gab es ein besonderes Gericht im Tagesangebot: Geflügel-Käse-Curry. Da ich eigentlich alle drei Bestandteile aß, hätte ich das Gericht eigentlich spontan wählen sollte, aber die etwas seltsam anmutende Komposition schreckte mich doch ein wenig ab: Denn neben einem Haufen Curryreis, war ein kleiner See Hackfleischsoße, der von einer Scheibe Käse und einigen Rosinen bedeckt war. Neben frittierten Hähnchenbällchen, lag dekorativ ein halbes Ei und alles wurde von einigen Mandelsplittern bedeckt. Aus meiner laienhaften Sicht, war dies bereits haute de cuisine, die zwar schön anzuschauen war, aber möglicherweise geschmacklich doch zu weit ins Ungewisse hinausschwamm. Für einen kurzen Moment hielt ich inne und entschied spontan mich auf dieses kleine Abenteuer einzulassen, denn wie sollte man jemals Neues kennenlernen, wenn man sich immer dagegen sperrt? Die Zubereitung an der Theke für die Essensausgabe dauerte auffällig lange, denn die Angestellte war damit beschäftigt alle Zutaten in den richtigen Mengen an der richtigen Stelle zu platzieren und ein kleines Kunstwerk zu erschaffen. Stolz lief ich mit meinem Geflügel-Käse-Curry durch die Mensa und packte zuerst einmal meine Kamera aus, nachdem ich mich gesetzt hatte, um diesen Moment, wenn auch unscharf und verwackelt, festzuhalten. Und wie schon so oft schmeckte mein neues Gericht vorzüglich. Im Nachhinein bin ich nun stolz darauf mich für diese einzigartige Mahlzeit entschieden zu haben, denn es hat mir einmal mehr gezeigt, dass ein kleiner Sprung über innere Hürden doch niemals verkehrt ist und nur allzu oft belohnt wird. Auch wenn diese Belohnung nur der Geschmack eines außergewöhnliches Mahls ist.
Bild1: Mein Geflügel-Käse-Curry. Ein kleines Meisterwerk.
Nachdem ich am Nachmittag die Wohnung aufgeräumt und geputzt hatte, war alles für meine Instant-Party mit Tak bereit und ich holte ihn um Viertel nach Sechs, zum Ende seiner letzten Veranstaltung, an der Dokkyo-Universität ab. In ein Gespräch vertieft liefen wir durch "mein" Soka zu meinem Wohnheim. Es mag seltsam klingen, aber in den rund fünfzehn Minuten Fußweg unterhielten wir uns über die Kriegsschuld des zweiten Weltkrieges und wie unsere beiden Nationen damit umgingen. Dies ist sicherlich kein gewöhnliches Gesprächsthema für einen kurzen Abendspaziergang, aber Tak und ich schaffen es immer wieder ganz schnell auf ein interessantes Gesprächsthema zu kommen, an dem wir beide begeistern und diskussionsfreudig teilnehmen. Es gibt einfach Menschen, mit denen kann man sich auf Anhieb gut unterhalten, ganz gleich worüber, und es gibt Menschen, mit denen man in einem Gespräch nie auf einen grünen Ast kommt. Glücklicherweise gehört Tak zu Ersteren und so würden wir wahrscheinlich binnen weniger Sekunden auch über Stecknadelköpfe, Zentrifugalkraft, südamerikanische Nutztiere oder die Probleme einer Währungsumstellung diskutieren, wenn uns jemand diese Themen vorgeben würde. Und sollten wir beide tatsächlich einmal ein Thema finden, zu dem uns gar nichts einfällt, würden wir wahrscheinlich lachend darüber reden, wie lustig es sei, dass niemandem etwas zu diesem Thema einfällt.
Als wir schließlich im Wohnheim ankamen, gab ich Tak eine kleine Wohnungsführung und er erkundete besonders interessiert mein Zimmer, obwohl dort trotz meines bereits zweieinhalbmonatigen Auslandsaufenthalts, praktisch nichts vorzufinden ist. Dennoch fand er Hinweise auf meine Begeisterung für Computerspiele und so fanden wir mit unserer gemeinsamen Vorliebe für Nintendo-Spiele gleich ein weiteres Gesprächsthema, dass uns die nächste Zeit begleitete. Da Tak Hunger hatte, starteten wir unsere Instant-Party mit der Zubereitung einer Fertigsuppe aus der Tüte: Kartoffelsuppe. Ich hatte zwar die ganze Zeit über den Eindruck, dass Tak die Suppe nicht so sehr mochte, aber er versicherte mir mindestens fünfmal, dass er es ganz sicher sagen würde, sollte er etwas nicht essen wollen. Und während er seine Suppe schlürfte, begann er allmählich wieder über das zu reden, was ihm auf dem Herzen lag: Die zerbrochene Beziehung zu seiner Freundin. Einerseits merkte ich wie sehr ihn alles belastete und wie sehr er manchmal mit den Tränen zu kämpfen hatte, aber mir fiel auch auf, wie gut es ihm tat jemandem zum Reden zu haben. Und ich merkte auch wie gut es mir tat jemandem helfen zu können und zu merken wie diese Hilfe fruchtete. Und so verloren wir uns in unserem Gespräch, ehe wir den roten Faden des Abends wieder fanden, nämlich unser Instant-Essen. Also stellten wir uns an den Herd, kochten eine Packung Spaghetti und bereiteten dazu eine Fertig-Käsesoße zu.
Als ich vor zweieinhalb Monaten nach Japan kam, empfand ich die Speisen als relativ fad, da ich aus Deutschland viel mehr Gewürze und Fett als Geschmacksträger gewohnt war. Allmählich habe ich mich allerdings an die japanische Küche und ihre eher zurückhaltende Würzung gewöhnt, weshalb mir die Käsesoße, die ich mit Tak zubereitet hatte, viel zu intensiv vorkam. Als ich die Soße bereits vom Herd nahm und aus Gewohnheit ein wenig probierte, hielt ich mitten in der Bewegung inne, reichte Tak die Soße und bat ihn einen Kommentar abzugeben. Daraufhin testete er eine Löffelspitze, hielt ebenfalls inne und sagte nur: "Zu käsig. Mehr Wasser." und kippte einfach noch ein Glas Wasser in die Soße. Dadurch wurde die Soße zwar viel zu flüssig, aber immerhin war sie nicht mehr so geschmacksintensiv. Und so saß schließlich jeder vor einer Schale voller Spaghetti mit flüssiger Käsesoße. Einen Vergleich wie man richtig kocht, hatten wir direkt im Anschluss, als wir zum Abschluss des Abends "Ratatouille", einen Pixar-Animationsfilm über eine sehr kochbegabte Ratte, auf japanisch schauten.
Bild2: Ich bei Essen der Spaghetti mit Käsesoße.
Nachdem der Film vorbei war, saßen wir noch eine Weile in meinem Zimmer und unterhielten uns. Als es für Tak allmählich Zeit wurde zu gehen, bedankte er sich von ganzem Herzen für den wunderschönen Abend. Und während er erzählte wie gut es ihm tat einen Freund gefunden zu haben, der ihm zuhörte, der ihm half und ihn so sehr aufheiterte, sah ich wie ihm die Tränen in die Augen stiegen und er schließlich vor Freude weinen musste. Es war einer jener Momente, in dem selbst ich erstmal sprachlos war, weil ich nicht damit gerechnet hätte, dass Tak in meiner Anwesenheit weinen würde. Und so reichte ich ihm ein paar Taschentücher, woraufhin er sich etwas verlegen für seinen plötzlichen Gefühlsausbruch entschuldigte. "Ich weine eigentlich fast nie, aber seit der Trennung von meiner Freundin bin ich einfach so instabil, dass meine Stimmung immer ganz schnell ins Extreme schlägt. Mal bin ich vollkommen depressiv, dann weine ich wieder vor Freude." Er nahm das Taschentuch, wischte sich die Tränen aus dem Gesicht und trank sein Getränk leer. "Weißt du, es ist so seltsam. Wir kennen uns seit...vier Wochen? Und wir sind bereits so gute Freunde. Es ist geradezu unheimlich. Ich habe noch nie erlebt, dass man so schnell, so eine intensive Freundschaft aufbauen kann.". Ich pflichtete ihm bei und für einen Moment saßen wir da und schüttelten beide ungläubig den Kopf über unsere geradezu absurde Freundschaft. Dann machte Tak sich fertig, dankte mir noch einmal für den wunderschönen Abend und lief zum Bahnhof. Und als er weg war, dachte ich mir, dass die heutige Instant-Party glücklicherweise nicht, wie Tak und ich immer gescherzt hatten, in einem Moment vorüber gewesen war. Stattdessen lieferte sie das, was wohl zu den wichtigsten Dingen in einem Menschenleben gehört: Unvergessliche Momente.
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