Dienstag, 2. Dezember 2008

Gruppendynamik

Es mag selbstverständlich klingen, aber die Präsentationen, die ich vor meine Sprachkurs halten muss, sind Einzelarbeiten: Man überlegt sich sein Thema, schreibt seinen Text, erarbeitet sich ein passendes Handout und kümmert sich um die Visualisierung. Alles liegt in der Hand des Referenten. Eigentlich. Denn in unserem Sprachkurs hat sich in den letzten Wochen eine Gruppendynamik gebildet, die mich dazu bewogen hat die Präsentation, die ich heute gehalten habe, als Ergebnis einer Gruppenarbeit zu bezeichnen.
Es begann letzte Woche Mittwoch, als ich beim Anfertigen meines Handouts die obligatorische Vokabelliste erstellte. Ehrgeizig wie ich war, wollte ich jede neue Vokabel in deutscher und in chinesischer Übersetzung angeben, wobei letztere sich verständlicherweise als sehr schwierig erwies. Also suchte ich mir aus verschiedenen Lexika mögliche chinesische Übersetzungen zurecht und bat Cassy, die kanadische Chinesin aus meinem Sprachkurs um eine Korrektur, was diese auch freudig machte. Da ich wegen der Inkompatibilität meines Laptops mit der technischen Ausstattung in der Dokkyo-Universität, einen präsentationsfähigen Laptop benötigte, boten mir sogleich Katharina und Michael aus Bremen  ihre Laptops und ihre Hilfe an, was ich dankbar annahm. Nachdem meine Freitag meine Präsentation dennoch nicht gehalten werden konnte, war ich sehr gerührt, dass Ryou, einer der Chinesen aus dem Sprachkurs, mir ein Kabel anbot, mit dem ich möglicherweise meinen Laptop mit der technischen Ausstattung verbinden konnte. Und bevor ich heute schließlich meine Präsentation halten musste, drückte mir Marvin aus Duisburg-Essen besonders fest die Daumen, da er mit dem Gedanken gespielt hatte fast das gleiche Themas wie ich, nämlich griechische Mythologie, zu wählen. Darüber hinaus hatte ich an diesem Tag ein besonders enges Band zu Florian aus Bremen geknüpft, da auch er seine Präsentation halten musste und wir somit im gleichen Boot saßen. Und als ich letztlich vor dem Kurs stand und meine Präsentation mit der Begrüßung einleitete, hatte ich gar keinen Grund aufgeregt zu sein, da ich wußte, dass jeder der Kursteilnehmer mich auf die eine oder andere Weise bei diesem Vortrag unterstützt hatte und wir alle längst zu einer verschworenen Gemeinschaft geworden waren.
Im Gegensatz zu meiner ersten Präsentation wurde mein heutiger Vortrag mit einer Videokamera aufgenommen. Diese Aufzeichnung ist dafür gedacht, dass die Referenten ihren eigenen Vortrag nochmals mitverfolgen können, um an ihrer Aussprache, ihrer Körperhaltung oder an der Präsentationstechnik zu feilen. Normalerweise sind diese Videomitschnitte also streng privat und stehen nur dem Referenten zur Verfügung. Da nach Florians und meinem Vortrag allerdings noch fast eine halbe Stunde Unterrichtszeit war, begann Frau Ezoe, die Lehrerin vor der wir referieren mussten, dieses Video vor versammeltem Kurs abzuspielen und zu kommentieren. Ich weiß nicht woran es lag, aber sie schien Gefallen daran zu finden insbesondere auf meinem Vortrag herumzuhacken, möglicherweise weil ich eine Woche zuvor nicht in ihren Nachmittagsunterricht gekommen war (Hinter der Maske). Und so warf sie fast meinen gesamten Vortrag nochmals auf die Wand, unterbrach ihn so oft sie konnte und wies mich auf falsche Betonungen, undeutliche Aussprachen oder sonstige Fehler hin. Glücklicherweise hielt unser Kurs zusammen und alle kommentierten meine offensichtliche Bloßstellung mit missbilligenden Blicken und Unverständnis. Irgendwann ignorierten alle Kursteilnehmer Frau Ezoes fortwährende Kritik und begannen sich betont desinteressiert anderweitig zu beschäftigen. Auch ich vertiefte mich mit Katharina, meinem Sitznachbarn Marius und Florian in ein Gespräch auf deutsch und quittierte Frau Ezoes fortwährende Sticheleien mit kurzem, ausdruckslosen Nicken sowie halbherzigen Bejahungen und Beipflichtungen. Und so musste Frau Ezoe schließlich einsehen, dass sie gegen die Gruppendynamik unseres Kurses nicht ankam und brach den Unterricht vorzeitig ab.
Am Abend traf ich mich wie fast jeden Montag mit Tak in der ICZ. Und wie fast jeden Montag saßen wir gemeinsam mit einigen seiner Freunde oder Kommilitonen zusammen und redeten gemeinsam über meine Erfahrungen in Japan, deutsche Traditionen, Vorurteile und Klischeevorstellungen. So bin ich immer sehr interessiert daran, wie junge Japaner Deutschland wahrnehmen. Auf der anderen Seite sind Tak und seine Freunde stets ganz Ohr, wenn ich ihnen erzähle welche Vorurteile die meisten Deutschen gegenüber Japan haben. So lachen die japanischen Studenten immer, wenn ich ihnen sage, dass man in Deutschland zum Thema Japan stets die gleichen Stereotypen erhält: Japan, das Land in dem die Götter wohnen, die Menschen in Verbundenheit mit der Natur leben und es nichts Wichtigeres gibt als die Kirschblüte und den Zen-Buddhismus; Japan, das Land in dem abgedrehten Freaks leben, die ihr Geld und Leben nur Manga (japanische Comics), Anime (japanische Zeichentrickserien) und futuristischer Technik widmen; Japan, das Land der Tradition, in dem überall Samurai und Geisha umherlaufen, welche in Kimonos gekleidet Tempel und Schreine besuchen und sich den ganzen Tag den feinen japanischen Künsten wie Schönschrift, Tuschmalerei, der Teezeremonie oder tiefgründiger Dichtkunst widmen. Im Gegensatz dazu muss auch ich immer schmunzeln, wenn ich junge Japaner zu ihrem Wissen über Deutschland befrage und immer wieder von neuem die gleichen Worte zu hören bekomme: Bier, Oktoberfest, Würstchen, hartes Brot, Autobahnen ohne Tempolimit, Autos und Fußball. Aus japanischer Sicht sind die bekanntesten Deutschen die Fußballer Oliver Kahn und Michael Ballack, sowie die Sängerin Nena mit ihrem Lied "99 Luftballons". Wenn ich gezielter nach dem Charakter der Deutschen frage, wird es aber still, denn aus japanischer Sicht sind Europäer alle gleich: nämlich groß. Da gibt es keine Unterscheidung zwischen Spaniern und Norwegern, Briten und Italienern oder Deutschen und Franzosen. Aber irgendwie ist es ja auch verständlich, schließlich ist Europa irgendwo auf der anderen Seite der Welt und wir hier in Deutschland haben auch kaum Differenzierung zwischen fernöstlichen Ländern wie Thailand, Korea, Indonesien, Malaysia und Bangladesch.
Und so nutze ich die Zusammenkünfte in der English Conversation Zone immer, um ein wenig deutsches Kulturgut zu verbreiten und das recht simple Bild Deutschlands ein wenig plastischer zu gestalten. So erzählte ich beispielsweise über die deutsche Tradition zu Weihnachten Plätzchen zu backen, was alle Japaner mit heller Begeisterung aufnahmen. Aber auch kleine Dinge, wie Kinderspiele erfreuen sich höchster Begeisterung. So habe ich heute vier Japanern ein Spiel aus meiner Kindheit beigebracht, bei dem man mit zwei Fingern auf dem Unterarm des Mitspielers entlangläuft und dieser "Stop!" rufen muss, sobald die Finger in der Armbeuge angekommen sind. Zwar schauten einige Japaner im Raum etwas seltsam, als drei Jungen und zwei Mädchen etwas abseits saßen und sich gegenseitig an den Unterarmen begrapschten, aber in unsere kleinen Gruppe hatten wir viel Spass und ich bin immer glücklich meinen kleinen Beitrag zum Kulturaustausch zu leisten.


Bild1: Von links nach rechts: Daik, Tak, Yuuko und Asami.


Bild2: Ich inmitten kulturbegeisterter Japaner in der ICZ.

2 Kommentare:

H. hat gesagt…

Hallo David,
also das stelle ich mir total schrecklich vor, bei einer Präsentation gefilmt zu werden. Auch wenn ich schon einsehe, dass das sinnvoll ist, schließlich kann man seine Vortragsweise damit nur verbessern.
Annkathrin hat auch mal erzählt, dass das bei denen in der Ausbildung gemacht wurde. Und sie fand das auch total unangenehm.

Aber schön, dass euer Kurs so zusammenhält. Da fühlt man sich doch richtig wohl :-)

Anonym hat gesagt…

Ja, das Filmen ist wirklich nervig. Hätte ich meine Präsentation am Freitag bei Frau Takeda gehalten, wäre ich nicht gefilmt worden. Aber schlimmer als das Filmen ist es sich selbst ansehen zu müssen. Da kann man echt nicht hinschauen, das ist einfach nur furchtbar.
Wenigstens habe ich nun einen weiteren Grund Frau Ezoe nicht zu mögen.