Eigentlich gab es gar keinen Grund, aber am am Freitag, meinem siebzigsten Tag in Japan, war ich vollkommen aufgeregt. Nachdem ich am Vorabend wegen der Mücke erst gegen 1.30 Uhr einschlafen konnte, war ich bereits um 6.30 Uhr wieder wach. Ganz ohne Wecker war ich mit pochendem Herzen aufgewacht, warum weiß ich nicht. Zwar hatte ich heute meine zweite Präsentation, allerdings war ich nicht einmal bei meinem ersten Vortrag dermaßen aufgeregt gewesen. Wie dem auch sei: Ich packte meine Sachen, traf letzte Vorbereitungen für meine nahende Präsentation, machte mich fertig, wusch Wäsche und saß letztlich am Schreibtisch, starrte auf die Uhr und wartete, dass es endlich Zeit war, um aus dem Haus zu gehen. So lief ich dann einerseits aufgedreht und unruhig, andererseits vollkommen übermüdet zur Dokkyo-Universität.
Während ich die erste Stunde im Unterricht saß, nahm die Müdigkeit dann überhand und ich hing in meinem Stuhl und kämpfte dagegen an mich einfach auf den Tisch plumpsen zu lassen und einzuschlafen. Zu allem Überfluss kam zu meiner müdigkeitsbedingten Denkblockade noch ein ausgesprochenes Pech bei der Aufgabenverteilung während des Unterrichts, weshalb ich fast den ganzen Morgen über hilflos vor den Übungen saß und nie genau wußte, was ich machen sollte. Meine Lehrerin Frau Takeda begann irgendwann ganz besorgt zu schauen, sagte aber nichts.
Vor Beginn der zweiten Stunde eilte ich dann in die Bibliothek, um rechtzeitig mein Handout und mein Skript auszudrucken. In der Zwischenzeit kümmerten sich Katharina und Michael aus Bremen um die Einrichtung von Michaels Laptop. Denn nach dem Debakel mit meinem eigenen Laptop bei meiner letzten Präsentation hatte ich dieses Mal in weiser Voraussicht sowohl Michael, als auch Katharina gebeten ihre eigenen Laptops mitzubringen, um meine Präsentation darauf abzuspielen. Ein weiteres Mal einen Vortrag ohne Bilder zu halten, wollte ich nämlich um jeden Preis umgehen. Als ich wieder von der Bibliothek kam, gab Michael mir grünes Licht für meine Präsentation und ich setzte mich bereit für meinen Vortrag auf meinen Platz. Bevor ich an der Reihe war, hielt Ma, der nervige Chinese aus meinem Kurs, seinen Vortrag. Und wie bereits beim letztes Mal war es ein mittelschweres Desaster, das sich uns darbot. Alle saßen geheuchelt interessiert da und reisten in Gedanken auf einem Schiff durch unbekannte Meere, während Ma vor dem Rednerpult stand, nervös seinen Text vor sich hin nuschelte und jegliche Interpunktion und Intonation schlichtweg überlas. Als alle gedanklich bereits ans Ende der Welt gesegelt waren, fiel den Zuhörenden auf, dass niemand mehr redete und nach und nach fanden sich alle wieder in der Realität ein. Auch Frau Takeda schien während des Vortrags auf Weltreise gegangen zu sein, denn sie schaute zunächst hastig auf das Handout, stellte dann nach längerem Warten eine Frage, die so gar nichts mit dem Thema zu tun hatte, und eröffnete sogleich die Diskussionsrunde. Da aber natürlich niemand dem Vortrag gefolgt war, breitete sich eine peinliche Stille im Klassenraum aus, die nach einigen Sekunden von Frau Takeda mit einem überschwenglichen und vollkommen deplatzierten Klatschen geschlossen wurde.
Nachdem Ma Platz genommen hatte, holte Frau Takeda noch drei Überraschungsgäste in den Raum: Es waren zwei Lehrer und ein Student, die gekommen waren, um sich meinen Vortrag anzuhören. Während sich noch alle unterhielten, ging ich bereits hinters Rednerpult und übte den Umgang mit dem fremden Laptop. Und während ich versuchsweise durch meine Folien blätterte, fiel mir auf, dass meine Bilder nicht angezeigt wurden. Während meine Zuhörer bereits auf mein Handout schauten, rief ich Michael herbei und wies ihn auf das Problem hin, woraufhin dieser ratlos an seinem Computer herumtippte, bevor er schulterzuckend aufgab. Also entschuldigte ich mich bei meinem Publikum für die Unannehmlichkeiten und baute schnellstmöglich mit Katharina den zweiten Laptop auf, den ich für den Notfall mitgenommen hatte. Doch auch auf jenem konnten die Bilder meiner Präsentation nicht angezeigt werden. Als Frau Takeda von unserer Ratlosigkeit Wind bekam, setzte sie sich dazu und fragte, was denn los sei. Aufgrund eigenen Unwissens und mangelndem japanischen Fachvokabular, konnten wir ihr nicht wirklich erklären, wo das Problem lag, aber immerhin wurde deutlich, dass wir nicht weiterkamen. Also rief Frau Takeda beim Computerhilfsdienst der Universität an, der uns wenige Minuten später zwei junge Damen vorbei sandte, welche gemeinsam mit Katharina, Michael, Frau Takeda und mir vor den beiden Laptops saßen. Da aber der Computerhilfsdienst kein deutsch konnte, saßen sie ebenso ratlos wie wir vor der nicht funktionierenden Präsentation und schauten missmutig auf ihren mitgebrachten, dritten Laptop. Minute um Minute verstrich, in denen diverse Programme installiert und wieder deinstalliert, Menüs geöffnet, Einstellungen verändert, Betriebssysteme neugestartet oder Daten zwischen den Laptops hin und her geschoben wurden. Nach geschlagenen vierzig Minuten gab der hilflose Hilfsdienst auf und zog resigniert mit dem japanischen Laptop von dannen. Und da ich mir geschworen hatte meinen Vortrag nicht noch ein weiteres Mal ohne Bilder zu halten, einigte ich mich mit Frau Takeda darauf meine Präsentation am Montag im Unterricht von Frau Ezoe zu halten. Ein wenig enttäuscht darüber keinen Vortrag über griechische Mythologie gehört zu haben, beendete Frau Takeda schließlich vorzeitig den Unterricht und alle außer mir strömten glücklich aus dem Saal.
Um ein wenig über den verpatzten Vortrag hinwegzuhelfen, bot ich Frau Takeda meine Hilfe an und räumte gemeinsam mit ihr die wild herumliegenden Computerkabel ein. Nachdem ich mich nochmals von ganzem Herzen für die gescheiterte Präsentation entschuldigt hatte, schlich ich langsam zum Wohnheim. Die unbegründete Aufregung hatte sich ein wenig gelegt, dafür wurde ich von enormer Müdigkeit, Hunger und Enttäuschung über die Präsentation geplagt. Müde schleppte ich mich in meine Wohnung, in mein Zimmer und in mein Bett, wo ich unter der Decke verschwand und mich darüber ärgerte, dass ich meine Präsentation noch nicht hatte halten können und am kommenden Montag von Neuem antreten musste. Dann fiel ich schließlich in einen tiefen Schlaf und wurde erst nach mehreren Stunden am späten Nachmittag wieder wach. Den Rest des Tages war ich dann ganz träge und demotiviert, bis ich schließlich spät in der Nacht abermals in einen unruhigen Schlaf fiel.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen