Samstag, 1. November 2008

Kekse für das Erdbeben

Als ich auf der Toilette die Durchsage hörte, wußte ich, dass nicht alles normal war. Es war schon fast drei Uhr und gleich wollte ich mich mit Tak, wie vor zwei Tagen, vor dem International Center treffen. Als ich schließlich das Stille Örtchen in Richtung Treppe verließ, kam mir ein Japaner in auffälliger Uniform und Schutzheitshelm entgegen und bat mich ins Freie zu gehen. Schnellen Schrittes lief ich die Treppe herunter und lief trotz der Aufforderung des Sicherheitsmannes erst einmal am International Center vorbei, um nach Tak zu sehen. Natürlich war er nicht da und so sah ich zu, wie das Universitätsgebäude evakuiert wurde und alle Studenten gemächlich an die frische Luft trotteten. Als kaum noch Studenten an mir vorbeiliefen und ich bereits den Sicherheitsmann von zuvor am Ende des Ganges sah, entschied ich, dass es wohl besser sei das Gebäude nun zu verlassen. Der ganze Schulhof war mit Studenten gefüllt und in ihrer Mitte thronte ein eine kleine Gruppe von Sicherheitsmännern, die unermüdlich irgendetwas in ihr Mikrofon sagten. Da direkt neben mir Tomomi stand, nutzte ich die Chance, um endlich zu fragen, was denn eigentlich los sei. Ganz verstand ich es nicht, was sie mir sagen wollte, aber es schien irgendeine Erdbebenübung zu sein. Bevor ich nachhaken konnte, sah ich aber schon Tak aus dem Eingang schlurfen und winkend auf mich zukommen.
Geplant hatte ich für heute nur das Bezahlen für Rechnungen. Was für Japaner ganz alltäglich war, kannte ich so gar nicht: Man bekam seine Rechnung per Post zugeschickt und musste sie im Laden um die Ecke bezahlen. Jeder andere Japaner hätte nun verständnisvoll meine Rechnungen genommen und für mich alles geregelt, nicht aber Tak. Der warf einen Blick auf meine Post, drückte sie mir wieder in die Hand und sagte "Ja, mach mal." Als ich ihn fragte, ob wir denn wegen der Erdbebenübung nicht auf dem Campus bleiben müssten, blieb er kurz stehen, hörte dem Sicherheitsmann zu, der noch immer ohne Pause seinen Text ins Mikrophon schrie, und schüttelte dann den Kopf: "Das geht noch fast eine Stunde so, das können wir uns sparen.". Wir gingen in den nächsten Einkaufsmarkt und während ich mich an den Tresen stellte, hielt sich Tak, ganz in der Funktion des Trainer, im Hintergrund und beobachtete wie ich mich anstellte. Eigentlich tat ich nicht viel mehr, als meine Rechnungen an die Angestellte zu reichen, sie zu informieren, dass ich zahlen wollte und mich schließlich zu bedanken. Von Tak erhielt ich als Bewertung ein anerkennendes "Mission erfüllt" und konnte so mit erhobenem Haupt zurück zur Dokkyo-Universität laufen. Dort kamen uns Katharina und Lee entgegen, wedelten mit Keksen in den Händen und informierten uns unter wildem Deuten auf eine kleine Menschenmenge, dass kostenloses Essen verteilt wurde. Gemeinsam stellte ich mic mit Tak an dem Stand inmitten des Campus an und jeder staubte einige Packungen Kekse, Fischkonserven und Instantreis ab. Wofür diese Lebensmittel konkret gedacht waren, wußte ich nicht, aber irgendetwas mussten sie mit der Erdbebenübung zu tun haben. Möglicherweise sollten sie für Krisensituationen aufgehoben werden, was mich allerdings nicht daran hinderte gleich eine Packung Kekse zu öffnen und mit Tak zu verspeisen.
Während ich versuchte ein japanisches Gespräch aufrechtzuerhalten, liefen wir ein wenig durch Soka, saßen aber schon bald wegen der warmen Temperaturen an einer Bank im Schatten der Bäumen auf dem Campus. Nur wenn ich nicht weiter wußte, sprang ich ins Englische um, ansonsten hangelte ich mich mit Hängen und Würgen durch mein Japanisches Vokabular. Irgendwie schafften wir es diesmal eine einigermaßen ausgewogene Konversation zustande zu bringen, die auch durch Inhalt gekennzeichnet war. Ich erfuhr, dass Tak eigentlich Takeru hieß und er sich nur deshalb Tak nannte, weil in England niemand seinen Namen hatte aussprechen können. Er studierte Englische Sprache und Pädagogik und wollte Sprachlehrer werden. Genau wie mit Lee, konnte ich mich mit Tak freudig über mein Lieblingsthema Sprache austauschen. Während er von Dingen berichtete, die ihm in England aufgefallen waren, erzählte ich Sachen, die hier in Japan ungewöhnlich für mich waren. Als ich am Ende unseres Gesprächs auf die harte Kritik wartete, war ich erstaunt von Tak zu hören, dass er bewunderte, wie schnell ich zwischen verschiedenen Sprachen wechseln konnte. Erst dann fiel mir auf wie rasant ich mittlerweile auf Englisch umschalten konnte, als wäre dies schon meine Muttersprache. Ein wenig stolz war ich schon, als sich schließlich unsere Wege trennten.

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