Sonntag, 2. November 2008

squishy, soaked shoes

Mit dem Wetter in Japan stehe ich immer noch auf Kriegsfuss. Zumindest mit dem Regenwetter, das hin und wieder buchstäblich über mich hereinbricht, wenn ich es am wenigsten gebrauchen kann. Am Anfang meines Japanaufenthalts habe ich mich noch über all die Japaner gewundert, die bereits beim kleinsten Wölkchen am Himmel ihren Regenschirm mit sich herumtragen und ihn aufspannen, sobald der erste Tropfen fällt. Doch seit heute verstehe ich sie und werde mich auch nur beim kleinsten Wolkenstreifen am Himmel gedanklich immer an meinen 41. Tag in Japan erinnern: Der Tag an dem der Regen kam.
Eigentlich hatte der Tag ganz normal angefangen: Mein Wecker hatte geklingelt und ich machte ihn aus. Für meine gewöhnlichen zehn Minuten zum Wachwerden hing ich noch im Bett, dann ging ich in unserer kleinen Nasszelle duschen, putzte mir die Zähne und saß meine verbliebene Zeit vor dem Laptop, um zu sehen wer mir über Nacht Post geschrieben hatte. Als ich dann aus dem Haus gehen wollte, fiel mir auf, dass ein Zettel im Briefkasten hinter der Tür lag, was sehr ungewöhnlich war, da sonst alle Post in mein Postfach in der kleinen Eingangshalle des Hauses abgelegt wurde. Wie sich herausstellte, lag im Postamt von Soka Post für mich zum Abholen bereit, da ich am Vortag außer Haus gewesen war, als der Briefträger mir die Post zustelle wollte. Grübelte ich anfangs darüber nach, ob mir jemand aus der Familie oder aus dem Freundeskreis ein überraschendes Paket hatte zukommen lassen wollen, stellte sich beim Weg zur Universität heraus, dass auch Lee zur gleichen Zeit wie ich Post hätte bekommen sollen. Möglicherweise war es etwas wegen des Stipendiums, dachten wir uns und liefen einem gewöhnlichen Unitag entgegen.
Wegen des Gesprächs mit Frau Fukuda am Dienstag, hatte ich meine Präsentationsunterlagen überarbeitet mitgenommen und ging in der Pause unsicher auf Frau Nomura zu, um zu fragen, was es mit dem Interesse an meiner Präsentation denn auf sich hatte. Wie sich herausstellte, bat sie mich nur mein Handout zu kopieren und ihr eine Abschrift meines Skriptes zu geben, um meine Präsentation einem anderen Kurs vorführen zu können. Erleichtert darüber, dass ich nicht meine gesamte Präsentation nochmals vortragen musste, kopierte ich ihr alle erforderlichen Unterlagen bereitwillig und konnte mich den Rest des Unterrichts bequem zurücklehnen, während ich durch die Scheiben unseres Klassensaals dunkle Wolken aufziehen sah. Als ich mich mit Katharina und Lee zum Mittagessen traf, fielen schon vereinzelte Tropfen. Wie einige Wochen zuvor blieb der Himmel auch während des Nachmittagsunterricht dunkel und es nieselte beharrlich weiter. Als ich mich nach dem Unterricht mit Lee traf und wir gemeinsam beratschlagten, wie wir nun an unsere Post kämen, trafen wir wie durch ein Wunder Tomomi und ihre Freundin Hiro, die uns eine genaue Beschreibung bis zur Hauptpoststelle in Soka gaben und kurz erklärten, was wir dort zu mache hatten. Da Lee und ich schnellstmöglich aufbrechen wollten, es aber immer noch leicht nieselte, ging ich erst zum Wohnheim, um meinen und Lees Regenschirm zu holen, und schließlich wieder zur Universität.
Frohen Mutes stiefelten wir in unseren Turnschuhen in Richtung der Poststelle, liefen an den Pfützen vorbei und hielten unsere Schirme fest an uns gedrückt, damit der Wind sie nicht davon wehen konnte, denn windig war es geworden. Die vereinzelten Tropfen hatten sich bereits zu einem stetigen Dauerregen gesteigert, doch am Himmel war immer noch kein Aufhellen in Sicht. Während wir lachend und redend durch den Regen liefen, begannen sich unsere Hosenbeine langsam voller Wasser zu saugen und auch die ein oder andere undichte Stelle an unseren Turnschuhen machte sich bemerkbar. Nach zehn Minuten kamen wir am Postamt an und holten ohne Probleme unsere Post ab. Es waren unsere Kontokarten für die Bankkonten, die wir eine Woche zuvor eröffnet hatten. Lee gab noch ihre Stimme für die US-Präsidenten-Wahl in Form eines offiziellen Briefes ab, dann verließen wir das Postamt auch wieder und standen mit unseren Schirmen erneut im Regen. Der Regen prasselte bereits dicht vom Himmel und aus den Pfützen am Boden hatten sich bereits kleine Seen geformt, weshalb wir beide zügig und mit großen Schritten über den Bürgersteig liefen. Um dem Wind zu entkommen, hielten wir auf dem Rückweg  in einem Supermarkt an und kauften frisches Gemüse und einige andere Lebensmittel ein. Hatten wir insgeheim gehofft, der Regen würde nachlassen, mussten wir enttäuscht feststellen, dass es noch stärker als zuvor regnete. Der Wind fegte durch die Straßen und lies uns eine kalten Schauer nach dem anderen über den Rücke laufen. Wie tausende kleiner Nadeln peitschte er uns die Tropfen überall an den Körper, so dass das Benutzen des Regenschirms eigentlich nutzlos war. Dennoch rannten wir, den Regenschirm wie ein Schutzschild vor uns gepresst, durch die Wasserwand und sprangen über kleine Bäche und Seen, die sich überall auf den Straßen und Gehwegen ihr Wege bahnten. Als wir fast wieder am Campus waren, öffnete sich der Himmel vollends und der Regen fiel wie aus Eimern auf uns herab. Unsere Hosenbeine hatten sich bereits bis über die Knie mit Wasser vollgesogen und jedes Mal, wenn wir auftraten fühlten wir wie ein kleiner Wasserschwall aus unseren Schuhen schwappte. Gegen den Regen und Wind anschreiend, schlug Lee vor in der Uni zu warten, bis das Unwetter vorbei sei. Doch ein einfacher Blick zum Himmel verriet, dass dieses Wetter kein absehbares Ende hatte und ich erwiderte schreiend, dass wir morgen früh wohl noch in der Uni sitzen würden, wenn wir warten würden, bis das Unwetter vorüber sei.
Vollkommen durchnässt trotteten wir von der Uni zum Wohnheim. Es machte bereits keinen Unterschied mehr, ob wir rannten oder nicht, und auch den Pfützen wichen wir nur noch halbherzig aus. Trotz des tosenden Regens und des scheidenden Windes, hatten wir aber unseren Humor nicht verloren und rezitierten Lieder oder Gedichte, die im Zusammenhang mit Regen standen. Als uns auf den letzten Metern schließlich die Texte ausgingen, erfanden wir einfach einen Titel für unser eigenes Gedicht: "squishy, soaked shoes". Mit eben jenen durchweichten Schuhen kamen wir letztlich im Wohnheim an und schleppten uns auf unsere Wohnungen. Um nicht eine nasse Spur der Verwüstung hinter mir herzuziehen, zog ich mich bis auf die Unterhose aus und warf all meine nasse Kleidung gleich in die Waschmaschine, die neben der Eingangstür stand. Was ich mit meinen Schuhen machen sollte, wußte ich nicht, schließlich hatte ich keine Heizung in meiner Wohnung. Ich stopfte hilflos ein paar Zeitungsblätter hinein, obwohl ich wußte dass dies nicht helfen würde.
Als ich am Abend dann vorm Internet saß, fand ich ein Gedicht namens "squishy, soaked shoes", das ich sofort Lee sendete. Draußen regnete es noch in Strömen als ich am späten Abend schließlich zu Bett ging. Wie ich scherzhaft befürchtet hatte, regnete es am nächsten Morgen tatsächlich immer noch. Hätten wir in der Universität gewartet, wären wir wohl wirklich nicht um eine Übernachtung umhin gekommen. Nachdem ich ausgesucht hatte welche Kleidung im Laufe des Tages durchnässt werden sollte, machte ich mich auf den Weg zur Universität. Am Abend widmete ich mich dann meinen immer noch durchnässten Schuhen: Für fast eine halbe Stunde saß ich vor dem Gasherd und röstete sie über der Flamme. Ganz trocken sind sie dennoch nicht geworden. Und ich glaube sie sind es bis jetzt noch nicht...

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