Obwohl ich den ganzen Dienstag zu meiner freien Verfügung hatte, war ich gezwungen mich einmal mehr meiner Präsentation zu widmen, diesmal aber bereits der Zweiten. Bereits am Freitag hatte ich mein Skript abzugeben, weshalb ich mich endlich für ein Thema entscheiden und mit dem Niederschreiben beginnen sollte. Nach einigem Überlegen fiel meine Wahl auf die Sage von Herakles aus der griechischen Mythologie, weshalb ich mich den gesamten Dienstag in meinem Zimmer verschanzte, Daten sammelte, eine Gliederung entwarf und schließlich mein gedankliches Gerüst mit Inhalt füllte. Obwohl ich den ganzen Tag an meiner Präsentation gesessen hatte, war ich am Abend doch nur zur Hälfte fertig geworden, weshalb ich am Abend ein wenig missmutig schlafen ging.
Der folgende Tag war geprägt durch die Präsidentschaftswahl in den U.S.A.: Bereits gleich nach dem Aufstehen, suchte ich im Internet nach ersten Hochrechnungen, die ich aber nicht finden konnte. Eigentlich bin ich nicht sehr politisch, aber als ich mich auf dem Weg zur Universität mit Lee und Katharina unterhielt, war ich doch sehr verwundert, dass Katharina und ich offensichtlich weitaus mehr Interesse an der Präsidentschaftswahl in den U.S.A. hatten als Lee. Und das obwohl sie gebürtige US-Amerikanerin war und Katharina und ich nur recht unpolitische Deutsche. Die Wahlen waren für den Rest des Tages auch das Gesprächsthema in unserer kleinen Runde und immer wenn sich die Gelegenheit bot, brachten sich Katharina und ich auf den neusten Stand der Dinge. So eilten wir in der kurzen Pause zwischen der ersten und zweiten Stunde in die ICZ, verfolgten eine Zeit lang die Nachrichten im Fernsehen und liefen wieder zum Unterricht.
ICZ ist die Abkürzung für International Communication Zone und bezeichnet einen Bereich in der Universität, der speziell für den interkulturellen und sprachlichen Austausch zwischen Ausländern und Japanern gedacht ist. Angrenzend an einen großen Raum, der mit vielen Tische bestückt ist, an denen sich Ausländer und Japaner treffen können, um gemeinsam zu sprechen, Hausaufgaben zu machen oder einfach nur zusammen zu essen, finden sich rund ein halbes dutzend Clubräume, die jeweils bestimmten Sprachen gewidmet sind. So findet man die German Communication Zone für alle, die sich in deutsch über Deutschland austauschen wollen, die English Communication Zone, für alle Interessierten an den U.S.A., Großbritannien, Australien und Kanada oder beispielsweise die French Communication Zone für alle, die Französisch lernen. Diese Räume sind voller Bücher, Hefte und Poster, die zum Lesen und Informieren anregen. Zudem laufen auf großen Bildschirmen ununterbrochen Nachrichten in der Landessprache. Oftmals findet man Studenten, die Deutsch lernen in der German Communication Zone und kann sich mit Ihnen austauschen, was sehr praktisch ist, um Freunde kennen zu lernen. Und in eben jenen Räumlichkeiten fanden sich Katharina und ich in jeder freien Minute in der English Communication Zone ein, um die Zwischenergebnisse der Stimmenauszählung vor dem Fernseher zu prüfen. Und so oft wie ich an diesem Tag in die ICZ lief, war es auch nicht verwunderlich, dass ich irgendwann in Tak rannte, der dort in aller Ruhe lernte und so verabredeten wir uns für den späten Nachmittag.
Als ich gegen 17 Uhr wieder in die ICZ ging, war Tak fertig mit lernen und gemeinsam mit seiner Freundin Nobuko verbrachten wir einen amüsanten Abend. Da Tak genau wie ich eine fremde Sprache studierte, kamen wir immer wieder auf dieses Thema zu sprechen und philosophierten über mögliche Beschäftigungsmöglichkeiten nach dem Abschluss. Da ich noch gar keine Ahnung hatte, was ich später einmal werden wollte, hörte ich mir interessiert Taks Planungen für die nächsten Jahre an und überlegte, inwiefern ich sie auf mich übertragen könnte. Tak hatte sich entschieden nach seinem Abschluss am Ende dieses Semsters nach Großbritannien zu gehen, um dort über ein Praktikum einen Beruf zu erlangen, in dem er Englisch sprechen könnte. Fasziniert davon wie sicher sich Tak in seiner Entscheidung für einen Beruf im Ausland war, kam ich ins Grübeln, ob auch ich mir vorstellen könnte später einmal dauerhaft im Ausland zu leben.
Zu einer Entscheidung über meine Zukunft kam ich an diesem Abend natürlich nicht, aber immerhin eröffneten sich für mich im Gespräch mit Tak und Nobuko eine Auswahl an Möglichkeiten darüber, wie ich mein zukünftiges Leben einmal gestalten könnte. Und auch, wenn mir niemand diese Entscheidung abnehmen konnte, war ich doch glücklich zu wissen, dass andere Menschen vor den gleichen Auswahlmöglichkeiten wie ich standen und trotz ihrer scheinbaren Selbstsicherheit doch auch an den gleichen Fragen ins Nachdenken gerieten. So lernte ich an diesem Abend mit Tak kein Japanisch, sondern tauschte mich mit ihm über das aus, was uns beide bewegte: Die Entscheidung über das Leben nach der Universität. Und als ich an diesem Abend schließlich nach Hause ging, hatte ich nicht das Gefühl mich von einem Sprachpartner, sondern von einem Freund zu verabschieden.
2 Kommentare:
Das mit den International Communications Zones ist die beste Idee, die ich in den letzten Monaten gehört habe! Wie wärs mit folgendem Berufsbild: International Communications Zone Implementor, Sprachkenntnisse unerlässlich, Reisemöglichkeiten inklusive und a rewarding experience garantiert.
Hat da jemand seine Bestimmung gefunden?
Und ich muss es einfach so klar sagen: Das Konzept der Communication Zones ist so toll! Normalerweise bin ich solchen Konzepten ziemlich skeptisch gegenüber eingestellt, da ich mich frage: Wer geht denn da schon hin? Oder: Ob das wirklich was bringt?
Aber die ICZ der Dokkyo-Universität hat es bewiesen: Ein modernen, liebevoll eingerichteter Raum lädt geradezu ein zum Sprechen in fremden Sprachen und zum Kennenlernen von Leuten. Warum gibt es an meiner Universität nichts Ähnliches?
Es gibt einiges, was man sich an japanischen Universitäten abschauen kann. Vielleicht sollten wir Imageberater für deutsche Universitäten werden?
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