Es ist bereits Tag 64 in Japan und man würde annehmen, dass ich in meiner näheren Umgebung bereits alles kenne und gesehen habe. Doch selbst nach über zwei Monaten entdeckt man immer wieder vollkommen Neues, man muss nur die Augen offen halten.
Welcher Tag bietet sich besser an, um ein wenig mit offenen Augen durch die Welt zu wandern, als ein Samstag, an dem man noch nichts Besseres geplant hat, außer in seinem Zimmer zu sitzen? Darum liefen Katharina, Lee und ich heute trotz eines sich stetig verdunkelnden Himmels ein wenig in den unbekannteren Gegenden Sokas umher. Damit sind aber keineswegs weit entfernte Stadtteile gemeint, die nur auf beschwerliche Weise erreichbar wären, ganz im Gegenteil, es ist unsere mittelbare Nachbarschaft gemeint, die bislang kaum von uns erkundet wurde. Da wir unsere Erwartungen auf öde Gewerbegebiete, kleine Geschäfte am Straßenrand und weitläufige Wohngebiete beschränkt hatten, war die Überraschung groß, als wir bereits nach kurzer Zeit inmitten einer Einkaufsstraße standen, die bereits seit Monaten buchstäblich um die Ecke lag. Entlang einer der Hauptverkehrsstraßen liefen wir drei an Kleidergeschäften, Elektronikdiscountern und Supermärkten vorbei und staunten immer wieder von neuem über Jenes, was uns seit Monaten verborgen geblieben war. Endlich fand ich so auch das, wonach ich bereits seit Wochen gesucht hatte: Ein Geschäft, in dem man DVDs und CDs erwerben konnte. Begeistert über unsere Neuentdeckung rannten Katharina und ich sogleich in den Laden, während Lee eher mäßig interessiert hinter uns herlief. Fast zwei Stunden lang stöberten wir zwischen Videospielen, DVDs und CDs ohne ein festes Ziel zu verfolgen. Als wir uns schließlich von den vielen elektronischen Versuchungen losreißen konnten, fielen draußen bereits die ersten Tropfen, weshalb wir uns schon wieder auf den Heimweg machen mussten. So war unser Ausflug ins Unbekannte zwar recht kurz und einseitig, aber doch von großem Erfolg gekrönt.
Nachdem wir vor dem Wolkenbruch wieder im Wohnheim angekommen waren, standen wir eine Weile im Eingangsbereich der Wohnung von Lee und Katarina und unterhielten uns. Und als ich meinen Blick durch das Zimmer schweiften ließ, fiel mir etwas ins Auge: An der Wand hing dekorativ eine rotes Stoffarmband, an welchem metallenen Blätter befestigt waren. Ich musste dieses Armband schon des öfteren hier gesehen haben, aber bisher war es mir niemals ins Auge gefallen. Als ich Lee und Katharina darauf ansprach, zuckten die beiden mit den Schultern und gestanden ein, dass sie das Armband zwar auch gesehen hätten, es ihnen aber auch niemals wirklich aufgefallen wäre, schließlich hätte es bereits vor dem Einzug an der Wand gehangen. Ohne größere Diskussion durfte ich es an mich nehmen und um mein Handgelenk legen. Und seitdem ist sie zu meinem ständigen Begleiter, ja sogar fast zu meinem Markenzeichen hier geworden.
Wenn ich darüber nachdenke ist es schon ein Zufall, dass ich dieses Armband überhaupt gefunden habe, schließlich hatte ich es immerhin schon zwei Monaten lang übersehen. Und immer wenn ich die Kette an meinem Handgelenk betrachte, schüttele ich lächelnd den Kopf und muss daran denken, dass man nur die Augen nach jenen Schätzen offen halten muss, die vielleicht schon seit Jahren in unserer unmittelbaren Nähe schlummern.
1 Kommentar:
Hallo David,
wollte mich nichts weiter als zu einem "hallo" verpflichten. Seit zwei Wochen ziemlich erkältet, hustend zu der Erkenntnis gekommen ich wünsche es doch länger, klarer, wahrer mit dir sprechen als die Zeilen hier beipflichten lassen. Ich werde dir demnächst einfach so schreiben. Und ich vergesse dich nicht, auch in der Welt wo ich mich am liebsten selbst vergessen hätte.
Mit liebevollen Grüßen, Kath.
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