Freitag, 13. Februar 2009

Abenteuer beim Friseur

Man könnte annehmen, dass ich nach über vier Monaten in Japan genug Erfahrungen gesammelt habe, um einigermaßen unbeschadet den Alltag zu überstehen. Dass ich nun problemlos einkaufen gehe, ohne größere Schwierigkeiten mit der Bahn fahre und auf simple Fragen spontan und ohne größere Verzögerungen antworten kann. Und tatsächlich: Mit all diesen alltäglichen Dingen habe ich keine Probleme mehr: Ich weiß wie ich an unbekannten Bahnhöfen meinen Anschlusszug finde, kann der Verkäuferin sagen, dass ich keine Tüte benötige oder gerne ein paar Essstäbchen hätte, kann mich entschuldigen, wenn ich jemanden anremple, und kann lächelnd antworten, wenn mir die Verkäuferin im Buchladen anbietet mein neues Buch in ein Papiercover einzuwickeln. Ja, in diesen alltäglichen Situationen ist meine anfängliche Unsicherheit und Aufregung verschwunden. Aber dies soll keinesfalls darüber hinwegtäuschen, dass es immer noch jene Situationen gibt, in denen ich vollkommen verängstigt und hilflos um Worte ringe, weil ich gar nichts verstehe, so wie beispielsweise an jenem Tag an dem ich einfach nur meine Haare schneiden lassen wollte.
Das ist auch wieder so eine Sache, deren Schwierigkeit einem erst dann bewusst wird, wenn man längere Zeit im Ausland ist: Haare schneiden. Über so etwas macht man sich keine Gedanken, wenn man für ein paar Wochen in Spanien ist oder seinen Schwedenurlaub genießt. Erst wenn man für längere Zeit im Ausland ist und nicht das Glück hat lange Haare zu haben, bei denen es nicht stört, wenn sie ein Jahr lang ungestört wachsen, wird einem irgendwann schmerzlich bewusst, dass die einst so schön anzuschauende Haarpracht einem wirren Wischmop gewichen ist, der sich partout nicht ansehnlich zurechtmachen lässt. Und alles was einem dann bleibt, ist der unvermeidliche Gang zu einem Friseur in der Fremde. Wer mich kennt, weiß dass ich selbst nie so genau weiß wie ich meine Haare geschnitten haben möchte, was dem Friseur die Arbeit natürlich nicht unbedingt erleichtert. Erst nach einer kurzen Debatte und Kommentaren wie "Sie sind der Profi, nicht ich." schneidet der Friseur dann für gewöhnlich irgendetwas auf meinem Kopf zusammen, was ich dann für die nächsten Wochen trage. Dass diese inländische Taktik im Ausland natürlich nur schwer zu bewerkstelligen ist, war mir natürlich schon im Vorhinein bewusst, weshalb ich mir für meinen Friseurbesuch in Japan eine andere Strategie zurecht gelegt hatte: Irgendetwas sagen und dann Augen zu und durch. Irgendwie würden die Haare schließlich kürzer werden.
Es war Tag 130 in Japan und drei Tage waren vergangen seitdem ich mit Lee schon einmal vor einem günstigen Friseurladen gestanden hatte, um mir eine neue Frisur schneiden zu lassen. Doch weil Lee sich noch nicht sicher gewesen war wie sie ihre Haare hätte schneiden lassen sollen, waren wir tatenlos wieder zurückgegangen. Allerdings hatte sie mir fest versprochen in ein paar Tagen gemeinsam noch einmal zum Friseur zu gehen, diesmal ausreichend vorbereitet. Heute war es dann soweit und wir beide liefen gemeinsam quer durch Soka zum Friseur. Als wir aber vor dem Eingang standen, bemerkte ich bereits wie Lee immer unsicherer wurde und ich sie gerade zu vorwärts schieben musste, um die Treppe zum Friseurladen emporzusteigen. Direkt vor dem Eingang stellten wir fest, dass es zwei Eingänge gab, einen für Frauen, einen Männer. Und hier passierte natürlich das, was ich bereits geahnt hatte, nachdem Lee vor drei Tagen versucht hatte dem unausweichlichen Friseurtermin zu entkommen: Sie sprang im letzten Moment ab und entschied doch nicht zum Friseur zu gehen. Ich war ehrlich gesagt wenig überrascht, war mir die Wankelmütigkeit von Katharina und Lee doch schon seit seit geraumer Zeit bekannt ("Für Nobuko nach Ueno"). Um mich nicht wieder auf einen späteren Termin vertrösten zu lassen, aus dem sich Lee vermutlich wieder einmal herauswinden würde, ließ ich Lee von dannen ziehen und schritt alleine in den Friseurladen.
Als ich den Laden betrat, drehten sich alle Angestellten zu mir um und begrüßten mich, woraufhin ich ein wenig unsicher nickte und darauf wartete, dass mich jemand anwies, was ich zu tun hatte. Nachdem ich dann für eine kurze Weile ziemlich hilflos im Eingangsbereich gestanden hatte, kam ein Angestellter auf mich zu, wies mich an die Jacke auszuziehen, ihm zu folgen und Platz zu nehmen. Da er aber auf keinen bestimmten Stuhl zeigte, blieb ich ein wenig verwirrt stehen und fragte unsicher "Wo?" woraufhin der Angestellte ziemlich verwirrt schaute und ich einfach irgendwo Platz nahm. Ob das nun richtig war oder nicht, weiß ich nicht, aber ich wollte zu diesem Zeitpunkt den neugierigen Blicken der anderen Angestellten entgehen, die alle argwöhnisch zu mir hinüber äugelten. Und so hoffte ich auf meinem Platz unsichtbar zu werden, was natürlich nicht geschah.
Als mich der Angestellte schließlich fragte wie ich meine Haare gerne geschnitten haben würde, spulte ich ein paar Sätze ab, die ich mir vorher zurecht gelegt hatte und die im Grunde herzlich wenig aussagten. Und so war es nicht sehr verwunderlich, dass der Angestellte begann mich auf japanisch nach meinen Präferenzen zu befragen. Und dann begann es: Meine Hände wurden feucht und hinter meiner Stirn rasten die Gedanken, denn ich verstand kein einziges Wort. Dies lag jedoch nicht daran, dass ich aufgeregt gewesen wäre, nein, es lag schlicht und einfach daran, dass ich noch nie die japanischen Ausdrücke für "Spitzen schneiden", "Haare bleichen", "Kotletten", "Nacken ausrasieren" oder Ähnliches gehört hatte. Nicht einmal "Haare schneiden" wurde durch eine simple Übersetzung wie "Haare" und "schneiden" ausgedrückt, nein, auch hierfür gab es einen Ausdruck, den ich nie zuvor gehört hatte. Und so stotterte ich vor mich hin, während auch der Angestellte vollkommen ratlos war und die anderen Angestellten mitleidig zu uns hinüber blickten. Als der Angestellte dann versuchte mit seiner Schere und seinem Kamm an meinen Haaren irgendetwas pantomimisch darzustellen, stimmte ich irgendwann einfach nur noch zu und warf gelegentlich ein "Ein wenig länger wäre besser" ein, um wenigstens anstandsvoll nichts zu verstehen.
Und so schnitt der Angestellte schließlich ein wenig ziellos auf meinem Kopf herum. Da ich ohnehin nicht wußte welche Frisur ich haben wollte, kam mir gar nicht in den Sinn den Friseur zu unterbrechen oder Anweisungen zu geben und ich stimmte seiner Arbeit auch ganz überzeugt zu, als er mir nach wenigen Minuten sein Ergebnis präsentierte. Um nicht unangenehm aufzufallen, saß ich einfach so lange in meinem Stuhl, bis mich irgendjemand auffordern würde aufzustehen. Und so schlecht war diese Taktik gar nicht, denn als ich bereits dachte, dass es vorüber wäre, kam ein älterer Angestellte angeschlurft, der sich anschickte mir den Nacken auszurasieren. Arbeitsteilung, dachte ich mir zu diesem Zeitpunkt, da hier offensichtlich jeder der Angestellten eine andere Funktion hatte. Und die Funktion des älteren Mannes war es offensichtlich mir den Nacken mit einem Rasiermesser und echtem Rasierschaum auszurasieren. Trotz meiner Anspannung, war ich doch neugierig wie es sich wohl anfühlen würde professionell rasiert zu werden, schließlich kannte ich bis dato nur die gewöhnliche Rasur mit meinem Rasierer mit Wegwerfklingen und Billigrasierschaum aus dem Drogeriemarkt. Umso überraschter war ich, als der alte Mann mir den heißen Rasierschaum auf den Nacken strich und begann mich zu rasieren. Und das erste Mal seit meinem Friseurbesuch begann ich mich zu entspannen. Ich genoss die Arbeit des alten Mannes so sehr, dass ich wohl friedlich eingedöst wäre, wenn er noch einige Minuten länger mit seinem Rasiermesser über meinen Nacken gestrichen wäre.
Nachdem er seine Arbeit beendet hatte, blickte der ältere Angestellte mich lächelnd an und versuchte möglichst ausländisch "Okeee?" zu fragen, woraufhin ich versuchte möglichst japanisch "Okay!" zu antworten. Dann wies er mich an ihm zur Kasse zu folgen, wo ich dann problemlos bezahlte. Ein wenig peinlich war es mir, als der alte Mann die gesamte Zeit aufmerksam neben mir stand, bis ich meinen Schal, meine Mütze und meine Jacke angezogen und mein Portemonnaie in meiner Hose verstaut hatte, um mich dann zu verabschieden. Ich bedankte mich und erschrak regelrecht, als mir, wie bereits zum Beginn, jeder Angestellte im Laden eines Dankesfloskel entgegenrief. Erwartungsvoll schauten mich alle an, bis ich mittellaut noch einmal ein Dankeschön in den Laden rief und mich unsicher ein wenig verbeugte. Dann verließ ich den Friseurladen in einer Mischung aus Verbeugung und Rückwärtslaufen, bis die Tür zugefallen war und ich wieder ganz gewöhnlich zur Straße lief und mich langsam von meinem Abenteuer beim Friseur erholte. 
Auf vieles an diesem Besuch blicke ich nun lachend zurück, doch innerhalb der Zeit, in der ich dort stotternd und schwitzend saß, war ich vollkommen verunsichert und aufgeregt und mir war so gar nicht zum Lachen zumute. Doch müsste ich nun ein zweites Mal dorthin gehen, wäre ich nun wohl besser vorbereitet, da ich nun weiß, was auf mich zukommt. Und so ist es mit all den scheinbar simplen Alltagssituationen, die mir hier in Japan widerfahren. Anfangs ist alles neu und man ist verunsichert, doch schon nach einer gewissen Zeit lernt man mit den unbekannten Situationen umzugehen. Dennoch wünsche ich mir manchmal, dass meine Sprachfähigkeiten und mein Hörverständnis ein wenig besser ausgeprägt wären, damit ich in einigen Situationen nicht vollkommen hilflos wäre. Zugegebenermaßen ist ein Friseurbesuch aber auch keine alltägliche Situation, die man im Ausland ohne weiteres bewältigen sollen müsste. Und so werde ich wohl noch recht lange amüsiert auf meinen ersten Friseurbesuch in Japan zurückblicken.

3 Kommentare:

H. hat gesagt…

Das hast du ja trotz Verständnisprobleme gut gemeistert. Denn immerhin scheint ja keine katastrophale Frisur entstanden zu sein.
Beim Lesen ist mir gerade aufgefallen, dass ich auch dringend mal wieder zum Friseur müsste. Ich werde wohl nachher mal einen Termin ausmachen :-).

David Kraft hat gesagt…

Na, da freue ich mich doch, dass mein Blog das Leben meiner Leser positiv beeinflusst.
Kannst ja mal so tun als könntest du kein Deutsch und schauen was für eine Frisur herauskommt : )

H. hat gesagt…

Haha, das mit dem nicht Deutsch sprechen wäre mir dann doch etwas riskant. Zumal ich beim letzten Mal in Gießen einen neuen Friseur ausprobiert habe und das Ergebnis nicht so ganz zufriedenstellend war. Und das, obwohl ich Deutsch geredet habe ;-)
Deshalb hoffe ich, dass diesmal etwas besseres bei rauskommt.