Nachdem das Unisemester nun fast vorbei ist, kann ich rückblickend mit Bestimmtheit sagen, dass Frau Ezoe jene Lehrerin war, deren Sprachunterricht ich am wenigsten schätzte. Frau Ezoe? Das war jene Lehrerin, die mit akribischer Genauigkeit dem Lehrplan folgte, mehr mit sich selbst, als mit den Studenten redete und stets unverständliche Erklärungen gefolgt von ihrem typischen "Wardasverständlichjadaswarverständlich." von sich gab. Nicht zuletzt durch ihre legendäre Kritik meiner Präsentation vor einigen Wochen (Gruppendynamik) war sie nicht nur bei mir, sondern auch beim Rest des Kurses unten durch. Wegen dieser offenkundigen Abneigung spielte ich am Montagmorgen, Tag 101 in Japan, ernsthaft mit dem Gedanken in meiner Wohnung zu bleiben und mir einen Tag sinnlosen Unterrichts zu sparen. Pflichtbewusst wie ich aber nun einmal bin, ging ich letztlich natürlich dennoch in die Universität. Zu meinem Leidwesen war ich nicht der Einzige, der mit dem Gedanken des Fernbleibens gespielt hatte, denn den gesamten Vormittag saßen wir nur zu dritt im Sprachkurs. Neben mir waren nur Marvin aus Duisburg/Essen und Ma, der Chinese, da, was Frau Ezoe natürlich nicht davon abhielt in gewohnt langweiliger Manier ihre Lernstoff durchzuziehen.
In den neunzig Minuten am Nachmittag, zu denen sich wieder fast der gesamt Kurs eingefunden hatte, stand auf dem Lehrplan wieder einmal das Schreiben eines Aufsatzes. Die ersten dreißig Minuten des Unterrichtes verbrachte Frau Ezoe damit uns überausführlich den Ablauf der Stunde zu erklären. So sollten wir uns zum Thema "Hochzeit und Partnerschaft" Fragen überlegen und diese dann mit einen Kommilitonen auf Japanisch diskutieren. Und aufgrund dessen, was unser Diskussionspartner zu "Hochzeit und Partnerschaft" in seinem Land erzählt hat, mussten wir unseren Aufsatz schreiben, wobei insbesondere Quotativkonstruktionen wie "laut", "gemäß" oder "nach Angaben von" benutzt werden sollten. In der Theorie hört sich dies sehr interessant und effektiv zum Lernen an, die Umsetzung in die Praxis gestaltet sich allerdings weitaus komplizierter, da nach Frau Ezoes halbstündigen Erklärung gerade einmal eine Zeitstunde für das Erarbeiten von Fragen, das Interview sowie das Niederschreiben des gesamten Textes blieben. Und zu allem Überfluss teilte Frau Ezoe uns in Gruppen ein, weshalb ich gezwungen war mit Ma, dem einzigen Teilnehmer des Sprachkurses, den ich nicht leiden konnte, zusammen zu arbeiten.
Nachdem ich mir ein paar Fragen überlegt hatte, begann ich mit freundlicher Miene Ma über "Hochzeit und Partnerschaft" in China zu befragen, während er sich bei mir über Deutschland erkundigen sollte. Um es kurz zu machen: Das Interview war eine einzige Katastrophe. Ich gehöre wirklich nicht zu jenen Personen, die leicht aggressiv oder wütend werden, aber während des Interviews mit Ma musste ich mich mehrmals ernsthaft zusammenzureißen, um nicht einfach laut schreiend aus dem Raum zu rennen.
Ma: Ab welchem Alter darf man in Deutschland gesetzlich heiraten?
David: Ab Achtzehn.
Ma: Falsch.
David: Wie bitte?
Ma. Das stimmt nicht.
David: Also mit Einwilligung der Eltern darf man auch schon mit Sechzehn heiraten, aber das ist eher die Ausnahme.
Ma: Falsch. Du lügst.
David: Also...*ruhig Luft hol*...Ich komme aus Deutschland und ich wage zu behaupten, dass ich es besser weiß als du.
Ma: Nein das stimmt nicht. Du lügst.
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David: Aus welchen Gründen heiratet man heutzutage in China?
Ma: Weiß nicht.
David: Naja, gibt es tendenziell mehr Liebesheiraten, oder stehen wirtschaftliche Gründe im Vordergrund? Vielleicht heiraten junge Paare wegen des Drucks der Eltern.
Ma: Ja.
David: Ja? Druck der Eltern?
Ma: Nein.
David: Wirtschaftlichen Gründe?
Ma: ?
David: Liebesheiraten?
Ma: ?
David: Oder weißt du das gar nicht?
Ma: Mmmh...Liebesheiraten...
David: Also man heiratet hauptsächlich aus Liebe.
Ma: Nein.
David: *Luft hol* Also was denkst du ist der Hauptgrund für Hochzeiten in China?
Ma: Ja.
David: Man heiratet nicht aus Liebe?
Ma: Nein.
David: Also was? Kannst du mir nicht einfach eine Antwort geben?
Ma: Es gibt verschiedene Gründe.
David: Aha. Und welche?
Ma: Liebe.
David: Okay, Liebe und...?
Ma: Nur Liebe. Man heiratet in China aus Liebe.
David: Jaja, ist mir jetzt auch egal...
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David: Willst du mich nichts über Hochzeiten in Deutschland fragen? Du hast nur eine Frage gestellt...
Ma: Nein, brauche ich nicht.
David: Aber wir sollen den Text auf Grundlage des Interviews schreiben.
Ma: Ich habe alles, was ich brauche im Kopf. Ich weiß schon alles.
David: *seufz*
Und so verschwendete ich fünfzehn Minuten mit einem vollkommen sinnlosen Interview mit Ma. Etwas über Hochzeiten in China lernte ich nicht, dazu waren die Antworten von Ma schlichtweg nicht zu gebrauchen. Und darum saß ich vor einem leeren Blatt und überlegte, wie ich die gähnende Leere vor mir mit Text füllen könnte. Und so schrieb ich schließlich zu fast jeder meiner Ausgangsfragen, dass mein Gesprächspartner bedauerlicherweise keine Antwort wußte. Somit habe ich zwar herzlich wenig über Hochzeiten über China gelernt, dafür aber Formulierungen wie "bedauerlicherweise" oder "nicht zu wissen scheinen" eingeübt. Während in den verbliebenen vierzig Minuten alle hastig ihren Aufsatz auf das Papier kritzelten, lief Frau Ezoe umher und schaute auf unsere Texte. An Ma's Tisch blieb sie für eine Moment stehen, runzelte die Stirn und sagte ihm dann, dass mein Name "Kraft" wäre und dass der Text auf Basis meiner Aussagen geschrieben werden solle. Da nickte er lächelnd und schrieb einfach weiter. Ich schüttelte nur den Kopf und widmete mich wieder meinem eigenen Aufsatz. Innerlich hoffte ich im nächsten Semester weder mit Ma in einem Sprachkurs zu sein, noch ein weiteres Semester im Unterricht bei Frau Ezoe zu sitzen.
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