Dienstag, 17. Februar 2009

Kreuzungen

Vor gut einer Woche hatte mich ein Freund aus Deutschland gefragt, ob er etwas in Japan bestellen und es an meine Adresse senden könne, damit ich das entsprechende Paket dann wiederum an einen Bekannten von ihm nach Spanien weitersenden könne. Warum der Aufwand? Nun, weil das japanische Unternehmen, bei dem der spanische Freund meines Bekannten etwas bestellen wollte, nicht ins Ausland lieferte. Und da mir alle entstehenden Kosten bezahlt werden sollten und ich sogar mit einer finanziellen Aufwandsentschädigung geködert wurde, biss ich sofort an und erklärte mich bereit das Paket anzunehmen und an der Post in Soka nach Spanien weiterzusenden. Am Samstag klingelte der Postbote bei mir und überreichte mir das entsprechende Paket früher als ich erwartet hätte, weshalb es nun an mir lag das Paket nach Europa zu versenden. Dabei gab es nur ein winziges Problem: Ich habe noch nie zuvor ein Paket ins Ausland geschickt.
Wie habe ich also den Morgen verbracht? Ich habe im Internet auf der offiziellen Seite der japanischen Post gelesen wie man ein Paket versendet, was man anzugeben und was man zu beachten hat. Und eines muss man den Japanern lassen, sie haben wirklich leicht verständliche und hilfreiche Erklärungen. Überall. Für alles. Vorausgesetzt man kann Japanisch oder zumindest Englisch. Und so habe ich sorgfältig die Anweisungen durchgelesen und alle Übersetzungen der japanischen Formulare vorsichtshalber auf einen USB-Stick gezogen, um in der Universitätsbibliothek alles noch einmal auszudrucken, damit ich für den Ernstfall alles parat hätte. Dann habe ich das Paket in eine große Tüte gesteckt und bin ein wenig aufgeregt in Richtung Universitätsbibliothek gelaufen, während ich mir die ganze Zeit Sätze im Kopf zurechtbastelte, die ich der Angestellten in der Postfiliale sagen würde.
Ein wenig misstrauisch schaute die Rezeptionistin in der Universitätsbibliothek, als ein großer Ausländer mit einem riesigen Paket sich durch die Bibliothek zu den Computern durchkämpfte und dort Platz nahm. Ich ließ mich aber nicht beirren und druckte mir alle notwendigen Dokumente aus, die ich dann ausgiebig mit Zusatznotizen versah. Vor allem mit meiner japanischen Anschrift hatte ich zu kämpfen, da diese in "westlicher Form" angegeben werde sollte, also erst Name, dann Straße, Stadt und Land. Nur leider passte die im Beispiel angegebene Adresse, die alles so einfach scheinen ließ, nicht im Geringsten auf meine Anschrift hier in Japan, weshalb ich ein wenig ratlos war wie ich meine Adressdaten auf die geforderten vier Zeilen aufteilen sollte. Ich schob dann solange Viertel, Bezirke, Stadtteile und diverse Nummern innerhalb der Zeilen umher, bis ich zufrieden war, dann schaltete ich den Computer aus und bereitete mich darauf vor mein Paket abzusenden. Auf dem Weg aus der Bibliothek traf ich auf Florian aus Bremen, der ebenfalls an einem Unirechner saß. War ich erst erstaunt darüber, dass er seine Zeit an den Computern der Universität verbrachte, obwohl es doch so viel bequemer war im Wohnheim das Internet zu nutzen, wurde mir schlagartig bewusst, dass der Anschluss, den sich Yosuke, Lee, Katharina und ich teilten eine große Ausnahme war. So unterhielt ich mich eine Weile mit Florian, um zu fragen, ob er bereits ein Paket ins Ausland geschickt hatte, woraufhin er bejahte und nur beiläufig meinte, dass es fast so wie in Deutschland wäre, was mir herzlich wenig weiterhalf, weil ich auch noch nie von Deutschland aus ein Paket versandt hatte.
Nachdem ich die Bibliothek verlassen hatte, kam jemand rufend auf mich zugelaufen. Es war Ayano, eine Freundin von Tak und Nobuko, die bereits zu Weihnachten zu mir gekommen ("Loslassen") und zu meinem Geburtstag eingeladen gewesen war, aber nicht hatte kommen können. Und so stand ich für weitere zwanzig Minuten in der Dokkyo-Universität und tauschte mich mit Ayano aus. Lachend berichtete sie von ihrer stressigen Arbeitssuche, mit der sie bereits seit Wochen beschäftigt war. Wegen der Wirtschaftskrise war es äußerst schwer eine Stelle zu finden, weshalb sie derzeit von Bewerbungsgespräch zu Bewerbungsgespräch lief, Seminar um Seminar absolvierte und immer wieder neue Stellenangebote suchte. Und zu allem Überfluss musste sie auch noch Arbeiten für die Universität schreiben, weshalb sie stets auf Achse war und nicht zu meinem Geburtstag hatte kommen können. Als ich ihr beiläufig von meinem Lernbuch für japanische Schriftzeichen erzählte, zeigte sie fast die gleiche Reaktion wie Tak einige Tage zuvor: Sie war zunächst verwundert, dass ich die Buchreihe kannte, unterhielt sich dann aber interessiert mit mir über japanische Schriftzeichen. Sie hatte bereits Stufe zwei erreicht, was einem Niveau von rund zweitausend Schriftzeichen sowie zahlreichen Ausnahmelesungen zu Ortsbezeichnungen und Namen entspricht. "Das scheint wohl eine recht bekannter Buchreihe für japanische Schriftzeichen zu sein, mit der ich lerne.", dachte ich mir, da scheinbar mehrere Personen sich bereits hatten einstufen lassen. Nachdem ich Ayano von meinem anstehenden Besuch bei der Post erzählte, bot sie mir freundlich an mich zu begleiten und das Paket für mich abzusenden, was ich aber nach einigem Zögern dankend ablehnte. Schließich wollte ich die Vorbereitung des gesamten Vormittags nicht über den Haufen werfen und einmal auf eigene Faust etwas erledigen. Dennoch ließ ich sie einen Blick auf meine mühsam zusammengeklebte Adresse werfen, damit sie diese gegebenenfalls noch berichtigen könne, doch zu meiner Überraschung war alles bereits korrekt und Ayano war sich sicher, dass alles problemlos klappen würde. Und so verabschiedeten wir uns und ich machte mich endlich auf den Weg zur Postfiliale.
Nachdem ich mir meinen Satz zurechtgelegt hatte, betrat ich mit meinem Paket die Filiale und stand vor zwei geöffneten Schaltern. Frohen Mutes stellte ich mich an die kürzere Schlange an und musste bereits meine erste Niederlage einstecken, als eine Angestellte mich höflich darauf hinwies doch bitte die andere Schlange zu benutzen. Natürlich hatte ich erst einmal das Gefühl, dass mich nun jeder anstarren würde, doch nachdem sich noch eine japanische Mutter und ein älterer japanischer Herr falsch angestellt hatten, war ich erleichtert, dass es wohl keineswegs selten war, dass sich jemand an die falsche Schlange anstellte. Nachdem ich eine Weile lang die andere Schlange beobachtet hatte, wurde mir auch klar, warum man sich dort nicht anstellte: Alle Kunden standen an der Schlange des ersten Schalters an und sobald der zweite Schalter frei wurde, wurde ein Kunde aus der ersten Schlange herüber gerufen. Und wer konnte dies schon wissen? Als ich an der Reihe war, sagte ich säuberlich meinen zurechtgelegten Satz auf, woraufhin die Angestellte nickte, mein Paket entgegennahm und mir ein Formular zum Ausfüllen in die Hand drückte. Also suchte ich mir eine freie Ecke und begann mein angelesenes Wissen in die Felder einfließen zu lassen. Und so hatte ich binnen weniger Minuten alles problemlos ausgefüllt und stand schon kurze Zeit später wieder in der Schlange und hoffte, dass es keine Schwierigkeiten geben würde. Und dem war auch so: Die Angestellte warf einen prüfenden Blick auf mein Formblatt, fragte noch einmal nach, ob das Paket auch wirklich nach Spanien gesandt werden sollte, wog es und trug die nötigen Daten in das Formular ein, bevor ich zahlte und fertig war. Ich war selbst ein wenig überrascht, dass alles so reibungslos funktioniert hatte und war nun ziemlich stolz, dass ich all dies ohne fremde Hilfe hatte bewerkstelligen können.
Auf dem Rückweg kreuzten sich meine Wege mit denen von Lee, die auf dem Weg zur Bank war um Geld für die Miete anzuheben. Und so lief ich spontan mit ihr und schoss ein paar Fotos von all jenen Dingen, die ich schon so oft gesehen und erwähnt, aber nie fotografiert hatte. Nachdem wir beide Geld abgehoben hatten, spazierten wir quer durch Soka zu der Agentur, die unsere Wohnung vermietet und bezahlten wie jeden Monat die Miete für den Folgemonat. Auf dem Weg dorthin trafen wir auf Lisa und Andrew aus Kanada, die auch bei uns im Wohnheim wohnten ("Sazae-san & Maruko-chan, hagoita & shouchuu"). Und nach einem kurzen Gespräch machten Lee und ich uns auf den Weg zum Wohnheim. Und so kam ich nach einem ereignisreichen Tag wieder im Wohnheim an, obwohl ich doch eigentlich nur ein Paket zur Post hatte bringen wollen. Und als ich mich schließlich vor den Computer setzte und darüber lächeln musste wie viele Leute ich heute getroffen hatte, musste ich schmunzeln, als ich auch noch eine E-Mail von Shinya aus den U.S.A. erhielt.


Bild1: Die Postfiliale nahe des Bahnhofs Matsubara-Danchi, an der ich mein Paket aufgegeben habe. Hier habe ich auch meine Postkarten zu Weihnachten abgeschickt.


Bild2: Ein Blick auf den Westeingang des Bahnhofs Matsubara-Danchi, den ich bereits so oft erwähnt habe.


Bild3: Auf dem Weg vom Bahnhof Matsubara-Danchi zur Dokkyo-Universität durchläuft man immer diese kleine Parkanlage in der sich ein paar modernen Skulpturen befinden, die sich im Wind bewegen. Im Hintergrund sieht man eine größere Wiese, auf der oftmals Kinder spielen oder ältere Leute diskutieren.


Bild4: Eine große Kreuzung von der ich in meinen ersten Tagen in Japan sehr begeistert war, da man die Straße in alle Richtungen überqueren kann. Man sieht auch, dass Japaner keineswegs nur kleine Autos fahren, sondern, dass man auf den Straßen so ziemlich die gleichen Autos fahren sieht, wie in Deutschland. Für gewöhnlich überqueren hier immer Massen von Studenten die Straße, da sich direkt im Hintergrund das Gelände der Dokkyo-Universität befindet.


Bild5: Ein Blick auf die Dokkyo-Universität. Im Vordergrund sieht man die riesigen Sportplätze, auf denen zu fast jeder Tages- und Nachtzeit trainiert wird.


Bild6: Wenn man von der großen Kreuzung aus nach links läuft, entlang dem Gelände der Dokkyo-Universität, erreicht man das große Einkaufshaus Belx, wo ich oft und gerne einkaufe. Im Vordergrund sieht man den Kanal, der zwei Seiten der Dokkyo-Universität umschließt, rechts sieht man auch noch einen Zipfel des Sportplatzes.


Bild7: Seit viereinhalb Monaten kaufe ich hier gerne und regelmäßig ein: Das große Einkaufshaus Belx. In einem meiner ersten Beiträge habe ich einmal geschrieben, dass es hier verhältnismäßig günstiges Gemüse gibt ("Ein Tag im Supermarkt"). Im ersten Stock gibt es zudem einen Elektromarkt (Joshin) und ein Buchgeschäft. Im zweiten Stock befindet sich einer von den zahlreichen 100-Yen-Shops, die ich auch oft erwähne.


Bild8: Die Wohnungsagentur POLUS, die mir meine Wohnung vermietet. Einmal im Monat muss ich hier hinlaufen, um die Miete in bar zu bezahlen.


Bild9: Ein Blick auf Soka im Winter. Aufgenommen von meiner Haustür aus.


Bild10: Und ein Schwenk nach links. Man kann einen etwas trostlosen Kinderspielplatz sehen, auf dem nie Kinder spielen. Am Horizont gibt es manchmal etwas ganz Besonderes zu sehen. Darüber schreibe ich aber ein andermal.


Bild11: Grüße von Shinya aus den U.S.A., wo er ein Auslandssemester verbringt.

2 Kommentare:

michi hat gesagt…

Das gleiche Problem hatten wir mit deinem Weihnachtsgeschenk auch. 'Hm...vier Linien. Davids Adresse bräuchte sechs...'

Die Bilder sind toll, auf sowas hab ich die ganze Zeit schon gewartet. Ich find die Dachformen und die Ziegel, die es in Japan gibt, großartig. Auch wenns nur n unwichtiges Detail ist.

David Kraft hat gesagt…

Ja, das mit der Adresse ist so eine Sache. Ich bin ziemlich froh, dass ihr alle in Deutschland mein "Ausland" für Postkarten und Pakete seid. Da kann ich wenigstens die Adresse schreiben. Aber dafür kämpfe auch ich mit dem Absender.

Es gibt so viele kleine, alltägliche Dinge, die man jeden Tag sieht und dann schon gar nicht mehr besonders findet. Deswegen freue ich mich immer, wenn auch einige von diesen kleinen Details Begeisterung finden. Die Dächer finde ich nämlich auch immer toll. Auch wenn es nur marginale Änderungen zu unseren bekannten Dächern sind.

Und ich kann schon einmal verraten, dass es bald noch viel mehr Bilder von Alltäglichem geben wird.

Grüße aus Soka