Sonntag, 8. Februar 2009

Ein-Mann-Putzkolonne

Was macht man, wenn man schon am Morgen weiß, dass man heute nichts Besonderes vor hat? Man lässt den Tag gemächlich angehen. Und so habe ich heute, Tag 123 in Japan, erst einmal lange im Bett gelegen, bin nach dem Duschen in meine Jogginghose geschlüpft, habe mir Essen gemacht und ein wenig Zeit vertrödelt, indem ich an meinem Laptop gesessen habe. Und so wäre der Tag wohl vollkommen ereignislos vorübergezogen, wäre nicht um kurz nach drei Uhr eine E-Mail in meinem Posteingang angekommen.
Gemütlich auf meinem Bett liegend prüfte ich die E-Mail und stellte fest, dass sie von Tak kam. Er schrieb, dass er gerade in der Bibliothek sei und wir uns doch treffen könnten, wenn wir in so unmittelbarer Nähe seien. Und da ich mich natürlich über jeden Besuch glücklich schätzte, schrieb ich ihm, dass ich mich freuen würde, wenn wir uns träfen. Doch in jenem Moment, in dem ich die E-Mail abgesendet hatte, blickte ich mich um und mir wurde eines schlagartig bewusst: Die Wohnung war vollkommen chaotisch: Ich lag in schlabbriger, benutzter Wäsche in meinem zerwühlten Bett, auf dem Boden stand das benutzte Geschirr von Mittagessen, es flogen Lernunterlagen umher, in der Ecke lag ein Haufen frisch gewaschener Wäsche, die noch zusammengelegt werden musste, in der Küche standen noch die Kochutensilien und überall flogen Staubflocken umher. Und so blickte ich für einen Augenblick vollkommen gedankenverloren auf das Chaos, bis ich wie von der Tarantel gestochen aufsprang und gleichzeitig begann meine dreckige Wäsche auszuziehen, neue Kleidung anzulegen, mir die Zähne zu putzen und mich zu rasieren. Wie wild rannte ich durch die Wohnung und versuchte zumindest den gröbsten Dreck der letzten Tage zu beseitigen. Gedanklich rechnete ich damit, dass Tak in etwa fünfzehn Minuten vor der Tür stehen würde und dementsprechend schnell hastete ich zwischen Mülltüte, Spülbecken und Wäscheschrank umher, spülte das Geschirr, wischte den Tisch, fegte den Boden, machte mein Bett, legte meine Wäsche zusammen und räumte alles weg, was mir zwischen die Finger kam.
Nach rund zwanzig Minuten war ich selbst überrascht darüber, wie schnell man eine Wohnung scheinbar auf Hochglanz bringen konnte. Doch Tak war noch nicht da und so setzte ich meinen Reinigungswahn fort: Ich säuberte die Toilette, reinigte das Waschbecken, räumte meinen Schreibtisch auf und stellte das getrocknete Geschirr in den Geschirrschrank. Und da Tak sich ziemlich zu verspäteten schien, blieb mir danach immer noch Zeit, um den Boden feucht zu wischen, meine Uniunterlagen zu sortieren, die Küchenzeile zu reinigen, den Müll nach unten zu bringen und mein Zimmer ein wenig zu dekorieren.
Es muss wohl so gegen kurz vor fünf gewesen sein, als mir nichts mehr einfiel, was ich noch reinigen könnte, und in mir der Verdacht keimte, dass Tak nicht kommen würde. Ich überprüfte das E-Mail-Postfach, doch Tak hatte mir weder abgesagt noch geschrieben, dass er später kommen wollte. Und so saß ich ein wenig unschlüssig in der blitzblanken Wohnung und wusste nicht, was ich nun tun sollte. Und als ich dann Taks E-Mail wieder und wieder las, dämmerte mir allmählich, dass Tak gar nicht zu mir kommen wollte, sondern mich in die Universität eingeladen hatte. Ich blickte auf die Uhr und musste erst einmal schlucken, als mir klar wurde, dass Tak nun schon seit über einer Stunde dort auf mich wartete. Also zog ich mir hastig Schuhe, Jacke, Mütze und Schal an und lief durch das dämmernde Soka zur Dokkyo-Universität. Und als ich die Stufen zur ICZ heraufgestiegen war, sah ich dort ganz alleine in der Abteilung für englische Kommunikation Tak an einem Laptop sitzen. Ich ging ein wenig schief lächelnd zu seinem Tisch und entschuldigte mich, dass ich so lange gebraucht hatte. Und als ich begann von dem Missverständnis beim Lesen der E-Mail zu erzählen, winkte er ab und lächelte nur: "Ich habe seit der E-Mail an dich mein E-Mail-Postfach gar nicht mehr überprüft und weiß nicht von welcher Antwort-E-Mail du redest, aber ich bin froh, dass du gekommen bist.". "Ach, das ist ja jetzt auch egal", erwiderte ich erleichtert und fügte grinsend hinzu: "Und du wirst nicht glauben wie sauber meine Wohnung zur Zeit ist.". Da blickte Tak ein wenig verwirrt und schüttelte den Kopf. Und dann genossen wir unser abendliches Treffen, nachdem wir uns schon so lange Zeit nicht mehr zu zweit getroffen hatten.

2 Kommentare:

H. hat gesagt…

Hihi, das kann ich mir ja lebhaft vorstellen, wie du wie von der Tarantel gestochen aufspringst, um die Wohnung auf Hochglanz zu bringen :-). So Putzanfälle habe ich auch manchmal, wenn ich Besuch erwarte.
Nur gut, dass du das Missverständnis noch erkannt hast.

David Kraft hat gesagt…

Ich bräuchte öfters solchen Fehlalarm, dann würde Yosuke und meine Wohnung hier immer blitzblank sein. : )