Montag, 6. Oktober 2008

Muttersprache

Es ist Tag 18 in Japan und ich habe heute die letzte meiner 5 Sprachlehrerinnen kennengelernt. Es ist jene Lehrerin, die über meine Präsentation urteilen wird. Und was kann ich sagen außer: Sie ist eine furchtbare Person!
Ich wurde bereits misstrauisch, als sie Yosuke eine Frage beantworten ließ, die er nicht verstand. Immer wieder wiederholte sie einfach nur die Frage, ohne auch nur im entferntesten daran zu denken, ihr Anliegen für Yosuke verständlicher vorzubringen. Stattdessen verfinsterte sich ihre Miene, als sie nicht die erhoffte Antwort erhielt, und schließlich schlug sie die Hände über dem Kopf zusammen, während Yosuke unsicher die unverständliche Frage wiederholte und fieberhaft den Text nach einer passenden Antwort durchsuchte. Irgendwann schüttelte sie dann den Kopf, nuschelte irgendwas und begann mit Grammatikübungen. Und hier ereignete sich das gleiche Szenario: Sie gab eine kurze Erklärung der neuen Grammatik und wollte dann von jedem einen Beispielsatz hören. Wer etwas nicht verstand, wurde einfach übergangen und abwertend angeschaut, statt helfend unterstützt. Ihr Fragesatz lautete "Was an Japan magst du?", woraufhin ich mit "Die Sprache." antwortete. Da schaute sie mich an, schüttelte den Kopf und sagte "Das geht nicht, das ist falsch. Es muss etwas mit Mögen zu tun haben." woraufhin ich meinen Satz schnell zu "Ich mag an Japan die Sprache." ergänzte. Da verneinte sie lauthals, schlug die Hände über dem Kopf zusammen und nahm den Nächsten dran. Warum mein Satz falsch war, weiß ich bis heute noch nicht. Und es gibt auch niemanden, der es mir erklären könnte, da niemand im Kurs die Grammatik verstanden hatte. Statt einzusehen, dass möglicherweise ihre Erklärung unverständlich gewesen sein könnte, schüttelte sie nur den Kopf, schaute die Kursteilnehmer bemitleidend an und machte den restlichen Unterricht keinen Hehl daraus, dass sie uns für schlichtweg dumm hielt. Dementsprechend war dann auch unsere Motivation und so sagte schließlich kaum jemand irgendetwas.
Die Präsentation, die ich bei ihr vortragen muss, hatte ich eine Woche zuvor als kompletten Fließtext abzugeben. Darum war ich angewiesen mir rechtzeitig ihre eMailadresse zu besorgen, um ihr mein Skript zuzusenden. Als ich in der Pause zwischen den Unterrichtsstunden zu ihr ging und sie mit meiner höflichsten Formulierung bat mir ihre eMailadresse für die Übersendung des Skriptes mitzuteilen, erwiderte sie nur barsch, dass sie keine eMailadresse habe. Und korrigieren würde sie meine Präsentation auch nicht, schließlich habe sie ohnehin nichts mit meiner Präsentation zu tun. Da bemerkte ich wie die Wut in mir hochstieg und mit geballter Faust sagte ich freundlich, dass uns aber am ersten Tag mitgeteilt wurde, dass die betreffenden Lehrer die Präsentationen mit den Referenten durchsprechen und auch korrigieren sollten. Doch schon während ich sprach, sah ich, dass meine Worte nicht fruchteten, sondern sie noch mehr anzustacheln schienen. Mit einem verzerrten Lächeln stand ich dann vor ihr und ließ mich von ihr beleidigen, bis ich mich verneigte, mich entschuldigte, dass ich sie belästigt hatte und mich still auf meinen Stuhl setzte. Den Rest des Tages habe ich mich dann bei Katharina, Lee und Yosuke über sie aufgeregt. Hatte sich meine anfängliche Aufregung wegen der Präsentation recht schnell in ein entspanntes "Komme was wolle" gewandelt, so merkte ich nun nur ein großes Unbehagen, wenn ich daran dachte vor ihr eine Präsentation zu halten. Ein wenig beneide ich nun all jene, die in der Obhut anderer Lehrer gelandet sind.
Mittags war ich wieder in der Bibliothek. Und als mein Tag schon gelaufen schien und ich im Begriff war die Bibliothek zu verlassen, traf ich Ayano. Eigentlich sah ich auf einem Tisch nur ein Langenscheidt-Lexikon. Und während ich mir noch dachte, wie lustig es doch sei, dass es sogar in Japan Langenscheidt gab, realisierte ich plötzlich, dass es ein Deutsch-Japanisch-Lexikon war. Erst dann fiel mir auf, dass zu dem Lexikon auch noch ein Übungsheft der deutschen Sprache, ein Berg Blätter und ein fleißig arbeitendes Mädchen gehörten. Letztere schaute mich ziemlich verwirrt an, denn verständlicherweise ist es nicht alltäglich, dass einem ein Hüne in der Bibliothek so unverblümt über die Schulter schaut. Nach einer peinlichen Pause, ging ich in die Hocke und fragte unsicher "Sprichst du deutsch?", woraufhin sie unsicher "Ja, ich kann sprechen deutsch ein wenig." antwortete. Nachdem ich mir interessiert ihre Unterlagen angeschaut und ihr bei ihren Hausaufgaben geholfen hatte, gingen wir gemeinsam aus der Bibliothek und unterhielten uns in der International Communication Zone. So stellte sich heraus, dass das Mädchen Ayano hieß, seit drei Jahren deutsch lernte, bereits in Düsseldorf gewesen war und sich für ein Auslandssemester bewerben wollte. Ihr großer Traum war es ein Jahr in Wien zu verbringen, doch das Auswahlgespräch machte ihr zu schaffen. Denn während das Lesen nicht wirklich schwer für sie war, hatte sie große Probleme im freien Sprechen und Hörverstehen. Und da ich genau dies nur zu gut aus eigener Erfahrung kannte, bot ich ihr an, dass wir uns zum Reden auf Deutsch treffen könnten, um sie auf das Auswahlgespräch vorzubereiten. Im Gegenzug könnten wir auch auf Japanisch reden, damit sich auch mir die Chance bot im Japanischen sicherer zu werden. Von der Idee war sie dann ganz angetan und sogleich wurden eMailadressen ausgetauscht. Bis sie in ihre nächste Veranstaltung musste, haben wir uns noch auf Deutsch (und manchmal auch auf Japanisch) unterhalten. Dabei fiel mir auf wie kompliziert die deutsche Sprache doch eigentlich ist und vor welche Herausforderungen es mich als Muttersprachler stellt, jemandem zu erklären was beispielsweise "unterfordert" heißt und vorallem, wie man es benutzt.
David: "unterfordert" heißt in etwa "zu leicht".
Ayano: Kann ich sagen "Die Hausaufgabe ist unterfordert."?
David: Äh, nein. Es kann nur eine Person "unterfordert" sein. Als wenn eine Person denkt, dass etwas zu leicht ist, ist sie "unterfordert".
Ayano: Also zum Beispiel "David findet die Hausaufgabe unterfordert."?
David: Äh, nein. Du musst "unterfordern" immer mit "sein" bilden. Also zum Beispiel "Ich bin unterfordert.".
Ayano: Achso. Also "David ist die Hausaufgabe unterfordert."
David: Nein, noch nicht so ganz.
So in etwa verliefen meine Versuche die deutsche Sprache zu erklären. Natürlich gab es Vieles, was ich gut und schnell verständlich machen konnte. Dennoch wird einem bewußt welch ein Wirrwarr an Regeln man als Muttersprachler doch von Natur aus beherrscht. Und so lehre ich nicht nur Deutsch sondern lerne meine eigene Sprache aus einer ganz anderen Perspektive kennen. Auch wenn Ayano schon bald gehen musste, freue ich mich schon auf unser nächstes Treffen, um meine eigene Sprache wieder auf's Neue kennenzulernen.

1 Kommentar:

H. hat gesagt…

Hallo,
ich bin immernoch dabei alles aufzuholen, was ich in den letzten Wochen verpasst habe.
Das ist ja wirklich perfekt, dass du eine Sprachpartnerin gefunden hast. So profitiert ihr beide davon und durch das schlichte Reden mit einem Muttersprachler lernt man schließlich am allerbesten.