Nach fast drei Wochen hat man allmählich ein Gefühl für einige der Feinheiten der japanischen Gesellschaft entwickelt. Man hat gelernt zu beobachten und nachzuahmen, um nicht negativ aufzufallen und es klappt auch sehr gut. Naiv wie ich bin, denke ich ja immer, dass solche Details auch anderen auffallen würden, doch viele der ausländischen Studierenden sind gar nicht darauf bedacht nicht aufzufallen. Und so stechen sie meist gar nicht durch ihr Äußeres, sondern vor allem durch ihre Handlungen aus der Masse hervor.
Katharina, das Mädchen, mit dem ich befreundet bin, gehört genau zu diesen Menschen. Nett ist sie, ganz ohne Frage, aber für die Feinheiten im menschlichen Miteinander hat sie kein Gespür, oder will es nicht haben. So habe ich sie eines Tages auf dem Heimweg einmal darauf angesprochen, dass sie, ganz westlich, rechts auf dem Gehweg läuft. Durch den Linksverkehr bedingt, läuft man in Japan nämlich viel lieber auf der linken Seite. Ist dies recht egal, wenn man alleine läuft, so fällt es mir immer wieder auf, wie irritiert einige Japaner sind, wenn ihnen jemand unerwartet auf "ihrer" Seite des Weges entgegenkommt. Nachdem ich in meinen ersten Tagen in Japan die ersten Blicke wegen des Laufens auf der rechten Seite auf mir lasten spürte, habe ich mir recht schnell angewöhnt wie alle anderen auf der linken Seite zu laufen. Um so verwunderter war ich, dass Katharina diesen kleinen Unterschied noch nie bemerkt hatte. Ebenso wie ihr nie aufgefallen war, dass Japaner beim Laufen nicht essen. Noch kein einziges Mal in meiner Zeit hier habe ich einen Japaner mit einem Hotdog, einem Hamburger, Keksen oder auch nur einer Flasche in der Öffentlichkeit gesehen. Und so laufe ich dann immer ein wenig beschämt neben Katharina, wenn sie auf dem Weg vom Supermarkt ihre Kekse auspackt und beim Mampfen vor sich hin redet, während die Passanten sie anschauen, als würde sie mit nacktem Oberkörper durch die Straßen hüpfen. Offensichtlich gehört es in Japan nicht zum guten Ton jedem zu zeigen, wie man isst, genauso wenig wie man in der Bibliothek nicht laut lacht. So sitzt Katharina oft vor ihrem Computer und lacht laut, während alle Anwesenden des Stockwerks sich regelmäßig umdrehen, leise beginnen zu tuscheln und mit dem Finger auf die Ausländerin zeigen. Bin ich immer bemüht so oft wie möglich ein japanisches Bitte und Danke in meinem Umgang mit anderen zu benutzen, so verzichtet Katharina gänzlich darauf.
Zwar sind dies meist Dinge, die das menschliche Miteinander nicht schwerwiegend stören, doch sind es doch kleine Momente, die einen Menschen negativ aus der Gesellschaft herausstehen lassen und dazu beitragen auch bei Japanern das Bild der "unfreundlichen, unzivilisierten Ausländern" zu prägen. Vielleicht spricht ein wenig der Soziologe aus mir, wenn ich sage, dass ich gerne tiefer in eine Gesellschaft eintauchen möchte, als nur der auffällige Tourist zu sein. Zumindest sieht es Lee genauso und so unterhalten wir uns oft und ausführlich über die feinen Unterschiede zwischen den Gesellschaften. Aber verwunderlich ist es nicht, schließlich studiert Lee in den USA auch Soziologie.
4 Kommentare:
Es sind die feinen Unterschide und dein Auge für jene, die mich auch schon auf den Gedanken gebracht habe diesen Blog auszudrucken - als meinen persönlichen "So ist Japan tatsächlich" Kompendium. In dem Sinne möchte ich doch sehen dass du die Integrationsaufgabe nach Möglichkeit noch weiter vorantreibst, denn Beobachtung ist gut, "Insider-Infos" doch besser. Was im Prinzip nur heissen soll dass so fürchterlich manche Lehrerinen doch sein mögen, für mich machst du gerade Urlaub. Während es regnet und ich mir Bilder malen lasse - http://brilcrist.deviantart.com/art/commission-the-red-bed-99950484 und selbst male und mich darüber Aufrege dass ein gewißer Herr Zweig zu viel herumschawafelt in seinem Versuch die Biographie des "Erasmus von Rotterdam" zu verfassen. Unmöglich, noch 100 Seiten sind übrig und jedes Mal möchte ich schreien: Vermag man doch endlich zu Sache zu kommen?
Da ist mir Machiavelli viel, viel Lieber...^^
Ist es in Ordnung, falls ich hier etwas von mir berichte, anstatt nur Fragen zu stellen (die ich zumeist nicht habe) und Kommentare abzugeben (die sich meistens auf: Ja, das sehe ich auch so und Wie interessant und I wish I were with you right now erübrigen).
Diesmal mit Unterschrift, K.
Hallo K.,
Du hast den Nagel auf den Punkt getroffen: "so fürchterlich manche Lehrerinnen doch sein mögen, für mich machst du gerade Urlaub" ;)
Und ich freue mich über alles, was die Besucher hier lassen, sei es ein Hinweis, ein Kommentar, eine Frage oder einfach nur eine Anekdote aus dem Leben.
Und das mit dem "So ist Japan tatsächlich"-Kompendium ist wirklich eine Überlegung wert...
Gruß zurück,
glaub oder nicht doch ich habe mir jetzt ein 60x80 Poster von dem ebenerwähnten Bild bestellt. Welches hoffentlich innerhalb der nächsten Tage durch ein weiteres Poster ergänzt wird. Mit ziemlich der gleichen Situation - doch anderen Ausführung... (ja ich vermisse so langsam menschliche Umgebung).
Du wohnst doch im Prinzip in Vorstadt von Tokyo? Wann ist denn der nächste Ausflug in die magna mater angesagt? Meine Namensentsprechung in deiner Nachbarschaft, was genau für manga/anime mag sie? Wohl nicht "One Peace", oder? Kommst du eigentlich der Serie deiner Präferenz noch hinterher (und da denkt man in Japan hat jeder einen Internet Anschluß...)
Liebe Grüße. Kath.
Hi Kath.,
Da ich ziemlich beschäftigt hier bin, wird der nächste Ausflug nach Tokyo noch bis mindestens übernächstes Wochenende warten müssen. Und Katharina mag wirklich kein One Piece, irgendwie stehen da "normale Deutsche" nicht drauf. Das ändert aber nichts daran, dass ich Sonntag morgens den Fernseher einschalte und die brandneue Folge sehe...
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