Mittwoch, 15. Oktober 2008

Die Ultrahand wirkt Wunder...

Nach einige arbeitsreichen Tagen habe ich endlich das Skript für meinen Vortrag abgegeben. Ein wenig aufgeregt war ich schon, mein Schicksal in die Hände der unfreundlichsten Japanischlehrerin zu legen, die mir je begegnet war. Schon am Morgen überprüfte ich dreimal, ob ich auf meinem MP3-Player auch tatsächlich das Skript hatte, schließlich musste ich es noch in der Pause in der Bibliothek ausdrucken. Nachdem ich in der letzten Woche so viel Prügel wegen meiner Fragen bezüglich des Vortrags einstecken musste und die Lehrerin sich so gar nicht für meine Präsentation verantwortlich fühlte, hätte es mich nicht gewundert, wenn sie die Korrektur meines Skriptes, wozu sie ja verpflichtet ist, komplett unter den Tisch hätte fallen lassen. Als ich dann morgens im Unterricht saß, kam sie dann aber doch mit einem forschen Blick auf mich zu und fragte nach meinem Skript. Bereitwillig zeigte ich ihr meinen MP3-Player und versicherte ihr alles noch bis zur Mittagspause auszudrucken. Dies quittierte sie nur mit einem abwertenden Blick und startete unverzüglich in den Unterricht.
In der Pinkelpause zwischen der ersten und zweiten Unterrichtsstunde rannte ich zur Bibliothek und druckte glücklicherweise ohne jegliche Komplikationen mein Skript aus. Dabei muss einmal erwähnt werden, wie praktisch es an japanischen Universitäten ist, dass man alle benötigten Unterlagen kostenlos ausdrucken lassen kann. Theoretisch könnte ich das gesamte Internet in schwarz-weiß ausdrucken, ohne dass ich auch nur einen Cent bezahlen müsste. Zumindest konnte ich mit meinem frischbedruckten, kostenlosen Skript wieder in den Raum rennen und saß zum Beginn der zweiten Stunde da, als wäre ich niemals fort gewesen. Vor der Mittagspause drückte ich der Lehrerin dann stolz mein Skript in die Hand, was sie diesmal mit einer wohlwollenden Überraschung quittierte.
Am Ende des Schultages bat sie mich dann ihr kurz in einen anderen Raum zu folgen, um das korrigierte Skript zu besprechen. Ziemlich aufgeregt watschelte ich dann hinter ihr durch die Gänge, was ein sehr lustiges Bild gewesen sein muss, schlieslich überrage ich sie um mehr als zwei Köpfe und und laufe dennoch wie ein geprügelter Hund hinter ihr her. In irgendeinem Raum nahmen wir an einem Tisch platz und sie begann in gewohnt barschem Ton aufzuzählen wo mein Skript verbesserungswürdig sei. Während sie meinen Text zur Firmengeschichte Nintendos Wort für Wort zerpflückte, blieb sie plötzlich an einem Satz hängen, der von der Einführung der "Ultrahand" berichtete, einem Spielzeug, welches Nintendo vor über drei Jahrzehnten auf den Markt gebracht hatte und das Nintendos Durchbruch in der Spielwarenindurstrie markierte. Eine Weile schaute meine Lehrerin auf den Satz, dann sagte sie plötzlich ganz ruhig: "Ich kenne diesen ganzen modernen Computerkram nicht, aber ich erinnere mich daran, dass Nintendo damals in der Spielwarenindustrie tätig war und die "Ultrahand" auf den Markt gebracht hatte. Ich habe vorm Fernseher gesessen und immer gesagt: 'Mama, ich will auch eine Ultrahand!', aber meine Mama hat sie mir nie gekauft." Dann hielt sie eine Weile inne, bevor sie weiterberichtete: "Alle meine Freunde hatten eine Ultrahand, die sah so aus..." Sie holte einen Stift aus ihren Unterlagen und begann auf einem Blatt die Ultrahand aufzuzeichnen. "Damit konnte man immer Dinge nehmen, die weiter entfernt waren, dazu musste man nur hier drücken und dann..." Und so saß sie einige Minuten da, zeichnete an ihrem Bild herum und erzählte von dem Spielzeug, dass sie sich immer so sehr gewünscht, aber nie bekommen hatte. Danach war sie wie ausgewechselt. Sie lobte mich für meinen Schreibstil und spielte die Fehler die sie fand herunter. Sie hob hervor, wie gut ihr mein Schluss gefiel und dass sie schon ganz gespannt auf meinen Vortrag sei. Als ich dann den Raum verließ sagte sie mit einem herzlichen lächeln, dass es bestimmt ein ganz toller Vortrag werden würde. Und so bin ich das erste Mal seit Tagen mit einem guten Gefühl wegen des Vortrags ins Wohnheim gegangen.

4 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Womöglich versuchte die Lehrerin ihre eigentliche Unsicherheit verbunden mit angsauslösenden schlechten Erwartungen zu überspielen. Im Endeffekt ist sie ja nur eine kleine Japanerin im vergleich zu jenen ungezogenen, vorlauten und gar und ganz anderen Gaijin. Aber wie du berichtest wirkt eine kleine Gemeinsamkeit als die Tür. Und nun vereint euch die Liebe zu Nintendo^^

Internetanschluß, eine Gute Sache! Doch vergesse nicht hinauszugehen. Ich muss mit Erstaunen feststellen, meine Fachbereichsbibliothekphobie hat sich nach einer Woche Lektürelesen gelegt. Ich darf ferner ein Referat zur Kunstwahrnehmung und Berwertung dieser halten. Und ganz energietisiert bin ich auch noch, auch wenn ich die 3-Semester mit denen ich heutzutage einiges gemeinsam habe als "Kleinkinder" zu betrachten anfange...

Wie ist es eigentlich bezüglich deiner Testergebnisse in Japan, spielt es irgendwelche Rolle für dein Studium hier? Ich habe gestern kurz Almut getroffen, sie spricht mittlerweile über die Teilnahme an der 1 Grad Japanischprüfung, den 2en hat sie bereits in Japan bestanden. Planst du ebenfalls an einer staatlichen Prüfung teilzunehmen.

Nun ja, ich mache mich jetzt für die Vorlesung fertig. Alles gute. Kath.

Anonym hat gesagt…

Hey Kath.,

Ich habe wirklich das Gefühl, dass die Lehrerin seit diesem Treffen viel mehr von mir hält. Erst heute habe ich von einer anderen Lehrerin Lob für meine Präsentation erhalten. Meine "fiese" Dienstagslehrerin muss wohl herumerzählt haben, wie toll sie meine Präsentation fand. Das macht mich schon stolz, aber auch ein wenig verlegen.
Und ich werde sicher nicht vergessen hinauszugehen, dafür gibt es einfach zu viel zu entdecken.
Und die Testergebnisse werden mir in Deutschland als reguläre Noten angerechnet. Falle ich hier am Semesterende durch, falle ich theoretisch auch in Deutschland durch. Das ist leider die schwere Bürde, die ich als Bachelor-Studierender zu tragen habe...

H. hat gesagt…

Hallo David,
das freut mich, dass du diesen fürchterlichen Drachen gezähmt hast :-)Gut gemacht! Jetzt brauchst du wenigstens nicht mehr so viel Angst vor ihren Unterrichtsstunden zu haben. Denn sowas kann einem ja ganz schön den Tag vermiesen.

David Kraft hat gesagt…

"fürchterlicher Drache" trifft es doch erstaunlich gut. Ich habe sie bisher immer nur "witch" genannt, weil mir im englischen Dialog mit Lee nichts Bösartigeres eingefallen ist. Dabei ist das Wort "witch" eigentlich gar nicht so böse...