Heute blieb im Sprachkurs einer der Plätze unbesetzt. Nicht etwa weil jemand krank geworden war oder sich ein langes Wochenende machen wollte, nein, der Platz blieb unbesetzt weil einer der Kursteilnehmer den Sprachkurs verlassen hatte. Und dieser jemand war mein Mitbewohner Yosuke. Schon vor dem Sprachkurs wußte er, dass er mit den anderen nicht mithalten konnte, schließlich hatte er Japanisch nur nebenbei studiert und niemals als Studienschwerpunkt gehabt. Nach einigen Wochen harter Arbeit und stundenlanger Nachhilfe bei befreundeten Japanern sah er schließlich ein, dass ihm der Sprachkurs über den Kopf gewachsen war und er den Lernstoff unmöglich aufholen konnte. Vielleicht waren es die bissigen Kommentare von Frau Fukuda, vielleicht auch die bevorstehende Präsentation, die das Zünglein an der Waage darstellten und Yosuke dazu bewegten ab heute in den Unterkurs zu wechseln. Seiner Aussage zufolge gefällt es ihm im Unterkurs auch besser, schließlich ist er nun für die anderen Grundkursteilnehmer der Japanischprofi, zu dem man gehen kann, wenn man Fragen hat. Und so drückt er seit heute gemeinsam mit Lee die Bank des Grundkurses, während im Mittelkurs ein Platz leer bleiben wird.
Da ich am Vortag endlich mein Konto eröffnet habe, ging ich in der Mittagspause stolz mit meinen gesamten Bankunterlagen ins International Center, um mich nun genauer über mein Stipendium zu erkundigen. Während ich meine Unterlagen vor mir auf den Tresen legte, begann ich meinen zurechtgelegten Satz abzuspielen: "Ich habe eine Frage bezüglich des Stipendiums...". Wie gewohnt unterbrach mich die zuständige Sacharbeiterin, da sie wohl darauf trainiert war Ausländer nicht in die Verlegenheit zu führen einen Satz grammatikalisch richtig zu beenden zu müssen. Während sie meine Unterlagen durchblätterte und sich das Büchlein mit meinen Kontobewegungen herauspickte, fragte sie nach meinem Namen und verschwand kurz darauf am Kopierer. Danach kam sie zurück und verkündete mir, dass mein gesamtes Stipendium bis zum 8. November auf mein Konto überwiesen werden würde. Sie lächelte kurz, nickte mir zu, setzte sich auf ihren Bürostuhl und begann möglichst konzentriert auf den Bildschirm zu starren. Ein wenig verdutzt stand ich noch immer hinter dem Tresen, hatte ich doch bisher nicht viel mehr als "Ich habe eine Frage bezüglich des Stipendiums...", meinen Namen und ein paar beipflichtende "Ja." von mir gegeben. Wenn auch das Verhalten der Sachbearbeiterin eindeutig darauf schließen lies, dass das Gespräch an diesem Punkt für sie beendet war, so ließ ich nicht locker, ging um den Tresen herum, schritt zielstrebig auf sie zu und fragte, was mich schon so lange beschäftigte: "Das Stipendium ist nur für ein Semester. Kann ich auch für das kommende Semester ein Stipendium erhalten?" Blickte sie während meiner Frage noch ein wenig skeptisch auf den Ausländer der sich so frech am Tresen vorbeigeschlichen hatte, kam sie wohl zu der Einsicht, dass sie diese Situation wohl am schnellsten mit dem Beantworten meiner Frage beenden könne und tippte wild auf der Tastatur herum. "Sie wurden von Ihrer Heimatuniversität für dieses Stipendium vorgeschlagen. Für das kommende Semester haben wir von Ihrer Universität allerdings noch keinen Kandidaten erhalten, es ist also noch ein Platz frei. Sie müssten sich diesbezüglich mit Ihrer Heimatuniversität in Kontakt setzen.". Wie so oft sitzt meine Universität hinter allem, dachte ich mir und verließ das International Center mit der Hoffnung mein mageres Stipendium doch immerhin verdoppeln zu können.
Am Abend erfuhr ich von Ninja, dass vom Marburger Japanzentrum, an dem ich studiere, Mails an alle Studierenden geschickt wurden, die darüber informierten, dass das Zentrum bis Ende 2010 endgültig geschlossen werden wird. Da alle Studierenden bereits seit Beginn des Studiums wußten, dass dies früher oder später geschehen würde, war ich kaum überrascht. Das einzig Neue war der feste Termin den es nun gab: Ende 2010. Ab diesem Zeitpunkt sollen keine Vorlesungen oder Prüfungen mehr angeboten werden und es wird auch keine Lehrenden mehr geben: Das Japanzentrum existiert dann einfach nicht mehr. Jeder, der nun um meine universitäre Laufbahn bangt, kann aber vorerst beruhigt sein. Meiner Planung nach setze ich mein Studium nach meinem Auslandsaufenthalt zum Wintersemester 2009/2010 fort und werde höchstwahrscheinlich im folgenden Frühjahr meinen Abschluss machen. Und selbst, wenn irgendetwas schief gehen sollte, habe ich noch ein Ausweichsemester zur Verfügung. Viel mehr Gedanken mache ich mir über die Auflösung unserer Bibliothek und die auslaufenden Verträge der Lehrenden. Doch was bringt es jetzt sich hier in Japan den Kopf zu zerbrechen, wenn ich doch nichts ändern kann. Es gibt andere, die mit dieser Ankündigung viel mehr zu kämpfen haben, als ich. So meine Freundin Ninja, die, bedingt durch ihren anderen Studiengang, keine Gewissheit hat ihr Studium überhaupt abschließen zu können. Vielleicht wird sie in zwei Jahren als Einzige noch am Japanzentrum sein und um sie herum nur leere Plätze.
2 Kommentare:
Hi, ich habe gerade gar keinen Überblick darüber, wie groß euer Kurs jetzt ist, auch wenn du das bestimt an anderer Stelle mal erwähnt hast. Ich stelle ihn mir ziemlich klein vor. Wieviele seit ihr denn?
Ich war überrascht, dass Yosuke den Kurs verlassen hat. Hätte da eher mit jemand anderem gerechnet ;-)
Ich drück dir die Daumen, dass das mit dem Stipendium fürs nächste Semester auch klappt!
Hi H.,
Unser Kurs besteht bestand aus 12 Teilnehmern, jetzt nur noch 11. Bei Gelegenheit wollte ich alle Teilnehmer nochmals in einem Beitrag vorstellen, nun da ich sie ein wenig besser kenne. Zumindest die meisten.
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