Nach einigen Wochen Sprachkurs an der Dokkyo-Universität, weiß man ziemlich genau worauf man sich im Unterricht gefasst machen kann. Man bekommt ein Gefühl für die Lehrer, ihre Unterrichtsmethoden und was man sich erlauben kann, während sie lehren. Montags habe ich immer noch Frau Ezoe, die wie die Wochen zuvor schnell und hektisch durch den Unterricht führt und ihre unverständlichen Erklärungen immer noch mit dem gewohnten "Wardasverständlichjadaswarverständlich." beendet. Da sie wie gewohnt lieber selbst redet, als die Studenten zu Wort kommen zu lassen, sinkt die Mitarbeit der meisten Studenten auf das absolute Minimum hinab. Haben alle in der ersten Woche noch versucht die Augen offen zu halten und möglichst höflich zu lauschen, um eine guten Eindruck zu machen, hörte in der zweiten Woche kaum mehr jemand zu und die Großzahl der Studenten beschäftigte sich unauffällig anderweitig. Mittlerweile macht kaum jemand mehr einen Hehl daraus, dass er sich langweilt und nur im Unterricht sitzt, um keine Fehlstunde eingetragen zu bekommen. Höflich wie ich bin, sitze ich noch immer in der ersten Reihe und versuche halbwegs motiviert mitzuarbeiten, während andere betont gelangweilt in ihre Lehrbücher schmieren oder gleich ganz abschalten und einfach einschlafen. So auch der Chinese Ryou, der sich dermaßen langweilte, dass er es sich an seinem Platz gemütlich gemacht hat und dann langsam eingedöste. Frau Ezoe bemerkte dies zwar, lies ihn aber ruhig weiterschlafen, zumindest vorerst. Denn bei der Erläuterung der Vokabeln für die neue Lektion, benutzte sie ihn als anschauliches Beispiel, um das Verb "jemanden aufwecken" zu erklären. Mit schnellen Schritten ging sie an seinen Tisch und schüttelte ihn kurz an der Schulter. Als Ryou müde die Augen öffnete, sah er vor sich Frau Ezoe stehen, die der Klasse gerade ganz sachlich verkündete "Das ist aufwecken. Ich habe gerade Ryou aufgeweckt.". Dann schritt sie mit ernster Miene wieder an ihr Pult zurück und setzte den Unterricht fort, als wäre nichts gewesen. Währenddessen saß Ryou noch halb eingeschlafen und vollkommen verwirrt an seinem Platz und versuchte sich darüber klar zu werden, warum plötzlich Frau Ezoe neben ihm gestanden, irgendetwas über "aufwecken" erzählt hatte und der ganze Kurs über ihn lachte. Während er die nächsten Minuten mehr schlafend als wach in seinem Stuhl hing, nutzte Frau Ezoe die Situation, um auch gleich noch die neue Vokabel "schläfrig sein" sehr anschaulich zu erklären. Auch wenn der ganze Kurs lachte, blickte Frau Ezoe recht streng, ja regelrecht zornig. Wenn sie auch kein einziges böses Wort über die Lippen brachte und versuchte sich nichts anmerken zu lassen, schien sie es doch nicht so ohne Weiteres wegzustecken, dass die Studenten in ihrem Unterricht einschliefen.
Am Nachmittag holte ich dann meinen Namensstempel ab, um in der kommenden Woche endlich ein Konto für mein Stipendium eröffnen zu können. Ohne Probleme bekam ich meinen ganz persönlichen Namensstempel ausgehändigt, mit dem ich stolz nach Hause lief. Den Abend verbrachte ich dann mit letzten Vorbereitungen für meinen morgigen Vortrag. Noch ein paar Sprechübungen, nochmals über die Bilder in der Präsentation schauen, ein letztes Mal das Handout nach Fehlern durchforsten und gedanklich die Begrüßung und die abschließenden Worte durchgehen. Dann legte ich mich schlafen und konnte, trotz einer nicht zu unterdrückenden Aufregung wegen meiner Präsentation, erstaunlich gut schlafen.
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