Mittwoch, 8. April 2009

Regen in Kyoto

Nach einem wechselhaften ersten, einem bewölkten zweiten und einem sonnigen dritten Tag in Kyoto, regnete es heute in Strömen. Und so war das Erste, das ich an meinem 182. Tag in Japan mitkam, das Geräusch von Regen, der ans Fenster prasselte. Ein einziger Blick nach draußen zeigte einen grauen, nassen Einheitsbrei, der so gar nicht dazu einlud Kyoto zu erkunden. Darum ist es erstaunlich, dass Ninja, Dominic und ich ausgerechnet bei diesem Wetter verhältnismäßig früh aufstanden und bereits vor zehn Uhr am Busbahnhof von Kyoto standen. Da es regnete, wollten wir uns heute überdachte Sehenswürdigkeiten anschauen: Das Nijou-Schloss und verschiedenen Museen. Und da wir noch uneinig darüber waren welche Museen wir uns anschauen sollten, fuhren wir erst einmal zum Nijou-Schloss, mitten in Kyoto.
Es regnete als wir an der Bushaltestelle ausstiegen, unsere Tickets kauften und durch das Tor in den Hof traten. Immer wieder musste ich vorsichtig Tropfen von der Linse der Kamera wischen, während wir durch den recht kargen Außenhof liefen, in dem nichts anderes war, als Kies. Und es regnete immer noch, als wir das eigentliche Schloss betraten. Das Schloss? Was stellt man sich nun als westlicher Leser darunter vor? Vielleicht ein großes Tor, das man durchschreitet, um dann durch ein mehrstöckiges, prunkvolles Gebäude zu laufen? Kostbare Gemälde und Malereien, die an den Wänden hängen? Erlesene Antiquitäten, die in den sorgfältig zurechtgemachten Räumen aufgestellt sind? Genau so war es nämlich nicht, denn das Schloss war einstöckig und wie alle älteren Bauten in Japan komplett aus Holz gefertigt. Zudem gab es praktisch keine Einrichtungsgegenstände und man lief eigentlich nur an großen, leeren Räumen vorbei. Dementsprechend enttäuscht war Dominic, der sich auf ein "traditionell westliches Schloss" eingestellt hatte, und seinen Unmut über das "leere, japanische Schloss" nicht zurückhielt. Und so versuchten Ninja und ich ihm zu erklären, dass dieses Schloss zu seiner Zeit auf seine eigene Weise Prunk und Macht ausstrahlte. Durch die ungewöhnliche Weitläufigkeit, durch die seltenen Hölzer, die zum Erbauen genutzt wurden, durch unzählige Wandmalereien von Malermeistern und durch besonders kunstvolle Gärten. Wirklich nachvollziehen konnte Dominic unsere Erklärungsversuche nicht, weshalb er wenig begeistert hinter Ninja und mir durch das Schloss lief, bis wir schließlich wieder am Eingang ankamen.


Bild1: Der weitläufige Kieshof vor dem Nijou-Schloss. Abgesehen, von einigen Bäumen und Informationstafeln, gab es hier wirklich nichts zu sehen.


Bild2: Durch dieses Tor durchschritt man die inneren Schlossmauern und gelangte in den Innenhof.


Bild3: Ein Bild von den kunstvollen Schnitzereien, die überall am Tor zum Innenhof zu finden waren. Abgesehen von diesem Kranich konnte man auch einen Tiger und einen Drachen sehen.
 

Bild4: Ein Blick auf das eigentliche Nijou-Schloss. Man kann nicht leugnen, dass es anders aussieht als Versailles oder Neuschwanstein. Leider konnte ich von den Innenräumen keine Fotos machen, da das Fotografieren verboten war und an jeder Ecke Servicepersonal stand, das penibel darauf achtete, dass dies auch eingehalten wurde.


Bild5: Ein Bild von einer großen Schnitzerei über dem Eingang zum Nijou-Schloss. Man kann mehrere Vögel auf dem rund ein mal drei Meter großen Bild erkennen.


Als wir wieder ins Freie traten, regnete es noch immer. Und so war das Durchqueren des Schlossgartens leider nicht so angenehm, wie es hätte sein können. Liefen Dominic und Ninja zu Beginn noch erfreut durch den Regen und posierten lachend vor Seen und Bäumen, drückte der Regen schon bald ihre Stimmung und aus angeregten Gesprächen beim Laufen wurde schon bald genervtes Gemurmel, während des missmutigen Stapfens durch die Pfützen. Ich lies mich aber nicht beirren, schließlich hatte ich nur diese eine Gelegenheit mir das Nijou-Schloss anzusehen. Darum lief ich mit der Kamera durch den Regen und fotografierte munter weiter, während sich meine Kleidung langsam voll Wasser sog. Wenn ich jetzt keine Bilder mache, werde ich es später bereuen, dachte ich mir die ganze Zeit, während ich im Schlossgarten Nahaufnahmen von den Kirschblüten machte. Und rückblickend muss ich mir recht geben: Gerade wegen des Regens sind mitunter beeindruckende Bilder entstanden, die zu den hübschesten Fotos gehören, die ich bisher in Japan gemacht habe.


Bild6: Ein Bild des Schlossgartens mit seinen weiten Rasenflächen, Bäumen und Sträuchern.


Bild7: Ein weiteres Bild vom Schlossgarten, diesmal ein größerer See mit mehreren kleinen Inselchen. Ob die Strohhüte im Vordergrund eine Art Kunstwerk sind oder eine findige Verpackung für empfindliche Pflanzen darstellen, weiß ich nicht.


Bild8: Von einem erhöhten Eckturm aus habe ich ein Bild von einigen Schlossgebäuden und einem Ausschnitt des Palastgartens gemacht. Der Treppenaufstieg, über die großen, glitschigen Stufen, war überaus abenteuerlich.


Bild9: Während Dominic und Ninja unter einem Tor warteten, spazierte ich gemächlich durch den palasteigenen Kirschgarten, in dem ich viele Bilder von den Blüten machte, die andernorts noch nicht blühten. Einige Japaner taten es mir gleich und standen in Wind und Regen vor den Blüten und versuchten das perfekte Bild zu schießen.


Bild10: Eines meiner Bilder, das im Schlossgarten des Nijou-Schlosses entstanden ist. Für Bilder wie dieses hat sich das Stehen im Regen gelohnt.


Nach dem Marsch durch den Regen im Schlossgarten des Nijou-Schlosses war es verständlich, dass Dominic und Ninja einen trockenen, warmen Platz zum Mittagessen suchten. Da aber in unmittelbarer Nähe weder ein Café noch ein Restaurant zu finden war, stiegen wir in den nächsten Bus und fuhren quer durch Kyoto zu einem Sushi-Restaurant, in dem Ninja vor einigen Tagen beim abendlichen Ausgehen mit Freunden gegessen hatte. Wie kann man sich aber ein japanisches Sushi-Restaurant vorstellen? Etwa wie einen Raum, mit einer großen Theke, an der man Platz nimmt. Und an allen Plätzen verläuft entlang der Theke ein Laufband, auf dem Teller mit frisch zubereitetem Sushi stehen. Also nimmt man Platz und wählt aus jenen Speisen, die einem buchstäblich vor der Nase herumfliegen. Und so probierten ich und Dominic verschiedene Sorten, wie Lachs, Thunfisch, Krebs, Aal oder einfach Gurke, wagten uns aber nicht zu weit aus dem Fenster und ließen die unbekannteren Fischsorten und Fischeier an uns vorbeifahren. Und während ich aß und Unmengen des kostenlosen grünen Tees trank, schaute ich interessiert den Sushiköchen über die Schulter, die auf der anderen Seite des Laufbandes standen und alle Speisen frisch zubereiteten.


Bild11: Ninja und Dominic vor dem Sushi-Restaurant, in dem wir zu Mittag gegessen haben.


Noch im Restaurant hatten wir die Planung für den Rest des Tages besprochen und uns dazu entschieden uns in der angrenzenden Fußgängerzone ein wenig umzusehen, bevor wir, auf Wunsch von Dominic, ins naturwissenschaftliche Museum der Universität von Kyoto gehen wollten. Und so verließen wir das Sushi-Restaurant und liefen in die nahliegende Einkaufsstraße, in der Dominic einen ganzen Stapel Postkarten kaufte, während Ninja und ich einige Blicke in die Geschäfte warfen. Es dauerte nicht lange und Ninja hatte ein Kleidungsgeschäft gefunden, in dem sie begeistert verschwand, und ich stand ein wenig einsam in der Gegend herum, bis ich mich entschied schon einmal voraus zu bummeln, während die anderen noch einkauften. Doch nachdem ich die gesamte Straße hinuntergelaufen war und im gleichen Tempo zurück gelaufen kam, war Ninja noch immer in ihrem Geschäft und Dominic stand bereits ein wenig nervös herum und schaute auf seine Uhr. Und so liefen ich noch einmal mit Dominic die Straße herunter, warf Blicke in die Geschäfte, auf die Auslagen der Läden und auf die Plakate der aktuellen Kinofilme. Doch als Ninja immer noch nicht aus ihrem Geschäft gekommen war, wurde es Dominic schließlich zu spät und er bat Ninja doch endlich zu kommen. Da druckste sie ein wenig herum und entschied sich dazu lieber einzukaufen als ins naturwissenschaftliche Museum der Universität Kyoto zu gehen. Ich konnte förmlich sehen wie die Wut in Dominic hochstieg, darum war es für Ninja vermutlich besser, dass Dominic nur knapp nickte und ohne ein Wort zu sagen die Einkaufsstraße herunter eilte. Hastig verabschiedete ich mich von Ninja und eilte Dominic hinterher. Doch die Wut vor der Ninja noch verschont geblieben war, bekam nun ich ab, obwohl ich nicht wusste welche Schuld ich an dem verspäteten Aufbruch hatte. Ich verkniff mir zu kommentieren, dass ich bereits seit Tagen darum kämpfte, endlich weniger Zeit zu vertrödeln und mehr anzuschauen, und lief einfach nur stumm neben Dominic her, während ich auf dem Busplan die schnellste Verbindung zum Museum heraussuchte.
Als wir schließlich am Museum ankamen, war dieses noch für knapp eineinhalb Stunden geöffnet und so kaufte ich die Tickets und schaffte es wegen unserer Studentenausweise sogar noch Rabatt zu bekommen. Nachdem wir dann endlich im Museum waren und uns die ersten Vitrinen und Schautafeln anschauten, kam auch Dominic wieder zur Ruhe und es wurde dann doch noch ein schöner Nachmittag. Mit großen Augen und einem unstillbaren Interesse liefen wir durch die verschiedenen Räume, in denen alles ausgestellt wurde: von nachgebauten Ameisenhaufen, über Modelle von komplexen geometrischen Figuren, altjapanische Ausgrabungsgegenstände, historische Schriftstücke bis hin zu ausgestopften Tieren. Und das Tollste an allem war, dass Dominic und ich fast alleine in dem großen Museum waren. So hatte ich viel Zeit einige Schilder zu übersetzen, alles in Ruhe anzuschauen, zu besprechen und sogar hin und wieder ein verbotenes Foto zu machen. Bis zur letzten Minute blieben wir im Museum und schauten uns alles an, bevor wir wieder ins Freie traten und es das erste Mal an diesem Tag nicht regnete.


Bild12: Der Eingang zum naturwissenschaftlichen Museum der Universität Kyoto. Es war kein großes oder bekanntes Museum, aber wir hatten dort riesigen Spass.


Bild13: Dominic macht an einem Bildschirm einen Reaktionstest, der normalerweise für trainierte Gorillas gedacht ist. Dazu wurden auf einem Bildschirm für etwa eine Sekunde mehrere Zahlen eingeblendet, die man kurz darauf auf dem nun schwarzen Bildschirm in richtiger Reihenfolge berühren musste. Einerseits muss man sich also die Position, andererseits den Wert einer Zahl einprägen. Wenigstens wissen Dominic und ich nun, dass wir dümmer als Gorillas sind.


Bild14: Ein ausgestopftes Tier, daneben ein Skelett. Wie bereits in dem Aquarium in Ikebukuro ("Der Zoo im Hochhaus") konnte ich mit den meisten Tiernamen nicht viel anfangen.


Bild15: Schaukästenweise Insekten: Riesige Kakerlaken, Hummeln, Ameisen, Libellen, Hirschkäfer und Fliegen.


Bild16: Ein Blick auf einige frühzeitliche Steinsärge. Dieser archäologische Teil half mir ein wenig mein Wissen über japanische Frühgeschichte aufzufrischen.


Mit dem Bus fuhren wir schließlich zurück zum Bahnhof, und kauften eine neue Speicherkarte für Dominics Kamera, da die alte bereits fast voll war und wir sie nicht leeren konnten, da wir das Verbindungskabel zwischen Kamera und Laptop in Soka vergessen hatten. Noch bevor wir uns unser Abendessen besorgt hatten und in unsere Unterkunft zurückkehrten, begann es schon wieder zu regnen, weshalb wir an diesem Tag einmal mehr durch den Regen laufen mussten. Noch während wir auf unserem Zimmer zu Abend aßen, kam auch Ninja an, die ebenfalls noch unterwegs gewesen war, und so verbrachten wir den Abend zu dritt. Über die Auseinandersetzung vom Nachmittag verloren weder Ninja noch Dominic ein Wort, stattdessen schauten wir zusammen einen Film an meinem Laptop, bis wir uns alle erschöpft niederlegten. Doch noch bevor ich einschlief, lag ich eine Weile wach und lauschte dem Regen, der ans Fenster prasselte.

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