Seltsamerweise bin ich gar nicht müde, obwohl es nun schon bald 4 Uhr morgens in Deutschland ist. Doch all die neuen Eindrücke und die strahlende Sonne verleihen ein Gefühl von Frische und Lebendigkeit. Ich fotografiere, um auch die kleinen Dinge festzuhalten: die andere Vegetation am Straßenrand, die Felder jenseits der Autobahn, der Blick auf kleine Bäche, die sich durch ein verwildertes Wäldchen schlängeln, verrostete Lagerhäuser, das Meer, dass sich hinter der Stadt abzeichnet. Wenn ich all das einordnen müsste, würde ich sagen, dass es wie eine Mischung aus Deutschland und Spanien war. Warum? Das lässt sich schwer sagen, vielleicht erkennt man es auf den Bildern, wenn einige etwas geworden sind. Mein Magen macht sich allmählich bemerkbar und glücklich esse ich das Twix, dass ich von Dominics Mutter bekommen habe. Nachdem der Bus einige Zeit durch ländlichere Gegenden gefahren ist, dringt er in das Großstadtgebiet vor. Und irgendwann muss ich wohl irgendwo im Raum angekommen Tokyo sein, denn am Horizont zeichnet sich eine Skyline ab, die von unzähligen Hochhäusern geprägt ist. Auf einer riesigen Brücke fährt der Bus über einem Meeresarm. Oder ist es ein breiter ruhiger Fluss? Ich weiß es nicht. Der Verkehr beginnt zu stocken und schließlich steht der Bus im Stau. Während die japanischen Fahrgäste immer noch schlafen, versuche ich die Werbebanner und Logos zu entziffern, die auf den langsam vorbeirollenden LKWs neben mir stehen.
Bild1: Blick auf eine ländliche Gegend durch das Busfenster.
Bild2: Blick aus dem Bus auf die Straße
Bild3: Mein erster Blick auf Tokyo
Bild4: Shimizu-mansion, mein Wohnheim. Ich wohne dort, wo die gelben T-Shirts hängen.
Bild5: Blick auf Soka von meinem Balkon aus
Um kurz vor 14 Uhr höre ich jemanden an der Tür, es ist ein unbekannter Junge, der sich als Michael aus Bremen herausstellt, ebenfalls Austauschstudent. Erst denke ich, dass er mein Mitbewohner wäre, doch das Missverständnis klärt sich schnell, denn er wollte eigentlich zu meinem Mitbewohner. Letztlich geht er gemeinsam mit Izumi, Shinya und mir durch Soka, wobei ich ihn über meinen Mitbewohner ausfrage. Das soll wohl irgendein Chinese sein, der kein Englisch kann. Einerseits könnte man so gut trainieren Japanisch zu reden, andererseits dürfte es wegen der Kommunikationsbarriere schwer sein eine Freundschaft aufzubauen. Nach 10 Minuten Fußmarsch erreichen wir die Dokkyo-Universität, mein Studienort für die kommenden 12 Monate. Ich werde ein wenig herumgeführt und darf schließlich in der Bibliothek über Izumis Uniaccount kurz ins Internet, denn bisher habe ich ja weder im Wohnheim, noch an der Universität Internetzugang. Mir fällt keine eMailadresse ein, und so antworte ich eilig auf eine eMail von Dominic. Danach führen Izumi und Shinya mich und Michael in ein nahes Einkaufszentrum, in dem ich mir ein par Putzsachen für die Wohnung kaufe. Praktischerweise gibt es in Japan haufenweise 100 Yen Shops in denen man für 100 Yen (ungefähr 70c) fast alles bekommt. Zunächst bezahle ich noch bequem mit einem Schein, doch schon bald komme ich in Bedrängnis und muss mit Kleingeld bezahlen, was schwierig ist, wenn man die Währung noch nie zuvor gesehen hat. Dazu kommt noch, dass die Verkäufer bei jedem Einkauf einen Schwall Servicejapanisch zum Besten geben, auf den ich (wie schon bei der Dame, die sich entschuldigt hat) nichts zu erwidern weiß. Also stehe ich da, lächle und nicke ein wenig. Ich frage Izumi wie ich zu reagieren habe und sie winkt ab: Es genüge, wenn ich einfach kurz nicke, wenn ich das Wechselgeld erhalte. Mehr machen Japaner auch nicht. Um 17 Uhr muss Shinya gehen und mit ihm auch Izumi, also laufe ich mit Michael wieder zurück zum Wohnhein. Den Weg zwischen Wohnheim, Universität und Einkaufszentrum habe ich mir bereits eingeprägt. Später abends treffe mich noch einmal mit Michael, um in einem nahen Laden etwas Essen und Trinken zu kaufen. Da ich vieles nicht identifizieren kann, nehme ich einfach das billigste Getränk und das billigste Fertiggericht, lächle beim Bezahlen und übersetze Zuhause die Anleitung für mein Fertiggericht. So esse ich abends Yakisoba, also Nudeln mit Soße, und trinke kalten, grünen Tee. Yakisoba schmeckt sehr gut, der kalte Tee ist gewöhnungsbedürftig. Obwohl ich trotz des Jetlags lange aufbleiben wollte, um möglichst schnell in meinen neuen Tagesrythmus zu finden, werde ich ab 20 Uhr unglaublich müde. Ich lege mich in mein Bett, höre auf den Lärm des Verkehrs, das Zirpen der Zikaden und das Brummen der Klimaanlage, dann schlafe ich ein.
Bild6: Yakisoba-Varianten. Zubereitet sieht es genauso aus wie auf dem Cover.
2 Kommentare:
Glückwunsch, die ersten Schwierigkeiten, wegen denen zumindest ich am augeregtesten gewesen wäre, hast du reibungslos überwunden: Du hast dein Flugzeug nicht verpasst, hast am Flughafen in Japan dein Gepäck gefunden und hast irgendwie aus dem Flughafen rausgefunden, bist in den richtigen Bus gestiegen, hast es geschafft, deine Kontaktperson zu finden, deine Wohnung und hast schon die ersten Leute kennengelernt... naja, in dem Moment, wo ich das hier schreibe, hast du jetzt schon eine ganze Woche in Japan verbracht und sicherlich schon deine ersten Kurse gehabt?
Dann kann es jetzt ja richtig losgehen! Alles Gute!
Wenn man erst einmal all den Stress am Flughafen hinter sich hat, ist man echt viel gelassener. Da ich hier ja erst spät Internet bekommen habe, versuche ich möglichst schnell alles, was ich erlebt habe niederzuschreiben. So kann ich bald ganz Aktuelles schreiben. Die Sprachkurse beginnen übrigens erst am Mittwoch...
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