Samstag, 20. September 2008

So ist Soka

Der Bus rast vom Flughafen aus einige Straßen, biegt um viel zu enge Kurven und fährt auf die Autobahn. Die Passagiere, fast alle Japaner, schlafen in ihren Sitzen, nur ein deutscher Tourist sitzt mit großen Augen an der Scheibe. Den Fotoapparat im Anschlag fotografiert er alles, was ihm vor die Linse kommt.
Seltsamerweise bin ich gar nicht müde, obwohl es nun schon bald 4 Uhr morgens in Deutschland ist. Doch all die neuen Eindrücke und die strahlende Sonne verleihen ein Gefühl von Frische und Lebendigkeit. Ich fotografiere, um auch die kleinen Dinge festzuhalten: die andere Vegetation am Straßenrand, die Felder jenseits der Autobahn, der Blick auf kleine Bäche, die sich durch ein verwildertes Wäldchen schlängeln, verrostete Lagerhäuser, das Meer, dass sich hinter der Stadt abzeichnet. Wenn ich all das einordnen müsste, würde ich sagen, dass es wie eine Mischung aus Deutschland und Spanien war. Warum? Das lässt sich schwer sagen, vielleicht erkennt man es auf den Bildern, wenn einige etwas geworden sind. Mein Magen macht sich allmählich bemerkbar und glücklich esse ich das Twix, dass ich von Dominics Mutter bekommen habe. Nachdem der Bus einige Zeit durch ländlichere Gegenden gefahren ist, dringt er in das Großstadtgebiet vor. Und irgendwann muss ich wohl irgendwo im Raum angekommen Tokyo sein, denn am Horizont zeichnet sich eine Skyline ab, die von unzähligen Hochhäusern geprägt ist. Auf einer riesigen Brücke fährt der Bus über einem Meeresarm. Oder ist es ein breiter ruhiger Fluss? Ich weiß es nicht. Der Verkehr beginnt zu stocken und schließlich steht der Bus im Stau. Während die japanischen Fahrgäste immer noch schlafen, versuche ich die Werbebanner und Logos zu entziffern, die auf den langsam vorbeirollenden LKWs neben mir stehen.

Bild1: Blick auf eine ländliche Gegend durch das Busfenster.



Bild2: Blick aus dem Bus auf die Straße


Bild3: Mein erster Blick auf Tokyo


Nach knapp 100 Minuten Fahrt rollt der Bus durch Soka. Die Stadt macht auf mich zunächst den Eindruck einer etwas heruntergekommenen Vorstadt. Überall sind kleine Geschäfte, Häuser und betonierte Flächen, doch es ist alles durch viel Grün aufgelockert. Die meisten jungen und älteren Männer arbeiten wohl und so wird das Bild dominiert von Jugendlichen, Frauen und Alten. An Bahnhof von Soka steige ich aus, der Busfahrer hilft mir mit meinem Gepäck und dann stehe ich erst einmal da. Während der Bus abfährt trifft mein Blick eine junge Japanerin, die dort steht. Sie kommt unsicher auf mich zu und fragt: „David Kraft?“. Nicken. Es ist Izumi, das Mädchen, das mich abholen sollte. Wir warten noch auf ihren Freund Shinya, dann gehen wir zu dritt mit meinem Koffer im Schlepptau durch Soka. Unser erster Stopp ist bei der Agentur, die meine Wohnung im Wohnheim vermietet. Izumi hilft mir die japanischen Formulare auszufüllen und regelt alles mit der jungen Dame, da diese merkt, dass ich ihr japanisch nicht verstehe. Mit Izumi und Shinya rede ich auf Englisch, da ich mir mit Japanisch noch zu unsicher bin. Danach laufen wir bei sengender Hitze (Es ist nun schon nach 12 Uhr) durch Soka, den Weg merke ich mir nicht, viel zu sehr bin ich mit reden, zuhören und Koffer ziehen beschäftigt. Unterwegs fällt uns auf, dass wir keinen Schlüssel für meine Wohnung bekommen haben und so ruft Izumi noch einmal bei der Agentur an. Wenige Minuten später kommt die Dame angeradelt, verneigt sich mehrmals und murmelt eine Reihe von Entschuldigungsfloskeln. Mir wird bewusst, dass ich gar nicht weiß, wie ich reagieren soll. Ich lächle einfach die ganze Zeit und nicke leicht mit dem Kopf. Wie man auf einen Japaner reagiert, der förmlich vor einem auf dem Boden kriecht, wurde man im Studium schließlich nicht gelehrt. Nach einigen Minuten komme ich vollkommen verschwitzt in meinem Wohnheim an: Shimizu Mansion. Eigentlich ist es nur ein Blockhaus mit offenem Treppenhaus, an dem viele Wohnungen angrenzen. Ich wohne in 404A im 3. Stock. Die Wohnung, die ich mir mit jemandem teile ist, na ja, eine kleine Studentenwohnung eben. Man tritt in eine Wohnküche, daran angrenzend ein Abstellraum, ein winziges Klo, eine winzige Dusche mit einer noch winzigeren Badewanne und je ein privates Zimmer für die Studenten. Es ist niemand in der Wohnung, aber es ist offensichtlich, dass mein Mitbewohner bereits hier war. Nicht nur weil einiges auf dem Tisch liegt, sondern weil bereits jemand das bessere Zimmer in Beschlag genommen hat. Ich schiebe meinen Koffer durch die Wohnküche in mein Zimmer und Izumi und Shinya helfen mir das Futon auf dem Bett auszubreiten. Wir verabreden uns für 14 Uhr vor der Wohnung, da ich mich unbedingt Duschen und Umziehen will. Nachdem ich mich endlich erfrischt habe, esse ich den Apfel, den ich vor der Abreise eingesteckt hatte und schaue von meinem Balkon aus auf Soka. Müde bin ich immer noch nicht, aber ich merke, dass das unbequeme Sitzen und das Koffer ziehen seine Spuren hinterlassen hat: Ich bin komplett verspannt und es zieht in jedem Muskel.


Bild4: Shimizu-mansion, mein Wohnheim. Ich wohne dort, wo die gelben T-Shirts hängen.



Bild5: Blick auf Soka von meinem Balkon aus

Um kurz vor 14 Uhr höre ich jemanden an der Tür, es ist ein unbekannter Junge, der sich als Michael aus Bremen herausstellt, ebenfalls Austauschstudent. Erst denke ich, dass er mein Mitbewohner wäre, doch das Missverständnis klärt sich schnell, denn er wollte eigentlich zu meinem Mitbewohner. Letztlich geht er gemeinsam mit Izumi, Shinya und mir durch Soka, wobei ich ihn über meinen Mitbewohner ausfrage. Das soll wohl irgendein Chinese sein, der kein Englisch kann. Einerseits könnte man so gut trainieren Japanisch zu reden, andererseits dürfte es wegen der Kommunikationsbarriere schwer sein eine Freundschaft aufzubauen. Nach 10 Minuten Fußmarsch erreichen wir die Dokkyo-Universität, mein Studienort für die kommenden 12 Monate. Ich werde ein wenig herumgeführt und darf schließlich in der Bibliothek über Izumis Uniaccount kurz ins Internet, denn bisher habe ich ja weder im Wohnheim, noch an der Universität Internetzugang. Mir fällt keine eMailadresse ein, und so antworte ich eilig auf eine eMail von Dominic. Danach führen Izumi und Shinya mich und Michael in ein nahes Einkaufszentrum, in dem ich mir ein par Putzsachen für die Wohnung kaufe. Praktischerweise gibt es in Japan haufenweise 100 Yen Shops in denen man für 100 Yen (ungefähr 70c) fast alles bekommt. Zunächst bezahle ich noch bequem mit einem Schein, doch schon bald komme ich in Bedrängnis und muss mit Kleingeld bezahlen, was schwierig ist, wenn man die Währung noch nie zuvor gesehen hat. Dazu kommt noch, dass die Verkäufer bei jedem Einkauf einen Schwall Servicejapanisch zum Besten geben, auf den ich (wie schon bei der Dame, die sich entschuldigt hat) nichts zu erwidern weiß. Also stehe ich da, lächle und nicke ein wenig. Ich frage Izumi wie ich zu reagieren habe und sie winkt ab: Es genüge, wenn ich einfach kurz nicke, wenn ich das Wechselgeld erhalte. Mehr machen Japaner auch nicht. Um 17 Uhr muss Shinya gehen und mit ihm auch Izumi, also laufe ich mit Michael wieder zurück zum Wohnhein. Den Weg zwischen Wohnheim, Universität und Einkaufszentrum habe ich mir bereits eingeprägt. Später abends treffe mich noch einmal mit Michael, um in einem nahen Laden etwas Essen und Trinken zu kaufen. Da ich vieles nicht identifizieren kann, nehme ich einfach das billigste Getränk und das billigste Fertiggericht, lächle beim Bezahlen und übersetze Zuhause die Anleitung für mein Fertiggericht. So esse ich abends Yakisoba, also Nudeln mit Soße, und trinke kalten, grünen Tee. Yakisoba schmeckt sehr gut, der kalte Tee ist gewöhnungsbedürftig. Obwohl ich trotz des Jetlags lange aufbleiben wollte, um möglichst schnell in meinen neuen Tagesrythmus zu finden, werde ich ab 20 Uhr unglaublich müde. Ich lege mich in mein Bett, höre auf den Lärm des Verkehrs, das Zirpen der Zikaden und das Brummen der Klimaanlage, dann schlafe ich ein.

Bild6: Yakisoba-Varianten. Zubereitet sieht es genauso aus wie auf dem Cover.

2 Kommentare:

H. hat gesagt…

Glückwunsch, die ersten Schwierigkeiten, wegen denen zumindest ich am augeregtesten gewesen wäre, hast du reibungslos überwunden: Du hast dein Flugzeug nicht verpasst, hast am Flughafen in Japan dein Gepäck gefunden und hast irgendwie aus dem Flughafen rausgefunden, bist in den richtigen Bus gestiegen, hast es geschafft, deine Kontaktperson zu finden, deine Wohnung und hast schon die ersten Leute kennengelernt... naja, in dem Moment, wo ich das hier schreibe, hast du jetzt schon eine ganze Woche in Japan verbracht und sicherlich schon deine ersten Kurse gehabt?
Dann kann es jetzt ja richtig losgehen! Alles Gute!

Anonym hat gesagt…

Wenn man erst einmal all den Stress am Flughafen hinter sich hat, ist man echt viel gelassener. Da ich hier ja erst spät Internet bekommen habe, versuche ich möglichst schnell alles, was ich erlebt habe niederzuschreiben. So kann ich bald ganz Aktuelles schreiben. Die Sprachkurse beginnen übrigens erst am Mittwoch...