Samstag, 20. September 2008

Ein Tag im Supermarkt

Mein zweiter Tag in Japan beginnt bereits früh morgens. Denn schon gegen Mitternacht werde ich durch Rumpeln und Gespräche in der Wohnküche geweckt. Recht schnell wird mir klar, dass dort wohl mein Mitbewohner am Werke ist, aber ich traue mich dennoch nicht aus meinem Zimmer. Die erste Begegnung muss ja nicht unbedingt um Mitternacht in Anwesenheit eines Fremden stattfinden, wenn man vollkommen übermüdet im Schlafanzug in die Wohnküche schlurft. Vorallem, wenn der andere möglicherweise nicht einmal Englisch sprechen kann. Da ich ohnehin noch müde bin, schließe ich meine Augen und schlafe sofort wieder ein.
Bereits um vier Uhr werde ich wieder wach. Diesmal nicht wegen Lärm, sondern weil ich auf's Klo muss. Auf dem Rückweg werde ich dann eiskalt erwischt:
"Hallo?"
In der Wohnküche brennt Licht und ein Junge sitzt am Tisch. Dort sitzt aber kein Chinese, sondern jemand, den ich bereits an der Uni in Marburg gesehen habe.
"Du musst David sein."
"Und du bist Yosuke."
Und so habe ich meinen Mitbewohner Yosuke kennengelernt (sprich: Jooske): Nachts um vier Uhr in der Wohnküche auf dem Rückweg vom Klo. Der Name war mir bereits bei meiner Bewerbung um die Patneruniversitäten untergekommen, da auch Yosuke an die Dokkyo-Universität wollte. Allerdings hatte ich ihn nur einmal kurz vor dem Internat für Internationale Angelegenheiten gesehen. Seitdem hatte die Sachbearbeiterin immer von Yosuke gesprochen und alle eMails an Yosuke und David adressiert, obwohl ich nie wußte, wer das eigentlich ist. Jetzt weiß ich aber, dass Yosuke Halbjapaner ist, der in Deutschland aufgewachsen ist und nie Japanisch gelernt hat. Da er aber vielleicht das Unternehmen seines Vaters übernehmen wird, hat er in Marburg parallel zu seinem Wirtschaftsstudium den Japanischkurs bei Frau Sawatari belegt und sich für ein Auslandsjahr beworben. Praktischerweise wohnt seine Tante ganz in der Nähe des Wohnheims, weshalb er nun vor Unibeginn öfters dort vorbeigeht und allerlei Mitbringsel geschenkt bekommt. So sehr ich damit gerechnet hatte einen Chinesen in der Wohnung zu treffen, bin ich doch ganz froh, dass Yosuke nun dort wohnt. Wir verstehen uns wirklich gut.
Wenn ich von Japan erzähle, werde ich nie müde zu erwähnen, dass es kein christlich geprägtes Land ist. Darum ist der Sonntag auch ein Tag wie jeder andere. Nachdem ich Jetleg-bedingt um 11 Uhr erst wach geworden bin, habe ich den Sonntag größtenteils mit Erkunden und Einkaufen verbracht. Um ein Gefühl für die Preise zu bekommen, bin ich in vier verschiedene Supermärkte gegangen und habe ausgiebig verglichen. So hat jeder Supermarkt in meiner direkten Umgebung Vor- und Nachteile, was die Preise und Vielfalt an Produkten angeht. Der Markt in meiner unmittelbaren Nähe ist der günstigste, hat aber vorallem bei Lebenmittlen nur eine kleine Auswahl, Obst oder Gemüse gibt es nicht. Der Einkaufsmarkt direkt daneben ist viel teurer, führt aber auch viel frisches Obst und Gemüse, sowie ein regelrechtes Schauersortiment an allen nur erdenklichen frischen Fisch- und Meerestierwaren. Gedanklich ist das für mich der japanische tegut. Dann gibt es nahe der Uni einen großes Einkaufszentrum, das eine riesige Auswahl anbietet und preislich in der Mitte liegt. Und schließlich die 100Yen-Shops, die alles total günstig haben, aber kaum irgendeine Form von Lebensmitteln führen. Sie sind eher für Haushaltswaren zu nutzen. Gemeinsam haben alle Märkte die Verkäufer, die endlose Monologsfloskeln vor sich hinplappern und dabei alle eingekauften Produkte in die billigen Plastiktüten packen, die man aus dem Spanienurlaub kennt. Pfiffig wie ich bin, habe ich mir einfach abgeschaut wie die Leute vor mir reagieren und festgestellt, dass alle nur gelangweilt dastehen und in die Luft starren, während der Verkäufer sie begrüßt, den Preis erläutert, die Waren einpackt, das Wechselgeld vorzählt, sich verabschiedet und für den Einkauf dankt. Da mir das aber doch ein wenig zu unfreundlich wirkte, habe ich mir einfach angewöhnt an geeigneten Stellen ein "Bitte", "Danke" oder ein beipflichtendes Kopfnicken einzustreuen. Zu meiner Überraschung nehmen viele Verkäufer Kenntnis davon und schauen entweder vollkommen erstaunt, weil ein Ausländer Japanisch spricht, oder sind hellauf begeistert, dass man ihnen für ihren auswendig aufgesagten Text Respekt zollt. Wer also einmal in einem handelsüblichen japanischen Supermarkt eingekauft hat, wird verstehen was der Slogan "Der Kunde ist König" beinhaltet: da gibt es keine mürrischen Verkäuferinnen oder Aldimitarbeiter die einem böse Blicke zuwerfen, wenn man zu lange braucht, um das Wechselgeld einzustecken. Vielleicht könnte sich die Servicewüste Deutschland eine Scheibe hiervon abschneiden. Eine Sache, die ich ebenfalls in Deutschland vermissen werde, sind die herabgesetzten Preis zur Abendzeit. So werden viele frische Fertigspeisen erst mit 20%-Rabatt- und später mit 50%-Rabatt-Marken versehen. So ist es bereits zu meiner Gewohnheit geworden mein Abendessen erst nach 19.30 Uhr zu kaufen, weil ich dann mein Sushi für einen einzigen Euro ersteigere. An meinem zweiten Abend habe ich mich aber noch mit einem normalen Sushigericht für 2 Euro zufrieden gegeben und habe abends angefangen meinen japanischen One Piece-Manga zu übersetzen, den ich in einer Buchhandlung gekauft hatte. Letztlich habe ich mehrere Stunden für die paar Sprechblasen gebraucht, da Umgangssprache doch um einiges komplizierter ist, als ich angenommen hatte. Gegen 11 Uhr habe ich mich dann gezwungen ins Bett zu gehen, um mich dem neuen Rythmus anzupassen.

2 Kommentare:

H. hat gesagt…

Haha, ich glaube ich hätte mich auch erstmal nicht gerührt, wenn ich nachts von dem Lärm meines Mitbewohners geweckt worden wäre. Vor dem ersten Treffen ist man doch schon sehr aufgeregt. Umso besser, dass du ihn schon aus Marburg kennst und er sehr nett ist. Schließlich ist ein netter Mitbewohner das allerwichtigste.
Ich wette, du bist dank deiner Freundlichkeit schon bald der Liebling aller Kassierer :-)

Anonym hat gesagt…

Ja, ich bin echt froh, dass Yosuke ganz nett ist. Bisher hatte ich aber ja meistens Glück mit meinen Mitbewohnern. Und ich habe mich wirklich schon gefragt, ob mich bald die Kassierer kennen, bei denen ich immer einkaufe. Alleine wegen meiner Größe falle ich ja auf...